Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers und Publizisten Ernst Schönwiese

Kostbare poetische Fracht

Von Evelyne Polt-Heinzl und Ursula Seeber

Und Sie werden mir doch nicht einreden wollen, Herr Flesch, dass Sie mit Ihrer Emigrantenvergangenheit ein moralischer Mensch sind? Die schlechte Stimmung des "Herrn Professors" vom Österreichischen Rundfunk schlägt rasch um, als er das Mitbringsel gewahrt: "Der grobe Bär lief auf seinen Watschelfüßen" zum Tisch mit den mitgebrachten Saccharin-Schachteln und schnuppert und ist pure Freundlichkeit.

So schildert der BBC-Reporter Hans Flesch-Brunningen seinen ersten Besuch bei seinem Wiener Kollegen Rudolf Henz, der zentralen kulturpolitischen Schlüsselfigur der Nachkriegszeit. Über Ernst Schönwiese sind derartige Berichte nicht bekannt und auch kaum vorstellbar. Als Publizist und Journalist hat er mit vollem Einsatz Autoren und ihre Werke gefördert, aus Überzeugung und im steten Bemühen, die Literatur des Exils und der klassischen Moderne in Österreich bekannt zu machen.

Wiener Anfänge

Ernst Schönwiese wurde vor 100 Jahren, am 6. Jänner 1905, in Wien geboren. Wie viele Autoren seiner Zeit studierte er Jus, daneben aber auch Germanistik. Bereits ab 1929 hielt er in der Zweigstelle der Wiener Volkshochschule im zweiten Wiener Bezirk (Zirkusgasse) Vorträge und Kurse über Literatur. In diesem Rahmen organisierte er auch regelmäßig Lesungen und lernte dadurch viele jener Autoren persönlich kennen, deren Werk er ein Leben lang die Treue halten wird: Hermann Broch war ebenso zu Gast wie Robert Musil, der von der literarischen Bildung der Hörer überrascht war, Elias Canetti, Franz Theodor Csokor, Felix Braun, Otto Stoessl, Berthold Viertel, Theodor Kramer, Ernst Waldinger oder Erika Mitterer. Einige von ihnen präsentierte Schönwiese bereits 1935 in seiner erste Anthologie "Patmos. Zwölf Lyriker", in der er auch erstmals eigene Gedichte publizierte. Schönwiese war Stammgast am "Blei-Musil-Tisch im Café Herrenhof", dem er in seinem Band "Literatur in Wien zwischen 1930 - 1980" ein Denkmal setzte.

Gemeinsam mit dem Lyriker Friedrich Bergammer und dem Architekturstudenten Georg Spiro begründete Schönwiese - mitten im Ständestaat - eine literarische Zeitschrift, die jede Berührung mit dem damals gängigen Literaturgeschmack vermied. Im Oktober 1935 erschien das erste Heft des Projekts: "das silberboot" mit dem Logo des Bauhaus-Künstlers Herbert Bayer. Der Titel suggeriert eine kostbare Fracht, die - wie einst das Silber Südamerikas - von weither zu einem rettenden Ufer gebracht werden soll. Und der Name enthält auch einen Verweis auf Schönwieses publizistisches Konzept. Es geht um die Bergung des "literarischen Schatzes" der Weltliteratur, um die Werke der großen Toten und der bedeutenden Lebenden. Zu kulturpolitischen Debatten nahm "das silberboot" nie dezidiert Stellung. Doch die abgedruckten Texte und Essays repräsentierten ziemlich genau das, was in NS-Deutschland bereits verboten und im austrofaschistischen Österreich nicht erwünscht war. Das erste Heft enthielt Auszüge aus Musils "Mann ohne Eigenschaften", Gedichte von James Joyce, Hermann Broch, Albert Paris Gütersloh, Ernst Waldinger, Otto Stoessl, Prosa von Sinclair Lewis und William Faulkner.

Die folgenden Hefte, die 1936 noch erscheinen konnten, stellten André Gide, T. S. Eliot, Marcel Proust, Elias Canetti, Thomas Mann und Franz Kafka vor. Dann musste die Zeitschrift aus ökonomischen Gründen eingestellt werden; heute sind die Hefte ein exquisiter Fundus bedeutender Erstdrucke.

