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Vor 100 Jahren eröffnete Henry Ford seine erste Autofabrik

Der Mobilmacher

Von Günther Fischer

Als die zwölf Männer am 16. Juni 1903 in Lansing das Kapitol des Staates Michigan betreten, können sie nicht wissen, dass einer von ihnen die Welt verändern wird. Die bunt zusammen gewürfelten Partner - Henry Ford, ein Kohlenhändler, ein Buchhalter, ein Bankkaufmann, ein Tischler, ein Büroangestellter, ein Kurzwarenhändler, ein Hersteller von Luftgewehren, zwei Anwälte und zwei Brüder, die eine Halle besitzen - wollen lediglich ein neues Unternehmen gründen: Mit 28.000 Dollar Kapital und zehn Angestellten will es seine Arbeit in Detroit aufnehmen. Zwar hat man als Standort eine ehemalige Kutschenfabrik gewählt, doch die Automobile, die man unter der Leitung des Chefingenieurs Henry Ford bauen möchte, sollen eben nicht mehr von Pferden gezogen werden.

Das Rad, das Fahrzeug mit vier Rädern, den Motor, das Benzin, die Landstraßen - all das gab es schon. Aber Henry Ford erfand alles noch einmal, gründete am 16. Juni 1903 die Ford Motor Company und ließ ein paar Jahre später alles vom Fließband laufen. Nichts sollte sein Auto haben als das Allernötigste: vier Räder, einen Motor, ein Steuer und auf dem Sitz einen Fahrer. Wahrscheinlich hat er früher als andere erkannt, dass Motordroschken, wie man die Dinger damals noch nannte, kein Luxusgerät für reiche Herrschaften bleiben würden und dass ihre Zukunft in der Massenproduktion lag.

Rückschläge

Bis zu diesem Zeitpunkt lebt der 1863 in Dearborn/Michigan geborene Henry Ford eher provinziell und steckt mehr Rückschläge als Erfolge ein. Er murkst Jahre lang in seiner Werkstatt vor sich hin, zerlegt Uhren, hantiert mit Stromaggregaten, will Lokomotiven verkleinern - kurz: Er weiß einfach nicht, was er erfinden könnte. Lediglich mit dem vierzylindrigen "999", einem selbst gebauten Rennwagen mit 80 PS, gewinnt Ford ab 1902 einige wichtige Autorennen und erlangt eine gewisse Berühmtheit.

Aber es gibt schon Vorzeichen, die heute gern als Anekdoten der Ford'schen Frühzeit kolportiert werden: Als der junge Tüftler sein erstes Gefährt ausprobieren will, stellt er fest, dass der Platz in der Werkstatt zwar für die vier Räder mit Motor ausgereicht hat - dass aber die Tür viel zu eng ist. Dem Ingenieur platzt der Kragen: Er reißt die Mauer ein und schiebt sein "Quadricycle" auf die Straße, die noch ein staubiger Weg ist. Der erste Ford, gesteuert von Henry Ford, dreht knatternd und qualmend seine ersten Runden. Wir schreiben das Jahr 1897.

Allerdings: Dieser Ford heißt noch nicht Ford. Er ist lediglich das Ergebnis dreijähriger Bastelei des vielversprechenden Ingenieurs der "Edison Illuminating Company" in Dearborn. Thomas Alva Edison aber, Fords Chef, schäumt vor Ärger: Entweder höre diese unsinnige Schrauberei nach Feierabend auf, so fordert er, oder Henry müsse seine Sachen packen und auf eine Karriere beim Elektrokonzern verzichten. Henry packt und gründet 1899, gerade 36 Jahre alt, die "Detroit Automobil Company" - doch schon nach einem Jahr ist die Firma am Ende. Für die Gründung der Ford Motor Company drei Jahre später muss er seine letzten Dollars zusammenkratzen - von den 28.000 Dollar stammen nur 7.000 von ihm. An Optimismus mangelt es ihm jedoch nicht: Noch bevor ein einziges Schräubchen geplant ist, entwirft der Jungunternehmer schon sein Markenzeichen, das bis heute in Form und Farbe gleich geblieben ist und firmenintern liebevoll "Pflaume" genannt wird: der Name "Ford" in Schreibschrift in blauem Oval.

Zunächst geht es in Detroit nur langsam voran. Einen Monat nach der Firmengründung wird der erste Wagen an einen Zahnarzt aus Chicago namens Pfennig verkauft. Dem Modell A folgen bald neue Typen. Modell K ist ein Sechszylinder, der den damals stolzen Preis von 2.500 Dollar kostet und sich entsprechend schlecht verkauft. Modell N hingegen, ein leichter Vierzylinder, findet zahlreiche Käufer - es kostet auch nur 500 Dollar. Henry Ford, der binnen weniger Jahre zum Haupteigner und Direktor avanciert ist, scheint für seine Autotypen das Alphabet gerade ein zweites Mal durchlaufen zu wollen, als er mit einem Mann namens George Selden zusammenstößt. Selden hat schon 1879 ein Patent für eine so genannte "Road Engine" beantragt und es 1895 auch erhalten. Zwar will dieser Mann keine eigenen Autos bauen, doch versucht er mit allen juristischen Mitteln, den gerade entstehenden Automobilmarkt zu kontrollieren. Es wird bis 1911 dauern, ehe die Ford Motor Company den Kampf endgültig für sich entscheiden kann.

Die "Tin Lizzy"

Schon am 3. Oktober 1908 aber kündigt die Firma in einer ganzseitigen Anzeige in der "Saturday Evening Post" ihr jüngstes Modell an - das legendäre T-Modell, den ersten Wagen für das Volk. Ein robustes Fahrzeug, ziemlich unansehnlich, aber billig zu bauen und zu reparieren. Von der "Tin Lizzy" (Blechliesel) werden bis 1927 mehr als 15 Millionen Stück produziert - ein Rekord, den erst der VW-Käfer vier Jahrzehnte später einstellen sollte.

Es ist die einfache Konstruktion der Tin Lizzy, die die Zerlegung des Herstellungsprozesses in eine möglichst große Zahl simpler Verrichtungen ermöglicht. Die bis ins Kleinste standardisierte Produktion können also auch ungelernte Arbeitskräfte erledigen - zusammen gefügt werden die Einzelteile am laufenden Band. Ford ist zwar nicht der Erfinder, aber der entscheidende Förderer der Fließbandproduktion: 1913 läuft sie in seinem Betrieb an, 1914 ist sie fest etabliert. Die Produktion mutiert dadurch zum Massengeschäft - und die Autos werden billiger: Im Jahr 1912 kostet ein T-Modell noch 600 Dollar. Vier Jahre später rollen fast 600.000 Blechliesel vom Band - der Preis sinkt auf 360 Dollar. Der Besitz eines Autos - bis dahin eigentlich auch in den USA eher ein Privileg, noch um 1900 gibt es in ganz Amerika nur rund 4.000 Autos - wird somit für breite Schichten erschwinglich.

Das, was an jenem 16. Juni vor 100 Jahren begonnen hat, ist die totale Automobilmachung der Gesellschaft - das Fließband wird für diese wirtschaftliche Entwicklung zum revolutionären Sinnbild. Der Bastler aus Dearborn verändert die Welt - was ihm übrigens durchaus klar ist. Kein Wunder also, dass er sich, über alle technischen Kenntnisse hinaus, seine eigene Lebensphilosophie bastelt - eine Art Demokratie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit: "Ich will ein Auto für die breite Masse. Es soll so preisgünstig sein, dass es keinen Mann geben wird, der es sich nicht leisten kann", lautet die Vorgabe an seine Ingenieure, als es darum geht, die Tin Lizzy zu entwickeln. Die weibliche Hälfte der Bevölkerung ignoriert er nonchalant - mit ein Grund dafür, dass alle Tätigkeit rund ums Auto bis heute als Männersache begriffen wird. Ford vertritt außerdem Standpunkte, die Gewerkschaften heute märchenhaft erscheinen müssen - zumal sie aus dem Mund eines Unternehmers stammen: "Man muss Herstellungsverfahren erfinden, die hohe Löhne gewährleisten", lautet sein Motto. "Lohnkürzungen führen zur Verkleinerung des Kundenstammes." Mit guten Löhnen, so sein Kalkül, werden seine Arbeiter auch seine Kunden: Also erhöht Ford im Jahr 1914 die Löhne kurzerhand um 100 Prozent - auf damals 5 Dollar am Tag. Er verkürzt die Arbeitszeit und gibt seinen Arbeitern zudem am Samstag frei. Wann sonst, so seine nicht ganz uneigennützige Begründung, wann sonst fänden sie Zeit, das Geld, das sie verdient haben, wieder auszugeben?

Fords Tin Lizzy macht also den Bürger zum Autofahrer und zum Konsumenten. Allerdings zum Billigpreis der Egalisierung: "Jeder Kunde hat das Recht auf eine Lackierung in seiner Wunschfarbe. Sie muss nur schwarz sein", versichert Ford treuherzig seinen Kunden, die die Wahl unter massenhaft gleichen Produkten haben. Zum "Fordismus", wie Fords Eigenbau-Philosophie bald genannt wird, gehören noch andere originelle Ansichten: "Geschichte ist Quatsch", erklärt er gern. Mit dieser simplen Weltsicht kann man es inzwischen durchaus zum amerikanischen Präsidenten oder zum deutschen Bundeskanzler bringen.

Die große Uniformität

Dank Ford greift die Uniformität rasch um sich: Hunderte Arbeiter im Blaumann verrichten die immer gleiche Tätigkeit, unzählige Blechliesel fahren die Einheitsfarbe Schwarz spazieren, Amerikaner, die den ausufernden Vorstädten ihrer Metropolen in die Natur entkommen wollen, stehen plötzlich ganz individuell im Stau. Unweigerlich entdeckt der Autos bauende Hobbyphilosoph auch das politische System, in dem alle Menschen gleich sein sollen - die unterindustrialisierte Sowjetunion. Er baut dort eine ganze Autostadt, stellt wieder Menschen ans Fließband und verkauft innerhalb weniger Jahre Autos im Wert von 30 Millionen Dollar. Nie wieder wird es eine solche Konvergenz der Systeme geben.

Ford will natürlich auch nach Europa. Zunächst exportiert er seine Tin Lizzy, kämpft gegen Zollbarrieren - und hält am 4. September 1925 die Gründungsurkunde der "Ford Motor Company" für den Standort Berlin in Händen. Ein letztlich ungeliebter Standort - mitten im Kontinent, fernab von Wasserstraßen und anderen Verkehrswegen. 1929 zieht Ford deswegen nach Köln und sorgt zur Eröffnung des neuen Werks am 12. Juni 1931 für einen Paukenschlag: Fast 4.000 Autos aus ganz Europa kommen zur Ford-Hochburg nach Köln-Niehl - und verursachen das erste Verkehrschaos des 20. Jahrhunderts in Europa.

Freitag, 18. Juli 2003

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