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Vor 20 Jahren starb der Schriftsteller Arthur Koestler

Koestler: Zeuge einer unruhigen Zeit

Von Oliver Bentz

Er gehört zu jenen Schriftstellern, in deren Leben und Werk sich die politischen Verwerfungen und Katastrophen im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts widerspiegeln: Arthur Koestler, der in seinen Büchern Zeugnis davon ablegte, wie die Intellektuellen in die Strudel dieser unruhigen Zeit hineingezogen wurden, welche Träume und Visionen sie mit den sich bietenden politischen Optionen verbanden und wie diese Hoffnungen von der Realität eingeholt und betrogen wurden. Vom glühenden Kommunisten Anfang der dreißiger Jahre entwickelte sich Koestler ein knappes Jahrzehnt später zum desillusionierten, enttäuschten und erbitterten Gegner dieser Bewegung und avancierte während des Kalten Krieges zu einem der Hauptzeugen des Westens gegen den Kommunismus.

Am 5. September 1905 als Sohn eines aus Russland eingewanderten ungarischen jüdischen Kaufmanns und einer Österreicherin geboren, wuchs Koestler in Budapest und nach dem Bankrott des Vaters ab 1919 in Wien auf. Aus der ungarischen Sprache seiner Jugend wechselte Koestler nach seinem siebzehnten Lebensjahr ins Deutsche. In dieser Sprache verfasste er bis 1940 seine journalistischen und literarischen Arbeiten, ehe er dann im Exil begann, Englisch zu schreiben.

Suche nach Weltanschauung

Sein 1922 an der Technischen Hochschule in Wien begonnenes Ingenieurstudium brach der schlagende Korpsstudent und begeisterte Leser von Sigmund Freud, Alfred Adler und Carl Gustav Jung 1926 kurz vor dem Examen ab, verbrannte sein Studienbuch und begab sich als Verfechter eines westlich orientierten Zionismus auf Wanderschaft nach Palästina. Sein Versuch, in einem Kibbuz heimisch zu werden, scheiterte. Es folgte ein "Hungerjahr", während dem sich Koestler mit Gelegenheitsarbeiten, unter anderem als Gehilfe in einer Reiseagentur und bei einem Landvermesser, als Limonadenverkäufer oder auch als Kabarettist durchschlug.

Kurz nachdem Koestler damit begonnen hatte, sich in Kairo als Herausgeber einer Wochenzeitung zu versuchen, machte ihn der Berliner Ullstein-Verlag 1927 zu einem seiner Auslandskorrespondenten. Nach Jahren im Nahen Osten berichtete er ab 1929 aus Paris, bevor ihn Ullstein als wissenschaftlichen Redakteur in die Berliner Redaktion holte. Im Jahr 1931, in dem er

auch in die Kommunistische Partei Deutschlands eintrat, konnte Koestler als einziger Journalist am Nordpolflug des Luftschiffs "Graf Zeppelin" teilnehmen.

Wie viele Intellektuelle seiner Zeit sah auch Koestler im Engagement für die Kommunistische Bewegung die einzige Chance, dem aufkommenden Faschismus der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre entgegenzutreten. Nachdem er aufgrund seiner Parteimitgliedschaft seine Stellung bei Ullstein verloren hatte, bereiste er vom Sommer 1932 bis zum Herbst 1933 die Sowjetunion und sah in ihr das vorbildliche Modell einer sozialistischen Gesellschaft. Obwohl ihm schon während dieser Reise der Widerspruch zwischen offizieller kommunistischer Propaganda und den tatsächlich existierenden Verhältnissen offenbar wurde, war er als idealistischer, junger und begeisterter Verfechter des Kommunismus, der, wie er selbst schrieb, "mit der Weltrevolution wie mit einem Staubsauger hausierte", nicht in

der Lage, diesen Widerspruch zu benennen und fand "sieben Jahre für alle Torheiten und Verbrechen, die unter dem Banner des Marxismus begangen wurden, eine Ausrede".

