Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Vor 50 Jahren starb Fritz von Herzmanovsky-Orlando

Herzmanovsky-Orlando: Ein genialer Amateur

Von David Axmann

Vor mir liegt das "Jahrbuch des kaiserl. königl. Hof-Burgtheaters für das Jahr 1908", "herausgegeben von Lina Männel, Souffleuse am k. k. Hof-Burgtheater", erschienen "im Selbstverlage der Herausgeberin". Das fängt ja gut an! Aber es wird noch viel besser. In diesem schmalen Bändchen ist ein ganzer Kunst-Kosmos enthalten, von der k. u. k. General-Intendanz der k. k. Hoftheater über die Rechnungs-Abteilung, die Verwaltung des Theatergebäudes wie des Depots, Direktion, Schauspielpersonal, Komparserie, verschiedene Dienste (Bühne, Beleuchtung, Requisiten, Garderobe) bis zum "Verzeichnis der Geschäftsleute, welche für das k. k. Hof-Burgtheater Waren und Arbeiten liefern". Wir begegnen namentlich allen Personen, die zum (hoffentlich reibungslosen) Betrieb des Unternehmens beigetragen haben, etwa dem Kanzleidirektor Viktor Horsetzky Edler von Hornthal, dem Hofzahlamts-Kontrollor Moritz Boller, k. k. Militär-Rechnungs-Akzessist i. d. R., dem Hofadjunkt Silvio Fuchs von Grünfeld, dem Amtsdiener Achilles Farina, dem Versenkungsvorarbeiter Karl Schöberl oder den Transportvorarbeitersubstituten Thomas Großkopf und Engelbert Exinger.

Realität und Vision

Von hier aus führt ein, freilich kunstreich verschlungener, Pfad zu jenem so absurd, komisch, bizarr und skurril anmutenden Personal, welches das Werk von Fritz von Herzmanovsky-Orlando bevölkert. Greifen wir aus der vielfältigen Schar seiner epischen und dramatischen Figuren ein paar exemplarische heraus: Orpheus Graf Wumpsbrandt, Oberstküchenmeister von Kärnten; Philipp Bogumil Hahn, Edler von Hennensieg, Mehlwurmhändler; Zephyses Zumpi, kaiserl. Hofzwerg i. R.; Baron Eichfloh, kgl. bayerischer Oberhofjägermeister; Zwölfaxinger Franz, k. erbl. Bahnwärter; General Hopsetic, Lord Earthquake, Cleopatra Klicpera; Escamillo Sindelar, ein Nervenbinkel; Vanilius Krepetz, Kerkermeister; Rudi Lallmayer, hohlröhrender Mime und Aspirant des Burgtheaters.

Fritz von Herzmanovsky-Orlando war von der Wirklichkeit, notabene von seiner im Habsburgerreich verwurzelten Wirklichkeit, gar nicht so weit entfernt, wie sein phantastisches, aber eben nur scheinbar weltentrücktes Œuvre es vermuten ließe: Denn er errichtete auf der altösterreichischen Realität eine rückwärts gewandte Vision. Wer aber war Fritz von Herzmanovsky-Orlando? Wer war dieser sonderbare Mann, dieser eigentümliche Schriftsteller, den ein so empfindsamer wie scharfsichtiger Kritiker als einen "ins Groteske umgekippten Kafka" bezeichnet hat?

Fritz von Herzmanovsky-Orlando, der vor 50 Jahren, am 27. Mai 1954, in Meran gestorben ist, war laut Friedrich Torberg (von dem hier noch mehrmals die Rede sein wird) "sozusagen eine schwarzgelbe Mustermischung". Schon in seinem Namen mischten sich drei Elemente der Habsburger Monarchie, das deutsche, das slawische, das italienische. Unter seinen Vorfahren sollen sich Kreuzfahrer befunden haben, die von Griechenland nach Italien gekommen waren; väterlicherseits war er von wienerischer und mäherischer Abkunft, mütterlicherseits von italienischer und byzantinischer.

1877 in Wien als Sohn eines Beamten geboren, studierte Fritz von Herzmanovsky-Orlando Architektur, war einige Jahre bei einer Denkmalskommission und später in einem Ingenieurbüro beschäftigt; 1916 zog er sich von jeder beruflichen Tätigkeit zurück und lebte fortan in Meran. Er beschäftigte sich mit pseudowissenschaftlichen Forschungen über okkulte Probleme, er las keine schöne Literatur, sondern vornehmlich Reiseberichte und Witzblätter, vertiefte sich in die Ortsnamensforschung und in Heraldik-Studien; er unternahm auch Reisen, sammelte Grafik und Gemälde, er zeichnete, malte zudem selbst - und er schrieb allerlei sonderbare, eigentümliche Texte - Romane, Erzählungen, Lustspiele, Ballette.

