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Vor 125 Jahren wurde der Publizist Herwarth Walden geboren

Ein Mann der vielen Talente

Von Oliver Bentz

Er verkörperte auf perfekte Art das Programm des alle Kunstdisziplinen umfassenden Expressionismus: Der künstlerische Tausendsassa Herwarth Walden, der vor 125 Jahren, am 16. September 1878, in Berlin als Georg Lewin geboren wurde. Denn als Komponist und Musiker trat er ebenso hervor wie als Dramatiker, Lyriker, Romancier, Journalist und hervorragender Kunstkenner.

Zunächst schien alles auf eine Musikkarriere des Jungen hinzudeuten, der schon in frühen Jahren Auszeichnungen für sein hervorragendes Klavierspiel bekam. Mehr und mehr jedoch bewegte sich Lewin in der literarischen Bohème Berlins, etwa in den lebensreformerischen Gruppen "Die Kommenden" und "Neue Gemeinschaft" oder im Kreis um den Schriftsteller Richard Dehmel, der eine große Zahl von Kollegen und Bewunderern um sich geschart hatte.

In der literarischen Bohème lernte Lewin auch die Dichterin Else Lasker-Schüler kennen, die er 1901 heiratete. Die exzentrische Lyrikerin, die ihren Kollegen aus der Berliner Kaffeehaus-Bohème gerne eigene Namen verlieh, machte aus Georg Lewin sogleich Herwarth Walden. Obwohl Walden, wie schon erwähnt, auch als Autor, Kunsthändler, Musiker und Komponist hervortrat, ist es vor allem seine Tätigkeit als Herausgeber der Zeitschrift "Der Sturm", die seinem Namen auch in unseren Tagen noch Klang verleiht.

Denn "Der Sturm", der von 1910 bis 1932 erschien, sollte vor allem in der Zeit zwischen 1910 und 1920 das publizistische Sammelbecken der jüngsten Literatur und der avantgardistischen Malerei in Deutschland werden. Autoren wie Albert Ehrenstein, Ferdinand Hardekopf, Paul Scheerbart, August Stramm und Alfred Döblin wurden - nicht zuletzt durch Waldens Fähigkeit, neue Talente zu erkennen - durch Veröffentlichungen in diesem Blatt bekannt.

Es war übrigens Karl Kraus, der bei der Gründung des "Sturm" Pate stand. Die 650 Briefe, Postkarten und Telegramme, die Kraus und Walden in den Jahren zwischen 1909 und 1912 wechselten, sind vor kurzem erstmals von George C. Avery geschlossen veröffentlicht worden. Sie geben Zeugnis von der kurzen, aber sehr fruchtbaren und literaturgeschichtlich interessanten Zusammenarbeit des Wiener "Fackel"-Herausgebers und des Berliner "Sturm"-Gründers.

Bald nachdem sich Kraus und Walden in Wien kennen- und sogleich schätzen gelernt hatten, kamen sie überein, im August 1909 eine Vertretung von Kraus' Zeitschrift "Die Fackel" in Berlin zu eröffnen, die Herwarth Walden übernehmen sollte. Als Walden, der nach mehreren Stationen als Redakteur diverser Literatur- und Bühnenblätter zu dieser Zeit Schriftleiter der Zeitschrift "Das Theater" war, sich 1910 mit seinen Financiers überwarf, beschloss er - ermutigt von Karl Kraus - ohne einen Pfennig Grundkapital eine eigene Zeitschrift zu gründen. Sie erschien im März 1910 unter dem Titel "Der Sturm", den Else Lasker Schüler gefunden haben soll.

Karl Kraus unterstützte die Neugründung durch die Erlaubnis zum Nachdruck seiner Artikel, bot redaktionelle Hilfestellung an und schoss auch finanzielle Mittel zu. Schon kurz nach der Gründung jedoch kam es zu ersten Misstönen zwischen den beiden Individualisten. Die Gründe dafür waren, dass Kraus sich nicht mit den vielen Druckfehlern in seinen "Sturm"Artikeln abfinden wollte und dass sich sein Verhältnis zur eigenwilligen Else Lasker-Schüler, de-

ren Gedichte er in der "Fackel"

druckte, zusehends verschlechterte. Auch die finanzielle Dauerkrise

des "Sturm" trübte das Verhältnis. Immer wieder schickte Walden Bittschriften nach Wien, die da-

für sorgten, dass Kraus den "Sturm" bis Herbst 1911 über Wasser hielt.

Im Gegensatz zu Waldens wiederholten Beteuerungen hatte die "Fackel" in Berlin nicht recht Fuß fassen können. Am Ende der dreijährigen Freundschaft und Kooperation trat auch immer deutlicher zu Tage, dass Kraus' Ansichten

von der Ausrichtung des "Sturm" nicht mit denen Waldens übereinstimmten. Zu literarisch schien ihm Waldens Konzeption und dessen Konzentration auf den Frühexpressionismus in der Bildenden Kunst, sodass sich ihre Wege 1912 trennten.

"Der Sturm" aber existierte weiter. In den "Sturm-Ausstellungen" präsentierte Walden die neuesten Entwicklungen der modernen Kunst, so im März 1912 den "Blauen Reiter", kurz darauf die erste "Futuristen"-Ausstellung in Deutschland und im Herbst 1913 den legendären "Herbstsalon", in dem erstmals in Berlin Werke europäischer Avantgardisten zu sehen waren.

Unter dem Markennamen "Sturm" firmierten bald auch eine Kunstschule, ein Verlag, eine Buchhandlung und eine Bühne. Beliebt waren auch die jährlich stattfindenden "Sturm-Bälle". Die 1912 erfolgte Heirat mit seiner zweiten Frau, der schwedischen Malerin Nell Roslund, versetzte Walden zudem in die Lage, eine bedeutende Gemäldesammlung aufzubauen.

Nach dem Ersten Weltkrieg verlagerte sich der Schwerpunkt des "Sturm" vom literarisch-künstlerischen auf das Gebiet der Politik. Walden sympathisierte mit der kommunistischen Sowjetunion und stellte seine Zeitschrift in den Dienst seiner neuen Weltanschauung. Dadurch aber verlor "Der Sturm" seine Stellung als eines
der wichtigsten publizistischen

Foren für moderne Kunst und Literatur.

1932 siedelte Walden in das Land seiner politischen Sehnsucht, die Sowjetunion, über, wo er in Moskau am Fremdspracheninstitut lehrte und in deutschen Exilpublikationen wie "Das Wort" oder "Internationale Literatur" antifaschistische Beiträge veröffentlichte. Im März 1941 wurde Walden von der russischen Geheimpolizei im Zuge der stalinistischen Säuberungen wegen der "Verbreitung konterrevolutionärer, volksfeindlicher, formalistischer Irrlehren und eines unverbesserlichen Hermetismus" verhaftet und deportiert. Seine Frau und seine Tochter konnten in die deutsche Botschaft fliehen und später nach Berlin zurückkehren. Herwarth Walden aber starb am 31. Oktober 1941 im Straflager Saratow an der Wolga.

Literaturhinweis: George C. Avery (Hrsg.): "Feinde in Scharen. Ein wahres Vergnügen dazusein". Karl Kraus und Herwarth Walden. Briefwechsel von 1909 bis 1912. Wallstein Verlag, Göttingen, 675 Seiten.

Freitag, 10. Oktober 2003

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