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Alles unter einem Dach: Die neue Lebensqualität in den Gasometern ist relativ

Erlebniswohnen in "G-Town"

Wohnbaupolitisches Prestigeobjekt: Symbol für moderne Architektur im historischen Kontext. Foto: Peter Korrak/PID

Wohnbaupolitisches Prestigeobjekt: Symbol für moderne Architektur im historischen Kontext. Foto: Peter Korrak/PID

Shopping-Passagen verbinden die Gasometer. Foto: Reinhard Seiß

Shopping-Passagen verbinden die Gasometer. Foto: Reinhard Seiß

Von Reinhard Seiß

Center. Style. Mall. Szene. Treff. Fun. Nature. Care. Kids. Home. Wer möchte nicht an einem Ort sein, an dem all das geboten wird? Ob es nun "Wohnen mit Zukunft im Gasometer B", "Wohnen im City Klassiker" in den Gasometern C und D oder Wohnen an einem der "128 Plätze an der Sonne" in Gasometer A ist – die "G-Town" respektive ihre Bauträger versprachen einen völlig neuen Lebensstil. Noch nie zuvor wurde in Wien für einen Wohnbau soviel PR-Aufwand betrieben wie für die 615 Apartments, die von 1998 bis 2001 in den aufgelassenen Tanks des Gaswerks Simmering errichtet wurden.

Das begann mit der Vergabe des Umbaus der vier gründerzeitlichen Backsteinzylinder an sogenannte Stararchitekten wie Jean Nouvel und Coop Himmelb(l)au: Deren Entwürfe wurden in der Fachwelt zwar äußerst kritisch beurteilt, ihre klingenden Namen ließen sich aber gut vermarkten – und erzeugten den nötigen Respekt beim Denkmalamt, das den radikalen Umbruch genehmigen musste. Die Bauträger wiederum propagierten die Wohnungen schon zu Projektbeginn mittels futuristischer Computeranimationen und richteten frühzeitig Informations- und Verkaufsseiten im Internet ein.

Prestigeprojekt der Stadt

Schließlich gelang es der Stadt Wien noch, die Boulevardpresse – gefürchtet wegen teils vernichtender Kampagnen gegen moderne Architektur im historischen Kontext – für ihr wohnbaupolitisches Prestigeprojekt zu gewinnen: Österreichs auflagenstärkste Zeitung widmete den Gasometern gleich mehrere bunte Wochenend-Sonderbeilagen, und ihr Herausgeber wurde bei der Eröffnung des Projekts von den Stadtvätern hofiert, als ob er höchst persönlich den U-Bahn-Anschluss finanziert hätte.

Apropos U-Bahn: Die Vorleistungen der öffentlichen Hand waren im Fall der Gasometer ebenso respektabel. Neben der Verlängerung der U3, die das ganze Projekt inmitten des weitläufigen Industrie- und Gewerbegebiets am East End von Wien überhaupt erst ermöglichte, flossen noch beträchtliche Summen in weitere Infrastrukturmaßnahmen sowie in die Wohnbauförderung.

Zuviel, wie die Architekturkritikerin Liesbeth Waechter-Böhm meint: "In Gasometer A kostete eine der teuersten Wohnungen keine 150.000 Euro, wobei dieser Kaufpreis durch einen nicht rückzuzahlenden Zuschuss von rund 30.000 Euro gestützt wurde. Angeblich entstanden die Apartments ja zu den üblichen Bedingungen des geförderten Wiener Wohnbaus. Wenn das trotz des aufwendigen Einbaus in die denkmalgeschützten Ziegelhüllen wirklich zutrifft, dann wären normale Bauten auf der grünen Wiese reine Geldverschwendung." Die subventionierten Preise sowie die optimale öffentliche Verkehrsanbindung gaben vor allem für zahlreiche junge Bewohner den Ausschlag zum Kauf eines Apartments in den Gasometern. Für viele ist es die erste eigene Wohnung, bezahlt von den Eltern oder Großeltern. Familien seien auch nicht vorrangig das Zielpublikum der Gasometer, erklärt Erich Helm, Prokurist der IRES G.m.b.H., die die multifunktionale Gasometer-City vermarktet: "Mit der Kombination von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Unterhaltung bieten wir nicht die übliche Langeweile, sondern ein dramatisches Erlebnis für Kunden und Bewohner."

Als wirklich dramatisch erachten Wohnbau-Experten allerdings vor allem das Fehlen von Spiel- und Freiflächen im Wohnumfeld, die unmittelbare Nähe zu den Autobahnen A4 und A23, die Orientierung vieler Gasometer-Wohnungen nach Norden sowie die problematische Belichtungssituation in den unteren Wohnetagen. "Wir haben damit ein vollkommen neues Konzept für eine Zielgruppe entwickelt, die bisher in Österreich noch nicht angesprochen wurde", erklärt Erich Helm, unbeirrt von architektonischer Kritik – "und zwar junge Menschen jeden Alters, die wir als sogenannte ‚Folks‘ definieren."

Die "breite Masse" fehlt

Der konventionelle geförderte Wohnbau in Wien ist laut Liesbeth Waechter-Böhm tatsächlich in seinen überkommenen Mustern erstarrt. Die großen Bauträger orientieren sich an den vermeintlichen Vorstellungen einer "breiten Masse", die es im Sinn von einheitlichen Wünschen und Bedürfnissen immer weniger gibt – ja, vielleicht nie gegeben hat.

Jene Wohnungssuchenden, die sich den gebauten Konventionen nicht mehr unterordnen wollen, weichen zunehmend auf scheinbar alternative Wohnformen aus, seien es die Gasometer oder auch die neuen Hochhäuser – auch wenn diese, abgesehen von ihrer äußeren Form, nichts anderes bieten als klassische Wohnbauten.

Dass es nicht die Qualität der Wohnungen selbst sein kann, die an der G-Town fasziniert, räumt sogar Wilhelm Holzbauer – verantwortlich für den Umbau von Gasometer D – ein: "Leute, die dort leben wollen, wünschen sich einfach, in einem besonderen Gebäude zu wohnen, und nicht etwa in der Großfeldsiedlung – obwohl die Wohnungen dort gar nicht so schlecht und oft weniger problematisch sind als in den Gasometern. Aber ,Gasometer‘ ist eben ein Begriff, den man in ganz Wien kennt – da braucht man Besuchern nicht einmal die Adresse zu nennen."

Ursprünglich wollte auch der heute knapp 30-jährige Sohn von Wilhelm Holzbauer nach G-Town ziehen und dafür sogar sein Innenstadtapartment aufgeben – was sein Vater nur bedingt nachvollziehen konnte: "Ihm gefiel es, nicht aus dem Gebäude rausgehen zu müssen und doch wochenlang dort leben zu können. Manche Menschen schätzen offensichtlich diese Form von Annehmlichkeit, manche wieder weniger." Schließlich blieb Holzbauer jr. doch im 1. Bezirk.

Das "vollkommen neue Konzept" der Gasometer beschränkt sich nicht auf die zweigeschoßige Shopping Mall, die sich auf 20.000 Quadratmetern durch alle vier Gasometer zieht – und auch nicht auf das angedockte Entertainment Center mit Kinos, Restaurants und anderen Freizeitangeboten. So bemühten sich die Betreiber der Gasometer City auch um den Aufbau einer "Community" – nicht zuletzt, um ihre Kunden und Bewohner (sprich deren Kaufkraft) an den Ort zu binden. Als Kommunikationsforum dient weder ein Bezirksblatt noch ein Schwarzes Brett – ganz zu schweigen von Mieterversammlungen, sondern ein eigenes Internet-Forum.

Community im Internet

Unter http://www.gasometer.at informieren die G-Shops über die neuesten Fashion & Styling Trends und laden zum No-Stress-Shopping ein. G-Cinema und G-Hall offerieren Film- und Konzerttickets. Man kommuniziert mit der Hausverwaltung – pardon, mit dem G-Management, erfährt die nächsten Blutspende- und Kids Action-Termine, kann an Gewinnspielen teilnehmen und in einem der zahlreichen Lokale einen Tisch "für ein leckeres Essen oder einen coolen Drink" reservieren. Selbstredend sind die G-Members im virtuellen Chat per Du.

