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Der Rotterdamer Hafen ist ein Seegüterumschlagplatz der Superlative

Schiffe, Kräne und Natur

Die Kranführer am Rotterdamer Hafen in 38 Meter Höhe leisten Millimeterarbeit. In nur drei Minuten wird ein Container mittels Joystick auf ein Schiff befördert, da muss jeder Impuls sitzen.

Die Kranführer am Rotterdamer Hafen in 38 Meter Höhe leisten Millimeterarbeit. In nur drei Minuten wird ein Container mittels Joystick auf ein Schiff befördert, da muss jeder Impuls sitzen.

Die 1996 eröffnete

Die 1996 eröffnete "Erasmusbrug", eines der Wahrzeichen des Hafens, erlaubt nur noch Binnenschiffen die Passage auf der Neuen Maas.

Gigantische Containerschiffe wie die 335 Meter lange

Gigantische Containerschiffe wie die 335 Meter lange "Mondriaan" prägen das Bild des Rotterdamer Hafens. Zur Taufe werden sie am Pier im Stadtzentrum vertäut und locken viele Schaulustige an. Fotos: Urs Fitze

Von Urs Fitze

Vor 30 Jahren waren wir 40 Mann auf unserem 80 Meter langen Schiff. Jetzt sind wir gerade noch 20 auf diesem riesigen Kahn. Gerhard Vons, pensionierter Schiffskapitän, zeigt aus dem Fenster eines Ausflugbootes, das gerade für eine Rundfahrt durch den Rotterdamer Hafen abgelegt hat, auf ein gigantisches Containerschiff. Die "Mondriaan", 335 Meter lang und 46 Meter breit, ist zur Schiffstaufe am Pier der Rotterdamer Hafenbehörde im Stadtzentrum vertäut. Schon morgen wird sie Europa in Richtung Malaysia verlassen.

Der Kapitän kann vom Steuerrad aus über die Zinnen des vierstöckigen Hotel New York blicken. Hier war einst der Sitz der stolzen Passagierschifffahrtslinie Rotterdam–New York, die 1971 vor dem zunehmenden Flugreiseverkehr kapitulierte und ihren Dienst einstellte.

Die "Mondriaan" hat nur wenige Meter vor der 1996 eröffneten "Erasmusbrug" festgemacht. Die elegante Schrägseil-Hängebrücke erlaubt nur noch Binnenschiffen die Passage auf der Neuen Maas. 1872 segelte erstmals ein Schiff auf dieser von Pieter Caland angelegten Wasserstraße, die dem Rhein eine neue Mündung in die Nordsee verschaffte und Rotterdam einen direkten Zugang zum Meer.

Damals fuhren die Segelschiffe, aus den indonesischen Kolonien kommend, noch bis in den "Leuvehaven" hinein. Heute finden sich dort zwischen direkt ans Wasser gebauten Wohnsiedlungen und Hochhäusern nur noch einige Museumsschiffe und das in einem schwungvollen Betonbau untergebrachte städtische Schifffahrtsmuseum. Eine dort eingerichtete Ausstellung gibt auf drei Etagen einen guten Überblick über die Geschichte des Hafens, über Migration und Handel sowie Leben und Arbeit auf See.

Stadt als Wurmfortsatz

Ein Modell im Untergeschoß vermittelt eine Ahnung von der Größe des Hafens; die Stadt wirkt nur noch wie ein Wurmfortsatz des gigantischen Hafenareals, das eine Fläche von elf Quadratkilometern bedeckt. Auf einer riesigen Leinwand sind dazu Bilder von der beschwerlichen Arbeit auf See und im Hafen in früheren Jahrzehnten zu sehen.

Gerhard Vons, der mit 17 erstmals zur See fuhr, war oft monatelang unterwegs. Seine drei Kinder hat er nur in Etappen, während seiner nie länger als eine Woche dauernden Landaufenthalte, aufwachsen sehen. Sie haben heute beruflich mit Seefahrt nichts mehr zu tun. Damit ist eine lange familiäre Tradition abgerissen, in deren Verlauf aus Küstenfischern Ozeankapitäne wie Vons geworden waren.

Vons mag diese Entwicklung nicht bedauern: "Die Seefahrt prägt, ich habe schon als Bub wehmütig die Schiffe beobachtet, die an unserem Wohnhaus, das direkt an der Schifffahrtsstraße lag, vorbeifuhren. Doch romantisch war das Leben auf See nie. Es war geprägt von einem harten, sehr anstrengenden Alltag."

Wenn Vons zur "Mondriaan" hinaufschaut, überkommt ihn keine Nostalgie. "Zu meiner Zeit bestand die Besatzung mehrheitlich aus Holländern. Heute dominieren Matrosen aus asiatischen Ländern und Osteuropa. Verständigung, wenn überhaupt, ist nur noch auf Englisch möglich."

Die 20 Mann auf der Mondriaan transportieren in einem Jahr zwölfmal so viel Ware wie vor 30 Jahren, als ein Handelsschiff mit einer Länge von 160 Metern noch als groß galt. Mit 8500 Containern beladen, soll die "Mondriaan" ihrer Reederei im Fernosthandel gute Renditen bringen.

Im Rotterdamer Hafen wird sie künftig nur noch an einem der Container-Terminals festmachen, die sich weit außerhalb der Stadt befinden.

Bis zum Delta-Terminal am Maasvlakte-Hafen, wo die größten Schiffe gelöscht werden, sind es über 40 Kilometer. Die Chance, ein Containerschiff der neuesten Generation mitten im Stadtzentrum zu Gesicht zu bekommen, lassen sich viele Rotterdamer nicht entgehen. Manche sind mit Fotoapparaten angerückt, um das Ereignis festzuhalten. Andere, wie der 67-jährige Vons, wollen von nahe sehen, wie sich ihr Gewerbe entwickelt.