Liebe zur Mystik

Die Jahre des Faschismus überlebte Schönwiese als Korrespondent einer Presseagentur in Ungarn. Seine hervorragenden Stenographiekenntnisse verblüfften später viele Besucher seines Büros. In dieser Zeit begann auch Schönwieses intensive Beschäftigung mit der deutschen Mystik, die für sein eigenes Schreiben prägend bleiben sollte. 1945 floh er vor den einrückenden sowjetischen Truppen nach Salzburg, begann als Rundfunk- und Zeitungsjournalist und wurde rasch Leiter der literarischen Abteilung der amerikanischen Sendergruppe Rot-Weiß-Rot.

Hier setzte er Maßstäbe für das erzählende Hörspiel, das dem Konzept der "unsichtbaren Bühne" verpflichtet war. Tendenzen zu einer Erneuerung des Genres, mit denen das "Neue Hörspiel" in den 60er Jahren die technischen Möglichkeiten des Mediums auszuloten begann, blieben ihm zeitlebens fremd. Das heißt nicht, dass Schönwiese keine ästhetisch provozierende Initiativen gesetzt hätte. Eine Pionierleistung war etwa seine Radioinszenierung von Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit", die im Juni 1951 an fünf aufeinanderfolgenden Abenden gesendet wurde.

Bereits im März 1946 hatte Schönwiese "das silberboot" wieder in See stechen lassen - mit gleichem Kurs: Verzicht auf kulturpolitische Kommentare, Ausrichtung auf die gemäßigte Moderne der Zwischenkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung der Autorenfreunde aus den 1930er Jahren, von denen viele weit verstreut im Exil überlebt hatten.

Schönwiese machte zwar keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Autoren der inneren und der äußeren Emigration, doch in der Praxis überwogen eindeutig die Autoren des Exils, die hier oft erstmals wieder Publikationsmöglichkeiten fanden. "das silberboot" wurde zu einem frühen Ort systematischer Pflege der Exilliteratur. Viele Raritäten sind darin zu finden, wie etwa Erstdrucke der erst Jahrzehnte später wiederentdeckten Mela Hartwig, deren Nachlassverwalter Schönwiese war. Generell hielt er stets das Gedächtnis an die Opfer des Faschismus wach und erinnerte mit Textabdrucken an Felix Grafe, Alfred Grünewald oder Alma Johanna Koenig.

Die prinzipiell unpolitische Ausrichtung der Textauswahl, die ausschließlich Schönwieses ästhetischem Konzept verpflichtet war, führte auch zu literarhistorischen Kuriosa. Im Juli-Heft 1946 etwa finden sich in unmittelbarer Folge, friedlich vereint, Texte von Richard von Schaukal, Friedrich Torberg, Werner Bergengruen und Bertolt Brecht. Es ist wohl der einzige Publikationsort geblieben, an dem der manische Brecht-Verhinderer der Nachkriegszeit fast unmittelbar neben dem Objekt seines Hasses zu finden ist.

Tätige Hilfe für Emigranten

Auch als Rundfunkredakteur war Schönwiese um die Autoren des demokratischen Exils bemüht. Als Martina Wied im September 1947 aus dem Exil in England nach Wien zurückkehren konnte, war sie 65 Jahre alt. Einer der ersten, der sie hier willkommen hieß, war Ernst Schönwiese. ". . . zu meiner aufrichtigen Freude höre ich, dass sie nach Österreich zurückgekehrt sind. Ich möchte Sie hiermit herzlich zur Mitarbeit an der Sendergruppe Rot-Weiß-Rot, im Rahmen meiner Literaturabteilung, einladen", schreibt er ihr am 20. Juli 1948 und macht sofort Vorschläge, zum Beispiel die Wiederverwertung ihrer "ausgezeichneten" Rezension von Hesses "Glasperlenspiel", die er in der "Wiener Zeitung" gelesen hatte.

Dieser freundliche Ton, den die heimgekehrten Emigranten selten zu hören bekamen, war aufrichtig und ernst gemeint und führte unmittelbar zu konkreten Verdienstmöglichkeiten und der Chance, sich dem österreichischen Publikum wieder bekannt zu machen. Es ist auch Schönwieses Verdienst, dass unter seiner Präsidentschaft 1972 bis 1978 der österreichische PEN-Club - spät aber doch - Autoren wie Jean Améry, Elias Canetti, Fritz Hochwälder, Albert Drach oder Manès Sperber die Ehrenmitgliedschaft verlieh. Dass sie gleichzeitig auch Rudolf Henz zugesprochen wurde, war wohl der Kompromiss, dem sich Schönwiese nie verschloss.

