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Der Drehbuchautor Herbert Reinecker feiert den 90. Geburtstag

Der Schreibsüchtige

Von Peter Landerl

Es gibt Schriftsteller, die jeder kennt, und andere, die die Öffentlichkeit meiden, während sich ihre Werke im kollektiven Gedächtnis festsetzen. Herbert Reinecker gehört zur zweiten Gruppe. Er ist der große Unbekannte der deutschen Film- und Fernsehgeschichte geblieben. Warum? Reinecker, der wahrscheinlich fleißigste Drehbuchschreiber überhaupt, hat sich immer hinter seinen Figuren versteckt, zuerst hinter dem von Erik Ode gespielten Kommissar Keller in der Serie "Der Kommissar", dann hinter dem ungleich populäreren und weltbekannten Ermittler Stephan Derrick, gespielt von Horst Tappert, und seinem treuen Assistenten Harry Klein, verkörpert von Fritz Wepper.

Reinecker hat aber wesentlich mehr geschrieben, und seine Lebensgeschichte weist dunkle Stellen auf. Vielleicht ist er deshalb nie an die Öffentlichkeit getreten. Seine Geschichte spiegelt auch ein Stück deutscher Geschichte wider: der Mitläufer, der im Krieg wichtige Beziehungen knüpft, nach dem Krieg einen kurzen Karriereknick hinnehmen muss, schon bald aber wieder auf seine Beziehungen aus der Kriegszeit setzen kann und ab den 1950er Jahren eine fast unglaubliche Erfolgsgeschichte erlebt, die wohl nicht zufällig parallel zum deutschen Wirtschaftswunder verläuft.

Einer von vielen

Am 24. Dezember 1914 wird Herbert Reinecker als Sohn eines Reichsbahnarbeiters im westfälischen Hagen geboren. Früh wird er zum Vielschreiber: Mit 15 Jahren heuert er bei der "Hagener Zeitung" an, schreibt Lokalberichte und veröffentlicht erste Erzählungen und Kurzgeschichten. Nach dem Abitur beginnen seine dunklen Jahre. Er wird Chefredakteur der "Landesjugendpflege-Zeitschrift" der Hitlerjugend in Münster, ein Jahr später wechselt er ins Presse- und Propagandaamt der Reichsjugendführung in Berlin. Er wird Hauptschriftleiter der HJ-Zeitschriften "Junge Welt" und "Der Pimpf", berichtet von der Front, schreibt Sätze wie: "Was Blut ist und was Schmerzen sind, das macht mich glücklich." Kurz vor Kriegsende verfasst er den letzten Leitartikel des SS-Organs "Das schwarze Korps".

Im Rückblick waren die Anfangsjahre in Berlin für ihn "wunderbar", und hatten mit politischen Dingen "nichts zu tun". Die NS-Verbrechen, so erklärte er, seien von wenigen "verhaltensgestörten" Menschen begangen worden. Zeugt diese Äußerung von dreister Naivität? Oder ist Reinecker ein Lohnschreiber, dem es egal ist, welcher Sache er dient?

Neben seiner journalistisch-propagandistischen Tätigkeit träumt er während der Kriegszeit davon, ein großer Schriftsteller zu werden, und schreibt für das Theater, darunter das mehrfach erfolgreich aufgeführte Stück "Das Dorf bei Odessa", außerdem "Die Stunde des Triumphes" und "Leuchtfeuer".

Sein "größter Erfolg" während der NS-Zeit war aber das Drehbuch, das er für den von Alfred Weidenmann verfilmten Propagandaspielfilm "Junge Adler" schrieb. Alfred Weidenmann hatte er in Berlin kennengelernt, wo dieser Leiter der Hauptabteilung "Film der Reichsjugendführung" war und für die HJ-Filmschau "Junges Europa" verantwortlich zeichnete. Der Ufa-Film, der die Bedeutung der Hitlerjugend für das deutsche Gemeinwohl herausstreichen sollte, war aber nicht nur für Reinecker und Weidenmann der Einstieg ins große Filmgeschäft, sondern auch für die beiden jungen Schauspieler Dietmar Schönherr und Hardy Krüger. Zentralfigur des Films ist der Schüler Theo Bakke, der sich in einer Flugzeugfabrik nach egoistischen Anfängen begeistert in die Lehrlingsgemeinschaft einfügt und davon träumt, Kampfpilot zu werden. Kameradschaft und Disziplin, für Führer, Volk und Vaterland - so die einfache und fürchterliche Botschaft des Films.