Den Rotterdamer Hafen kennt Vons in- und auswendig. Während seiner Berufstätigkeit hat er sich vom Schiffsjungen bis zum Kapitän hochgedient. Aus der Perspektive eines Ausflugsschiffes hat er den Hafen aber noch nie erlebt. Es tuckert gemütlich stromabwärts, vorbei am historischen Delfshaven, der im 17. Jahrhundert von der Stadt Delft als Konkurrenzhafen zu Rotterdam angelegt worden war – heute liegt er mitten im Stadtgebiet.

Kräne, Schiffe, Kaimauern und vor allem Container, ab und zu kreuzende Binnenschiffe und Ozeanfrachter: viel mehr ist nicht zu sehen. Derweil schwelgt der Kommentator in dem die Rundfahrt begleitenden Videofilm in Superlativen: Weit über 300 Millionen Tonnen Waren werden in Rotterdam jährlich umgeschlagen – eine Zahl, die sich niemand vorstellen kann.

Das Publikum ermüdet rasch. Reisegruppen und Schulklassen vertiefen sich in andere Themen, Kaffee und Kuchen werden bestellt. Als das Schiff wendet und sich zur Rückfahrt anschickt, ist der Hafen für die meisten zu einer Kulisse geworden, hinter die sich aus ihrer Perspektive nicht mehr blicken lässt.

Die Hafenrundfahrten gehören zum Standardprogramm vieler Reisegruppen, die vor allem im Frühjahr und Sommer Rotterdam einen ein- oder zweitägigen Kurzbesuch abstatten. Die meisten Besucher wählen die kürzere, rund zweistündige Variante. Die längere, fünfstündige Tour, die bis ans Meer führt, ist eher etwas für Hafen-Freaks. Vons empfiehlt eine Annäherung von der Spitze Hollands aus: von Hoek van Holland.

Hier treffen, getrennt durch die mehrere hundert Meter breite künstliche Mündung des "Nieuwe Waterweg", zwei Welten aufeinander: die eindrucksvolle, geschützte Dünenlandschaft des Strandes in Hoek van Holland, und die von Windrädern, Raffinerien und riesigen Türmen aus aufeinander gestapelten Containern geprägte Welt des Maasvlakte-Hafens. Dazwischen passieren im Minutentakt ein- und ausfahrende Schiffe.

Wer mehr vom Hafen sehen möchte, ist aufs Auto angewiesen. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsverbindungen, doch eine Autobahn bis vor das Delta Terminal. Von Maasluis, auf halbem Weg zwischen Hoek van Holland und Rotterdam gelegen, kann man bequem mit einer Fähre übersetzen.

Der Kulissenwechsel ist dramatisch. Hatten auf der einen Seite noch beschauliche Reihenhäuser dominiert, so findet sich auf der anderen, rund um die Ortschaft Rozenburg, eine durch und durch rationalisierte Welt, die nur einen Zweck hat: Waren so rasch wie möglich umzuschlagen und weiterzubefördern. Wasserwege, Schnellstraßen, Eisenbahntrassen und die omnipräsenten Kräne liefern dazu die Infrastruktur. Hier schlägt das Herz des Welthandels rasend schnell.

Wie eine Insel wirkt die Wohnsiedlung Pernis, in den 1920er Jahren von der gleichnamigen, inzwischen still gelegten Werft erbaut. Deren Bewohner fühlen sich wohl und haben bisher alle Angebote zur Aussiedlung ausgeschlagen.

Suche nach Land

Die Rotterdamer Hafenbehörde, der bis auf ein paar Flecken der gesamte Hafen gehört, braucht jedes Stück Land. Denn das gigantische Hafenareal platzt aus allen Nähten. Vor allem der Containerverkehr bricht alle Rekorde. In Rotterdam wurden 2004 über acht Millionen Container, 16 Prozent mehr als im Jahr davor, umgeschlagen. Vor der Hafeneinfahrt kam es auf dem Meer zu regelrechten Schiffsstaus mit tagelangen Wartezeiten.

Kurzfristige Besserung soll die Erweiterung des Delta Terminals bringen. Mittelfristig setzen die Hafenbetreiber auf einen weiteren großen Ausbauschritt: Maasvlakte II soll, wie schon sein in den 1960er Jahren erbauter Vorgänger, dem Meer mit riesigen Aufschüttungen abgerungen werden. Doch nun haben Fischer diesem Plan vorerst verhindert. Weil bedeutende Fischwanderrouten gefährdet sind, hat das höchste niederländische Gericht weitere Untersuchungen in dieser Sache verlangt.

Die Trennlinie könnte schärfer nicht sein: Wer die hoch technisierte Welt des Hafens in südlicher Richtung verlässt, findet sich unvermittelt in einer noch weitgehend von Landwirtschaft und Wasser geprägten Gegend, einem wunderschönen Naherholungsgebiet.

Es ist eine bewusst erhaltene Kulturlandschaftsnische, die gegen das Meer hin zunehmend in eine unberührte, von der kargen Dünenvegetation geprägte Natur übergeht.

Erst auf dem Wasser kehrt die Moderne zurück: Das Meer bei Rokanje gilt wegen der hohen Wellen als Surferparadies.

Urs Fitze ist Journalist beim Pressebüro Seegrund in Kreuzlingen (CH) .

Freitag, 16. September 2005

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