"Wie sonst selten, höchstens bei Kafka" - konstatierte Herbert Rosendorfer -, "stimmen bei Herzmanovsky Leben und Werk überein". Er war - sagte Torberg - "ein Amateur im edelsten und ursprünglichen Verstand des Wortes, ein Liebhaber nicht nur aus Neigung, sondern aus Phantasie".

Gaulschreck im Rosennetz

Auf seinen phantastischen Gedankengängen durch eine in blauer Vorzeit entsprungene und, wie er glaubte, immer noch fortwährende Lebenswirklichkeit drang Herzmanovsky-Orlando in bizarre, skurrile Traumbilder eines geheimnisvollen, ja mystischen Österreich ein. Er war nämlich, so Rosendorfer, "zutiefst überzeugt, dass die Antike, die große heidnische Welt, die alte Mythologie durch den Einbruch der christlichen Lehre in die abendländische Gesellschaft nicht restlos untergegangen" sei.

Die uralten Mythen lebten im Werk Herzmanovskys auf wundersam verblüffende Weise weiter fort. Österreich als Haupterbe der griechischen Geisteswelt sollte im Zentrum einer, allerdings unvollendet gebliebenen, Trilogie stehen, von welcher nur der erste Teil, "Der Gaulschreck im Rosennetz", noch zu Lebzeiten des Autors erschienen ist, und zwar im Jahr 1928, damals aber nur eine kleine Fangemeinde gefunden hat.

In dieser verzweifelt-komischen Geschichte aus dem vormärzlichen Wien sehen wir einen Hofsekretär, dessen patriotische Lebensaufgabe darin besteht, dem Kaiser Franz zum 25-jährigen Regierungsjubiläum ein Tableau zu überreichen, auf dem ein aus 25 Milchzähnen gebildeter Fünfundzwanziger prangen soll. In dem kuriosen Beamten, der den nicht ganz alltäglichen Namen Jaromir Edler von Eynhuf trägt, dürfen wir mit Fug einen spätgeborenen Pan vermuten.

24 Zähnchen hat der kaisertreue Untertan schon beisammen - das letzte noch fehlende will er sich von der berühmten Opernsängerin Höllteufel erbitten. Um in ihre Nähe zu kommen, ersinnt er eine originelle Camouflage: er verkleidet sich als riesengroßer Schmetterling und besucht ein Maskenfest, auf dem auch die gefeierte Diva auftritt, und zwar als Rosenbukett. Doch Eynhufs Plan misslingt kläglich. Und nach dem Ende des Festes segelt er, von Windböen gepackt, als ein zerzauster "Gaulschreck" durch Mariahilf. Damit des Unglücks nicht genug, hat sich der tragikomische Hofsekretär auch noch in die Höllteufel unsterblich verliebt und lässt in Folge dessen nichts unversucht, der adorierten Künstlerin Gegenliebe zu erringen.

Im Zuge der daraus entspringenden, durchwegs absonderlichen Ereignisse gerät der allzu schicksalsmächtig aus der Bahn geworfene Zähnchensammler in immer gefährlichere, peinlichste Situationen, so dass er schließlich zu der unausweichlichen Erkenntnis gelangen muss, sein Leben völlig ruiniert zu haben. Keinen Ausweg mehr sehend, fasst Eynhuf einen selbstmöredrischen Entschluss: "Hörte draußen schon Dröhnen und Trappeln, fasste die Pistole, aus der er gerne Freudenschüsse abzugeben pflegte zur Verherrlichung des Namensfestes seiner Landesherren oder am Tage Leopoldi, des Provinzpatrons, fand keine Kugel, raffte die Milchzähne mit zitternden Händen alle zusammen und stopfte sie, den blauen Pensionierungsbogen, der schon auf dem Tische lag, als Pfropfen benützend, in den Lauf..."

Als Herzmanovskys Hauptwerk gilt das "Maskenspiel der Genien", ein ebenfalls mystisch angelegter Roman über Österreichs europäische Sendung. Ort der Handlung ist ein irgendwo zwischen Venedig, Krain und Kroatien gelegenes, von vier Königen regiertes Traumreich, das nach dem klassischen Kartenspiel der einstigen Monarchie "Tarockanien" heißt. Dort feiern Polizei, Behörden, kurzum die gesamte Bürokratie, wahre Orgien an Selbstbestätigung und Selbstentlarvung.

Eben diese ins Groteske überhöhte Darstellung einer ehedem realiter existierenden Weltanschauung hat den Nachruhm des Autors am kräftigsten begründet: Das Epitheton "herzmanovskysch" steht heutzutage eher selten für dessen verschroben-geheimnisvolle Ansichten einer möglichen Gegenwart sich überlebt habender altgriechischer Schicksalsräume, sondern vielmehr fast immer für eine scheinbar lächerliche, vielleicht aber doch nicht ungefährliche Lebensordnung österreichischer Provenienz.

Torbergs Hilfsprogramm

Dass Herzmanovsky-Orlando der Öffentlichkeit überhaupt bekannt geworden ist und in der Literaturgeschichte heute eine Rolle spielt, wenngleich nur die eines kuriosen Außenseiters, ist Friedrich Torberg zu verdanken. Schon 1935 war der damals 27-jährige Torberg (seit seinem Debutroman "Der Schüler Gerber hat absolviert", 1930, ein viel gelobtes Nachwuchstalent) mit Herzmanovsky in Kontakt gekommen. Schon damals versuchte er, den älteren, erfolglosen Schriftstellerkollegen, zu dessen "ersten und aufrichtigsten Bewunderern" er sich zählte, einem größeren Publikumskreis bekannt zu machen.

Aber erst nach seiner Rückkehr aus der Emigration, 1951, lief Torbergs Hilfsprogramm für Herzmanovsky dann so richtig an. Der kauzige Literaturamateur, begierig sich der Welt zu offenbaren, war von permanentem Pech verfolgt: 32 Verlagen hatte er sein Werk zur Veröffentlichung angeboten, von allen hatte er abschlägige Bescheide erhalten. Was angesichts des Zustands des Werks keineswegs verwunderlich war. Sein Autor hatte nämlich durchaus keine Lust, herkömmliche Kunst-Formen und Kunst-Regeln einzuhalten.

So sah sich Torberg, der spätere Bearbeiter und Herausgeber des literarischen Nachlasses von Herzmanovsky-Orlando, "einem wahren Dschungel von üppig wucherndem Literaturprodukt" gegenüber, "einem betörend selbstherrlichen Phantasie- und Fabulierdickicht, das er zu sichten, zu roden und gangbar zu machen" hatte. Die von Torberg erstellte vierbändige Werkausgabe, zwischen 1957 und 1963 im Langen Müller Verlag erschienen, machte die literarische Öffentlichkeit mit dem Phänomen Herzmanovsky bekannt und erschloss dessen so urtümlich-österreichisches wie bizarr-dämonisches Œuvre einer breiten Leserschaft.

Emsige Germanisten, die Torberg partout nicht glauben wollten, dass ein unbearbeiteter Herzmanovsky kein reines Vergnügen und über weite Strecken kaum genießbar sei, haben rund drei Jahrzehnte später seine "Sämtlichen Werke in zehn Bänden", ausführlich kommentiert, im Residenz Verlag herausgegeben.

Keine Glaubensfrage, sondern eine Tatsache ist es hingegen, dass ohne Torberg Herzmanovsky so gut wie unbekannt geblieben wäre; auch den Germanisten. Und darauf konnte sein Bearbeiter mit Recht stolz sein. "Ich nehme", sagte Torberg, "zwei Gewissheiten mit ins Grab: wenn in Zukunft zehn österreichische Autoren aufgezählt werden, ist Herzmanovsky-Orlando darunter. Das habe ich fertiggebracht. Und wenn drei Herzmanovsky-Sätze zitiert werden, so ist mit Sicherheit einer davon von mir."

Freitag, 21. Mai 2004

Aktuell

Erlebniswohnen in "G-Town"
Alles unter einem Dach: Die neue Lebensqualität in den Gasometern ist relativ
Drei Mädchen aus zwei Welten
Ceija, Sonja und Elvira – die Geschichte einer ungewöhnlichen Frauenfreundschaft
Kein "Lügner des Guten" sein
Der Präsident des "Internationalen Komitees vom Roten Kreuz" (IKRK) im Gespräch

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum