Leere Plätze in der Londoner U-Bahn ...


Sonntag, 10. Juli 2005

Moslems in der "Tube"
Platz daneben bleibt leer


Immer wenn in Bagdad eine besonders große Bombe explodiert, bekommt Hadi Ali einen besorgten Anruf von seiner Schwester aus London; nie hätte er gedacht, dass es einmal umgekehrt sein könnte. Doch am vergangenen Donnerstag war er es, der zum Telefon griff, um zu fragen, ob sie okay sei. Das Bedrückende für viele Muslime in Großbritannien ist: Sie fühlen sich nicht nur wie alle anderen auch als potenzielle Terroropfer - sie müssen damit leben, dem Täterkreis zugerechnet zu werden.
 
In den ersten Stunden nach den Anschlägen in London gingen beim Muslim Council of Britain, dem Dachverband der 1,6 Millionen britischen Muslime, 30.000 Hassbekundungen ein. Der Tenor vieler Botschaften war: "Wir sind jetzt im Krieg mit euch Muslimen." Allein am Donnerstag und Freitag wurden der Polizei landesweit 70 Vorfälle von Beschimpfungen bis hin zu gewalttätigen Angriffen gemeldet. Am Samstagmorgen wurde in dem englischen Ort Birkenhead ein Brandanschlag auf eine Moschee verübt.
 
Der Platz neben arabisch aussehenden Leuten in der U-Bahn bleibt jetzt oft frei. Ein Londoner Taxifahrer erzählt: "Am Tag der Anschläge hatte ich einen Araber hier drin, zwar schick im Anzug und so, aber als der kurz ausstieg, um Geld zu ziehen, und seinen Koffer bei mir im Wagen stehen ließ, hab ich ihm doch zugerufen: "He, den nehmen Sie aber mal schön mit raus!" Hätte ja auch ne Bombe drin sein können, nicht wahr?"
 
Die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher und der frühere Erzbischof von Canterbury, George Carey, haben den britischen Muslimen nach den Anschlägen vom 11. September vorgeworfen, sich nicht klar genug vom Terror zu distanzieren. Wo bleiben die Demonstrationen gegen Osama bin Laden?, fragten sie. Wahr ist, dass der Rat der Muslime zwar immer alle Terrorakte verurteilt hat, aber in denselben Erklärungen oft auch auf den Umgang Israels mit den Palästinensern oder den Irakkrieg verwies. Viele Briten fanden das geschmacklos.
 
Diesmal allerdings war es anders, die Formulierungen hätten nicht schärfer gewählt sein können: "Wir alle müssen uns vereinen und der Polizei dabei helfen, diese Mörder zu fangen", forderte der Rat schon Stunden nach den Bombenexplosionen in London. Nach einem Bericht des "Independent on Sunday" wollen führende islamische Gelehrte sogar eine Fatwa (ein islamisches Rechtsgutachten) gegen die Terroristen aussprechen und sie damit aus der Glaubensgemeinschaft verstoßen. "Diejenigen, die hinter diesen Gräueltaten stecken, sind nicht nur Feinde der Menschheit", sagt Sir Iqbal Sacrani, der Generalsekretär des Council. "Es sind auch Feinde des Islams und der Muslime."
 
Und das kann man wörtlich nehmen, wenn man zum Beispiel an Shahara Akther Islam denkt. Wie jede typische 20-Jährige liebte die gebürtige Londonerin Partys, Mode und Einkaufen - aber gleichzeitig betete sie als Tochter muslimischer Einwanderer aus Bangladesch jede Woche in der Moschee. Am Donnerstagmorgen verabschiedete sie sich von ihrem jüngeren Bruder und stieg in die U-Bahn, um zur Arbeit zu fahren. An ihrem Arbeitsplatz ist sie nie angekommen.
 
(von Christoph Driessen, dpa)
 




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Terror in London


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