Nachdem in Deutschland während Koestlers Abwesenheit die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, musste er die folgenden Jahre im Exil in Paris und Zürich verbringen. Politischer Idealismus war es auch, der den Journalisten Koestler zur Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite veranlasste. Ausgestattet mit einem Presseausweis der ungarischen Zeitung "Pester Lloyd" und der Bestellung zum Sonderkorrespondenten des führenden englischen liberalen Blattes "News Chronicle" ging er 1936 erstmals nach Spanien und verfasste mit einer schmalen Broschüre unter dem Titel "Menschenopfer unerhört" ein "Schwarzbuch über Spanien".

Nach der Einnahme Malagas durch Truppen Francos wurde Koestler, der sich mit dem "Schwarzbuch" die Feindschaft des Franco-Regimes zugezogen hatte, 1937, während seines dritten Spanienaufenthaltes, gefangen genommen und zum Tode verurteilt. Nach vier Monaten Isolationshaft im Gefängnis, während denen dort 5.000 Menschen erschossen wurden, erreichte eine Intervention der britischen Regierung seine Freilassung.

Bruch mit der Partei

Koestlers Überzeugungen und Wertmaßstäbe jedoch waren in Folge des stalinistischen Terrors und der "Moskauer Säuberungsprozesse", denen auch zahlreiche seiner früheren Freunde und Weggefährten zum Opfer fielen, zusammengebrochen. Den Bruch mit der Partei provozierte Koestler anlässlich eines Vortrages vor hauptsächlich kommunistischen Emigranten 1938 in Paris. Seine Rede nutzte er dazu, aus der Parteidisziplin auszuscheren und zu erklären, dass es "keine Unfehlbarkeit einer Person, einer Bewegung oder einer Partei" geben könne.

Während seiner Inhaftierung hatte Koestler gelobt, im Falle seiner Rettung ohne Beschönigung und schonungslos gegen sich selbst seine "klinische Krankengeschichte eines typischen Europäers" publizistisch aufzuarbeiten. In diesem Sinne schrieb er sein 1938 unter dem Titel "Ein spanisches Testament" erschienenes Tagebuch aus der Todeszelle, in dem er seine Desillusionierung sowie seine innere Entfernung von der Partei schilderte.

Sein zwei Jahre später veröffentlichter und heute bekanntester Roman "Sonnenfinsternis", markiert die endgültige Abkehr von der kommunistischen Politik, deren Beweggründe er 1949 in der zusammen mit anderen "Abtrünnigen" wie Stephen Spender, Ignazio Silone und André Gide herausgegebenen Essaysammlung "Der Gott, der keiner war" noch einmal offenlegte. Sein "Spanisches Testament" und die weiteren, in den folgenden Jahren publizierten Erinnerungsbücher hat Koestler in den Jahren 1970 und 1971 als "Gesammelte autobiographische Schriften" neu gegliedert und unter den Titeln "Frühe Empörung" und "Abschaum der Erde" herausgegeben.

In seinen ersten beiden politischen Romanen, in denen er versuchte, intellektuell mit den intuitiven Einsichten, die er während der Haft gewonnen hatte, fertig zu werden, thematisierte Koestler das "Problem von Zweck und Mittel", von "transzendentaler Moral und sozialer Zweckmäßigkeit". Im Roman "Die Gladiatoren", der zur Zeit des römischen Sklavenaufstandes unter Spartacus spielt, zeigt er, wie sich aus einer Utopie eine Katastrophe entwickelt, und bestreitet die Möglichkeit, dass eine Revolution zugleich menschlich und folgerichtig durchführbar sein könne. Der gleiche Tenor findet sich im schon genannten Buch "Sonnenfinsternis", wohl Koestlers gelungenster literarischer Arbeit, die in 31 Sprachen übersetzt wurde. In diesem "Kultbuch des ideologischen Antikommunismus", unter dessen Eindruck der Schriftsteller George Orwell stand, als er seinen epochalen Roman "1984" schrieb, greift Koestler die von Stalin initiierten Moskauer Säuberungsprozesse der Jahre 1936 bis 1938 auf.

Heiligt der Zweck die Mittel?

