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Der österreichische Dichter Michael Guttenbrunner

Guttenbrunner, Michael: Scharfsichtig und hellhörig

Von Christian Teissl

Vor 28 Jahren erschien in einem kleinen westdeutschen Verlag eine schmale Sammlung höchst konzentrierter Kurzprosastücke unter dem Titel "Im Machtgehege". Ihr Autor, Michael Guttenbrunner, hatte bis dahin ausschließlich als Lyriker größere Bekanntheit erlangt, als Verfasser überaus bildkräftiger Gedichte, in denen sich die Empörung über Unrecht und Gewaltherrschaft ebenso deutlich artikuliert wie eine ungebrochene Daseinsbejahung. Der größte Teil seines lyrischen Werks lag zu jenem Zeitpunkt bereits vor, in den Bänden "Schwarze Ruten", "Opferholz", "Ungereimte Gedichte", "Die lange Zeit" und "Der Abstieg"; Guttenbrunners frühe Prosaarbeit, "Spuren und Überbleibsel", kurz nach Kriegsende in Klagenfurt erschienen, war hingegen längst vergriffen; sein Periodikum "Das Ziegeneuter", das er über einen Zeitraum von zwölf Jahren herausgab, gelangte ausschließlich Eingeweihten zur Kenntnis.

Mit dem (ersten) Band "Im Machtgehege" wurde im Werk des 1919 geborenen Dichters ein neuer, bis dahin unbekannter Impuls bemerkbar, der, nach einer längeren Unterbrechung, in steter Kontinuität bis zum heutigen Tag wirksam blieb und weiter fortwirkt: Erst kürzlich ist, im Aachener Rimbaud-Verlag, der achte Band "Im Machtgehege" erschienen. An den wesentlichen Motiven und Themen wie auch am Kompositionsprinzip, das in der Reihung knapper, unbetitelter, vielfach zu thematischen Gruppen zusammengefasster Prosastücke besteht, hat der Autor von Anfang an unbeirrbar festgehalten. Was nunmehr, in gebündelter, aber keineswegs abgeschlossener Gestalt, vorliegt, ist ein Kompendium, das in der österreichischen Literatur ohne Beispiel ist.

Es greift zu kurz, diese Sammlung, die einem dichten Gewebe aus vielen Fäden gleicht und sich nach verschiedenen Richtungen hin ausbreitet, als eine "Autobiographie in Fragmenten" aufzufassen. Zwar ist ihr autobiographischer Charakter offenkundig, doch erschöpft sie sich keineswegs darin, den Lebensweg und die Entwicklung des Dichters skizzenhaft nachzuzeichnen und einzelne Stationen seines Weges in der Rückschau festzu- halten, sondern geht weit darüber hinaus, in das Terrain der Reflexion und der Zeitkritik jenseits aller Schablonen.

Grau gewordene Schriften

Einen wichtigen Hinweis auf Ursprung und Anlage der "Machtgehege"-Prosa enthält der im Vorjahr erschienene siebente Band der Sammlung, und zwar in Gestalt der folgenden Notiz, die sich als programmatische Standortbestimmung des Dichters lesen lässt:

"Ich schreibe wie Peter Altenberg, 'was der Tag mir zuträgt', und übe so einen Journalismus, der nichts an den Tag zurückgibt und zunächst kaum jemandem zur Kenntnis gelangt; oft jahrelang sondierender und stilisierender Feile hingegeben. Erst grau geworden, kommen Schriften an den Tag. Und es gibt auch noch ein anderes Schreiben; und zwar aus dem vorweltlich gespeisten Widerwillen einer Überkraft heraus, die vom jeweils erreichten Ziel ganz durchwachsen ist; und von einem Urbild gesegnet. Dem verdankt sich meines Schreibens anderer Teil."

Für beide Teile seines Schreibens finden sich in den acht Bänden "Im Machtgehege" Beispiele in großer Zahl, sind sie doch nicht auf einen einheitlichen Ton gestimmt, sondern enthalten verschiedene Tonfälle: Manches erscheint in seiner spontanen Diktion als ein Tagebuchblatt, etliche Texte wiederum sind sorgfältig abgerundete und lang mit der Feile bearbeitete Erinnerungsbilder: von der ärmlichen Kindheit in Kärnten und vom Krieg, der Guttenbrunners Jugend überschattete und dominierte; von Landschaften und Freundschaften; und von nachhaltigen Erlebnissen, die dem Dichter zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten zuteil geworden sind. Hinzu kommen noch, in präziser Ausführung, Porträts und Gedenkblätter, des Weiteren Glossen zu sprachlichen und architektonischen Verfehlungen, und schließlich, in geringer Zahl, Nachdichtungen (vor allem von Texten des waadtländischen Dichters Ramuz).

Einzelne Prosastücke datieren weit zurück, manche stammen aus den sechziger und siebziger Jahren, das Gros jedoch ist in den letzten Jahren entstanden. Die acht Bände "Im Machtgehege" bilden keine Chronologie, wie dies etwa bei einem Journal der Fall wäre, sie sind vielmehr mosaikartige, kreisförmig angelegte Collagen, die sich zwanglos, aber keineswegs beliebig aneinander reihen.

