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30 Jahre "Grazer Autorenversammlung" - eine kritische Bilanz

Nach außen lebendig - innen tot?

Von Peter Landerl

Autorenvereinigungen spielen im literarischen Leben eine wichtige Rolle. Zum einen propagieren sie bestimmte literarische Strömungen, veranstalten Lesungen und Symposien, fördern den Informationsaustausch zwischen den Autoren und dienen den Medien gegenüber als Sprachrohr. Außerdem übernehmen sie oft die Aufgabe der Definition, wer bzw. was ein Autor ist - man denke etwa an Jurybesetzungen, Preis- oder Subventionsvergaben, an die Festlegung von Kriterien, die die Aufnahme in eine Autorenvereinigung voraussetzen. So verwundert es nicht, wenn die Literaturgeschichte einer Epoche oft mit der einer Autorenvereinigung gleichzusetzen ist. Bestes Beispiel dafür ist die Gruppe 47, deren Protagonisten die deutsche Nachkriegsliteratur in hohem Ausmaß bestimmt haben.

Die Geschichte des österreichischen Literaturbetriebs der letzten 30 Jahre wurde von der Auseinandersetzung zwischen dem österreichischen P.E.N.-Club und der Grazer Autorenversammlung geprägt. Es lohnt sich, einen Blick in die wilden 1970er Jahre zurückzuwerfen.

Schande für Österreich

Man muss sich das literarische Feld Anfang der 1970er Jahre als ein sehr enges vorstellen. Wenige Veranstalter, Verlage und Funktionäre (Rudolf Henz und Wolfgang Kraus hießen die zwei Sonnenkönige, ohne die nichts, mit denen aber vieles ging) bestimmten das literarische Leben. Literarischen Pluralismus gab es damals nicht, auch ein strukturiertes Literaturfördersystem auf Bundes- und Länderebene, wie man es heute kennt, war damals nicht existent. Die österreichische Nachkriegsliteratur wurde bis in die 1970er Jahre von Mitgliedern des P.E.N.-Clubs dominiert. Diese saßen in den maßgeblichen Jurys, nahmen Funktionen im ORF, den Kulturredaktionen der Presse und in der Kulturverwaltung wahr. Die Literatur, die sie propagierten, stand in einer konservativen, klassisch-realistischen Tradition, mit den experimentellen, avantgardistischen Schreibweisen der jungen Autoren konnten sie nichts anfangen - auch dann nicht, als die Wiener Gruppe und der Kreis der Grazer Autoren um die Zeitschrift "manuskripte" in der BRD längst geschätzt und bewundert wurden. In der österreichischen Heimat fanden die Jungen so gut wie keine Resonanz. Sie wurden im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen, bis sich Ernst Jandl zum Sprachrohr der jungen Autorengeneration machte. Er verfasste eine Erklärung, in der er den österreichischen P.E.N.-Club als "eine Schande für den internationalen P.E.N.-Club und als eine Schande für Österreich" bezeichnete. Die Erklärung wurde u. a. von H. C. Artmann, Wolfgang Bauer, Alfred Kolleritsch, Friederike Mayröcker, Gerhard Roth und Michael Scharang unterschrieben. Jandl und die Unterzeichner forderten eine Reorganisation des P.E.N.-Clubs und seine Öffnung für alle literarischen Strömungen. Der Fehdehandschuh war geworfen. Als sich im Dezember 1972 bei der Wahl zum P.E.N.-Präsidium wider Erwarten die konservative Liste um Ernst Schönwiese gegen die liberale Liste um Hilde Spiel, der die jungen Autoren eine Öffnung des P.E.N.-Clubs zugetraut hatten, durchsetzte, lief das Fass über.

Klaus Hoffer und Alfred Kolleritsch zählten in den "manuskripten" die Funktionen der P.E.N.-Mitglieder auf und schlossen mit dem provokanten Satz: "Fast alle haben Rang, wenige haben Namen." Am 24. und 25. Februar 1973 trat schließlich in Graz die erste Autorenversammlung zusammen (daher der Name, Sitz der GAV ist aber Wien). 38 Autoren waren gekommen. SIe fassten den Beschluss, sich um die Anerkennung als zweites österreichisches P.E.N.-Zentrum zu bewerben. Am 11. Mai 1973 wurde die Grazer Autorenversammlung, kurz GAV, schließlich als Verein bewilligt. H. C. Artmann wurde zum Präsidenten, Klaus Hoffer und Alfred Kolleritsch zu den beiden Vizepräsidenten bestellt. Die Spaltung des literarischen Feldes in zwei verfeindete Blöcke war manifest geworden.

