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Japan greift sich mit der Weltraummission "Hayabusa" ein Stück des Asteroiden Itokawa

Kollidierende Kleinplaneten

Meteoritische

Meteoritische "Brekzie" aus kantigen Fragmenten. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Am 9. Mai 2003 hob ein seltsamer Raubvogel von Kagoshima ab. "Hayabusa" (jap., Wanderfalke) fliegt im Auftrag der japanischen Weltraumagentur JAXA, die dabei von der NASA unterstützt wird. Mittlerweile trennen den 500 Kilogramm schweren High-Tech-Vogel nur noch wenige Kilometer von seinem Ziel. Es ist dies ein unregelmäßig geformter, kaum 500 mal 200 Meter kleiner Felsbrocken. Benannt nach dem japanischen Raketenpionier Hideo Itokawa, pendelt der Himmelskörper alle eineinhalb Jahre zwischen den Bahnen von Mars und Erde hin und her. Der "Wanderfalke" soll ein Stück aus seinem steinernen Antlitz reißen und es zur Erde bringen.

Hayabusa ist die bisher anspruchsvollste Weltraummission Japans. Alle anderen Reisen zu Kleinplaneten, auch "Asteroiden" genannt, wurden von der NASA veranstaltet. Die US-Raumschiffe Galileo, NEAR, Deep Space One sowie Stardust eilten zwischen 1991 und 2002 an den Asteroiden Gaspra, Ida, Mathilde, Braille und Annefrank vorbei. 2001 setzte NEAR sogar auf der Oberfläche des Eros auf.

Familien in Umlaufbahnen

Im Sonnensystem sind Familien bloß Zerfallsprodukte. Vor zwei bis drei Milliarden Jahren krachten zwei Himmelskörper, vielleicht 50 und 100 Kilometer groß, im Kleinplanetengürtel zwischen Mars und Jupiter zusammen. Seither ziehen die Kollisionstrümmer auf sehr ähnlichem Kurs dahin. Zu ihnen zählt der 40 Kilometer kleine Asteroid Koronis. Eines der Fragmente wurde vor sechs Millionen Jahren mit rund 20.000 km/h neuerlich getroffen. Von dieser Karambolage blieben abermals etliche Bruchstücke übrig – darunter "Karin", 19 Kilometer im Durchmesser.

Der "Karin-Haufen" bildet seitdem eine Untergruppe der älteren "Koronis-Familie".

Die Existenz solcher Verbände fiel 1918 dem Japaner Kiyotsugu Hirayama am Observatorium in Tokio auf. Damals kannte man 900 Asteroiden. Heute sind es Zigtausend. Mehr als 90 Prozent könnten "Bahnfamilien" angehören. Die meisten Kleinplaneten wären somit Trümmer kosmischer Kollisionen. Auch Itokawa zählt dazu.

Im Asteroidengürtel gibt es riskante Bereiche, in denen Nachbar Jupiter Regie führt. Geraten Kollisionsreste in solche Zonen, stört er deren Orbits: Die Ellipsen werden immer exzentrischer, kreuzen mitunter sogar die Mars- und die Erdbahn. Die kleinsten Splitter einer Karambolage können bereits 10 bis 50 Millionen Jahren später bei uns eintreffen.

Beim rasanten Eintritt in die Lufthülle verdampft freilich ein Gutteil ihrer Masse. Der Rest kommt im freien Fall auf uns herab. Die Sammlung des Naturhistorischen Museums in Wien beherbergt allein 5.000 solcher Meteorite. Viele erzählen von einer traumatischen Vergangenheit.

Asteroiden sind Reste jener Urmaterie, die vor 4,6 Milliarden Jahren Planeten wie unsere Erde formte. Im Kleinplanetengürtel schießen sie mit etwa 70.000 km/h dahin. Touchieren zwei einander, sind die Folgen verheerend. Himmelskörper von vielen Milliarden Tonnen Masse, so zeigen Computersimulationen, können in Tausende von Fragmenten zerlegt werden. Oft werden diese Bruchstücke ein paar Dutzend Jahrmillionen später nochmals Unfallopfer. Die Glücklicheren werden bloß von "Zwergasteroiden" von nur einem Meter Durchmesser getroffen – und fliegen mit zernarbtem Antlitz weiter.

Schaut man in einen Meteorit, wird die brutale Kraft der kosmischen Zusammenstöße offenbar. Etliche Exemplare sind aus kantig begrenzten Fragmenten aufgebaut. In Analogie zu ähnlich aussehendem irdischen Gestein spricht man von meteoritischen "Brekzien". In manchen Handstücken passen Bruchstücke gleicher Farbe zusammen wie Teile eines Puzzles. Dann zerteilte der Einschlag zwar das Asteroidengestein, die Wucht reichte jedoch nicht, die Trümmer auseinander zu rücken.