Lakonische Anschaulichkeit

Der Prosaist Guttenbrunner gleicht in seiner Art einem Graphiker;

er malt nichts aus, er zeichnet

die Umrisse, hält Licht und Schatten, Linien und Flächen fest, die klar voneinander abgegrenzt sind. Seine Sätze muten überaus nüchtern und lakonisch an und sind doch stets von einer Anschaulichkeit, die bezwingend ist. Dies wird nicht zuletzt in jenen Skizzen deutlich, in denen er von seiner Kindheit und Jugend spricht,

und vor allem in der Beschrei-

bung seines Heimatortes Althofen, einer präzisen Ortsvermessung, die am Anfang des fünften Bandes steht.

Es ist innerhalb der stetig angewachsenen Sammlung "Im Machtgehege" keine Entwicklung im engeren Sinn erkennbar; bei der Lektüre jedes weiteren Bandes findet man den Autor an jenem Ort wieder vor, an dem man ihn das letzte Mal verlassen hat. Jeder Band bietet neue Verästelungen ein- und desselben Stammes, der unverrückbar feststeht. Es sind, in aufsteigender Linie, dieselben Dinge und Sachverhalte, die der Autor streift und umkreist, die alten, nur schlecht vernarbten Wunden, an die er mit großer Beharrlichkeit rührt, und die immer wieder aufs Neue verübten Gewaltakte gegen das Recht und gegen die Sprache, die er festhält und mit knappen Worten glossiert. Dabei ist er frei von jeder Tendenz, jeder Ideologie und praktiziert sein Schreiben als einen individuellen Widerstand gegen das Vergessen und vor allem auch gegen das "Geschwätz der Zeit".

Guttenbrunner hat sich schon in frühen Jahren den jeweils aktuellen Debatten weitgehend entzogen, doch sich nicht von der Welt abgeschottet. Seine Einsamkeit als Dichter, sein Alleingängertum haben ihm keine "Unberührbarkeitssphäre" verliehen, und so ist er nie esoterisch geworden. Schlägt man den ersten Band von "Im Machtgehege" auf, findet man darin die folgende sarkastische Miniatur, die, wie so vieles in diesen Bänden, ein indirektes Selbstzeugnis ist:

"Zuerst, so lange sie noch jung und dumm sind und auf alles pfeifen, treten sie als Lyriker auf. Später streichen sie die schlaffen Segel, in die kein großer Wind bläst, und die Reihen lichten sich. Einige wenige sterben, werden in den Tod getrieben, während die andern, die sich noch lange nicht begraben lassen, sich ein besseres Geschäft suchen, bei dem mehr auf dickere Haut geht. Wer keine bloße Mystifikation war, wird Professor, Impresario, Verlagsdirektor, wenn er es nicht überhaupt vorzieht, die Welt zu verändern. Nur eine einzige Säule schreibt dann noch Verse und hält sich eisern, und steht als letzter Mohikaner da."

Unrecht, Krieg, Gewalt

Die prägenden Erfahrungen Guttenbrunners waren zum einen das Leben im nazistischen Mord- und Unrechtsstaat und zum andern der verbrecherische Krieg, mit dem dieser Staat ganz Europa überzog. Dem größten Teil seiner Lyrik wie seiner Prosa bis in die Gegenwart ist dieses verstörende Grunderlebnis entfesselter Gewalt in allen seinen Facetten eingeschrieben. Auf die Gräuel des Krieges und die

Gefangenschaft, die er in jungen Jahren wiederholt erlitten hat -

das erste Mal bereits mit 16 Jahren, 1935, aufgrund seiner Betätigung für die illegale sozialistische

Partei -, kommt er immer wieder zurück, auch in seinem neu-

esten Buch finden sich entsprechende Erinnerungssplitter und Miniaturen.

Die Antwort Michael Guttenbrunners auf jene Zeit der "Rechtsverächter und Menschenschlächter" war zorniges Aufbegehren; es brachte ihn drei Mal vors Kriegsgericht und führte ihn schließlich in den Widerstand. Wenn er auch dem Krieg mit knapper Not entronnen ist, so blieb er doch von ihm gezeichnet. Schmerz und Empörung markierten den Weg, den er als junger Dichter bereits einschlug, und die Revolte jenseits aller Gruppierungen und Parteiungen blieb sein Element. Dem Kulturbetrieb der Nachkriegszeit stand er mit großer Distanz gegenüber, auch wenn ihn mit einigen seiner wesentlichen Vertreter und markantesten Erscheinungen, etwa dem Maler Herbert Boeckl, Freundschaften verbanden. Aufgrund seiner oft heftigen Auseinandersetzungen mit Ewiggestrigen, die er keineswegs scheute und die ihn mehrmals vor Gericht brachten, setzte die heimische Presse alles daran, ihn zum öffentlichen Ärgernis zu stilisieren und als "nicht gesellschaftsfähig" abzustempeln.

