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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Zum 25. Todestag von Friedrich Torberg ein unveröffentlichter Brief des Schöpfers der "Tante Jolesch"

Torberg, Friedrich: Ein Floh namens Fertigteilhaus

Breitenfurt bei Wien, Schloßallee, 27. 1. 1964

Also paß auf Schilli und damit wir zuerst einmal auf gleich kommen: dieses hier ist mein neues Briefpapier und stellt eine unmittelbare Folge meiner neuen Adresse dar, die ihrerseits eine unmittelbare Folge der nicht mehr vorhandenen alten ist. Das heißt, vorhanden ist sie schon, das heißt, das Haus Brucknerstraße 2 steht noch, aber es wurde alser ganzes verkauft, und da die Käufer etwas daraus zu machen planen was es bisher nicht war, entweder ein Apartmenthaus oder ein modernes Bürohaus oder was weiß ich, wollten sie mich draußenhaben und hier beginnt die Machloike. Ich hätte nämlich, mietergeschützt wie ich bin, nicht hinausmüssen.

Es sprach manches dafür, aber es sprach eigentlich viel mehr dagegen. Dafür sprach, daß ich schon lang genug in der Brucknerstraße gewohnt hatte (fast zehn Jahre), daß die Wohnung gewisse Alterserscheinungen aufzuweisen begann und daß ich mich infolge der mit ihr verbundenen Familienereignisse nicht mehr besonders innig an sie gebunden fühlte.

Zwiespalt und ideale Lage

Das alles aber sind, nüchtern betrachtet, Imponderabilien, zu deutsch Schmonzes, besonders im Vergleich zu den Gründen, die gegen das Aufgeben dieser Wohnung sprachen: denn es war, daran ist nicht zu rütteln, eine ideale Wohnung in idealer Lage. Hier trat nun die Machloike (im Sinne von "innerem Zwiespalt") in ihr zweites Stadium ein. Denn was heißt "ideale Lage"? "Ideale Lage" heißt nicht nur, daß die Redaktion, die Theater und die sonstigen Stätten der Berufsausübung bequem zu erreichen sind, sondern auch die Kaffeehäuser, die Wohnungen der Freunde, die Nachtlokale und die sonstigen Stätten der Ablenkung. Und was das heißt, brauche ich Dir nicht zu erklären, am allerwenigsten im Zusammenhang mit einem Menschen, der sowieso dazu neigt, seine Zeit mit Nebensachen zu verplempern, und dessen Versuche, sich endlich wieder auf eine Hauptsache zu konzentrieren, bisher glorreich gescheitert sind.

Die "ideale Lage" war also ein zweischneidiges Ideal - wobei man sich anderseits nicht verhehlen darf, daß auch diese Erwägung noch in die Rubrik "Schmonzes" fällt, denn wenn man wirklich

arbeiten will, kann man das

überall tun, sogar in einer ideal

gelegenen Wohnung. Mit anderen Worten: auch das hätte noch

nicht genügt, um mich zum Aufgeben der Brucknerstraße zu veranlassen.

Und hier trat die Machloike in ihr drittes, entscheidendes Stadium. Die Hauskäufer boten mir nämlich eine Ablösesumme, die mir nicht nur die seinerzeit von mir gezahlte und nicht nur alle in die Wohnung gesteckten Investitionen ersetzte, sondern auch den gesamten von mir gezahlten Mietzins, so daß ich praktisch 10 Jahre lang umsonst in der Brucknerstraße gewohnt haben würde resp. hätte; nicht aber hatte. Denn warum? Weil nämlich diese 200.000 Schilling, von denen ich meine ohnehin nicht sehr wirklichkeitsgeschärften Augen blenden ließ, 1964 etwas ganz andres sind als 1954, und zwar viel weniger. Viel weniger. Nämlich kostet eine Wohnung wie die in der Brucknerstraße, wenn sie überhaupt zu haben ist, heute rund eine halbe Million Schilling.

Das hätte ich wissen oder danach hätte ich mich erkundigen müssen, um meine Forderungen danach zu richten. Ich hätte den Käufern sagen müssen: "Meine Herren", hätte ich ihnen sagen müssen, "entweder Sie verschaffen mir eine gleichwertige Wohnung in gleichwertiger Lage, oder Sie zahlen mir eine halbe Million Ablöse, damit ich mir eine solche Wohnung verschaffen kann, oder ich verweise Sie auf das noch immer nicht gänzlich erforschte Gebiet des Arschleckens und bleibe in der Brucknerstraße". Das hätte ich sagen müssen, habe es aber, geblendet von den 200.000 Schilling und von den oben unter "Schmonzes" rubrizierten Erwägungen wankelmütig gemacht, nicht gesagt - und als ich draufkam, daß ich der Hereingelegte bin, war es schon zu spät.

Wie hereingelegt ich wurde, ersiehst Du am besten daraus, daß die mir dann freiwillig noch 30.000 Schilling draufgezahlt haben - also gewissermaßen 10 % der Hereinlegungsdifferenz. No ja. Ganz so arg war es natürlich nicht, aber es war arg genug, und daß ich in Wahrheit gar keine Wohnung im Stadtzentrum, also in der teuren Gegend, haben wollte, war nur ein schwacher Trost, denn auch weiter draußen war nichts Brauchbares zu finden, oder das, was sich fand, war auch weiter draußen viel zu teuer. Sicherlich hätte sich etwas Brauchbares und Erschwingliches gefunden, aber dazu hätte man ein bis zwei Monate systematisch tagaus tagein suchen müssen, und dazu war ich nicht in der Lage. Auf Grund von Inseraten und mit Hilfe zweier sehr guter und braver Vermittlungsbüros habe ich dann ungefähr ein Dutzend Wohnungen zu sehen bekommen und mußte entdecken, daß ich im Laufe der Jahre doch ein recht heikler Patron geworden bin: die Wohnung sollte "draußen" sein, und wenn schon draußen, dann auch wirklich "im Grünen", einerseits vollkommen ruhig und anderseits nicht zu entlegen, auch nicht höher als im 1. Stock (weil ich kein bedeutender Stiegensteiger mehr bin), sie sollte ganz bestimmte Stückeln spielen, auf die ich nicht mehr verzichten will, auch von den Größenmaßen und von der Gegend, in der sie liegen sollte, hatte ich ganz bestimmte Vorstellungen - und was soll ich Dir sagen: die einzige Wohnung, die als solche in Betracht gekommen wäre, lag pünktlich in einer Gegend, die ich nicht schmecken kann, nämlich zwischen Hietzing und Lainz.

Unter diesen Umständen begann ein Floh, den mir irgendjemand ins Ohr gesetzt hatte, immer mehr an Raum zu gewinnen. Der Floh hieß "Fertigteilhaus", nicht zu verwechseln mit "prefabricated", sondern so geheißen, weil gewisse Teile des Modells, für das man sich entscheidet, nicht an Ort und Stelle gebaut werden, sondern schon fertig hinkommen - im übrigen ist es ein richtiges Haus mit soliden Ziegelmauern und einer vereinbarten Bauzeit von drei Monaten, die sich dann in Wirklichkeit auf das Doppelte erhöht.

Ich ließ mir also, nachdem ich auf einer diesbezüglichen Ausstellung das Modell gesehen und für gut befunden hatte, einen Kostenvoranschlag machen. Er belief sich für das sog. "schlüsselfertige" Haus auf rund 300.000 Schilling, was angesichts der 230.000 Schilling Ablöse und meines neuen, sehr günstigen Zweijahresvertrags mit dem Deutsch-Verlag (der das FORVM jetzt zur Gänze übernommen hat) eine durchaus akzeptable Summe war und jedenfalls viel billiger als eine Wohnung, die mir annähernd Gleiches geboten hätte. Und jetzt beginnt die Machloike im Sinne von Katastrophe.

Übergroße Sprachpedanterie

Schuld ist, wie nicht anders zu erwarten, meine übergroße Sprachpedanterie. Ich hatte mir unter "schlüsselfertig" ein Haus vorgestellt, in das man dann nur noch die Möbel hineinzustellen braucht, alles andre ist schon da. Ka Spur.

Es ist nichts da, kein Wasserhahn, keine Abortmuschel, keine Badewanne - nur die dazugehörigen Abflußlöcher, ebenso wie die Löcher für die elektrischen Kontakte, die Heizkörper, etc. Alles, was zu diesen Löchern gehört, muß man erst kaufen und installieren lassen, selbstverständlich nachdem man beim Wasserwerk, beim Elektrizitätswerk und bei vielen anderen Werken dafür gezahlt hat, daß man die solcherart installierten Installationen auch tatsächlich gebrauchen darf. Kurz und klein: bevor man überhaupt mitn Wohnen anfangen kann, hat das Haus die runde halbe Million gekostet, die man als Ablöse hätte bekommen müssen, aber nicht bekommen hat, so daß man mit einer Schuldenlast von 200.000 Schilling zu wohnen anfängt, was nicht so arg ist wie es klingt, weil man diese Summe ja in absehbarer Zeit verdienen kann, womit sich anderseits der Bau des Hauses ad absurdum führt, denn man hat es sich ja gerade deshalb gebaut, weil man nicht mehr hinterm ständigen Geldverdienenmüssen einhersausen wollte, sondern siehe oben.

Als Pikanterie kommt noch hinzu, daß der Grund, auf dem das Haus steht, gar nicht mir gehört, weil ich das Geld zum Ankauf eines Grundstückes a priori und selbst bei allergrößter Schuldenbereitschaft nicht hätte aufbringen können, weshalb ich auf das Anerbieten eines Freundes, mir im Obstgarten seines Anwesens den nötigen Baugrund zur Verfügung zu stellen, mit Freuden eingegangen bin und mich jetzt in der originellen Lage befinde, zwar ein Dach überm Kopf, aber keinen Boden unter den Füßen zu haben.

Freitag, 29. Oktober 2004

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