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Zum 100. Geburtstag der Wiener Schriftstellerin Joe Lederer

Lederer, Joe: "Das Glück war ein Nichts"

Von Evelyne Polt-Heinzl

In den wenigen lexikalischen Einträgen, die über Joe Lederer zu finden sind, wird sie mit schöner Regelmäßigkeit als Verfasserin gehobener Unterhaltungsliteratur für Frauen bezeichnet. Ihr ambitionierter Umgang mit Sprache passt jedoch ebenso wenig in diese Schublade wie die Tatsache, dass das Projekt Liebe bei ihr selten gut endet. Die Beziehungen, in die ihre Protagonistinnen geraten, sind überwiegend nicht "passend". Das hat soziale Ursachen und Altersgründe - und sehr häufig auch einfach mit der Zurückweisung der Liebe durch das gewählte männliche Gegenüber zu tun. Mit scharfem Blick analysiert Lederer, was am ewigen Missverständnis zwischen den Geschlechtern schuld ist: Komplexe, Obsessionen, kindliche Kränkungen, Rollenvorgaben, ungleich verteilte und durchaus wechselnde Stärken und Schwächen.

Schon bei Erscheinen ihres ersten Buches wurde ihr der Titel "deutsche Colette" verliehen - und "Eine deutsche Colette" steht auch noch über einem der wenigen Würdigungsartikel zu ihrem 75. Geburtstag, der allerdings ihr 78. war. Die lebenslangen Irrtümer über ihr Geburtsjahr hängen mit ihrem rasanten Start als Schriftstellerin zusammen. Das "Girlie-Wunder" ist keine Marketing-Erfindung der 1990er Jahre. Als Joe Lederers erster Roman "Das Mädchen George" 1928 im Berliner Universitas Verlag erschien, war die Jugendlichkeit der Autorin ein zentraler Bestandteil der PR-Kampagne - und dafür war die runde Zahl zwanzig einfach besser geeignet. Der Erfolg war jedenfalls beachtlich: 1933 waren bereits über 80.000 Exemplare verkauft.

Väterliche Männerfiguren

Tatsächlich wurde Josefine Lederer am 12. September 1904 in Wien geboren. Sie besuchte das für Mädchen damals einzig zugängliche Gymnasium Eugenie Schwarzwalds, musste dann aber in eine Handelsschule überwechseln, da nach dem frühen Tod des Vaters die finanzielle Lage der Familie immer schlechter wurde. Daneben nahm sie Schauspielunterricht beim Burgschauspieler Carl Forest, eine der vielen väterlichen Männerfiguren, in die sie sich verliebt hat. Ab 1922 arbeitete sie im Büro des Bankhauses Pollak, das 1924 Bankrott machte - subtil beschriebene Büroszenen finden sich in mehreren ihrer Romane.

Anfang 1925 wurde Lederer Redaktionssekretärin von "Bettauers Wochenschrift. Probleme des Lebens", herausgegeben von Hugo Bettauer und Rudolf Olden. Mit ihrem offenen und sexualaufklärerischen Gestus erregte die Zeitschrift den aggressiven Unmut der konservativen Presse, war aber beim Publikum mit einer Auflage von 60.000 Stück äußerst erfolgreich. In diesem Umfeld entwickelte Joe Lederer erste literarische Ambitionen und konnte einige Gedichte in der "Wochenschrift" platzieren. Nach der Ermordung Hugo Bettauers durch den Nationalsozialisten Otto Rothstock wird sie Privatsekretärin des Romanschriftstellers Balder Olden, dem Bruder von Rudolf Olden. Damit beginnt die unstete Reisetätigkeit, die hinfort ihr Leben prägen wird.

Ab 1926 lebt sie in Berlin und reist mit Olden immer wieder nach Italien. Das Großstadterlebnis Berlin und das Flair der Auf- und Umbruchsstimmung, das vor allem für junge Frauen eine Fülle an Möglichkeiten, aber auch den radikalen Verlust von Sicherheiten und Bindungen bedeutete, ist in vielen ihrer Romanen zu spüren. Ihre Protagonistinnen sind oft junge, im Berufsleben stehende Frauen, die ihre erotischen Bedürfnisse selbstbe-stimmt ausleben wollen, auch wenn sie dabei fast immer an den Konstellationen und äußeren Um-ständen scheitern. Es sind androgyne bis ätherische Frauenfiguren, die dem Geschmack der Zeit direkt entsprechen. Ein "Buch der Jugend unserer Zeit" lautete denn auch das Urteil der Kritik über Lederers Romanerstling, "Das Mädchen George". Hineinverwoben in dieses Buch ist auch ein gutes Stück ihrer eigenen Jugendgeschichte: der immer wieder thematisierte frühe Tod des Vaters, ihre Berufserlebnisse und die zurückgewiesene Liebe zum 22 Jahre älteren Balder Olden.