Ein direkter Förderer der jungen Nachkriegsautoren war Ernst Schönwiese mit seinen publizistischen Initiativen nicht. Anders als die im Oktober 1945 von Otto Basil gegründet Zeitschrift "Plan", in der u. a. Friederike Mayröcker, Paul Celan, Walter Toman, Milo Dor oder Ilse Aichinger debütierten, war "das silberboot" mit wenigen Ausnahmen kein Publikationsort für die junge Generation. Der modernen Erzähltradition der Vorkriegszeit stand aber auch diese Zeitschrift aufgeschlossen gegenüber und war dadurch ein wichtiges Vermittlungsorgan jener literarischen Verfahren, die es nach dem radikalen Traditionsbruch und der Abschottung von internationalen kulturellen Entwicklungen im Nationalsozialismus wiederzuentdecken galt. Vor allem die Exilautoren, aber auch Gedichte von Rilke, Trakl, George, Hofmannsthal und Schönwieses "Trias" Kafka - Musil - Broch konnte die junge Generation hier erstmals kennen lernen. Schönwiese ging es um diesen Brückenschlag, der die Wegbereiter der Gegenwart wieder zugänglich machte. Daraus erklärt sich auch das allmähliche Ende des "silberboots", das nach 1948 nur mehr sporadisch erschien und im Jahr 1952 endgültig eingestellt wurde, als sich diese Funktion allmählich erübrigte.

Literarische Vermittlungsarbeit leistete Schönwiese auch als Programmdirektor für Literatur, Hörspiel und Wissenschaft, zuerst im Sender Rot-Weiß-Rot in Salzburg, ab 1954 bis zu seiner Pensionierung 1971 in Wien. Daneben betreute er zahlreiche Bände der Stiasny- Reihe "Neue Dichtung aus Österreich", u. a. zu Hermann Broch, Ernst Waldinger, Johannes Urzidil und Franz Blei. Schönwieses eigenes Verlagsunternehmen, ebenfalls "das silberboot" benannt, diente primär zur Querfinanzierung der Zeitschrift und nahm auch rein kommerzielle Titel auf. Dennoch finden sich unter den 20 erschienenen Büchern auch solche von Hermann Grab, Adalbert Stifter oder Georg Rendl und mit Ernst Lothars 1947 erschienener Familiensaga "Der Engel mit der Posaune" gelang ihm ein beachtlicher Erfolg.

Dichter und Übersetzer

Daneben war Schönwiese auch literarischer Übersetzer. Unter anderem übertrug er Werke von D. H. Lawrence, J. R. Jiménez, Herwig Hensen und vor allem, seinen persönlichen Neigungen entsprechend, Texte der Meister fernöstlicher Mystik.

Was seine eigene literarische Tätigkeit betrifft, so machen die vielfach beschworene "traditionsgebundene Formenstrenge" und die esoterischen Themenstellungen seiner Lyrik den Zugang für heutige Leser nicht leicht. "Dichtung als Urwissen des Menschen" lautet der Titel seiner Poetikvorlesung an der Universität Innsbruck im Jahr 1984, und dieses Grundverständnis versuchte Schönwiese mit der Adaption kanonisierter Verskunst in die neue Zeit zu retten. Erst die allmähliche Loslösung von festem Versmaß und Reim in den 1960er Jahren lässt in den späteren Gedichtbänden ("Baum und Träne", 1962, "Geheimnisvolles Ballspiel", 1964) auch luftigere, zum Teil dem Haiku nachempfundenen Formen zu, und darunter sind durchaus lyrische Kleinodien zu finden, wie eines der schönsten Schneckengedichte der Literatur:

"Jeder hat sein Geheimnis

Unermüdlich schreibt die Schnecke

ihre Botschaft

in blitzender Silberschrift

auf das Grün der Blätter."

Nach Schönwieses Tod am 4. April 1991 schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Schönwiese habe nie Kapitän sein wollen, "bloß Fährmann". Vielleicht hatte Schönwiese ursprünglich auch noch andere Ziele, doch angekommen ist vor allem die Fracht des "silberbootes". Von seinen eigenen Büchern ist keines mehr lieferbar.

Freitag, 07. Jänner 2005

Aktuell

Kollidierende Kleinplaneten
Japan greift sich mit der Weltraummission "Hayabusa" ein Stück des Asteroiden Itokawa
Zu Fuß zum Schneeberg
In drei Tagen von Wien auf den Gipfel – Wandern wie vor 200 Jahre n
Countdown für Olympia 2014
Mit Kreativität könnte sich Salzburg gegen das favorisierte PyeongChang durchsetzen

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum