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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Zur Alterslyrik des Dichters Ernst Jandl, der am 1. August 80 Jahre alt geworden wäre

Jandl, Ernst: "silbenschiss / wortabort"

Ernst Jandl im Jahre 1998, zwei Jahre vor seinem Tod.  Foto: APA

Ernst Jandl im Jahre 1998, zwei Jahre vor seinem Tod. Foto: APA

Von Daniela Strigl

Wie alt muss man mindestens sein, um Alterslyrik schreiben zu dürfen? Volker Hage konstatiert in der " Zeit " zu Ernst Jandls 1989 erschienenen idyllen , denen das Gedicht vom Rückzug aus dem "dichtersein" entstammt: "Ein wenig frühe Alterslyrik." Jandl sei " noch nicht einmal 65 Jahre alt, mithin ein Schriftsteller in den besten Jahren".

Wir kennen, um den Bogen weit zurückzuspannen, einschlägige Gedichte etwa von Horaz, der nur 57 wurde – ziemlich frühe Alterslyrik also; allerdings war das in der Antike bekanntlich ein recht stattliches Alter.

Volker Hage, der sich bezüglich der Jandlschen Alterslyrik schließlich großzügig gibt – "schön und gut, er hat sie sich verdient" –, erscheint freilich auch besorgt: "doch hoffen darf man auf einen neuen Aufschwung". Worin der bestehen soll, wenn ohnehin " die poetische Kraft" des Dichters " ungebrochen " scheint, und wie der aussehen soll angesichts des Todes, bleibt offen. Das ästhetische Gnadenbrot, das sich einer, schön und gut, verdient hat, wird von Herzen gern gewährt, wenn ein Gemüt etwas sonniger leuchtet.

Jandl und Mayröcker

Die Dioskuren der modernen österreichischen Lyrik sind in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts in die Jahre gekommen, sie erleben ihre Sechziger und Siebziger. Winterglück (1986) und Das besessene Alter (1992) heißen Gedichtbände Friederike Mayröckers geradezu programmatisch, während Jandls Titel in dieser Hinsicht neutral bleiben: idyllen (1989), stanzen (1992) und peter und die kuh (1996). Weil Avantgarde gemeinhin an das Bild jugendlichen Stürmens gebunden scheint, drängt sich die Frage auf, was nun daraus geworden ist: Revision oder Reife? Am Ende gar Klassikertum? Lässt sich womöglich so etwas wie ein Altersstil skizzieren?

Dass Ernst Jandl in seinen späten Gedichten mehr und mehr ich sagt, auch dass er mehr und mehr auf tradierte Formen und mit sichtlichem Vergnügen auf den Reim zurückgreift, wurde allenthalben wahrgenommen. Unverkennbar ist außerdem, dass der Ausdruck vulgärer, die Darstellung obszöner wird.

Peter Rühmkorf hat ein Gedicht Altern als Problem für Künstler genannt, das schon durch seine Reimtechnik illustriert, dass der Autor für sein Teil wild entschlossen ist, dieses Problem mit dem Willen zu Form und Witz zu domestizieren. Es beginnt: "So alte Dichter, Gotterbarm / Auch alternde Composer, / die einen werden täglich harm-, / die andern umstandsloser." Kein Zweifel: Jandl gehörte demnach zu den "andern".

Verführerisch wäre es zweifellos, Friederike Mayröckers und Ernst Jandls Gedichte auf thematische Korrespondenzen abzuklopfen, zum Beispiel in den Liebesgedichten. Man könnte Jandls älterndes paar. ein oratorium in seiner krassen, ja auftrumpfenden Unflätigkeit neben Mayröckers Hautanziehungen stellen, wo es, abstrakt gesprochen, um dasselbe geht: um die Hinfälligkeit des Körpers ( "die Gicht-brigade in mir unterwegs" ), um vergangene Liebesglut und die traurige Sexualität des Alters. Auch hat Mayröcker das Jandlsche Zitat aus der Matthäuspassion "wir setzen uns mit tränen nieder" in dem Band Das besessene Alter aufgegriffen und zu einer Gedichtüberschrift gemacht.