Protestklub

Der P.E.N.-Club reagierte auf den neuen Konkurrenten mit der Aufnahme zahlreicher Autoren. Hatten 1970 lediglich drei neue Mitglieder die Aufnahmekriterien des P.E.N.-Clubs erfüllt, waren es 1971 acht und 1972 sechs. 1973, im Jahr der Gründung der GAV, wurden aber 86(!) neue Mitglieder aufgenommen. Auch die GAV versuchte, ihre Mitgliederzahl rasch zu steigern und verfügte 1975 bereits über mehr als 100 Mitglieder. Einigen Autoren missfiel dieser rasche Mitgliederanstieg. H. C. Artmann, Helmut Eisendle und Peter Rosei verließen 1978 die GAV. In ihrer Austrittserklärung heißt es: "Die Entwicklung der Vereinigung missfällt uns seit längerer Zeit, unter anderen (sic!) die bizarre Methode der jeweiligen Neuaufnahmen, die in geradezu diametralem Gegensatz zu den ursprünglichen Zielen steht. Ein Qualitätsverlust war die traurige Konsequenz, die uns nach diesem Schritt nicht mehr beschämen soll." Der hermetische Literaturbegriff, der hinter dieser Erklärung steht, diente auch dazu, die eigene Position hervorzuheben und sich von den Jungen, Nachkommenden, den noch nicht so bekannten Autoren abzugrenzen. Damit spielten die drei Unterzeichner kurioserweise selbst das Spiel, gegen das sie fünf Jahre zuvor angetreten waren.

Die Absicht der GAV war es aber gerade nicht, eine kleine homogene Gruppe zu bilden und ästhetische Positionen zu kommunizieren, sondern möglichst viele Mitglieder aufzunehmen, um den Vertretungsanspruch zu erhöhen und die alten Machteliten abzulösen. Die Position der GAV definierte sich vor allem durch negative Abgrenzungsstrategien gegenüber dem P.E.N.-Club. Die Inszenierung als Gegen-P.E.N., die oppositionelle Haltung, stilisiert als Kampf des Neuen gegen das Alte, sorgte in den Medien für Schlagzeilen, schuf Aufmerksamkeit für die Bewegung, in der sich die einstmals hoffnungslosen Einzelkämpfer versammelt hatten.

So gelang es der GAV in den 1970er Jahren schnell, von der öffentlichen Hand als Institution anerkannt und auch gefördert zu werden. (Außerdem war der Zeitpunkt günstig, suchte doch die noch nicht lange amtierende Regierung Kreisky nach Verbündeten unter den Intellektuellen!) Mitglieder wurden in Jurys entsandt, sorgten dafür, dass nun auch experimentelle Autoren für preiswürdig erachtet wurden. Die GAV hatte es nach nur wenigen Jahren geschafft, die überragende Macht des P.E.N.-Clubs zu brechen, der in Apathie verfiel und einen stetigen Bedeutungsverlust hinnehmen musste. Albert Janetschek, dem Lager des P.E.N.-Clubs zugehörig, ließ seinem Unmut über den Machtverlust in folgenden Versen freien Lauf: "Für die Besten der Besten gab es auch Preise / mit eigenen Juroren dafür, / doch soll es schon vorgekommen sein, / dass die Schlechten schließlich das Rennen machten. / Oder dass die Juroren nur zusammenkamen, / um einen Preisträger zu küren, der schon feststand, / so dass sie allein mit ihrer Bestechlichkeit / in Erscheinung treten konnten."

Subventionssaurier

Schon 1980 titelte etwa die "Kleine Zeitung" über die GAV: "Vom Protestklub zum Subventionssaurier." Die negative Abgrenzungsstrategie der angry young men war zwar erfolgreich, verhinderte aber Auseinandersetzungen über die zukünftige Positionierung der GAV. Man schlitterte in Selbstverständniskrisen, die eigentlich bis dato anhalten. Das Ziel, als zweites P.E.N.-Zentrum in Österreich anerkannt zu werden, scheiterte mehrfach. Man verbot den eigenen Mitgliedern die Mitgliedschaft im P.E.N.-Club, was immer wieder zu Konflikten führte und undifferenziertes Lagerdenken förderte.

Selbstetablierungsverein

Franz Schuh, vier Jahre lang Generalsekretär, blickte Mitte der 80er Jahre auf die ersten zehn Jahre des Bestehens der GAV zurück: "So gesehen, muss man gegen die Mythologie der Gründungsgeschichte die Grazer Autorenversammlung aufgeklärt als Selbstetablierungsverein österreichischer Schriftsteller betrachten, die in den siebziger Jahren ihre traditionellen Ausgrenzungen aus der österreichischen Gesellschaft endlich (aber vielleicht auch nur vorübergehend?) überwinden. Diese Überwindung war automatisch eine Unterwerfung unter die politische Kultur der österreichischen Sozialdemokratie."

1989 schlitterte die GAV in ihre größte Krise: Aufgrund einer übereilt getroffenen Entscheidung, wegen Sicherheitsbedenken nicht an einer Lesung für Salman Rushdie teilzunehmen, kam es zu einer Austrittswelle, sogar die Auflösung der GAV wurde diskutiert.

