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Ein Gespräch mit der Albert-Drach-Biografin Eva Schobel

Drach: "Er war enorm auskunftsfreudig"

Von Gerald Schmickl und Hermann Schlösser

Wiener Zeitung: Frau Schobel, wie lange haben Sie an der Albert-Drach-Biografie gearbeitet?

Eva Schobel: Es gab mehrere Phasen: jene mit Albert Drach, den ich zu Lebzeiten oft interviewt habe; nach seinem Tod die Recherchen und die Aufarbeitung des Nachlasses; und dann die konkrete Schreibarbeit, die ein Jahr gedauert hat.

W. Z.: Was, nur ein Jahr für dieses doch recht umfangreiche Buch?

Schobel: Ja, mir kam es auch kurz vor. Aber man muss schon sagen, dass es gut zehn Jahre Vorarbeit bedurft hat, in denen viel vorformuliert wurde, um das nun relativ flott hinzukriegen. Ich hatte auch nicht länger Zeit als ein Jahr, da die Biografie heuer, zum 100. Geburtstag Drachs, fertig sein musste.

W. Z.: Wann und wie hat Ihr Kontakt zu Drach begonnen?

Schobel: Das erste Mal gesehen habe ich ihn im Jahr 1988. Das war, nachdem die "Unsentimentale Reise" bei Hanser wieder neu herausgekommen ist, aber noch bevor er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde. Ich war damals gerade mit meinem Germanistik-Studium fertig - und bekam vom Autor Peter Henisch den Tipp, dieser unkonventionelle Emigrationsbericht und vor allem ihr Schöpfer, die Schriftstellerpersönlichkeit Albert Drach, könnten journalistisch von Interesse sein. Ich habe dann einfach in Mödling angerufen, im Drach-Hof, und mich für ein Interview angemeldet, wofür sich die "Frankfurter Rundschau" interessierte. Damit war Drach sofort einverstanden.

W. Z.: Bei diesem einen Interview ist es aber nicht geblieben . . .

Schobel: Nein, weil Albert Drach mich nach unserem ersten Gespräch gefragt hat: "Wann kommen Sie wieder?" Und da er mich sehr interessiert hat und ich erst am Anfang meines "Drach-Studiums" stand, weil damals noch viele seiner Bücher vergriffen waren, bin ich wiedergekommen und wollte mehr von ihm erfahren. Er hat auch erwartet, dass ich wiederkomme. Er hat das übrigens nicht nur von mir erwartet, sondern von allen, die ihn besucht haben, und hat sich immer gewundert, wenn Journalisten nur ein einziges Mal kamen - und dann nie mehr wieder.

Kurz nach unserem ersten Gespräch hat er dann den Büchner-Preis erhalten - und ich konnte meinen Artikel nun auf breiterer Basis verkaufen, was auch mein Interesse weiter gesteigert hat. So trafen sich seine Erwartungshaltung und mein Interesse. Und es war auch bald klar, dass es in Richtung Biografie weitergehen sollte.

W. Z.: War das nur Ihnen klar - oder auch ihm?

Schobel: Er hat die ganze Zeit erwartet, dass ich ein Buch über ihn schreibe. Er hätte es auch sicher noch gerne erlebt.

W. Z.: Da Drach ein sehr streitbarer und klagefreudiger Autor war, stellt sich allerdings die Frage, ob er das Buch in dieser Form akzeptiert

hätte.

Schobel: Ich denke doch. Er war letztlich härter im Nehmen, als man glaubt. Es ist ja auch kein denunziatorisches Buch, aber es relativiert natürlich einiges, was Drach gerne erzählt und behauptet hat, weil man das relativieren musste. Er war schon auch fähig, einen Abstand zu sich selbst herzustellen und die Dinge zu ironisieren.

W. Z.: Wobei das Vertrauensverhältnis zu Ihnen sicher eine entscheidende Rolle gespielt hat, denn bei Anderen war er ja nicht gerade für seine Zurückhaltung und Selbstironie bekannt.

Schobel: Wenn er gemerkt hat, dass man sich wirklich ernsthaft und seriös mit seinem Werk auseinandersetzte, ließ er mehr gelten. Er hat dann auch jenen Humor gezeigt, den ihm viele nicht zugetraut haben.

W. Z.: Aber es gibt, wenn man die vielen Drach-Porträts und Interviews liest, doch eine Reihe von wiederkehrenden Geschichten, quasi "Evergreens", die er immer und immer wieder erzählte, vom nicht erhaltenen Kleist-Preis bis zur Behauptung, das Mödlinger Finanzamt habe durch eine unverschämte Vorschreibung seine vorzeitige Erblindung herbeigeführt. Sie relativieren einige dieser Geschichten, um nicht zu sagen, Sie widerlegen sie.

Schobel: Das ist verschieden. So ist zum Beispiel die Dracula-Geschichte - also die Behauptung, dass Drachs Vorfahren Bram Stoker beleidigt hätten, worauf jener aus Rache seinen Vampir "Dracula" genannt habe - eine pure Erfindung. Das habe ich sogar direkt vor ihm widerlegt, worüber er nicht sehr "amused" war. Er hat diese Geschichte so geliebt, dass er nur schwer eingestehen konnte, dass sie einfach nicht stimmt. Was hingegen den Kleist-Preis betrifft - also Drachs Behauptung, dass Hans Henny Jahnn ihm 1928 diesen Preis für sein de-Sade-Drama "Das Satansspiel vom göttlichen Marquis" zuerkannt habe, aber das Preiskomitee die Auszeichnung keinem "Sadisten" verleihen wollte, und Anna Seghers schließlich den Preis erhielt -, bin ich nach langen Recherchen zu dem Schluss gekommen, dass seine Version nicht so unwahrscheinlich ist. Aber ganz genau lässt sich das nicht mehr nachvollziehen.

W. Z.: Was waren denn generell die größten Probleme bei der Recherche und Materialbeschaffung?

Schobel: Dadurch dass Albert Drach gezwungen war, 1938 zu emigrieren, ist viel verloren gegangen, z. B. der Brief von Hans Henny Jahnn mit der Kleist-Preis-Bekanntgabe - und vieles andere mehr. Besonders schwierig zu recherchieren waren natürlich die Emigrationsgeschichten, Drachs Überleben in Frankreich.

W. Z.: Sie waren dort und haben vor Ort nachgeforscht.

Schobel: Ja, ich bin zwar nicht überall gewesen, aber ich war in Valdeblore, einem kleinen Gebirgsdorf, in dem Drach letztlich überlebt hat. Und dort habe ich tatsächlich Leute getroffen, die sich noch persönlich an ihn erinnern konnten. Das war insofern sehr interessant, als das, was Drach in der "Unsentimentalen Reise" an historischen Tatsachen beschreibt, weitgehend stimmt, das wurde von den Menschen dort bestätigt. Was aber seine Selbststilisierung in der Figur des Peter Kucku anlangt, so dürfte das eindeutig eine ästhetische Überhöhung gewesen sein, denn diese Figur ist ja immens provokant und mutig. Und ich habe einen Nachbar Drachs aus damaliger Zeit getroffen, der sich an ihn als sehr schüchternen und höflichen Menschen erinnert hat.

W. Z.: Es gibt über diese Emigrationsjahre aber nicht nur die "Unsentimentale Reise", sondern auch einige unveröffentlichte autobiografische Berichte, die Sie in dem Buch erwähnen, u. a. "Blinde Kuh" und "Aus". Wie unterscheiden sich diese Schriften von den veröffentlichten?

Schobel: Der Unterschied liegt vor allem darin, dass die "Unsentimentale Reise" mit Abstand der am Literarischesten komponierte Text ist, während die anderen Texte den unmittelbareren Ansatz haben: Ich, Albert Drach, versuche mich zu erinnern, wie es wirklich war . . . Es war zum Teil mühsam, aber doch sehr interessant, diese Texte gegeneinander zu halten. Die zum Teil filmreifen Szenen, die in der "Unsentimentale Reise" enthalten sind, fehlen in den anderen Schriften weitgehend. In "Aus" sind noch ein paar drinnen, aber in der "Blinden Kuh" überhaupt nicht mehr, wobei Drach diesen Text erst nach seinem gravierenden Sehverlust begonnen hat, um noch einmal eine Art Rechenschaft über sein Leben abzulegen.

W. Z.: Hatte er selbst diese Texte noch zur Veröffentlichung vorgesehen?

Schobel: Im Endeffekt nicht mehr. Das ist zwar ein Streitpunkt unter den "Drachianern", aber ich weiß definitiv auf Grund meiner Bekanntschaft mit ihm bis zu seinem Tod, dass er die "Blinde Kuh" nicht mehr veröffentlichen wollte, weil ihm völlig klar war, dass er den Text buchstäblich nicht mehr überblicken - und auch nicht mehr in die entsprechende literarische Form bringen konnte. Es gibt aber auch die Auffassung, dass man alles, was Drach je geschrieben hat, veröffentlichen sollte. Ich teile sie nicht.

W. Z.: Obwohl, wie Sie gesagt haben, die Emigration die am schwersten zu erforschende Zeitspanne war, nimmt sie doch den Großteil der Biografie ein, während die Jahre der eigentlichen schriftstellerischen Entdeckung Drachs, also von 1964 weg bis zu seinem Tod im Jahre 1995, einen vergleichsweise geringen Anteil am Gesamtumfang des Buches haben.

Schobel: Zum Zeitpunkt seiner literarischen Entdeckung hatte er freilich schon sehr viel geschrieben. Ich habe versucht, immer wieder einen Zusammenhang zwischen dem Werk und dem Leben herzustellen, so habe ich etwa "Z. Z. das ist die Zwischenzeit", das zwar erst später entstanden ist, schon vorher, also bei der Schilderung der Jahre vor der Emigration, in das Buch eingebaut, daher entsteht vielleicht ein verzerrter Eindruck. Aber man muss halt sagen, dass die Jahre im Exil für Drachs Schreiben ungeheuer prägend waren, daher ist dieser Schwerpunkt wohl auch berechtigt. Natürlich hätte ich über die Zeit danach noch mehr machen können, aber dann hätte das Buch wohl tausend Seiten gehabt . . .