Temporeiche Stadtszenen

Schon in diesem ersten Roman benutzt Joe Lederer Techniken der "Verschaltung" von Erzählgestus und psychischer Befindlichkeit, etwa wenn sich im Stakkato der Sätze die mechanische Bewegung des dahinbrausenden Zuges mit der inneren Gehetztheit des reisenden Mädchens vermischt. Auch in ihrem 1930 erschienenen Roman "Musik der Nacht" ist das Erlebnis der Großstadtnächte der direkte Hintergrund der - unglücklich endenden - Liebesgeschichte. Mit der expressiven Bildlichkeit und der Montage von Reklamesprüchen,

Zitaten aus Schlagertexten oder Pressemeldungen in den Text ist Lederers literarische Großstadtaneignung auf der Höhe ihrer Zeit. In den temporeichen Milieuschilderungen und Stadtszenen, sei es in Wien, München, Berlin, Shanghai oder London, zeigt sich die sprachliche Qualität ihrer Romane am deutlichsten. Sie enthalten immer auch konkrete zeithistorische Informationen über die sozialen Verhältnisse.

Berlin bedeutete für die junge Autorin nicht nur neue Stoffe und neue Erzählformen, sondern auch neue Kontakte, zum Beispiel zum Film. Der Roman "Drei Tage Liebe" (1931) entstand nach einem Drehbuch, das Lederer für den gleichnamigen Film mit Hans Albers geschrieben hatte. Die Handlung hat durchaus kolportagehafte Züge, was mit dem Entstehungskontext zu tun hat. Sprachlich ist dieser Roman mit seiner stilistischen Atemlosigkeit und dem geschickten Einsatz greller und schräger Bilder ein beachtliches Dokument der Stadtwahrnehmung in der Zwischenkriegszeit. Der nächste Roman, "Bring mich heim" (1932), verarbeitet nicht nur Joe Lederers (unglückliche) Liebesgeschichte mit Hans Albers, sondern in dem Porträt der Berliner Vergnügungsgesellschaft auch ihre Erlebnisse in der Filmbranche.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten versuchte Joe Lederer trotz ihrer jüdischen Herkunft, sich ein ökonomisches Überleben zu sichern. Sie wurde am

8. September 1933 Mitglied der Reichsschrifttumskammer - und 1934 konnte ihr kleiner Roman "Unter den Apfelbäumen" noch erscheinen; im selben Jahr emigrierte sie nach Shanghai - in der für weibliche Exilanten typischen Rolle des Kinder- und Hausmädchens. 1935 kehrte sie tuberkulosekrank nach Wien zurück, lebte abwechselnd dort und in Italien, im billigen Fischerdorf Positano. Ihre finanzielle Lage war äußerst angespannt.

1936 übernahm der Wiener Zeitbild-Verlag die Rechte an ihren Büchern. In rascher Folge erschienen hier ihre nächsten Bücher. Der atmosphärisch dichte China-Roman "Blatt im Wind" (1936 ) thematisiert die Unmöglichkeit der Assimilation in der fremden Kultur - und auch die Kolonialherrenallüren der Europäer. Das Buch ist nach wie vor gut lesbar; eine 1993 erschienene Neuauflage bei Ullstein war bereits nach einem Jahr vergriffen. "Blumen für Cornelia" (1936) bringt erstmals das Problem des großen Altersunterschiedes in umgekehrter Konstellation; subtil gelingt Lederer in der Figur Cornelias das Porträt einer Frau, die mit den allmählich sich einstellenden Altersängsten kämpft. 1937 folgt der Roman "Ein einfaches Herz". Die sozial engagiert beschriebene Geschichte einer missbrauchten Dienstmagd aus einem böhmischen Dorf, die in Wien um 1900 um das Überleben für sich und ihr lediges Kind kämpft, zeichnet das Schicksal ihrer Mutter nach.

Trotz des fehlenden reichsdeutschen Buchmarktes sind die Bücher beim Publikum durchaus erfolgreich, auch Übersetzungsrechte werden verkauft. Doch zum Überleben reichen die Einnahmen kaum aus. Lederers Briefwechsel mit dem Zeitbild-Verlag dokumentiert den zermürbenden Kampf, bei dem es um geringe Summen geht, und um komplizierte Vereinbarungen, in welcher Form, Höhe und Reihenfolge diese zur Schuldentilgung an ihre Wiener Gläubiger ausbezahlt werden sollen. Doch einen Vermittlungsversuch Annemarie Selinkos beim Exilverlag Allert de Lange lehnt Joe Lederer noch 1939 ab, um sich "nicht zu exponieren". Das zeugt ebenso von einer radikalen Fehleinschätzung der Lage wie ihr Austritt aus der "israelitischen Religionsgenossenschaft", den sie noch im März 1938 von Positano aus organisiert - mit viel Mühe und wenig Effekt.

Stubenmädchen in England

1939 erhielt Joe Lederer nach vielen Interventionsversuchen ein "domestic permit", das mit der Verpflichtung, als Hausangestellte zu arbeiten, für mittellose Frauen die einzige Einreisemöglichkeit nach Großbritannien darstellte. Bis 1943 arbeitete sie als Stubenmädchen bei Gordon Turner, einem kulturell interessierten Industriellen. In seinem Haus verkehrten Schriftsteller wie Hilde Spiel, Peter de Mendelssohn - ihr ehemaliger Verlagskollege beim Universitas Verlag - und Stéphane Roussel. Trotzdem war die Arbeit für Joe Lederer anstrengend und wohl auch demütigend.

Von 1944 bis 1952 arbeitete sie als Sekretärin im Foreign Office in London und erhielt 1946 die britische Staatsbürgerschaft. 1956 übersiedelte sie nach München; der Verlag Kurt Desch übernahm ihre Werke, und sie gehörte damit 1973 zu den Opfern des so genannten Desch-Skandals. Der Verleger hatte Tantiemen in Höhe von mehreren Millionen Mark unterschlagen; auch Joe Lederer hat ihr Geld nie zurückbekommen. Bei diesem Verlag erschienen vier weitere Romane und zwei Prosabände.

"Letzter Frühling" (1955) thematisiert noch einmal die Liebe einer selbständigen Frau zu einem viel jüngeren Mann. "Unruhe des Herzens" (1956) und "Die törichte Jungfrau" (1960) entsprechen am ehesten dem Etikett "Frauen-Unterhaltungsroman". Wesentlich anspruchsvoller ist "Sturz ins Dunkel" (1957). Cora Lambert ist wie George in Lederers erstem Roman eine kleine Angestellte, und wie viele von Lederers Heldinnen agiert sie, als die Liebe sie erfasst, zielstrebig und selbstbewusst. Das endet besonders fatal. Der Mann, in den sie sich verliebt, ist ein Lustmörder - seine krankhafte Veranlagung wird dabei auf Kriegstraumata zurückgeführt. "Das Glück, um das sie gekämpft hatte, war ein Nichts gewesen." Dieser Satz ist als Kommentar zu den Liebesverwicklungen aller ihrer Frauenfiguren interpretierbar - und wohl auch als eine Art persönliche Bilanz.

Einblick ins Lebensunglück

Wie verloren sich Joe Lederer im Deutschland des Wiederaufbaus gefühlt haben muss, kann man auch in der kleinen autobiografischen Episodensammlung "Von der Freundlichkeit der Menschen" (1964) nachlesen. Da ist der Londoner Handtaschendieb, der ihr zwar nicht die gestohlenen Ausweise oder gar das Geld, aber doch das Foto ihres Freundes zurückschickt; ein Berliner Taxifahrer, der die nachts in einer verrufenen Gegend Verirrte aufliest und trotzdem nicht vergewaltigt; ein Mann, der zwar eine andere heiratet, aber zu ihrem Geburtstag dennoch regelmäßig Mimosen schickt; oder eine Bettlerin in Forte di Marmi, die einen versehentlich gegebenen, zu großen Lire-Schein zurückgibt. Die Aufzählung von Höhepunkten mitmenschlicher Zuwendung aus einem 60-jährigen Leben eröffnet einen wohl ungewollten Einblick in die ganze Dimension von Lederers Lebensunglück.

Auch die finanziellen Probleme blieben ihr nach der Rückkehr aus dem Exil treu. Immer in Geldnot, arbeitete sie zeitweise als Lektorin und Übersetzerin für den Desch Verlag, schrieb für den Rundfunk, für diverse Magazine und verfasste auch einige Drehbücher. 1987 stirbt sie vergessen und vereinsamt in einem Münchner Krankenhaus.

Zwar erfuhren eine Reihe ihrer Werke nach 1945 Neuauflagen und verkauften sich zum Teil nicht schlecht, doch an ihre Erfolge in der Zwischenkriegszeit kamen die Bücher nicht mehr heran. Nicht zuletzt auch deshalb, weil gerade jene Bücher "reanimiert" wurden, die literarisch nicht zu ihren gelungensten zählen, wie die harmlose Sommergeschichte "Unter den Apfelbäumen". Das hat mit der verlagsstrategischen Entscheidung zu tun, Joe Lederer nicht als sprachmächtige Erzählerin verschiedener Milieus und Ambientes zu etablieren, sondern mit gefühligen Titeln und entsprechender Umschlagsgestaltung auf die Schiene "Frauen-Unterhaltungsroman" zu stellen.

Aber gerade dafür eignen sich Joe Lederers Romane nur sehr bedingt. Wer Gefühle und Kolportagestories sucht, wird, von der panoramatischen Erzählweise überfordert, ihre Bücher leicht gelangweilt beiseite legen.

Freitag, 10. September 2004

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