Die Bestandteile anderer Brekzien faszinieren durch unterschiedliche Tönungen. Meist sind es Braun-Nuancen. Paul Partsch, 1851 Vorstand des kaiserlich-königlichen Mineralienkabinetts in Wien, nannte solche Meteorite "marmoriert". Manchmal stammt ihr Material wohl aus unterschiedlichen Tiefen des getroffenen Kleinplaneten. In diesem Fall sind aber Fragmente beider Unfallkontrahenten im selben Handstück vereint.

Unterschiedliche Chemie

Differiert die Chemie der Bruchstücke stark, müssen die Wiegen der Kollisionspartner in unterschiedlicher Sonnenentfernung gestanden sein. Mitunter lagen wohl Distanzen von 150 Millionen Kilometer oder mehr dazwischen. So bevorzugen die sogenannten "S-Asteroiden" die innere, wärmere Region des Kleinplanetengürtels. Die dunklen "C-Asteroiden" dominieren hingegen dessen kühle Außenzone. In einigen Brekzien drängt sich Materie von Vertretern beider Asteroidengruppen aneinander.

Bei Zusammenstößen laufen heftige Schockwellen durch die Asteroiden. Schockbedingte Veränderungen in Meteoriten weisen einstige Druckstärken von über 50 Gigapascal nach - das entspricht dem 500.000-fachen Druck der Erdatmosphäre. Das Gestein wurde dabei stark erhitzt. Silikatkörner schmolzen. Das heiße Material schoss in die Frakturen. Dort kühlte es rasch aus und fungierte als "Zement" zwischen den Trümmerstücken. Etliche Brekzien sind deshalb von einem System dunkler Linien durchzogen. Diese schockinduzierten Schmelzadern können haarfein sein oder fingerdick. Carl von Schreibers war einer der ersten, der solche Strukturen erwähnte. Kaiser Franz II. ernannte ihn 1806 zum Direktor der Wiener Naturalienkabinette. Als Aristides Brezina die Meteoritensammlung 1895 katalogisierte, war praktisch jeder fünfte Steinmeteorit brekziiert; jeder dritte besaß Adern. Bei genauer Analyse zeigen aber die meisten von ihnen geringe Anzeichen von Schock.

Ida und ihr Mond

Mächtigere Splitter verunglückter Kleinplaneten besitzen noch genügend Masse, um einander anzuziehen. Darum finden sich etliche schon Tage nach der Kollision wieder zu einem oder mehreren neuen Himmelskörpern zusammen. Das erklärt, weshalb das Innere der meisten größeren Asteroiden einem Haufen von lose miteinander verbundenen Trümmern gleicht.

Bei kleinen Bruchstücken, speziell jenen unter 150 Metern Durchmesser, muss es sich hingegen um feste Einzelkörper handeln. Denn viele dieser Winzlinge zeigen Rotationszeiten von nur einer Stunde. Locker aufgebaute Himmelskörper wären da längst auseinander gebrochen. Der Asteroid 2001 OE84 jagt sogar alle 29 Minuten einmal um seine Achse. Man könnte dort kaum landen, weil die Fliehkraft die Anziehungskraft übertrifft.

Der 1884 von Johann Palisa in Wien entdeckte S-Asteroid "Ida" gehört zur Koronis-Familie. Wie Dutzende anderer Kleinplaneten auch besitzt Ida einen Mond; wahrscheinlich in Folge einer Kollision. "Sylvia" wird sogar von zwei Monden umkreist – Romulus und Remus.

Aus dem Bewegungsspiel von Asteroid und Trabant lassen sich deren jeweilige Massen ermitteln. Kennt man auch das Volumen, erhält man die mittlere Dichte. Ein Kubikzentimeter der Ida würde auf Erden 2,6 Gramm wiegen. Ein ähnlicher Wert wird für Itokawa vermutet. Vergleichbare Steinmeteorite sind deutlich schwerer. Bei ihnen liegen die Dichtewerte meist zwischen 3,3 und 3,6. Wie jedoch erklärt man diese Differenz?

Wahrscheinlich gibt es in Kleinplaneten Leerräume. Das "Trümmerhaufenmodell" fordert diese geradezu. Unsere Materialproben sind zudem nur bedingt repräsentativ. Sie unterliegen natürlichen Auswahleffekten.

So können wir z. B. nur jene Proben studieren, die robust genug waren, den Höllenritt durch die Erdatmosphäre zu überstehen. Meteorite geben also nur eingeschränkt Auskunft über den Aufbau ihrer Mutterkörper. Den würde man aber allzu gern kennen: Womöglich gilt es einmal, einen auf Erdkurs dahinschießenden Irrläufer abzuwehren.

Bebende Miniwelten

Bei kleineren Einschlägen auf einen Asteroiden wird Gestein aus der Oberfläche herausgebrochen, ausgeworfen und rund um den frisch entstandenen Krater abgelagert.

Unzählige solcher Treffer hinterlassen eine fast geschlossene, recht lockere Schicht aus Gesteinsfragmenten und Staub. So ein Regolith bedeckt auch unseren Erdmond. Die Körner kleben aneinander, als handle es sich um frisch gepflügte Erde.

