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Schiller – Philosoph, erhabener Sprücheklopfer, Klassiker und Künstler

Dem Weltgeist näher als sonst

Der Volksklassiker Schiller wurde nicht nur durch Gesamtausgaben geehrt, sondern auch durch Postkarten wie diese, die

Der Volksklassiker Schiller wurde nicht nur durch Gesamtausgaben geehrt, sondern auch durch Postkarten wie diese, die "geflügelte Worte" zeigten. Bild: privat

Von Hermann Schlösser

D as Gegenteil von Kunst ist gut gemeint – das hat kein Schiller gedichtet, und auch kein Goethe geschrieben, das hat Dr. Gottfried Benn, Lyriker und Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, in den fünfziger Jahren seinem irritierten Publikum erklärt. Damals war es noch eine Provokation, wenn ein Lyriker über gute Absichten beim Schreiben spottete, mittlerweile jedoch ist die Ansicht weit verbreitet, dass die Kunst nicht die Aufgabe habe, Moralvorstellungen zu vermitteln oder idealistische Entwürfe vom Menschen in die Welt zu setzen. Den "erhobenen Zeigefinger" verzeiht der derzeitige literarische Markt so wenig wie die zurzeit meinungsbildende Literaturkritik. Stattdessen wird ein lockerer, entspannter Umgang mit Fragen der Kunst und des Lebens gewünscht, und Unterhaltung sollte auch noch bei anspruchsvollen und ernsten Themen garantiert sein.

Um auf Schiller zu kommen

Es ist nicht einfach, in einer solchen Atmosphäre für die Werke Friedrich Schillers zu werben. Denn was immer dieser Dichter auch gewesen sein mag – eines war er ganz gewiss nicht: entspannt und locker. Sein umfangreiches Werk verdankt sich zwar einerseits einer brillanten "Verstandeshelle" – diese Vokabel aus dem 18. Jahrhundert bezeichnet wohl am schönsten Schillers Intellektualität –, andererseits jedoch mussten die meisten seiner Dramen, Gedichte und Abhandlungen einem kranken Körper abgerungen werden. Seit 1791 litt Schiller an einer chronischen Lungenentzündung und einer daraus entstandenen Rippenfellvereiterung. Beide Krankheiten erwiesen sich als quälend und waren mit damaligen ärztlichen Mitteln nicht zu heilen, so dass der Dichter am9. Mai 1805 im Alter von nicht ganz 46 Jahren daran starb.

Schillers Werke waren einer prekären gesundheitlichen Situation abgerungen, und sind deshalb die Frucht einer permanenten Überanstrengung. Rüdiger Safranski hat in seiner neuen Schiller-Biographie diesen Dauerkonflikt zwischen Geist und Körper minutiös untersucht. ( Siehe dazu auch Seite 5 in diesem "extra". )

Ist man einmal auf diese Spur gebracht, dann lassen sich Schillers Texte sowohl als Zeugnisse seines beweglichen Geistes als auch seiner gefährdeten Physis verstehen. In der Vorrede zu "Die Braut von Messina", einer späten Tragödie Schillers, heißt es: "Die wahre Kunst aber hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen, es ist ihr Ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu machen, und dieses dadurch, dass sie eine Kraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst nur als ein roher Stoff auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns drückt, in eine objektive Ferne zu rücken, in ein freies Werk unseres Geistes zu verwandeln und das Materielle durch Ideen zu beherrschen."

Besonders entspannt klingen diese Sätze nicht. Die "sinnliche Welt" der Augenblickserscheinungen – also alles, was der Mensch sieht, hört, schmeckt, spürt und riecht – hat hier keinen Eigenwert, das Sinnliche muss vielmehr durch Ideen veredelt werden. Diesem Zweck dient am besten die Kunst, weil sie – im Unterschied zur Philosophie – die lebendigen Sinneseindrücke nicht vernichtet, sondern transformiert und in ein "freies Werk des Geistes" verwandelt.

