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Ein Bauer rechnet mit seinem Nachbarn Thomas Bernhard ab

Bernhard: Der Dichter im Schweinestall

Von Verena Mayer

Ähnlich umfangreich wie Thomas Bernhards Werk ist inzwischen die Thomas-Bernhard-Erinnerungsliteratur. So wie sich früher jeder, ob Provinzpolitiker oder Taxifahrer, bemüßigt fühlte, Bernhards Bücher zu kommentieren, so vergeht nun kaum ein Jahr, in dem nicht irgend jemand irgend eine Erinnerung an Bernhard beschwört. Der Pianist Rudolf Brändle schrieb über die gemeinsamen Tage in der Lungenheilanstalt, Gerda Maleta gedachte einer gemeinsamen Reise, und das mit Bernhard befreundete Ehepaar Wieland und Erika Schmied glaubte die Orte, an denen Thomas Bernhard oft war, fotografisch für die Nachwelt festhalten zu müssen.

Kaum dass sie die Sprachgewalt des Dichters nicht mehr fürchten mussten, hatten sich auch die von Bernhard Ignorierten oder Fallengelassenen zu Wort gemeldet. So brachte der Unterrichtsminister, der über Bernhard geäußert hatte, er solle sich in Behandlung begeben, das Buch "Lehrjahre. Vom Journalisten zum Dichter" heraus, und der mit Bernhard verkrachte Realitätenhändler Karl Ignaz Hennetmair gewährte mehrere Einblicke in sein Tagebuch. Hennetmairs Aufzeichnungen sind ein Glanzstück der Thomas-Bernhard-Erinnerungskultur. Beweisen die fast 600 Buchseiten doch vor allem, dass Bernhard seinem Paparazzo an Gewieftheit um nichts nachstand. Bevor Hennetmair überhaupt daran denken konnte, seine Beobachtungen preiszugeben, hatte Bernhard den Realitätenvermittler schon in "Ja" verewigt.

Über Ähnliches weiß der Ohlsdorfer Johann Maxwald zu berichten, der mit Bernhard Bauernhof an Bauernhof wohnte und mit seinen 76 nun das Buch "Mein Nachbar Thomas Bernhard" herausgebracht hat. Im Gegensatz zu Hennetmair geht es Maxwald allerdings nicht ums Geschäft. Das schmale, im Eigenverlag produzierte Bändchen ist so etwas wie eine verspätete Gegendarstellung. Maxwald gehörte nämlich jener Schweinestall, den Bernhard im "Theatermacher" nicht gerade schmeichelhaft verewigt hat. Und als Maxwald eines Tages einen Mastschweinestall errichten wollte, kam es zu einem unfreundlichen Briefwechsel zwischen den beiden Nachbarn. Man einigte sich schließlich auf einen Vergleich: Maxwald baute seinen Stall woanders, Bernhard übernahm die Mehrkosten von 100.000 Schilling.

Wer hier ein gutes Geschäft gemacht hatte, erfuhr Maxwald erst nach Bernhards Tod. Bernhard hatte sich nämlich bei Siegfried Unseld beklagt, er werde wegen eines Schweinestalls erpresst, und vom Suhrkamp-Verlag das Geld mit den Worten "Kostenpunkt der Abwehr: 200.000 Schilling" verlangt. Damit nicht genug: Auch seinen Bekannten scheint Bernhard stets von 200.000 Schilling erzählt zu haben, jedenfalls fühlte sich der Schweinebauer fortan gemobbt. Leute, die sich immer gerne von ihm Schnaps und Speck vorsetzen hatten lassen, wenn sie den Dichter nicht zu Hause antrafen, hätten ihn nun gemieden, schreibt Maxwald.

Zu erzählen hat der Bauer, der das Wort "naturgemäß" öfter verwendet als Bernhard selbst, einiges. Von dem Tag etwa, an dem er sich ein Herz fasste und Bernhard gestand, mit seinen Büchern nichts anfangen zu können. "Für mich sind auch nur drei Personen wichtig, denen meine Bücher gefallen müssen", antwortete Bernhard und nannte auch deren Namen. Allein: Maxwald hat sie vergessen. Nur dass Bernhard die "Frankfurter Allgemeine" erwähnte, weiß er noch - was vermuten lässt, dass Marcel Reich-Ranicki unter den dreien war. Das Rätsel wird ungelöst bleiben - aber dafür kennen wir ja jetzt den Namen des Nachbarn.

Johann Maxwald: Mein Nachbar Thomas Bernhard. 24 Jahre neben dem Schriftsteller. Erschienen im Eigenverlag und zu beziehen unter j.maxwald@nusurf.at

Freitag, 24. Jänner 2003

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