Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Über William S. Burroughs und die Kultur des Widerstandes

Burroughs: Aus der Zeit in den Raum

Von Christa Karas

Navigare necesse est. Vivere non est necesse. Reisen ist notwendig. Zu leben ist nicht notwendig. William S. Burroughs verwies selbst einmal auf dieses Motto der frühen Entdeckungsreisenden, wenn sie in unbekannte Meere aufbrachen. Zu diesem Zeitpunkt, 1969, hatte er die wesentlichsten Entdeckungen seines Lebens bereits gemacht und in einer Reihe von Büchern festgehalten: In "Junkie", "Queer", "The Yage Letters", "Minutes To Go", "Naked Lunch", "The Soft Machine", "The Ticket That Exploded" und "Nova Express". - Ein Mann, der niemals in einer bestimmten Zeit gelebt, sondern den Raum und alles darin Befindliche für sich entdeckt hatte: Reisen, Sex mit Frauen und Männern, eine Ehefrau, die

er beim Versuch, ihr ein Glas

Gin vom Kopf zu schießen, getötet hatte. Und Drogen, Drogen, Drogen.

Experiment und Entdeckung

Burroughs wusste mehr über Drogen als sonst jemand. Er hatte sie alle ausprobiert und mit nachgerade wissenschaftlicher Sorgfalt ihre Wirkungen und Nebenwirkungen vermerkt. Er hatte unter ihrem Einfluss geschrieben und das Sinnliche daran ebenso entdeckt wie das Ruinöse. Er ließ sich in die Sucht fallen und wurde beinahe von ihr zerfressen. Jeder andere hätte bei derartigen Experimenten den Verstand verloren, Burroughs' Verstand rettete ihm dagegen das

Leben, auf das er so wenig gab. Just darum vermochte er es, noch zum tiefsten Kreis der Hölle, in

die er hinabgestiegen war, Distanz zu halten. - Ein Versuchsobjekt und dessen Erforscher in Personalunion.

Norman Mailer nannte ihn "den einzigen amerikanischen Autor, der wahrscheinlich besessen vom Genius ist". Liest man heute nicht nur seine Bücher, sondern vor allem seine medienkritischen Artikel und seine Aussagen in Interviews nach, so möchte man dem beipflichten. Auch wenn man nicht wüsste, dass Burroughs ein in jeder Hinsicht beeindruckendes Gesamtwerk nicht nur als Autor, sondern auch in Form von Musikkooperationen, Sprechplatten, Filmen, Theaterarbeit und höchst eigenwilligen Bildern geschaffen hat.

Dennoch drängt sich die Frage auf, warum das "13. Prague Writers' Festival/Festival spisovatelu Praha" im April des heurigen Jahres W. S. B. gewidmet war, gab es doch dafür keinerlei historischen Anlass, wenn man davon absieht, dass der Krieg gegen den Irak kurz zuvor begonnen hatte.

Der Mann in der Revolte

Nun: Die Entdeckung des Raums, der die Grenzen ins Unendliche verschiebt, im Gegensatz zu den sozialen und politischen Konditionierungen, Zwängen und Einengungen, blieb auch in der Folge das Leitmotiv Burroughs', der sich dionysischer Techniken bediente, ohne je seinen apollinischen Habitus gänzlich abzulegen - man betrachte nur genau die Fotos, die es von ihm gibt. Die weitaus meisten verweisen auf den 1914 in St. Louis, Missouri, Geborenen als deutlich zu seiner Klasse (wohlhabender Mittelstand) gehörig, als Akademiker und Gentleman. Dezenz, Anzug, Krawatte und Hut sind selbstverständlich. Dennoch war es dieser Mann in der Revolte, der mit Jack Kerouac, Allen

Ginsberg und Neal Cassady den Mythos "Beat-Generation" mitbegründete. Und damit die massivste Auflehnung gegen die damals in den USA herrschende Politkultur auslöste.

"Was denken Sie über das gegenwärtige Amerika?", wurde Burroughs von Daniel Odier gefragt. Die Antwort: "Auf der offiziellen Ebene ist es ein Albtraum. Es ist schwer zu glauben, dass Leute in Positionen, in denen sie die Außen- und Innenpolitik Amerikas bestimmen, derart dumm und von Grund auf vorsätzlich fehlgeleitet sind. Angepasst an eine ausgedehnte Mittelschicht, im Gegensatz zu jungen Menschen und Intellektuellen . . . Amerika mag zwar die Hoffnung der Welt sein. Aber es ist ebenso die Quelle für solche emotionalen Plagen wie Drogenhysterie, Rassismus, bibelfestes Moralisieren, protestantisch-kapitalistische Ethik und muskelstrotzendes Christentum, das sich überall ausgebreitet und diesen Planeten in einen Ableger der Hölle verwandelt hat." (Übersetzt aus "The Job", einem Burroughs Interview-Band, der im Jahr 1970 erschienen ist.)

Damals war es der Vietnamkrieg, der als Schatten über den intellektuellen Diskussionen lag - heute gibt es die verheerenden Folgen des jüngsten Krieges im Irak und keinerlei nennenswerte Diskussionen darüber unter Intellektuellen. Die wurden nämlich schon im Vorfeld wie selten zuvor eingeschworen auf Patriotismus, den Glauben an eine Mission, die zwingende Notwendigkeit eines Kampfes gegen die "Achse des Bösen" oder schlichtweg korrumpiert: Wer Karriere machen, einen Lehrstuhl oder Forschungsgelder haben will, wird ebenso schweigen wie das Gros der Künstler und der in der Medienindustrie Beschäftigten, die - nicht anders als in der McCarthy-Ära - bekanntlich vom Verkauf ihrer Produkte leben müssen.

Insofern - bedenkt man etwa die zwangsläufigen Auswirkungen von GATS - befindet sich die Welt heute in einem noch weitaus schlimmeren Zustand als damals. Und es gibt haufenweise gute Gründe, auch über Burroughs daran zu

erinnern, dass sie einmal besser war, dass es Optionen und Aufbruchsstimmung und Freiheiten gab, für die zu kämpfen

sich (im ideellen Sinn) gelohnt hatte, dieweil sich die Adepten der "Beat-Generation" verstört die Augen reiben, weil erst jetzt deutlich wird, dass man mit der nötigen

negativen Energie Uhren zurückdrehen, Veränderungen rückgängig machen, soziokulturelle Verträge auflösen, die Evolution zum zeitweiligen Stillstand bringen kann. Dahin kommt's, wenn man ganz "in seiner Zeit lebt" und darauf baut, dass sie statisch bleiben

wird.

Burroughs dagegen, der keinerlei Verständnis für "Terroristen ohne konkretes Ziel" wie die RAF in Deutschland oder die Roten Brigaden in Italien hatte (wohl aber etwa für die Palästinenser, weil diese aus für ihn ersichtlichen Gründen agierten), demonstrierte seine Art des gewaltlosen Widerstandes, indem er auf den grenzenlosen Raum setzte, indem er sich allen Zumutungen entziehen und von dem aus er gelegentlich einen gefahrlosen Blick auf die zeitlichen Ereignisse werfen konnte, die ihn in seinem Skeptizismus bestätigten. So gesehen, stellt sich die Verweigerung als reizvolles Mittel nicht nur in Komödien dar, das wesentlich öfter genützt werden sollte, auch wenn nach Kurt Tucholsky nichts schwerer ist, als sich im Widerspruch zu seiner Zeit zu befinden und laut "Nein" zu sagen.

Nach dem Leben

Am 9. August 1997 verschwand Burroughs, der zuletzt ziemlich zurückgezogen mit ein paar Katzen gelebt hatte, endgültig in den leeren Raum. Er glaubte an ein Leben nach dem Tod. Ob eine solche Annahme das Leben nicht weniger wichtig mache, wollte Eldon Garnet zehn Jahre zuvor in Toronto von ihm wissen. Burroughs: "Gar nicht, es macht es wichtiger, sehr viel wichtiger. Denn schließlich bestimmt alles, was man tut, die Form des Lebens danach. Wenn jemand seine Möglichkeiten, sein Wissen und seine Fähigkeiten hier nicht nützt, dann wird er in eine ziemlich schlechte Position dort gelangen." - Zu bedauern hatte er nichts: Ohne die wüsten Erlebnisse seiner Jugendzeit, ohne Drogen, Sex und Tod hätte er nie auch nur eine Zeile geschrieben, sagte er.

Freitag, 09. Mai 2003

Aktuell

Erlebniswohnen in "G-Town"
Alles unter einem Dach: Die neue Lebensqualität in den Gasometern ist relativ
Drei Mädchen aus zwei Welten
Ceija, Sonja und Elvira – die Geschichte einer ungewöhnlichen Frauenfreundschaft
Kein "Lügner des Guten" sein
Der Präsident des "Internationalen Komitees vom Roten Kreuz" (IKRK) im Gespräch

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum