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Der Schriftsteller wird 75 Jahre alt

Produktive Umtriebigkeit - Achleitner, Friedrich

Friedrich Achleitner (rechts) mit Kulturstadtrat Mailath-Pokorny, der ihm 2002 das

Friedrich Achleitner (rechts) mit Kulturstadtrat Mailath-Pokorny, der ihm 2002 das "Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien" verlieh. Foto: media wien

Von Gisela Steinlechner

als siebzigjähriger, sagte ein siebzigjähriger, muss man zu den geburtstagsfeiern der achtzigjährigen gehen, zu den neunzigjährigen auf alle fälle und zu den hundertjährigen sowieso.

So spricht ein von Jubelfeiern gebeuteltes "geburtstagskind" in Friedrich Achleitners "einschlafgeschichten". Sehr wahrscheinlich ist es für einen Fünfundsiebzigjährigen nicht viel anders, und also muss man sich schon beinahe Sorgen um Friedrich Achleitner machen, der am 23. Mai seinen 75. Geburtstag begeht. Andererseits auch wieder gar nicht, wenn man die nach wie vor bübische Erscheinung des 75er-Jubilars in Betracht zieht, seinen ungebrochenen Witz und Elan und seine anhaltende produktive Umtriebigkeit auf mindestens zwei Hochzeiten.

Achleitners nun schon Jahrzehnte lang erfolgreich betriebene Parallelaktion auf den Gebieten der Architektur und der Literatur ist ein schönes und didaktisch wertvolles Beispiel dafür, dass man Sprichwörtern und Lebensweisheiten besser nicht über den Weg traut. Denn wenn jeder Schuster bei seinem Leisten und auf nur einer Hochzeit bliebe, dann hieße das, dass es entweder einen Architekten bzw. Architekturkritiker Achleitner oder einen Schriftsteller Achleitner gäbe, aber gewiss nicht beide zusammen. Und bestimmt gäbe es dann auch keinen "quadratroman" (1973), in dem uns der mit Konstruktionen aller Art bestens vertraute Autor auf 167 Seiten konkrete Literatur in und zum Quadrat demonstriert, und zwar auf witzige, methodisch souveräne Weise.

In rebellischem Ton

Ein bisschen aufmüpfig war er schon immer, der Achleitner, nicht erst seit seinen Auftritten mit dem literarischen Wunderteam "Wiener Gruppe" Ende der 50er Jahre. In der Februar-Nummer der Studentenzeitschrift "Morgen" findet sich 1955 ein Artikel über die "Ohnmacht der österreichischen Architektur", aus dem schon unverkennbar der rebellische und dabei analytisch präzise Achleitner-Ton herauszuhören ist (Hannes Gsteu war hier sein Mitautor): Von der "traumwandlerischen Sicherheit auf dem Wege zur vollkommenen Verflachung" ist hier die Rede, vom "unverbindlichen Plauderton" der Ringstraßen-Fassaden oder von der mit Kitsch verdeckten "Habt-Acht-Geistigkeit" der neueren Bauten. Achleitners Architektur-Kritiken waren von Anfang an auch als Gesellschaftsbefunde angelegt, die Titel der in dem Band "Nieder mit Fischer von Erlach" zusammengetragenen Zeitungskritiken aus den 60er Jahren lesen sich daher wie ein Stenogramm österreichischer Gegenwartsgeschichte im Taumel von Wirtschaftswunder und nostalgischem Bewahrungseifer: "Ist das Dorf noch zu retten?", "Dreißig Jahre Rückschritt" (Einfamilienhäuser von 1930 und 1960), "Hoher Turm aus eitel Freude" (Donauturm), "Je größer desto besser", "Murks und Marmor" (Volksheim Donaustadt), "Dem unbekannten Demolierer", "Kraft ohne Herrlichkeit" (Philippshof), "Festspielstadt auf Mozartkugeln", "Wohnen auf Terrassen", "Vanillezukunft für Erwachsene" (Haus-Rucker-Co Ausstellung).

Einer demagogisch ausgereizten Opposition zwischen Alt und Neu setzt Achleitner in seinen Kritiken Überlegungen und Beobachtungen entgegen, die neben ästhetischen Argumenten auch ökonomische, soziale, psychologische und lebenspraktische Aspekte ins Spiel bringen. Ihn interessieren die Symbiosen, die Brüche und Metamorphosen, die Teil jedes historischen Prozesses sind. Am vergnüglichsten nachzulesen ist das in seinem Bericht "Die Ploteggs kommen" (1995), der die geheimnisvolle Invasion plastiküberzogener Siloballen auf den Wiesen des Ötscherlandes zum Thema hat. Dieses Achleitnersche Schelmenstück gibt Auskunft über spezifisch österreichische Landschaftsmythen und -konstruktionen, über die hierorts häufig anzutreffende Allergie gegen alles Fremde und Nicht-Integrierte, über surreale Aspekte landwirtschaftlicher Maschinen (sobald man sie in ihren Einzelheiten zu beschreiben beginnt) oder über die poetische Vieldeutigkeit von Siloballen- "Konstellationen" in der Landschaft.

Auch wenn er eindeutig der konstruktivistischen Fraktion in der "Wiener Gruppe" angehörte, hinderte Achleitner das nie, seine komödiantische und hintersinnige Seite zum Ausdruck zu bringen. Etwa in den "obdaennsa" -Dialektgedichten, die er, wie auch H. C. Artmann, in einer "vonedischen" Schreibweise mit den Buchstaben des Alphabets wiedergibt. Dadurch tritt der Lautkörper der üblicherweise nur gesprochenen Wörter massiv in den Vordergrund: als eine fremd(sprachlich) anmutende, sperrige Buchstabenhürde, deren Sinn sich manchmal erst über mehrmaliges lautes Lesen einstellt: "in oaschdoa / sai reladiwidedsdeori / is naddialö koa bledsin". Die Verzögerungsphase – bis es klingelt und der Sinn einrastet – nützen und kultivieren die Dialektgedichte als semantische Unsicherheitszone. Andere Gedichte greifen den symptomatischen Hang des Dialekts zu Wiederholungen und Verknappungen auf und machen rhythmische Abbreviaturen daraus, wie sie eine Generation später auch in den Songtexten der wohl nicht nur regional verwandten Attwenger auftauchen: "moang kimd vilaichd wida / moang kimd vilaichd / moang kimd / da dings / da dings vilaichd wida."

In der von Gerhard Rühm herausgegebenen Wiener Gruppe-Anthologie ist Achleitner u. a. mit einem Sprach-Lehrstück vertreten, dessen Titel, "die gute suppe", uns direkt an einen 50er Jahre Mittagstisch versetzt. Die kleine ordentliche Welt des Ehepaars Kreil wird darin nach dem Muster von Sprachlehrbüchern beschrieben (Achleitner verwendete dafür ein Deutschlehrbuch für Amerikaner), und das klingt ein bisschen so, als hätte sich Aldous Huxley in ein Lesebuch für Volksschüler verirrt. Herauskommt dabei eine restlos aufgeräumte Welt, in der alles seine (unheimliche) tautologische Ordnung hat: "die gute suppe ist fertig. sie ist gut. jetzt wirft sie die gute suppe in den feuchten teller. sie war im violetten topf. jetzt ist sie in den feuchten tellern. frau kreil machte die gute suppe. die gute suppe ist fertig. die gute suppe ist gut."

"ich schau so gerne beim machen von geschichten zu" , steht als Motto am Eingang zu Achleitners "einschlafgeschichten". Das Hinschauen, das genaue Wahrnehmen und Beschreiben sind auch charakteristische Qualitäten des Architekturhistorikers Achleitner. Ebenso legendär wie unverzichtbar ist sein mittlerweile auf vier Bände angewachsener Führer "Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert", eine Landvermessung der anderen Art, die versucht, anhand einer Vielzahl akribisch dokumentierter Bauten ein begehbares Protokoll baugeschichtlicher Phänomene und Probleme zu erstellen.

Dazu braucht es ohne Zweifel eine große Leidenschaft für die Materie des Gebauten, einen unbefangenen, wachen Blick, ästhetische Intuition und wohl auch Gelassenheit – denn immerhin führt der Weg des Reisenden auch an viel Unsäglichem vorbei.

Die persönliche Handschrift

Das Aufsuchen und Fotografieren unzähliger Gebäude landauf, landab und deren Beschreibung ähnelt einem Exerzitium, einer über Jahre und Jahrzehnte sich verdichtenden Übung im Wahrnehmen und Wiedergeben des Wahrgenommenen (auch des Unauffälligen und Gewöhnlichen, von dem wir ja oft die geringste Vorstellung haben).

Achleitners Urteile und Kommentare zur dargestellten Architektur lassen immer seine persönliche Handschrift, besser gesagt, seine Physiognomie durchscheinen, wodurch sie wohl als pointierte Aussagen, aber nie als letztgültige Wahrheitsinstanz auftreten – die Augen muss man schon selber aufmachen. Wie in der konstruktivistischen, materialbewussten Literatur, in der Achleitner seine schreiberische Herkunft hat, ist auch bei diesem Unternehmen vieles eine Frage der Ökonomie. Manchmal erweist sich ein Umweg als die effektivste Form der Darstellung, wenn der Führer etwa vermerkt: "An dieser Stelle könnte ein schönes Foto von einer ebenso schönen Schule stehen, wenn sie nicht durch kurzsichtige und lieblose Renovierung zerstört worden wäre." So kürzt man auf geniale Weise ab, während man an einem anderen Ort (in den "einschlafgeschichten") aus dem unterwegs aufgeschnappten Sprachfundstück "parken blumen streithansel" einen Liebesroman im Zeitraffer macht. Möge er weiterhin auf vielen Hochzeiten tanzen, der Achleitner.

Freitag, 20. Mai 2005

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