Es besteht dabei allerdings die Gefahr, dass die Fallhöhe zwischen der sanften Wehmut da und dem wütenden Zynismus dort den Raster des Vergleichs allzu grob geraten lässt und den Texten beider Unrecht getan wird. Es könnte passieren, was passiert, wenn man etwa Mayröckers du Vogelmensch lässt dein Gefieder sinken auf Jandls Stanze hotel puchberger hof prallen lässt: "i friis mai suppn / du schaust dawäu dei bost aun / so brauch ma nix reedn / dafia schlogt uns de kost aun."

Schreibhemmung

Abseits des Kur- und Küchenhumors enthält Jandls und Mayröckers Alterswerk durchaus das eine oder andere Vergleichbare: Anmerkungen zum Alltag, ein doppeltes Loblied auf den Schlaf, bruchstückhafte Ausgrabungen der Kindheit.

Ohne Vergleich sind Jandls Demontagen der eigenen Körperlichkeit sowie sein Bekenntnis zur Schreibhemmung:

einmal kann ich schreiben
einmal kann ich nicht schreiben

auf einmal kann ich schreiben
auf einmal kann ich nicht schreiben

einmal kann ich etwas aufschreiben
einmal kann ich etwas nicht aufschreiben

so wird es bleiben
so wird es nicht bleiben

Das ist ein, sieht man von allen Wiederholungen ab, sehr wortkarges Gedicht mit einer denkbar einfachen viermaligen Positiv-Negativ-Kopplung. Nur auf den ersten Blick illustriert es den Einfallsmangel, von dem es (auch) handelt. Die zweite Strophe variiert das grundsätzlich bestehende Problem zur Plötzlichkeit des zündenden oder erlöschenden dichterischen Funkens, und zwar allein durch den Auftakt mit der Präposition "auf", die in der dritten Strophe mit dem zentralen Verb "schreiben" am Versende verschmolzen wird, um die Sache noch einmal zu fassen: Es geht darum, "etwas aufzuschreiben", also etwas schon Vorhandenes auf andere Weise zu realisieren. Die Offenheit des bald Könnens, bald Nichtkönnens machen erst die scheinbar ebenso offenen Schlussverse zunichte: " so wird es bleiben / so wird es nicht bleiben" – weil das Schreibvermögen sich am Ende ganz erschöpft? Wohl doch eher, weil die Lebenszeit abläuft.

Die Assoziation zur dem Ich abhanden kommenden sexuellen Potenz drängt sich auf, vom Autor vielfach und grimmig abgehandelt: " er steht nicht / heraus, nicht hinein; schlimmer / als tot", am ausgiebigsten im Satyrspiel der stanzen: "i waass ned wie oft / und scho goaned ob immer / aber eher a bissl weniga / und amoe gwiss nimma."

Jene Gedichte, die sich mit dem Nachlassen der Schöpferkraft befassen, bilden keine chronologisch-lineare Reihe, das Bild ihrer Gesamtheit ergibt keine abfallende Kurve, sondern ein Auf und Ab heftigster Kursschwankungen. So erlebt der Autor mit dem Starten des stanzen"motors" eine Hausse, die sich thematisch auch in den Texten niederschlägt, etwa im durchaus optimistischen selbstbildnis 1991, das zaghaft beginnt ( "bin a dichta, geh in zoppeschritt" ), indem es auf einen Knöchelbruch verweist: " oowa r auf aa moe gengan so füü weata mit / und de weata jo de kaune brauchn."

Biographisch lässt sich tatsächlich so etwas wie ein finales Verstummen feststellen, ein Verstummen als Autor, nicht als Performer: "Er wolle und müsse wieder schreiben", zitiert Lektor Klaus Siblewski eine telefonische Aussage Jandls aus dessen letztem Lebensjahr. "Seit annähernd fünfzig Jahren habe er geschrieben. [. . .] Gut zwei Jahre, schätze er, sei nichts Nennenswertes mehr entstanden." Auch da, im buchstäblich letzten Moment, gelingt noch ein Aufschwung: "Aber das werde sich nun ändern [. . .]."

Mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit gibt die Jandlsche Alterslyrik sich der Faszination des Fäkalischen in all seinen Aggregatzuständen hin, vornehmlich dem altersbedingten Verlust der Kontrolle über die physiologischen Ausscheidungsfunktionen. Gewiss hat Jandl hier Vorläufer, so existieren abschreckende Beispiele aus dem Spätwerk Theodor Kramers ( Das Pissoir, Von der schnellen Katherin, An meinen Nachttopf ). Jandl hat jedoch, keineswegs nur in den genuin vulgären Dialektgedichten, die Zerstörung des Bildes vom "wunder mensch" mit besonderer Gründlichkeit, ja Verbissenheit betrieben, etwa in älterndes paar , und nur selten poetologisch-metaphorisch überhöht wie in der "stanze" aus eian orphischn [oaschloch]. Offenkundig ist für ihn Wahrhaftigkeit allein in der Darstellung einer kruden Wahrheit des Körpers erreichbar. Nicht immer gelingt da der Dichtkunst die Verwandlung von "Scheiße in Gesang" (wie Berhard Fetz sagt), mitunter – in Gedichten wie f ütterung des gefangenen – scheint auch der poetische Schließmuskel nicht mehr zu funktionieren, " silbenschiss / wortabort".

Allerdings wird man Jandls lyrischem Ich nicht nur autoaggressive Züge attestieren: Die späten Gedichte strotzen von Aggression. Namentlich die Stanzen der stanzen sowie des Bandes peter und die kuh sind von atemberaubender Brutalität. Ein G’stanzl, das mit dem Vers beginnt "jo da fooda, hodda deara hetz ghobd" , erklärt, dass diese " hetz " – das Wort kommt aus der in Wien beliebten Tierhatz und bedeutet Vergnügen – darin besteht, dass ihm seine Frau mit ihren genagelten Schuhen die letzten Zähne eintritt. Der dialektale Diminutiv dient nur dazu, die Gemeinheit noch monströser erscheinen zu lassen, sein " goschal " (Mündchen) nützt dem angesprochenen Du in leukoplast gar nichts, es wird zugeklebt, der Erstickungstod angestrebt.

In memories of contergan bezeichnet ein contergangeschädigtes Kind seine Hände als " fliagaln " (Flügelchen) und wird prompt von der Mutter himmelwärts gewünscht. Wird die körperliche Integrität des anderen nicht direkt angegriffen – etwa auch durch sexualpraktische Experimente –, dann bleibt immer noch Raum für subtilere Altersbosheit, wie in dem mit zweischneidiger Freundlichkeit "für friederike mayröcker" bestimmten Gedicht der schöne rucksack: "do is dei rucksack drin. / wos – in an so an glaan sackerl? / hob eam zaschnittn."

"atme dich zu tode"

In seinem letzten zu Lebzeiten erschienenen Band peter und die kuh lässt Jandl einen in indirekter Rede mit Gott über ein baldiges Lebensende verhandeln: "er bitte jedoch um eine gewisse frist / also noch nicht sofort / außer nur durch sein sofortiges ende / sei ein halb-tot sein, ein schein-tot sein / zu verhindern. // dann lieber sofort. / was wiederum nicht heiße: / auf der stelle."

Dieser (selbst)ironischen Beleuchtung menschlicher Radikalität setzt der Dichter die unbarmherzige Anleitung "vermeide dein leben" entgegen, eine Lebenshilfe der besonderen Art: " du bist ein mensch, verwandt der ratte. / leugne gott. / beginne nichts, damit du nichts beenden musst." Daraus folgt der Rat, der am Ende steht: "atme dich zu tode". Da wir doch alle nichts anderes tun, hat uns im Paradox der Sarkasmus eingeholt: Das Leben lässt sich eben so halbherzig nicht vermeiden.

Stark gekürzte Fassung des Aufsatzes "Mit dem Hammer dichten – Zur Alterslyrik Ernst Jandls", welcher in dem nun bei Zsolnay erschienenen, von Bernhard Fetz herausgegebenen Band "Ernst Jandl – Musik Rhythmus Radikale Dichtung" (= Profile Band 12) enthalten ist.

Daniela Strigl, geboren 1964 in Wien, ist Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin und Jurymitglied beim Klagenfurter Bachmannwettbewerb.

Freitag, 29. Juli 2005

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