Am Fall seiner Hauptfigur Rubashov exemplifiziert Koestler die Psychologie der in Stalins Mühlen geratenen kommunistischen Revolutionäre, ihr Festhalten an der Parteidisziplin und ihre öffentliche Selbstbezichtigungen. Rubashov, dem Koestler Züge von Karl Radek und Nikolai Bucharin verlieh, ist seiner Partei treu ergeben und wird trotzdem als Konterrevolutionär verhaftet. Den Fehler in der revolutionären Logik suchend und von seinen einstmals kritiklos ausgeführten Taten belastet, beginnt Rubashov an der bisher als selbstverständlich erachteten Maxime, dass der Zweck alle Mittel und Opfer rechtfertige, zu zweifeln. Dennoch fügt er sich der Parteidisziplin und bekennt während seines Schauprozesses Verbrechen gegen die Partei, die er nie verübt hat. Ein letzter Dienst an der Partei.

Die von Sidney Kingsley eingerichtete Bühnenfassung von "Sonnenfinsternis" wurde vom New Yorker Kritikerverband zum "besten Schauspiel" der Saison 1950/51 gewählt und wird bis heute erfolgreich aufgeführt.

Koestler, der zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in Paris lebte, trat nach seiner zeitweiligen Internierung durch die Franzosen im berüchtigten Lager Le Vernet in die Fremdenlegion ein. 1940 gelang es ihm, vor der Gestapo nach London zu entkommen, wo er nach seiner Tätigkeit als Kriegsberichterstatter in der britischen Armee und Nachkriegsaufenthalten in Palästina, Frankreich und den USA 1952 dann endgültig sesshaft wurde.

In der Aufarbeitung seiner politischen Vergangenheit sah Koestler im ersten Nachkriegsjahrzehnt seine Hauptaufgabe. Als Ergebnis daraus entstand eine Reihe von Romanen, Essays und autobiographischer Schriften, in denen der enttäuschte "Renegat" schonungslos - auch gegen sich selbst - das Wesen und die Entwicklung des Kommunismus analysierte. Während des Kalten Krieges stand er an der Spitze der antikommunistischen Agitation im Westen und rief publizistisch und auch in Vorträgen, etwa auf Veranstaltungen wie dem "Kongress für kulturelle Freiheit" 1950 in Berlin, als führender schreibender Antikommunist der westlichen Welt zum Kreuzzug gegen die aus seiner Sicht gefährliche politische Entwicklung im Osten auf.

Politik und Religion

In seinem 1945 in England und fünf Jahre später in deutscher Übersetzung erschienenen Essayband "Der Yogi und der Kommissar" versucht Koestler, Religion und Politik durch eine Synthese aus dem Typus des Heiligen und des Revolutionärs zu versöhnen. Dabei unterscheidet er zwischen dem Yogi, dem romantisch irrationalen Dulder, dem es nur um die "innere" Welt geht, etwa Gandhi, und dem Kommissar, als Beispiel dafür sieht er Lenin, der die äußere Welt mit revolutionären Mitteln zu verändern suchte. Die Vereinigung dieser beiden Grundtypen des Menschlichen ergibt für Koestler die Verwirklichung einer wahren Humanitas, durch die die Welt gerettet werden könnte.

Nachdem Koestler 1956 unter dem Titel "Die Rache ist mein" zusammen mit anderen Autoren, wie etwa Albert Camus, eine Sammlung mit Plädoyers gegen die Todesstrafe herausgegeben hatte, begann er, sich von politischen Themen mehr und mehr abzuwenden und sich den Naturwissenschaften zu widmen. Koestler hatte, wie er selbst feststellte, "alles, was zum Thema Politik und Kommunismus zu sagen war", in seinen autobiographischen Schriften, Romanen, Essays und Vorträgen geschrieben und gesagt.

Ergebnisse seiner letzten Schaffensphase auf dem neuen Terrain waren eine Reihe halbwissenschaftlicher Bücher über psychologische und evolutionstheoretische Themen, die Koestler von der etablierten Wissenschaft anerkannt sehen wollte. Vor 20 Jahren, am 3. März 1983, schied Arthur Koestler, dem eine Wahrsagerin einst einen plötzlichen und gewaltsamen Tod prophezeit hatte, durch Selbstmord aus dem Leben.

Freitag, 07. Februar 2003

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