W. Z.: Sie sind sieben Jahre lang, die letzten Lebensjahre Drachs, in sehr engem Kontakt mit ihm gestanden. Wie liefen Ihre Treffen konkret ab?

Schobel: Ich bin alle zwei Wochen zu ihm gefahren. Bis auf Reisen oder Urlaube, die ich ihm natürlich melden musste. Er hat es überhaupt nicht geschätzt, wenn ich länger weggefahren bin, da hat er dann einmal bei meiner Rückkehr vorwurfsvoll bemerkt: "Ich bin 89 Jahre, 7 Monate und 17 Tage alt, es ist ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebe." Er war dann zwar nicht länger beleidigt, aber er hat eine gewisse Regelmäßigkeit unseres Kontaktes sehr geschätzt. Ich bin immer um 15.30 Uhr gekommen, da hat Frau Drach Kaffee und Kuchen serviert - und er wurde schon nervös, weil er bereits mit mir arbeiten wollte; dann haben wir zwei Stunden geredet und uns anschließend zum Abendessen gesetzt, das Gerty Drach mittlerweile zubereitet hat. Ich habe das Gespräch oft über weite Strecken laufen lassen, aber hie und da auch strukturiert oder gelenkt. Ich musste halt sehen, dass ich alle wichtigen Informationen und Hinweise erhalte. Aber er war sowieso enorm auskunftsfreudig . . .

W. Z.: Man musste ihn also nicht lange bitten?

Schobel: Nein, wahrlich nicht . . . (lacht)

W. Z.: Lief dieser Gesprächskonktakt immer nur in eine Richtung - oder wollte Drach auch ab und zu etwas von Ihnen erfahren?

Schobel: Er hat sich durchaus auch für mich und meine Angelegenheiten interessiert, war also nicht so egozentrisch, dass er sich nicht erkundigt hätte, wie es mir geht, was ich tue, woran ich sonst noch arbeite - das war die riskanteste Frage . . . (lacht) Aber natürlich stand er im Mittelpunkt, das war ja auch so vorgesehen.

W. Z.: Drach wollte sich selbst in keinerlei literarischer Verwandtschaft oder Abfolge sehen, hat bekanntlich einen Kritiker geklagt, der ihn mit Herzmanovsky-Orlando verglichen hatte. Hat er auf dieser "Einzigartigkeit" auch in all Ihren Gesprächen beharrt?

Schobel: Auf der hat er ziemlich durchgängig bestanden, hat aber auch zur Kenntnis genommen, dass ich das nicht so ernst nehme. Er hat mir auch einige Male stolz seine große Bibliothek gezeigt - und höchst versiert über viele der dort vorhandenen Autoren gesprochen, obwohl er sonst gerne behauptet hat, dass er die Bücher nur gesammelt habe, aber niemals gelesen.

W. Z.: Warum, glauben Sie, hat er derart vehement auf dieser Einzigartigkeit bestanden?

Schobel: Das liegt zum einen sicher in seiner Kindheit begründet - etwa in der Episode, als er einer Wasserleiche ansichtig wurde und derart erschrak, dass er beschloss, unsterblich zu werden - und dazu Dichter werden musste, da ihm sein Vater erklärt hatte, dass Dichter unsterblich seien. Daher das Besondere des schöpferischen Aktes. Zum anderen - und deswegen hat sich das wohl bei ihm so verfestigt - wurde ihm durch falsche Vergleiche ja tatsächlich geschadet. Es ist zwar nicht ehrenrührig, mit Herzmanovsky-Orlando verglichen zu werden, aber Drachs Werk wurde dadurch verharmlost, nicht in seiner gesamten Tiefe und Widerständigkeit erkannt. Immer wieder ist die Rede vom "skurrilen Kanzleistil", vom "Amtsdeutsch", was dazu beigetragen hat, dass sein Werk wieder vergessen wurde, weil es in die falsche Ecke gestellt wurde. So ist etwa die "Unsentimentale Reise" bei ihrem ersten Erscheinen komplett durchgefallen, weil sie nicht in diese Kategorie passte. Außerdem nistete in Drach ein Grundärger, den man durchaus verstehen kann. Da schreibt jemand seit frühester Jugend - und muss über 60 Jahre alt werden, bevor er erstmals veröffentlicht wird.

W. Z.: In welche literarische Tradition würden Sie ihn einordnen?

Schobel: Schwer zu sagen. Er hatte im Grunde einen traditionellen Ansatz, eine ziemlich strikte Vorstellung, wie ein Roman auszusehen hat - als Avantgardist sah er sich selbst erst, nachdem ihn das "Times Literary Supplement" 1968 als einen solchen bezeichnet hatte -, trotzdem hat er mit seinem Versuch, die traditionellen Normen zu erfüllen, paradoxerweise etwas gänzlich Neues geschaffen.

Freitag, 13. Dezember 2002

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