Nach dem Krieg verlässt Reinecker Berlin und gründet einen Feuilletonpressedienst, bei dem er gleichzeitig Chef und alleiniger Schreiber ist. Nebenher verfasst er zahlreiche Kinder- und Jugendbücher und fängt an, unter dem Pseudonym Herbert Dührkopp Hörspiele für den NWDR zu schreiben. Bald darauf nimmt er auch seine Arbeit für Film und Fernsehen, sein eigentliches Metier, wieder auf. Er nützt die in der NS-Zeit geknüpften Kontakte und sucht die Zusammenarbeit mit Alfred Weidenmann, der in den nächsten Jahrzehnten viele seiner Drehbücher verfilmen wird. In den beiden preisgekrönten Filmen "Canaris" und "Der Stern von Afrika" versuchen die beiden ehemaligen HJ-Propagandisten, sich dem Dritten Reich kritisch zu nähern, was ihnen - wenig überraschend - nur halbherzig gelingt und im Ausland heftig kritisiert wird.

Im Laufe der 1950er Jahre wird Reinecker zum gefragten Drehbuchschreiber, verfasst u. a. die Drehbücher zu den bekannten Filmen "Die Trapp-Familie in Amerika" oder "Anastasia, die letzte Zarentochter". Er bearbeitet Literaturstoffe, etwa Stefan Zweigs "Schachnovelle", Fontanes "Unterm Birnbaum" oder Tucholskys "Schloss Gripsholm". Gleichzeitig ziehten ihn Kriminalhandlungen an. Er bearbeitet JerryCotton-Romane und Edgar-Wallace-Krimis (oft unter dem Pseudonym Alex Berg), die mit Joachim Fuchsberger in der Hauptrolle zum Kassenschlager werden.

Dann trifft ihn der so genannte "Wink des Schicksals": Das 1962 gegründete ZDF sucht nach Kriminalautoren, um der ARD, die mit ihren mehrteiligen Francis-Durbridge-Thrillern glänzende Erfolge feiert, Konkurrenz zu machen. Reinecker nützt die Chance und schreibt die Drehbücher für die

jeweils dreiteiligen Thriller "Der Tod läuft hinterher", "Babeck" und

"11 Uhr 20".

Vom Erfolg der Filme bestärkt, engagiert ihn das ZDF, eine Krimiserie zu schreiben, die sich an den amerikanischen Serienproduktionen orientieren soll. So entstand die legendäre Serie "Der Kommissar", die von 1969 bis 1976 in

97 Folgen äußerst erfolgreich lief und bis zu 30 Millionen Zuseher pro Folge hatte. Der kleine, nicht mehr junge Erik Ode spielt den wortkargen Kommissar Keller, der in knappen Anweisungen seine

Assistenten (unter ihnen Harry Klein!) dirigiert und, seinem Instinkt folgend, zielsicher den Mörder aufspürt. Der Kommissar müsste dem Alter nach im Krieg gewesen sein, er hat sicher viel Schreckliches gesehen und erlebt, hütet sich deshalb davor, zu richten und schweigt. Er ist einer, der seinen Beruf weder liebt noch hasst. Er tut seine Pflicht und sorgt für Ordnung: verständnisvoll, unzugänglich, patriarchalisch.

Täterpsychologie

"Ein Krimi hat eine Mitteilungs- und Aufsichtspflicht", sagte Reinecker der deutschen "Zeit" einmal. Dementsprechend schrieb er psychologische Krimis, die an der

Action oder der realistischen Darstellung der kriminalistischen Ermittlungen weniger interessiert waren als an der Täterpsychologie.

Noch bekannter als "Der Kommissar" sollte die Nachfolgeserie "Derrick" werden, bei der Reinecker wieder alleiniger Drehbuchautor war. Im Gegensatz zur Kommissar-Serie wirkte "Derrick" von Anfang an schablonenhaft, statisch und längst nicht so anspruchsvoll wie "Der Kommissar", der zumindest in einigen Folgen zu den Juwelen der Fernsehgeschichte gehört. Drang Kommissar Keller in verschiedene Milieus vor, so spielte Derrick fast immer in noblen Vorstadtvillen.

Vor allem im Ausland war die Serie sehr beliebt - sie lief bzw. läuft in mehr als 100 Ländern! - weil Derrick für viele den "guten" Deutschen verkörperte, der seine Moral wiedergewonnen hat. Er agierte traurig, schwermütig und bieder und war jedenfalls keiner, vor dem man Angst zu haben brauchte. Umberto Eco meinte einmal, dass Derricks weltumspannender Erfolg der absoluten Durchschnittlichkeit des Kommissars verdanke.