Für den Stadtplanungsbeamten Peter Klopf ist die G-Town ein Schritt in Richtung einer 24 Stunden-Stadt, auch wenn es sich dabei um eine sehr artifizielle Urbanität handelt: "In einer gewachsenen Stadt benötigt man für die Wege zwischen Wohnung, Büro, Händlern und Dienstleistern eine bestimmte Zeit. In den Gasometern mit ihrer selektiven Funktionsbündelung wird man von diesen Wegen befreit und kann – oder soll – die gewonnene Zeit für zusätzlichen Konsum verwenden. Nur herumzuschlendern und zu schauen ist dort kaum noch möglich, weil permanent etwas angeboten wird. Das Shopping und Entertainment Center ist also eine Einkaufsstraße in zugespitzter Form – die totale Ökonomisierung der Freizeit." Und auch der öffentliche Raum zwischen den Restaurants und Geschäften ist einer vollkommenen Kommerzialisierung unterworfen. "Offener Raum wird hier ja nur suggeriert, solange er im Sinne der Betreiber funktioniert" , kritisiert Peter Klopf. "Man kann die Gasometer aber auch ganz leicht absperren und die Besucher selektieren: Bettler, Obdachlose oder auffällige Jugendliche findet man in diesen ‚öffentlichen Räumen‘ einfach nicht mehr – und das ist der wesentliche Unterschied zur realen Stadt."

G-Town oder G-Island?

Nachdem die Gasometer durch ihre kommerzielle Umnutzung ihrer architektonischen Authentizität beraubt wurden, verlieren die 72 Meter hohen Backsteinbauten – einst Wahrzeichen im Südosten Wiens – zunehmend auch ihre Präsenz im Stadtbild: Auf der Nordseite durch den angedockten Wohn-Schild von Coop-Himmelb(l)au, den "Pleasure Dome" von Rüdiger Lainer und zwei wuchtige Bürokomplexe bereits zugebaut, wird jetzt der 21-stöckige Büroturm "Gate 2" von Hans Hollein und Heinz Neumann direkt vor die Westansicht der Gasbehälter gestellt. Unweit davon stehen bereits die Fundamente des Projekts "Town Town", wo Wilhelm Holzbauer, Gustav Peichl und Coop Himmelb(l)au) die Wiener Skyline um weitere 21 Bürogebäude bereichern wollen. Durch die Überplattung der hier oberirdisch verlaufenden U-Bahn hebt sich die gesamte, knapp vier Hektar große Anlage allerdings meterhoch vom angrenzenden Straßenraum und der umliegenden Bebauung ab – und wird so nur wenig zur Belebung des Stadtentwicklungsgebiets beitragen.

Der Stadt Wien hingegen muss es recht sein, wenn der Bauboom bei den Gasometern kein Strohfeuer bleibt – zumal noch weitere öffentliche Investitionen für diesen Standort beschlossen sind: Direkt an den historischen Gasbehältern soll die B228 mit Anschluss an die Stadtautobahn A23 vorbeiführen – was nicht unbedingt die Wohnumfeldqualität steigern wird, sehr wohl aber die Attraktivität von Bürotürmen und Shopping Mall.

Mit jeder neuen Straße, mit jedem weiteren Bürogebäude rückt die Entwicklung des gesamten Areals allerdings immer weiter vom ursprünglichen Ziel eines urbanen, durchmischten Stadtteils ab. Denn an Wohnungen und Parks ist seit Fertigstellung der Gasometer-Apartments trotz vielversprechender Pläne nichts hinzugekommen. Im Gegenteil: Der östlich an die Gasometer anschließende Komplex aus Gas- und Gaskraftwerk sowie einer Müllverbrennungsanlage wird nun noch durch Österreichs größtes Biomasse-Heizkraftwerk und eine weitere Müllverbrennungsanlage ergänzt.

So deutet vieles darauf hin, dass die vier Backsteinbauten, deren Umbau als Initialzündung für den Wandel und die Aufwertung des Wiener East End fungieren sollte, Wohninseln inmitten eines ausgedehnten Industrie- und Gewerbegebiets bleiben.

Reinhard Seiß lebt als Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien.

Freitag, 02. September 2005

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