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Über die komischen Seiten des meist so würdevollen Klassikers

Schiller im Kopfstand

Schiller im Kopfstand. Selbstkarikatur aus den

Schiller im Kopfstand. Selbstkarikatur aus den "Avanturen des neuen Telemachs oder Leben und Exsertionen Körners des decenten, consequenten, piquanten u. s. f.".Die Erläuterung zu dieser Darstellung heißt: "Fig. 2 ist der berühmte Dichter, Körners adoptiver Sohn, welcher hier abgezeichnet ist, wie ihn verschiedene vernünftige Leute gesehen haben." Die Zeichnungen befinden sich im Deutschen Literararchiv Marbach. Das lustige Bild ziert auch das Buch von Jürgen Wertheimer (siehe unten).

Von Rolf-Bernhard Essig

Das Gekicher und Gepolter wird Charlotte Schiller auf die Nerven gegangen sein, wenn Goethe und ihr Mann, damals immerhin schon Professor, sich wieder einmal in ihren "Xenien"-Rausch hineingedichtet hatten, in dem es kein Halten, kein Pardon und kein Ernst-Bleiben mehr gab.

Was im Oberstübchen der Jena’schen Schillerei im Sommer 1796 los war, beschreibt aber nicht sie, sondern Maria Körner, genannt Minna: "In kürzeren und längeren Pausen ertönte ein schallendes Gelächter, zuweilen von sehr vernehmlichem Fußstampfen begleitet. Wenn die Herren um 12 Uhr zum Mittagessen herunter kamen, waren sie äußerst aufgeräumt, und sagten mehr als einmal: Heute sind die Philister wieder gründlich geräuchert worden!"

Wie Maturanten in ihrer Zeitung der Lehrerschaft die Meinung geigen, so zogen die Geistesheroen vom Leder, spotteten über den Literaturbetrieb in toto, kühlten ihr Mütchen an Konkurrenten, pinkelten deutschen Revolutionsverfechtern ans Bein. Ob Schüler oder Klassiker, der Spaß, den die Verfasser hatten, kann unmöglich dem der Leser entsprechen. Immerhin dokumentieren die "Xenien", diese Gastgeschenke in Form einer literarischen Stinkbombe, neben der Bombenstimmung, in der sie entstanden, wie sehr Schiller zu Satire und witziger Produktion aufgelegt sein konnte.

Polemik in Distichen

Die Idee, in Distichen zu polemisieren, stammte von Goethe; rund zwei Drittel der 900 Xenien schreibt man Schiller zu. Ihre Kriegserklärung an die literarische und die politische Welt publizierten sie gemeinsam. So zeigten sie sich der Welt als die sprichwörtlich gewordenen "Dioskuren", zwischen die kein Blatt Papier passt. In schöner Selbstzufriedenheit attackierten sie mit Spott, Zynismus, Schärfe, Unbarmherzigkeit, Maßlosigkeit – scheuten weder Pennälerscherze noch schonten sie Freunde, getreu der alten Sentenz "Potius amicum quam dictum perdere"; "lieber einen Freund als eine Pointe verlieren".

Auch manches, was damals anstößig war, also Zotiges und Fäkales, findet sich in dem "Musenalmanach auf das Jahr 1797":

Geschwindschreiber Was sie gestern gelernt, das wollen sie heute schon lehren, Ach! was haben die Herrn doch für ein kurzes Gedärm!"

Noch drastischer und ungehemmter im jugendlichen Wahn, hatte der junge Schiller schon in der "Anthologie auf das Jahr 1782" seinem Humor die Zügel schießen lassen. Gewidmet ist das Ganze dem Tod, in einer Vorrede, die so präpotent ist, dass sie auch heutigen Lesern noch Spaß machen könnte.

Im ersten Gedicht kriegen die Journalisten ihr Fett ab, der wild gewordene Weinhymnus "Bacchus im Triller" zaust darauf lustig den Bocksgott, Konkurrenten werden in "Die Rache der Musen" verspottet, und in einem durch Nachttopf-Leeren beendeten "Bauernständchen" weidet sich Schiller 29 Strophen lang an der Männlichkeit:

Drum tret ich frei und stolz einher Und brüste mich und singe:Ich bin ein Mann! – Wer ist es mehr?Der hüpfe hoch und springe.

In diesen Gedichten des jungen Schiller herrscht zwar eine forcierte Komik vor, aber sie sind unverschämt frei im Ausdruck, und oft handelt es sich dabei um souveräne, lustige Stilparodien. Schillers anonyme Selbstrezension verspottet obendrein seine "Anthologie": ". . . aber das Buch musste eben dick werden . . . was kümmert es den Anthologisten, ob er unter die Narzissen und Nelken auch hie und da Stinkrosen und Gänseblümchen bindet."

Man merkt Schillers "Anthologie" die Derbheit der Männerkreise an, in denen er aufwuchs. Bereits in der Karlsschule hatte er die Sturm-und-Drang-Attitüde gepflegt, die er in seiner Zeit als Regimentsmedicus auf die Spitze trieb, indem er Ungepflegtheit kultivierte, grobe Späße machte und zotige Witze riss: "männliches Imponiergehabe und antibürgerlicher Gestus" – so erklärt es Peter-André Alt in seiner voluminösen Schiller-Biographie (siehe dazu auch S. 5.)

Schiller liebte lebenslang die Geselligkeit, besonders die männliche. Auch in Zeiten schwerer Krankheit konnte und wollte er feiern, Karten spielen, trinken, scherzen, rauchen, wenn nur Verehrer oder helle Köpfe um ihn waren. Im Kreise Vertrauter und in Briefen an sie ließ Schiller seinen Witz aufblitzen, vor allem in Gelegenheitsarbeiten.

So verknüpft sein "Untertänigstes Pro Memoria an die Konsistorisch Körnerische Waschdeputation in Loschwitz eingereicht von einem niedergeschlagenen Trauerspieldichter" Selbstironie mit Scherzen über den "Don-Karlos" und die Waschküche:

"Die Wäsche klatscht vor meiner Tür,es scharrt die Küchenzofe –und mich – mich ruft das Flügeltier nach König Philipps Hofe."

Man hört förmlich das Kind im Manne – und das will spielen! Beispielsweise mit seinen Kindern. Es heißt, der Dramatiker sei gern mit ihnen herumgetollt und habe als Mime auf dem Boden mal den Löwen, mal den Hund gegeben. Eines seiner lustigsten Gedichte, "Zum Geburtstag der Frau Griesebach", legt er auch seinem Sohn Karl in den Mund:

Viel fette Schweine mästest du, Und gibst den Hühnern Futter; Die Kuh im Stalle ruft muh! muh!Und gibt dir Milch und Butter . . . Nun lebe wohl! ich sag’ ade.Gelt? ich war heut bescheiden. Doch könntest du mir, eh ich geh’, ’ne Butterbemme schneiden."

Ernst sei die Kunst

Schillers komisches Talent blühte freilich im Verborgenen. In seinen Werken zeugen nur die Sentenzenfreudigkeit, die zugespitzten Dialoge und einzelne karikierte Charaktere wie der Hofmarschall von Kalb in "Kabale und Liebe" von Pointierungsgabe. Im Grunde nämlich war Schiller das Lachen in der hohen Kunst nicht ganz geheuer. Ob deshalb in den Stücken fast ausschließlich wahnsinniges, böses, verzweifeltes Gelächter angeschlagen wird?

Autoritäten nährten früh seine Zweifel: "Wieland wirft mir vor, dass ich nicht die Leichtigkeit habe . . . Ich fühle während meiner Arbeit nur zu sehr, dass er recht hat." Das notiert Schiller 1789 und nimmt es sich zu Herzen, indem er das Schwere als Panier im Kunstreich wählt. Aus dieser Konzentration auf die Gewichtigkeit schlägt er poetische Funken. Einzigartige Heiterkeit gibt es, geniale Pointen, aber nichts von Komödie, nichts von Anarchie und Übermut. Wer – wie der Literaturwissenschaftler Gerhard Kaiser – "Wallensteins Lager" unbedingt als Schillers einziges Lustspiel klassifizieren will, tut ihm keinen Gefallen. Auch wenn es eine Idyllen-Parodie ist, gibt es hier nichts zu lachen.

In seinen ästhetischen Schriften preist Schiller die Heiterkeit und das Spiel: ". . . mitten in dem heiligen Reich der Gesetze baut der ästhetische Bildungstrieb unvermerkt an einem dritten fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins" , heißt es in seiner berühmten Schrift "Über die ästhetische Erziehung des Menschen". Als "das höchste poetische Werk" galt ihm eine Zeit lang die Komödie. Dreimal beschäftigte er sich erfolgreich als Übersetzer mit komischen Stoffen. Gozzis "Turandot" fiel zwar bei ihm ernster aus als im Original, in zwei Stücken Louis Benoît Picards jedoch verstärkte er den Konversationswitz. Sie gefielen 1804 – ein Jahr vor seinem Tod – am Weimarer Theater sehr, und seine Prosa-Bearbeitung von "Der Parasit" übernahmen auch andere Bühnen.

In kluger Bescheidung verfasste Schiller kein eigenes Lustspiel, denn: "Jene geistreiche Heiterkeit und Freiheit des Gemüts, welche in uns hervorzubringen das schöne Ziel der Komödie ist, lässt sich nur durch eine moralische Gleichgültigkeit erreichen." Diese aber war ein Unding für den Dramatiker Schiller. Um moralisch gleichgültig zu werden, hätte er sich auf den Kopf stellen müssen – eine Haltung, die er privat durchaus einnehmen konnte, wie die ihm zugeschriebene Selbstarikatur aus einem Geburtstagsspiel von 1786 zeigt. Der Dichter im Kopfstand – eine Korrektur des üblichen Schiller-Bildes voll fröhlichsten Schwungs.

Freitag, 29. April 2005

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