"Eros" zieht zwischen Erde und Mars dahin. Seine Regolithschicht ist 15 bis 20 Meter dick. Der erdnussförmige S-Asteroid scheint ein vielfach zerbrochener Einzelkörper zu sein; Rillen an seiner Oberfläche deuten dies an. Wäre Eros kein Monolith, sondern ein Trümmerhaufen, könnte er harmlose Einschläge besser abdämpfen.

Doch so bringt bereits der Aufprall eines zwei Meter kleinen Brockens den ganzen, 33 km langen Asteroiden zum Erbeben. Dann rutscht der Regolith die Hänge hinab, füllt kleine Krater restlos auf.

Das verleiht Eros ein überraschend "sanftes" Antlitz. Im Asteroidengürtel fänden solche Treffer sehr viel häufiger statt. Brächten wir Eros dorthin zurück, wären selbst 200 Meter breite Einschlagsnarben nach 30 Millionen Jahren wieder "verheilt".

Einschläge können aber auch frisches, bislang verdecktes Material zum Vorschein bringen. Auf der "Gaspra" erblickte man junge Krater, die sich farblich deutlich von der sonst rötlichen Oberfläche abhoben. Kosmische Strahlung, das stete Bombardement von Mikrometeoriten und Teilchen des Sonnenwinds dunkeln atmosphärelose Welten rundum ein und hauchen ihnen ein zartes Rot ins Gesicht.

Eine Reihe von Forschern ermittelte die Geschwindigkeit dieser Weltraumverwitterung: Sie prüften dazu die Farben von 8.416 Mitgliedern verschieden alter Asteroidenfamilien.

Kleinplaneten leuchten nicht selbst, sie reflektieren bloß Sonnenlicht. Dabei werden bestimmte Farbbereiche unterdrückt. Vor allem die Silikate Olivin und Pyroxen hinterlassen Signaturen. Mithilfe der Spektren kann man Asteroiden von ähnlicher Zusammensetzung identifizieren und in Gruppen zusammenfassen. Bei Meteoriten stellt man die gleichen Untersuchungen an, um die verwandtschaftlichen Bande zwischen Asteroidengruppen und Meteoritengruppen zu rekonstruieren. Die schon erwähnten C-Asteroiden ähneln spektral kohligen Chondriten. Die S-Asteroiden sind Mutterkörper der gewöhnlichen Chondrite. Dieser Meteoritengruppe gehören acht von zehn "Himmelsboten" an.

Zurzeit besitzen wir Materialproben von mehr als 100 Asteroiden. Um welche Himmelskörper es sich dabei konkret handelt, bleibt ungewiss – auch wenn das Spektrum des S-Asteroiden Hebe recht gut zum Meteoriten Kesen passt der am 13. Juni 1850 in Japan landete.

Itokawa ist ebenfalls bloß ein Splitter eines kosmischen Unfalls. Er rotiert alle zwölf Stunden einmal um seine Achse. Das Spektrum weist auf eine von Olivin dominierte Oberfläche hin, reich an Pyroxen. Er gilt als geröteter, wenngleich untypisch heller S-Asteroid. Starke Farbkontraste prägen sein Antlitz. Womöglich sind manche Stellen kaum oder gar nicht von Regolith bedeckt.

Die Sonde Hayabusa hält danach Ausschau, während sie nur sieben Kilometer über dem Steinbrocken dahinschwebt. Ihre beiden Spektrometer erkunden die Zusammensetzung des Oberflächengesteins. Außerdem "spürt" sie Itokawas bescheidene Anziehungskraft auf, ermittelt daraus seine Masse und letztlich die mittlere Dichte. Diese soll gleichsam "Einblick" ins Innere des Asteroiden gewähren.

Die purzelnde Minerva

Bevor die Sonde selbst zum Sturzflug ansetzt, entlässt sie den ersten "Kleinplaneten-Rover": Minerva schießt Foto um Foto, misst die Bodentemperatur, hüpft, stolpert und purzelt über die raue Landschaft. Räder wären nutzlos. Sie fänden keine Haftung. Ein Mensch wäre dort leichter als eine Feder auf Erden.

Schließlich stößt der "Wanderfalke" selbst in freiem Fall herab. Augenblicke lang setzt er auf, feuert ein Metallprojektil in den Boden und fängt den hochgewirbelten Staub ein. Ein zweiter und ein dritter Abstieg folgen. Die Ausbeute umfasst höchstens ein paar Gramm. Nach fast zweijährigem Heimflug wirft Hayabusa den Sammelbehälter in die Atmosphäre: Er soll in Südaustralien landen. Gelingt die Beizjagd, hätte man zum ersten Mal seit 1976 wieder Oberflächenmaterial einer anderen Welt erbeutet. Damals brachte die sowjetische Sonde Luna 24 Mondgestein zur Erde.

Zunächst einmal dürfen japanische Wissenschaftler die so mühsam entnommenen Itokawa-Stückchen analysieren – und sie mit den meteoritischen Stichproben aus dem Kleinplanetenreich vergleichen.

Christian Pinter , geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien.

Freitag, 09. September 2005

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