Schiller hat dieses Argument zwar in zwingender Logik vorgetragen – dennoch ruht es auf einer fragwürdigen Voraussetzung. Das unmittelbar Erlebte ist hier nichts als "roher Stoff", der auf uns "lastet", "blinde Macht", die uns "drückt". Nur deswegen ist die Veredelung und Läuterung durch die Kunst überhaupt notwendig. Die Möglichkeit, dass die "sinnliche Welt" Glücksversprechen bereit halten könnte, die der Rechtfertigung durch Ideen gar nicht bedürften, wird hier nicht einmal erwogen.

Allerdings würde man Schiller sehr unterschätzen, wenn man seine Ablehnung des Unmittelbarenur auf seinen prekären Gesundheitszustand zurückführen wollte. Er verfasste ja keine Krankenberichte, sondern "veredelte" seinen Lebens- und Leidensstoff in literarischen Werken zu allgemein gültigen Aussagen auf hohem philosophischem Niveau. Wenn man Schillers Philosophie partout in einem einzigen Satz zusammenfassen möchte, dann bietet sich wohl tatsächlich derjenige an, den Safranski vorschlägt: "Es ist der Geist, der sich den Körper schafft."

Der Idealismus

Das Denken, das hier zum Ausdruck kommt, nennt man "Idealismus". Diese äußerst wirkungsvolle philosophische Richtung ist zwar nicht von Schiller erfunden worden, doch war er ihr bedeutendster literarischer Repräsentant. Mehr als ein Jahrhundert lang übte der Dichter, der "die Schaubühne als moralische Anstalt" konzipierte und von der "ästhetischen Erziehung des Menschen" träumte, vor allem auf junge Menschen einen erheblichen Einfluss aus. Seine Dramen gehörten zum Lehrplan der Gymnasien und seine Gedichte wurden von zahllosen Schülergenerationen auswendig gelernt.

Diese Macht über die Herzen (und die Schullesebücher) hätte Schiller nicht gewonnen, wenn er nur philosophische Essays geschrieben hätte. Da er aber auch ein effektsicherer Dramatiker und ein pathetisch beschwingter Lyriker war, hatte er das Zeug zum Volksklassiker. Alle gängigen Zitatlexika enthalten nach wie vor jene berühmt-berüchtigten "geflügelten Worte", deren Eingängigkeit zu Schillers dauerhaftem Ruhm beitrugen: "Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt", "Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis", "Das Leben ist der Güter höchstes nicht" . Solch edelmütige Sentenzen waren bei Festrednern aller Parteien und Weltanschauungen lange Zeit beliebt, während sich die Gymnasiasten damit vergnügten, sie zu parodieren: "Oh, dass sie ewig grüne bliebe, die Dickwurz und die gelbe Rübe", "Was wolltest Du mit dem Dolche, sprich? Kartoffeln schälen, verstehst du mich?"

Allerdings bestätigten sogar noch diese mehr oder weniger witzigen Verballhornungen ungewollt die Wichtigkeit des Originals. Denn parodieren kann man nur einen Text, den alle kennen, sonst verpufft der Witz. Also blieb es lange dabei, dass Friedrich Schiller, der Groß- und Altmeister des erhobenen literarischen Zeigefingers, neben seinem Weimarer Freund Goethe als der größte deutsche Dichter galt. Daran vermochte auch Friedrich Nietzsche nichts zu ändern, der Schiller 1888 unehrenhalber zum "Moral-Trompeter von Säckingen" ernannte.

Und heute?

Heute ergeht es Schiller wie den meisten anderen Klassikern: Wenn sich ihr Todes- oder Geburtstag jährt, gedenkt man ihrer in den Medien, sonst überlässt man sie den Philologen, Deutschlehrern und Dramaturgen. Wie diesem "extra" zu entnehmen ist, wurde Schiller zu seinem 200. Todestag mit einer Fülle interessanter neuer Sekundärliteratur bedacht. (Siehe vor allem die Seiten 5 und 6.) Das ist vortrefflich, sollte aber nicht dazu beitragen, dass mehr Bücher über Schiller gelesen werden als Werke von ihm.

An dieser Stelle empfiehlt sich nun die Lektüre des unten stehenden Auszugs aus Schillers Meisterwerk "Wallensteins Tod", uraufgeführt im Jahr 1799. Wallenstein berät sich gerade mit seinen beiden Generälen Illo und Terzky, und diese beiden loyalen Offiziere warnen ihren Feldherrn vor einem anderen Mitglied des Wallensteinschen Stabes, Octavio Piccolomini, den sie für einen Verräter halten.

Der General Wallenstein aber will nichts von diesen Anschuldigungen hören und erklärt seinen beiden Getreuen, dass Octavio der allertreueste Gefolgsmann sei, den er kenne. Zum Beweis für diese Behauptung erzählt er die Geschichte von der Schicksalsprobe, die mit dem Satz "Es gibt im Menschenleben Augenblicke,/ Wo er dem Weltgeist näher ist, als sonst" beginnt. Die syntaktische Konstruktion dieses Eröffnungssatzes ist anfechtbar, doch warum sollte sich das düstere Pathos eines selbstherrlichen Feldherrn in schulmäßig korrekten Formen entfalten? "Die Stille wurde nur vom dumpfen Rauschen der Waffen und dem einförmigen Ruf der Runden unterbrochen" – wie ausdrucksarm wäre dieser Satz im Vergleich zu dem kühnen Gebilde, das – nicht nur des Versmaßes wegen – in Schillers Text tatsächlich steht. Wie unpoetisch wäre es, wenn Wallenstein von der "Nacht, die der Lützner Aktion vorherging" redete. Er aber spricht von "der Nacht, die vor der Lützner Aktion vorherging". Mag sein, dass sich diese eingeschobene Präposition vor allem einer metrischen Notwendigkeit verdankt. Indem das kleine Wort "vor" jedoch seinen Beitrag zur korrekten Ausfüllung des fünfhebigen Jambus leistet, irritiert es zugleich unsere Vorstellungen davon, was sprachlich "richtig" sei, was nicht. Dafür darf man ihm dankbar sein. Es zeigt sich nämlich an diesem winzigen Detail, dass die Poesie eines Textes nicht unbedingt auf die ordentliche Erfüllung von Grammatikregeln angewiesen ist, sondern auch durch gezielte Verstöße dagegen entstehen kann.

Dergestalt vorbereitet, begreift man dann auch, dass eine Wortwiederholung in Wahrheit der dramatische Höhepunkt des Ganzen ist: "Da fasste plötzlich hilfreich mich ein Arm, / Es war Octavios – und schnell erwach ich, / Tag war es, und – Octavio stand vor mir." Hier synchronisiert Schiller Traum und Wirklichkeit – und dies in solch konzentrierter Verknappung, dass ungenauen Lesern die Pointe der Stelle leicht entgehen könnte: der Octavio, der Wallenstein "hilfreich fasst", ist eine Traumerscheinung. Sie gleicht jedoch dem wirklichen Octavio, dessen Wallenstein nach dem Aufwachen gewahr wird, und der ihn – ebenfalls aufgrund eines Traumbildes – davor warnt, in der Schlacht bei Lützen das gewohnte Pferd zu reiten.

Diese nahtlose Übereinstimmung von Traum und Realität gilt dem General als unwiderleglicher Beweis von Piccolominis Treue. Wer sich dem sprachlichen Wunderwerk dieser Rede widerstandslos überlässt, könnte geneigt sein, den Worten des Generals Glauben zu schenken. Doch erlaubt der Erfinder dieser Szene dies nur für den Moment. Im weiteren Verlauf des Dramas zeigt sich nämlich, dass Illo und Terzkys Argwohn begründet war. Piccolomini ist ein Verräter, und Wallensteins Glaube an das Schicksal und die bedeutsamen Zusammenhänge erweist sich als Verblendung.

Friedrich Schiller dagegen erweist sich in solch antithetisch zugespitzten Konflikten als Drama tiker von höchster Qualität. "Gut gemeint" sind seine idealistisch konzipierten Werke durchaus, das "Gegenteil von Kunst" sind sie aber trotzdem nicht – oder womöglich sind sie es sogar gerade deshalbicht. (Was auch immer die Benn-Epigonen zu diesem Punkt sagen mögen.)

Freitag, 29. April 2005

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