Mit den Jahren (die Serie lief von 1974 bis 1998 in 281 Folgen!) wurde Derrick jedoch immer unspektakulärer und langatmiger, wiederholten sich Handlungen, Schauplätze und Dialoge. Trotzdem blieben die Einschaltquoten sehr hoch, wahrscheinlich, weil Derrick dem Zuschauer Kontinuität gab, und zum Freitagabend gehörte wie der Christbaum zu Weihnachten.

Zunehmend machte ihm aber der "Tatort" von ARD/ORF große Konkurrenz, der gegenüber Derrick den Vorteil hatte, dass er verschiedene Ermittlerteams an verschiedenen Orten zeigte und damit Lokalkolorit bieten konnte. Weil diese Serie von verschiedenen Autoren geschrieben wird, hat sich der "Tatort", der mittlerweile auch schon über 30 Jahre alt ist, nicht abgenützt, ist härter, schneller, realitätsnäher und bunter, als es Derrick je war. Außerdem ermöglicht er dem Zuschauer die Identifikation mit dem Ermittler. Über Stephan Derrick und Harry Klein dagegen wusste der Fernsehzuschauer auch nach 281 Folgen eigentlich nichts.

Moralisierende Kommentare

Horst Tappert kritisierte in den 1990er Jahren Reinecker öffentlich dafür, dass Derrick eine zu blasse Figur sei und er als Schauspieler mehr zeigen wollte. Reinecker ging darauf aber nicht ein, war immer mehr an der Täterpsychologie (aus biografischen Gründen?) interessiert, sodass sich die beiden zerstritten und Tappert sich schließlich weigerte, die Serie fortzusetzen. Er war es leid, immer öfter nachdenklich-gequält in die Kamera blicken zu müssen und moralisierende Kommentare abzugeben. Im letzten Derrick sagte er etwa: "Wir leben in einer Welt, in der sich die Lebensgesetze verändert haben, und mit ihnen auch die Wertvorstellungen, die wie ein Gehäuse waren, in dem sich der Mensch verhältnismäßig sicher bewegen konnte."

Das ZDF feierte den Abschied von der Serie mit einer großen, von Thomas Gottschalk moderierten Party, bei der sich Tappert und Reinecker zumindest für die Öffentlichkeit wieder versöhnten. Mittlerweile ist Derrick Kult geworden, aber nicht, weil er geliebt wird, sondern weil er wegen seiner biederen Antiquiertheit eine perfekte Projektionsfläche für Satire, Spott und Ironie abgibt. Dazu passt, dass der viel zitierte Satz "Hol doch schon mal den Wagen, Harry" im Fernsehen niemals gesagt worden ist.

Reinecker recherchierte seine Stoffe und Plots kaum - dazu hätte er bei seinem Output auch keine Zeit gehabt. Er entwickelte seine Handlungen in der Phantasie, manchmal angeregt durch Zeitungsartikel. Dadurch setzte er sich selbst Grenzen, und seine Drehbücher, die sich zunehmend von der Realität entfernten, wurden mit der Zeit zur immer gleichen Massenware. Einmal sagt er: "Wenn die Sache aus der Feder fließt, ist sie in Ordnung. Wenn man dauernd grübeln muss, ist der Wurm drin." Das erklärt vieles. Der manische Fließbandarbeiter schrieb parallel zu "Derrick" noch die Senioren-Serie "Jakob und Adele", einige "Traumschiff"-Folgen, außerdem für die "Polizeiinspektion 1" und Episoden für ZDF-Specials.

Sucht man eine Erkärung von Reineckers Erfolgsgeheimnis, so ist sie komplex, vielleicht aber auch einfach: Reinecker schielte nicht nach dem Massengeschmack, er kalkulierte nicht damit - er verkörperte ihn wie kein anderer.

Letztes Jahr übergab der mit Bambies, Bundesfilmpreisen und Goldenen Kameras Ausgezeichnete seinen Nachlass zu Lebzeiten, der mehr als 500 Drehbücher umfasst, dem Berliner Filmmuseum. Seit fünf Jahren leidet Reinecker an einer Augenkrankheit und kann nicht mehr lesen und schreiben. Von den Krimis hat er sich endgültig verabschiedet, trotzdem arbeitet und erzählt er weiter. Die Texte, die er nun diktiert, drehen sich um philosophische Dinge, um die Existenz, um Vergangenheit und Vergebung, die er sich, wie er der deutschen Zeitung "Die Welt" erzählte, angesichts des nahen Endes, "immer dringlicher wünsche". Heute, am 24. Dezember, wird Herbert Reinecker 90 Jahre alt.

Freitag, 24. Dezember 2004

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