Als Lyriker allerdings hat Guttenbrunner schon früh Anerkennung gefunden: 1954 sprach man ihm den Georg Trakl-Preis zu, zwölf Jahre darauf den Österreichischen Staatspreis für Lyrik; er musste allerdings auch viel an Häme einstecken, so etwa von Peter Rühmkorf, der den Band "Ungereimte Gedichte" nach dessen Erscheinen 1959 zerpflückte. Wenngleich er von Anfang an ein politischer Dichter gewesen ist, war er es doch nicht in dem Sinne, der nach 1968 Konjunktur hatte. Er zielte selten auf realpolitische, tagespolitische Sachverhalte ab, sein Standpunkt war und ist gleichsam ein übergeordneter; es geht ihm in erster Linie um Recht und Gerechtigkeit an und für sich, und nicht um aktuelle politische und soziale Konflikte. Ihm ist der in den siebziger Jahren zur Mode gewordene Anspruch, "brauchbare Texte" zu schreiben, völlig fremd. In seiner vor zehn Jahren verfassten "Selbstschau" betonte er in diesem Zusammenhang, "dass Gedichte, wie ich sie auffasse, keine Lehrstücke sind und dass ich stets verschmähte, in Gedichten theoretische Schlüsse zu ziehen. Also nichts als Affekt und Attacke; und nicht Unterricht, sondern Erschütterung."

Einfache Versgebilde

Die spezifische Qualität von Guttenbrunners Gedichten erweist sich an einem Gedicht aus dem Band "Die lange Zeit" von 1965; es wurde wiederholt in Anthologien aufgenommen und gehört zum Besten seiner Lyrik. Der Text, in dem das angesprochene Moment der Erschütterung zum Tragen kommt, ist ein in seiner Art einfaches, erlebtes Versgebilde, abgefasst im kargen Tonfall eines Berichts: "Als ich nach Raron kam, / saß am Brunnen beim Matzenhaus / ein altes Weib ,/ das einer schwarzen Sau/ den Goder kratzte. / Von der Besichtigung / des berühmten Grabes zurückgekehrt, / sah ich das Schwein / geschlachtet am Galgen hängen / wie ein aufgeschlagenes Messbuch."

Für Guttenbrunner bedeutete das Schreiben nie einen Rückzug in ein nebuloses Ästhetentum, nie die Flucht in ein mit schönen Gegenständen ausstaffiertes Reservat. Er nahm und nimmt immer, zornig und traurig, scharfsichtig und hellhörig, Anteil an seiner Gegenwart, setzt in unwegsamem Gelände seine Sonde an und wird nicht müde, sie zu halten und zu erkunden, was sie zutage fördert. Mit dem, was man "Vergangenheitsbewältigung" nennt, hat Guttenbrunner ebenso wenig zu tun wie mit der antifaschistischen Konjunktur der letzten zwanzig Jahre (von der er sich in einer Rede 1994 ausdrücklich distanziert hat).

Sein bisheriges Werk, das fälschlicherweise immer noch als "abseitig" und "schwer zugänglich" gilt, ist langsam, aber stetig gewachsen; es entzieht sich weitgehend den Kategorien der Literaturwissenschaft und der Kritik. Keinerlei Parolen sind ihm zu entnehmen und auch nicht das, was allgemein als "Sensation" gilt; doch birgt es einen Reichtum an Beobachtungen und Einsprüchen, Gestalten und Gesichten, die in eine zwingende sprachliche Gestalt übersetzt sind.

Alle Bände von "Im Machtgehege" sind, wie auch das Buch "Spuren und Überbleibsel" und die neu aufgelegten "Ungereimten Gedichte" im Rimbaud Verlag, Aachen, lieferbar; Guttenbrunners Essaysammlung "Vom Tal bis an die Gletscherwand!" bei Löcker, Wien.

Heute, 23. April, um 20 Uhr findet in der Minoritenkirche von Krems-Stein die feierliche Verleihung des "Theodor Kramer Preises 2004" für Schreiben im Widerstand und im Exil an Michael Guttenbrunner statt.

Am 3. und 4. Mai wird in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, 1010 Wien, Herrengasse 5, , jeweils von 16 bis

20 Uhr, eine "Michael Guttenbrunner Disputation" abgehalten. Der Autor selbst liest aus dem "Machtgehege", es disputieren: Klaus Amann, Eckart Früh, Daniela Strigl, Johann Sonnleitner, Antonio Fian, Walter Fanta, Konstantin Kaiser und der Autor dieses Artikels, Christian Teissl. Genauere Informationen unter Tel. 533 81 59.

Am 5. Mai wird Michael Guttenbrunner gemeinsam mit Antonio Fian und Daniela Strigl im Kommunikationszentrum ESRA, Tempelgasse 5, 1020 Wien, sein Werk vorstellen. Informationen unter Tel. 214 90 14.

Freitag, 23. April 2004

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