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Vor 200 Jahren wurde der Dichter Eduard Mörike geboren

Mörike: Die Poesie der Innenwelt

Von Oliver Bentz

Mörike ist eines der eindrücklichsten Beispiele dafür, wie die herkömmlichen Maßstäbe, nach denen wir Menschen beurteilen, vor dem Genie versagen können. So beschrieb der Literaturwissenschaftler Hermann Villiger die Diskrepanz, die sich im Falle des Dichters Eduard Mörike zwischen "äußerer" und "innerer" Biographie ergibt.

Denn während die äußeren Daten und Fakten zum Leben Mörikes schnell aufgeschrieben sind und einen eher entscheidungsschwachen, untüchtigen und scheinbar wenig leistungsstarken Menschen zeigen, der sich bei seiner Arbeit als Pfarrer und Lehrer meist schon von kleinen Aufgaben überfordert sah, ist seine "innere" Biographie ein wilder, geheimnisvoller, geradezu unheimlicher Kosmos, wie ihn wohl nur wenige Leben aufzuweisen haben.

Das an äußerlichen Begebenheiten arme Leben dieses bedeutenden Schriftstellers des 19. Jahrhunderts, der über die Grenzen des Königreichs Württemberg kaum hinauskam, führte wohl dazu, dass viele in ihm nur den weltabgewandten, biedermeierlichen Dorfpfarrer und Idyllendichter in "Schlafrock und Pantoffeln" sahen. Dass Mörike viel mehr war, nämlich ein Meister des Rollenspiels und ein lyrischer Virtuose von großer Vieltönigkeit und Formkunst, erkannte man ebenso erst später wie die Doppelbödigkeit und die psychologischen Momente vieler seiner Werke.

Zum Theologen bestimmt

Vor 200 Jahren - am 8. September 1804 - in Ludwigsburg als Sohn eines Arztes geboren, wurde Mörike nach dem frühen Tod des Vaters mit 13 Jahren in die Obhut seines Onkels, des in Württemberg hochgeachteten Obertribunalpräsidenten und bedeutenden Juristen Eberhard Friedrich Georgii, nach Stuttgart gegeben. Nach dessen Vorstellungen sollte der Junge später Theologe werden. Er erhielt die dafür im damaligen Württemberg traditionelle Ausbildung und besuchte nach dem Gymnasium in Stuttgart das "Niedere theologische Seminar" in Urach und dann das berühmte Tübinger Stift, in das er 1822 eintrat.

Schon hier zeigte sich aber, dass sich der Wunsch der Familie und die Ziele des jungen Mörike nicht deckten. Ohne besondere Begeisterung absolvierte er die philosophischen und theologischen Studien und zeichnete sich mehr durch Arreststrafen denn durch besondere Leistungen aus. Viel mehr interessierte ihn der schwärmerische Freundschaftsbund mit Ludwig Bauer und dem frühbegabten Dichter Wilhelm Waiblinger, mit dem er schon in der Uracher Zeit bekannt gewesen ist. Mit den Freunden zog er sich immer wieder in ein Reich der Phantasie und der Poesie zurück. "Orplid" nannten Bauer und Mörike die utopische Inselwelt, die sie gemeinsam ersannen, bedichteten und die für sie lebenslang zum Sinnbild für Ferne, Freiheit und paradiesische Ursprünglichkeit werden sollte.

Nicht verwunderlich ist, dass sich ein Mensch wie Mörike für Friedrich Hölderlin interessierte, der damals in geistiger Umnachtung in der Stadt am Neckar dahindämmerte. Mörike besuchte ihn des öfteren, zusammen mit Wilhelm Waiblinger. In der Erzählung "Im Pressel'schen Gartenhaus" thematisierte Hermann Hesse später diese Zusammenkünfte.