Repräsentierte die GAV in ihren Anfangsjahren einen Großteil der jungen Autoren, verlor sie im Laufe der Zeit viele ihrer Mitglieder. So traten etwa Barbara Frischmuth, Marianne Fritz, R. P. Gruber, Peter Handke, Elfriede Jelinek, Gerhard Roth, Michael Scharang, Oswald Wiener, Helmut Zenker, um nur einige zu nennen, aus. Paradoxerweise gab es aber auch Autoren, die - statutenwidrig - bei der GAV und beim P.E.N.-Club Mitglieder waren. Neben Julian Schutting und Marianne Gruber waren dies Robert Menasse und Robert Schindel. Der Vorwurf des opportunistischen Verhaltens ist ihnen nicht erspart geblieben.

Durch den Austritt prominenter Autoren übernahmen immer mehr "Vereinsmeier" das Kommando in der GAV, der Großteil der Autoren blieb inaktiv. Zu Vollversammlungen kamen oft weniger als 10 Prozent der Mitglieder. Vielen "Karteileichen" genügte es, im Lebenslauf die Mitgliedschaft bei der GAV anführen zu können. Hilft's nicht, so schadet's nicht, dachten sich wohl viele. Der kleine Rest der Aktiven organisierte unermüdlich Symposien und Lesungen (man denke etwa an die erfolgreiche Reihe "Literatur im März", an der die GAV beteiligt ist), in letzter Zeit verstärkt in Zusammenarbeit mit Literaturveranstaltern in Wien und den Bundesländern.

Nach außen lebendig, innen tot? Ästhetische Diskurse unter den Autoren kamen nicht zustande, die soziale und rechtliche Vertretung der Autoren überließ man der agilen IG Autorinnen Autoren. Das Vereinsleben beschränkte sich praktisch oft darauf, die Subventionen vom Bund und der Gemeinde Wien in Form von Honoraren für Symposiumsbeiträge oder Zuschüssen für Lesungshonorare an die Mitglieder zu verteilen.

Dass der Graben zwischen den beiden Lagern tatsächlich störend und unproduktiv war, konstatierte der Verleger Jochen Jung 1996 in einem Zeitungsbeitrag. Darin forderte er: "Schluss mit der Vereinsmeierei, Schluss mit der Funktionärsvermehrung, Schluss mit den partikularen Interessen", fand dafür aber wenig Gehör. Verursacht durch zahlreiche Austritte, aber auch durch viele andere Autoren, die in dieser oft kindisch-trotzigen Auseinandersetzung zwischen GAV und P.E.N.-Club nicht mitwirken wollten und keiner der beiden Organisationen beitraten, entstand in den letzten beiden Jahrzehnten ein "drittes" Lager von Autoren, die von niemandem vertreten wurden und bei Preisverleihungen oft leer ausgingen. Die Kulturpolitik brauchte eine Weile, um diesen Missstand zu erkennen. Mittlerweile werden die Jurys nicht mehr halbparitätisch von GAV und P.E.N.-Club nominiert, sondern auch "unabhängige" Autoren, Germanisten und Literaturkritiker für die Arbeit in Jurys eingesetzt.

In den letzten Jahren versuchte die GAV, ihre Kontakte über Österreichs Grenzen hinaus zu intensivieren. Man nahm etwa an Symposien in Bratislava oder der Schweiz, teil und nahm ausländische Autoren, die einen engen Bezug zur österreichischen Literatur aufweisen können, in die GAV auf.

Will man eine Bilanz über 30 Jahre GAV ziehen, so fällt sie zwiespältig aus: Man muss der GAV hoch anrechnen, dass sie viele literarische Aktivitäten setzt, allerdings ist es schade, dass sich nur wenige Autoren aktiv ins Vereinsleben einbringen, der große Rest der mittlerweile 540 Mitglieder aber vor sich hin schläft. Zweifellos kommt der GAV das Verdienst zu, den Literaturbetrieb für neue, moderne Literatur geöffnet zu haben, freilich um den Preis, (zu Recht?) selbst in den Verdacht der Machtkorrumpierung zu kommen.

Man darf gespannt sein, wohin die Präsidentin Heidi Pataki und der Generalsekretär Gerhard Kofler die GAV in den nächsten Jahren führen werden. Gelingt es ihnen nicht, eine innere Erneuerung und eine Annäherung an den P.E.N.-Club zu initiieren, so könnte der GAV das gleiche Schicksal drohen wie dem P.E.N.-Club vor 30 Jahren. Wer weiß, vielleicht stecken schon einige junge Autoren in konspirativen Treffen die Köpfe zusammen, um die GAV zu stürzen und damit selber Literaturgeschichte zu schreiben?

Die GAV im Internet: http://www.gav.at

Freitag, 19. September 2003

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