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Über die maßvollen politischen Ansichten des "Rheinländischen Hausfreunds" Johann Peter Hebel

Hebel: Der freundliche Kalendermann

Von Richard E. Schneider

Einen nachhaltigen Eindruck von moralischer Integrität der Großen dieser Welt sowie von menschlichem Mitgefühl mit den "Kleinen" hinterließ der badische Kalenderschriftsteller Johann Peter Hebel nicht allein bei seinen "geneigten Lesern" im Großherzogtum Baden am Rhein. Auch in der Weltliteratur, von der Hebels Rezensent und Zeitgenosse Goethe zu sprechen begann, von Leo Tolstois Russland über Frankreichs George Sand bis zu den nachfolgenden deutschen Kalender-Schriftstellern Berthold Auerbach und Bertolt Brecht spannt sich der Bogen der Rezeptionsgeschichte der Erzählungen des "Rheinländischen Hausfreunds". In dem Schweizer Pfarrer Jeremias Gotthelf aus Murten besaß der Erzähler Hebel, selbst Pfarrvikar und späterer Oberkirchenrat, gar einen zeitgenössischen Schriftsteller verwandter Prägung. Und nicht zuletzt die Dichtung des Oberösterreichers Adalbert Stifter, Erzieher und Privatlehrer des Wiener Hochadels, atmet Hebels Geist und literarischen Stil.

Der Kaiser im Kalender

Für Johann Peter Hebel, seit 1790 als Hofdiakon in Karlsruhe, ab 1805 von der evangelischen Kirche mit der Redaktion des badischen Landkalenders betraut, blieben das kaiserliche Haus Habsburg und Wien Sinnbild und Erinnerung an die alte Ordnung im Reich. "In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger Monarch . . ." beginnt eine der rührendsten Kalendergeschichten des "Rheinländischen Hausfreunds" aus dem Jahrgang 1809, in der Johann Peter Hebel nochmals des alten Reichszentrums und des gnädigen kaiserlichen Regiments gedenkt. Mit Ehrfurcht und Respekt stellt er seinem "geneigten Leser" die noble Handlungsweise des Kaisers Joseph in Wien vor.

Dem Karlsruher evangelischen Hofprediger standen trotz aller sonstigen Frankreich-Nähe weder das Los des durch Napoleon untergegangenen "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" noch dessen maßgeblicher Protagonist, "der Kaiser in Wien", allzu fern. Überdies war Vorderösterreich, das Gebiet um und mit Freiburg im Breisgau bis in den Schwarzwald, im Zuge des so genannten Reichsdeputationshauptschlusses 1803 sowie eines Gebietstauschs zwei Jahre später badisch geworden. Ein erwünschter Effekt der Erzählungen des "Rheinländischen Hausfreunds", der die Verbundenheit der neuen, Österreich noch immer anhängenden Bewohner im Breisgau mit den alteingesessenen Nord- und Südbadenern festschreiben sollte.

Für alle großherzoglichen Untertanen, ob evangelisch oder katholisch, schrieb Hebel fortan seinen Kalender im Auftrag seines Landesherrn, des früheren Markgrafen Karl Friedrich von Baden, der durch Intervention bei Napoleon 1805 zum Großherzog von Baden avancierte und mit anderen deutschen Landesfürsten im "Rheinbund" politisch frei, d. h. reichsunabhängig agierte.

Wiederholt beschreibt der "Kalendermacher" detailliert und mit viel Einfühlungsvermögen ein Zeitalter sowie ein Rechtsgefühl in Europa, die der Korse Napoleon Bonaparte gewaltsam abgebrochen und als "zu Ende gegangen" deklariert hatte. Es sind fast durchweg leutselige bis listige Charaktere, die die Farben des im "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" tonangebenden Österreich vertreten. Beispielgebend seien genannt der "listige Steiermärker", der sein Erspartes vor den anrückenden marodierenden Soldaten Napoleons im Gemüsegarten versteckt, und der österreichische Offizier, der in einem schwäbischen Wirtshaus einen Juden zum Besten hält, oder ein anderer österreichischer Offizier, der durch seine Aufmerksamkeit in einem Gasthof den Diebstahl silberner Löffel verhindert.

Der gebürtige Markgräfler Johann Peter Hebel ergreift selbst gerne Österreichs Partei, wenn er im Kaffeehaus in Karlsruhe mit seinem Tischgenossen, Geheimrat Dr. Kölle, Württembergischer Gesandter am großherzoglichen Hof in Karlsruhe, die letzten Schlachten und Kämpfe zwischen dem Haus Habsburg und französischen Revolutionstruppen nachspielt und -stellt.

Wie der preußische Heinrich von Kleist, der damals in Berlin kleine Anekdoten und Kriegserzählungen für die Öffentlichkeit publizierte, weiß der Alemanne Hebel aber auch "Franzosen-Billigkeit" zu würdigen, die während der Besatzungszeit auf eigene Vorteilsannahme verzichtet und deutsche Denunzianten bestraft.

Hebels Realitätsnähe

Die großen inneren Konflikte seiner deutschen Zeitgenossen stellt Hebel realitätsnah in der Kalendergeschichte "Die Treue und ihr Dank" dar: Kaiser Franz II. erlässt eine neue Gesindeordnung, setzt gleichzeitig eine auch materiell sehr bedeutende Belohnung aus "für unbescholtene, ehrliche Dienstboten, die ihrer Herrschaft mindestens 25 Jahre treu dienten . . ." Auf diesen offiziellen kaiserlichen Aufruf aus dem Jahr 1811, berichtet Hebel, meldeten sich überraschend viele Untertanen. Es sind exakt 751 Bedienstete, die 40 oder sogar 58 Jahre aufopferungsvoll einer Herrschaft oder einem dauerhaft Kranken gedient hatten und die der Kalendermacher nun in bester christlicher Gesinnung mit Lobsprüchen aus der Bibel auf seine Art feiert. Der Kalenderredakteur, Sohn armer Leute - man erinnere sich der wiederholten öffentlichen Bezeugung des Oberkirchenrats J. P. Hebel "Ich bin das Kind armer Dienstboten" -, fügt noch eine Forderung an: Der Kaiser solle weitere Geldprämien für besonders gütige Herrschaften aussetzen, "die ihre Dienstboten in Ehren halten", so dass man ihnen viele Jahre in Treue und Anhänglichkeit dienen könne. Kurzum: Die sozialen Beziehungen werden bei Hebel nicht allein von Geschichte oder politischen Forderungen geprägt, sondern durch Mitmenschlichkeit bis zur gegenseitigen Hingabe.

Franzosen im Kalender

Waren menschliche Güte und Ehrlichkeit die hervorragenden Eigenschaften, die Österreichs Bewohnern und dem "Alten Reich" zugeordnet werden konnten, so werden die zahlreichen Franzosen und Französinnen im Kalender des "Rheinländischen Hausfreunds" durch menschliche Nähe und lustiges Wesen ausgezeichnet: Der französische Offizier lässt Milde walten, als er nach zwei Jahrzehnten in einem preußischen "Husar in Neisse" den Mörder seiner kleinen Schwester und den rücksichtslosen Plünderer seines Vaterhauses in der Champagne wiedererkennt.

Ähnlich ein anderer einquartierter französischer Offizier in Schlesien, der den Vorteil verschmäht, den ihm der Trickreichtum eines einheimischen Handwerkers verschafft hätte, der seinerseits ihn selbst sozusagen als Instrument seines Hasses benutzen wollte.

Generell gesehen kommt die französische Mentalität im Kalender keinesfalls schlecht weg. Der "Machin" aus dem "Fürchterlichen Kampf eines Menschen mit einem Wolf" kämpft todesmutig, um seine Familie vor einem bösen Wolf zu retten. Die beiden "Wasserträger" in Paris, die Lotteriegewinn reich macht, werden in ihren Gefühlen lebensecht geschildert, wobei der eine mit seinem unverhofften Geldgewinn sehr vernünftig umgeht und ihn in Wertpapieren anlegt, so dass er nie mehr in dieser tiefstehenden Berufsklasse "Wasserträger" arbeiten muss. Der andere Gewinner, eher philosophisch veranlagt, gibt den großen Gewinn schnell mit beiden Händen wieder aus, verteilt ihn sozusagen unter möglichst vielen Menschen - um anschließend wieder mit Freude seiner alten, wohl geliebten Tätigkeit als Wasserträger nachzugehen.

"Franzölei"

Mit diesem Wort verhöhnte Preußen- und Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. die damals vor allem an Fürstenhöfen verbreitete Frankophilie, die die französische der deutschen Sprache vorzog. In diese Kategorie lassen sich Hebel und seine Kalendergeschichten nicht klassifizieren. Auch diejenigen nicht, die wohlwollend über den "französischen Kaiser" Napoleon geschrieben wurden. Der "Grosse Schwimmer" aus der Gaskogne, der allein durch Prahlen und Großreden einen Konkurrenten und Mitbewerber ausschaltet, hat die Leser und Lacher auf seiner Seite, wohl auch die Sympathien. Jedenfalls zeichnet Autor Hebel ein vielfach zutreffenderes Bild von den Franzosen und ihrem Wesen, wie er seinerseits wohl in breiten Volksschichten verankert war.

Menschlicherweise zeigt der Kalendermacher J. P. Hebel - der sich im deutsch-französischen Elsass gerne "Bildermann" rufen lässt! - mehrfach Parallelen im Leben der Menschen jenseits der Landesgrenzen: Die Geschichte vom "Grossen Schwimmer" beginnt mit der harmlosen Bemerkung "als man die Hühner eintat in Calais". Ein Gleichklang, denn in deutschen Landen tut man nichts anderes am Abend. Dieser beiläufige Halbsatz hat desungeachtet schon einige Literaturexperten bewegt. So betont Autor Lothar Wittmann ("Der Kalender als Spiegel der Welt") nachdrücklich dieses Heran- und Hereinrücken der fernen französischen Welt. Ähnlich der deutsche Philosoph Ernst Bloch, selbst Rheinländer und aus Ludwigshafen gebürtig. Er stellte fest, "dass die Franzosen in vielem Hebel näherstehen als seine alemannischen Landsleute."

Dies ist gewiss eine Übertreibung. Schon in den Hebelschen Differenzierungen im Kalender zwischen dem Sundgauer, der Deutsch nur radebrechend spricht, und dem Elsässer, der alemannischen Charakter und Traditionen bewahrt, wird dies deutlich. Zudem sollte man bei einer politischen Beurteilung von Hebels Gesinnung nicht die historischen Verhältnisse außer acht lassen: Das Großherzogtum Baden war erst 1805 und mit Wohlwollen Napoleons entstanden. Hebels Dienst- und Landesherr, gleichzeitig auch sein Gönner, Großherzog Karl Friedrich von Baden (1728 bis 1811), hatte sich 1805 mit dem "Rheinbund" vertraglich an den "Empereur Napoléon" gebunden, dem er seine neue Würde wie die neue Größe seines Landes verdankte. Ein enormer territorialer und Populationszuwachs für Baden. Dazu die Eheschließung des badischen Thronfolgers Karl im Jahr 1806, der zuvor seine Verlobung mit einer bayerischen Erbprinzessin auf Geheiß Napoleons auflöste, um sich mit des Korsen Adoptivtochter Stéphanie, in Wahrheit einer Verwandten von Kaiserin Joséphine, zu verbinden.

Jene politischen Gegebenheiten seiner Zeit inklusive der Verpflichtungen seines großherzoglichen Gönners konnte der alemannische Kalenderschriftsteller Johann Peter Hebel nicht verkennen oder sich ihnen gar entziehen. Konsequenterweise begrüßte er brieflich diese dynastische Heirat über den Rhein hinweg. Im Karlsruhe jener ersten Jahre nach 1800 war eine Napoleon-Euphorie ausgebrochen: Hofarchitekt Weinbrenner errichtete mehrfach Triumphbogen für den französischen "Empereur", ließ schon bei Ankündigung der Ankunft des "Usurpateurs" im mit

Girlanden geschmückten Stadtzentrum pompöse Siegesfeste veranstalten.

Alles war auf Kompensation, Anerkennung für den neuen Landgewinn und den Protektor Badens ausgerichtet. Die "Rheinbund-Allianz" des Großherzogs musste notfalls auch gegen Österreichs Interessen verteidigt werden. Die Art und Weise, wie Kalendermacher Hebel die Geschichte des Sandwirts Andreas Hofer aus dem Passeiertal erzählt, lässt im Hinblick auf politische Realitäten keine Wünsche offen.

Mit skeptischem Blick

Naturgemäß - entsprechend der geografischen Nachbarschaft Badens zu Frankreich - bleibt der "Rheinländische Hausfreund" ohne Töne des Aufbegehrens gegen Napoleon, den er ohne falsche Scheu mit dem Titel "französischer Kaiser" bedenkt. Für ihn sind Aufstieg und Fall des Korsen "ein Beispiel, bei dem man Gedanken haben kann". Erst in den historisch ausgerichteten "Weltbegebenheiten" des Kalenders nach 1812 schlägt Hebel differenzierende Töne an.

Doch dann ist der Emporkömmling Napoleon, über dessen erste Verabschiedung von seinen Soldaten in Fontainebleau der Kalendermann nicht ohne Anerkennung berichtet, fast schon besiegt. Die "Heilige Allianz" aus Zar Alexander von Russland, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Österreichs Kaiser Franz II. betrachtet der Kalenderredakteur jedenfalls nicht ohne Skepsis. "Der Hausfreund hat fast wollen ein wenig erschrecken, als die Weltuhr auf einmal wieder auf 1789 zurückschnellen wollte", heißt es in den "Weltbegebenheiten". Im gleichen Jahr 1815, als Napoleon in die Verbannung auf Sankt Helena ging, trat Hebel in Karlsruhe von seiner Arbeit am Kalender zurück. Eines der meistgelesenen Werke der deutschen Literatur war geschaffen, trat gerade in der darauf folgenden Zeit der Restauration und des Biedermeier seinen Siegeszug an.

In Schwetzingen bei Mannheim starb der alemannische "Hausfreund", der als Schulrat das badische Erziehungswesen inspizierte, auf einer Dienstreise nicht ganz unvorbereitet, aber unerwartet am 22. September 1826, und liegt auch dort begraben.

Freitag, 29. November 2002

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