In Ludwigsburg hatte Mörike zu Ostern 1823 jene Begegnung, die ihn sein ganzes weiteres Leben beschäftigen sollte: Maria Meyer hieß die schöne und ungemein kluge Landstreicherin, die dort für einige Zeit eine Anstellung in einem Gasthaus gefunden hatte. Der junge Mann, so der Mörike-Herausgeber Bernhard Zeller, "verfiel einer leidenschaftlich aufwühlenden Liebe, deren Glut seine Existenz erfasste, ihn im Innersten ergriff und verstörte". Wie sie gekommen war, so verschwand die Vagabundin auch wieder. Als sie 1824 noch einmal nach Tübingen kam, um Mörike zu sehen, versteckte er sich vor ihr und suchte Rat bei der Familie, vor allem bei der älteren Schwester. Die Verwandten rieten ihm, der verderblichen Liebe zu entsagen. Trotzdem aber - so vermutet heute die Mörike-Forschung - scheint er die einstige Geliebte aber noch einmal kurz gesehen zu haben.

Die "Peregrina"-Gedichte

Vergessen aber sollte Mörike Maria Meyer nie mehr. Die schönsten seiner Dichtungen kreisen um diese Frau, mit der das Rätselhafte und Dämonische Mörikes Leben noch mehr in Beschlag nahm. Die fünf "Peregrina"-Gedichte, in die Maria Meyer einging, beschäftigten den Dichter von 1824 bis an sein Lebensende. In der Figur der Zigeunerin Elisabeth fand sie zudem Eingang in "Maler Nolten", Mörikes 1832 erstmals erschienenen und 1853 sowie 1875 überarbeiteten Künstlerroman. Die Form dieses Romans entspricht der Forderung, alle Literaturgattungen im Roman zu vereinigen. So finden sich in diesem Werk, einem poetischen Spiegelbild des Dichters, lyrische Einlagen wie der "Peregrina"-Zyklus, ebenso dramatische Einschübe, etwa das Dramolett "Der letzte König von Orplid".

Nachdem Mörike im Oktober 1826 sein Examen in Tübingen abgelegt hatte, folgten acht Jahre der nomadischen Wanderschaft als Vikar in verschiedenen kleinen Dorfpfarreien. Als "Vikariatsknechtschaft" empfand der wenig begeisterte Theologe diesen Dienst, und er wurde unzufrieden und verzweifelt: "Mit Knirschen und Weinen kau ich an der alten Speise, die mich aufreiben muss", schrieb er über diese Zeit, während der sein kurzfristig unternommener Versuch, sich als freier Schriftsteller zu etablieren, ebenso scheiterte wie die Verlobung mit der Pfarrerstochter Luise Rau. Sie löste 1833 das Verlöbnis, weil der unstete Mörike keine Familie hätte ernähren können.

Viele seiner für Luise geschriebenen Gedichte gingen ebenfalls in den "Maler Nolten" ein, in dem sie unter dem Namen Agnes auch den Gegenpart zur Zigeunerin Elisabeth einnimmt.

Idyll in Cleversulzbach

1834 erhielt Mörike dann endlich die ersehnte Pfarrstelle in Cleversulzbach, wo er für fast zehn Jahre bleiben sollte. Diese Periode bezeichnete er später als seine glücklichste Zeit, während der er sich seinem literarischen Schaffen ergiebig widmet konnte. In der Idylle "Der alte Turmhahn" hat er das Glück dieser Tage beschrieben.

Doch auch hier verdunkelte sich das Gemüt des gesundheitlich labilen Mannes, dem die Alltagsgeschäfte eines Geistlichen immer mehr über den Kopf wuchsen, bald wieder. 1843 ließ er sich deshalb schon mit 39 Jahren "wegen dauernden Krankheitsumständen" auf eigenen Wunsch in den finanziell spärlich ausgestatteten Ruhestand versetzen. Schon 1827, im Jahr nach dem Abschluss des Studiums, hatte Mörike an einen Freund geschrieben, dass das geistliche Leben nicht für ihn taugen würde und die Poesie "das einzige", sei worin er "noch etwas gutes tun" könne.

Er lebte danach meist in Stuttgart, der "Hauptstadt, in der er sein Heil auch einmal probieren" wollte,

zusammen mit seiner jüngeren Schwester Klara in einer Hausgemeinschaft, die er auch aufrecht erhielt, nachdem er 1851 Margarethe Speeth geheiratet hatte. Zwischen der Ehefrau und der Schwester wusste sich Mörike nie zu entscheiden - ein Umstand, der viele Spannungen ins Haus brachte und allen Beteiligten den Alltag schwer machte.

Am Stuttgarter Katharinenstift lehrte Mörike Literatur und schrieb für verschiedene Literaturzeitschriften. Auch am literarischen Leben der Stadt nahm er für einige Zeit regen Anteil. Mit Schriftstellerkollegen wie Theodor Storm, Paul Heyse und Friedrich Hebbel pflegte er ebenso Kontakt wie mit dem Maler Moritz von Schwind, der auch Illustrationen für seine Texte schuf. Mit dem Märchen vom "Stuttgarter Hutzelmännlein" (1853) und der eingeflochtenen "Geschichte von der schönen Lau" schuf Mörike eine zarte und innige Liebeserklärung an seine schwäbische Heimat.

Poetische Meisterwerke

Sprachliche Schönheit und schlichte Volkstümlichkeit kennzeichnen Mörikes Lyrik. "Er hat", so Bernhard Zeller, "dem Gedicht neue Ausdrucksmöglichkeiten gewonnen und eine neue Verfeinerung der lyrischen Sprache erreicht. Mannigfaltig wie die Formen sind die Themen und Stoffe der Gedichte. Die Natur in der Vielfalt ihrer Erscheinungen begegnet sehr häufig; die Dämmerung zwischen Tag und Nacht, aber auch die morgendliche Frühe sind beliebte Motive."

Von bedeutenden Komponisten wie Robert Schumann, Johannes Brahms, Othmar Schoeck oder Hugo Wolf wurden diese Dichtungen vertont. Wolfs Kompositionen waren es auch, die Mörikes Namen in aller Welt bekannt machen sollten.

1855 erschien die Novelle "Mozart auf der Reise nach Prag" - eine der schönsten Künstlergeschichten der deutschen Literatur. In diesem Buch, in dem auch das innige und kenntnisreiche Verhältnis des Dichters zur Musik zum Ausdruck kommt, greift Mörike den romantischen Gedanken, der dem Künstler gegebenen Todessehnsucht auf, der bereits im "Maler Nolten" angelegt ist und später von Thomas Mann wieder aufgenommen werden sollte.

Mit viel Lust am Fabulieren, an der Ausmalung von Details und am Spiel mit verschiedenen Erzählperspektiven setzt sich Mörike dabei über die Grenzen der Novelle hinweg. Die geschilderte, frei erfundene Episode, in der Mozart zusammen mit seiner Frau auf dem Weg zur Erstaufführung seiner Oper "Don Juan" nach Prag in eine adelige Gesellschaft gerät, fand bei der Kritik, die in der Novelle das Spiegelbild der Mozartschen Musik sah, begeisterte Aufnahme.

Seine bescheidenen finanziellen Verhältnisse hatten Mörike auch in seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten gezwungen, mehrmals umzuziehen, ehe er sich 1871 endgültig wieder in Stuttgart niederließ. Dort starb der Dichter, der in seiner Kunst nach eigenem Bekunden den Versuch sah, "das zu ersetzen, was die Wirklichkeit uns versagt", am 4. Juni 1875.

"Die Realität seines Lebens", so schreibt Bernhard Zeller, "war die Innenwelt seiner Poesie mit ihren Träumen und Phantasien; aus ihr erwuchs seine Dichtung." Eduard Mörike liegt auf dem Stuttgarter Pragfriedhof begraben.

Freitag, 03. September 2004

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