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Der britische Lyriker W. H. Auden und sein Haus in Kirchstetten

Auden: "Hier wird die Stille zu Dingen"

Von Andreas Brunner

Hinterholz 6: Direkt neben der legendären Kabarett-Baustelle befindet sich Wystan Hugh Audens niederösterreichisches Domizil. Dort stehen die Uhren still.

"Man sollte auch nicht vergessen, dass die meisten wirklichen Künstler es vorzögen, dass ihre Biographie nicht geschrieben würde. Ein echter Künstler glaubt, dass er zur Welt gekommen ist, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, die sein Talent ihm stellt. Sein Privatleben ist natürlich von Bedeutung für ihn und, wie er hofft, für seine Freunde, aber er meint nicht, dass es für die Öffentlichkeit von Bedeutung sei oder sein sollte."

Mit diesen Worten tritt der englische Lyriker Wystan Hugh Auden in seinem Essay über die Sonette William Shakespeares Spekulationen über des Dichters mögliche Homosexualität entgegen, weil ein Großteil der Gedichte an einen jungen Mann gerichtet sind. Zwar wendet sich Auden gegen scheinheilige Moralapostel, die die Tatsache, dass der größte englische Dramatiker in seinen schönsten Liebesgedichten einen Geliebten besingt, verdrehen, verleugnen oder uminterpretieren wollen, gleichzeitig ironisiert er auch die Vereinnahmung Shakespeares durch homosexuelle Leser, die "unseren großen Barden als Schutzheiligen der Homintern in Anspruch" nehmen.

Auden schrieb diese Zeilen wohl auch eingedenk der eigenen Biografie und angesichts seiner problematischen Einstellung zur eigenen Homosexualität. Er lebte zwar mit seinem Partner Chester Kallman für damalige Verhältnisse offen schwul, aber wirklich entspannt konnte er damit nie umgehen. Trotz dieser grundsätzlichen Abwehr einer Verbindung zwischen Dichtung und Biografie fühlte sich Auden durchaus geschmeichelt, als Freunde zu seinem 65. Geburtstag eine Festschrift vorbereiteten, wie Stephen Spender, sein lebenslanger Freund und schriftstellerischer Wegbegleiter seit Schultagen, erzählte. Daneben ist insbesondere das Spätwerk voll von autobiografischen Anspielungen, wie viele der in Kirchstetten in Niederösterreich entstandenen Gedichte zeigen.

Werk und Leben

Obwohl einer der bedeutendsten englischen Lyriker des 20. Jahrhunderts, sind die Werke von Wystan Hugh Auden heute in deutschsprachigen Ausgaben nur zu einem geringen Teil greifbar. Nach einer kurzen Renaissance in Folge des Films "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" (ein schwuler Mann rezitiert beim Begräbnis seines Partners das Gedicht "Anhalten alle Uhren", das seither meist unter dem falschen Titel "Begräbnis Blues" Eingang in jede zweite Anthologie mit Liebeslyrik fand) wurde es rasch wieder still um Auden. Zur Zeit sind zwei schmale Bände im Schweizer Pendo Verlag lieferbar - eine Zusammenstellung der großartigen Shakespeare-Essays ("Aus Shakespeares Welt") und eine zweisprachige Ausgabe mit ausgewählten Gedichten, die u. a. von Ernst Jandl, Hilde Spiel, Simon Werle und dem Herausgeber Hanno Helbling übersetzt wurden. Titel der Anthologie (wie könnte es anders sein): "Anhalten alle Uhren".

Geboren 1907 in der englischen Grafschaft York, erhielt Auden eine gediegene Schulbildung und ging gemeinsam mit Christopher Isherwood und Stephen Spender nach Berlin. Isherwood verarbeitete seine Erfahrungen mit dem aufkeimenden Nationalsozialismus im Roman "Welcome to Berlin", der die Vorlage für das Musical "Cabaret" bildete. Gemeinsam mit Isherwood verfasste Auden, der seit den späten 20er Jahren Gedichte publizierte, Theaterstücke und einen Reisebericht über den Chinesisch-Japanischen Krieg. Mit einer Zweckheirat verschaffte er 1935 Erika Mann die notwendigen Dokumente für ihre Emigration und unterstützte so ihren Kampf gegen den Faschismus. Zu Beginn des Jahres 1939 übersiedelte er in die USA, wo er wenig später seinen Lebenspartner Chester Kallman kennen lernte. Bis 1972, ein Jahr vor seinem Tod, hatte Auden einen ständigen Wohnsitz in den USA und wurde 1946 auch amerikanischer Staatsbürger.

Von 1948 an verbrachte er die Sommer mit Kallman und Freunden auf Ischia. In dieses Jahr fiel mit der Verleihung des Pulitzer Preises für den Gedichtband "The Age of Anxiety/Das Zeitalter der Angst" auch der erste Karrierehöhepunkt. Im September 1951 folgte mit der Uraufführung von Igor Strawinskys Oper "The Rake's Progress", für die er gemeinsam mit Chester Kallman das Libretto schrieb, ein weiterer. Mit dem Preisgeld des italienischen Feltrinelli-Preises für Literatur machte er sich auf die Suche nach einer neuen Wohnstatt. Sie sollte in einem deutschsprachigen Land (aber nicht Deutschland) und in der Nähe eines großen Opernhauses sein. Im niederösterreichischen Kirchstetten, das die Voraussetzungen erfüllte, entstand ab 1958 während der Sommeraufenthalte bis zu Audens frühem Tod 1973 ein Großteil des umfangreichen Spätwerks.

Das kleine, sich in die Landschaft duckende Haus war der einzige Besitz, den der Dichter zeitlebens sein Eigen nannte, wobei er in seinen Gedichten nie vom Haus sondern immer nur vom Land sprach. Dem Haus selbst widmete Auden einen zwölfteiligen Gedichtzyklus, der in den ersten Jahren in Kirchstetten entstanden ist. "Thanksgiving for a Habitat/Danksagung für eine Heimstatt" ist bezeichnend für die poetische Methode Audens in diesen Jahren. In eklatantem Widerspruch zur eingangs zitierten Verweigerung biografischer Deutung von Dichtung, sind diese Texte gespickt mit privaten Details, sodass deren Dechiffrierung oft nur mit Wissen um die Lebensumstände möglich ist.

Jedes Gedicht ist einem Raum des Hauses und einer Person gewidmet, mit beidem steht der Inhalt des Gedichtes in Beziehung. Auf zwei Gedichte sei kurz eingegangen: "The Cave of Making/Die Höhle des Schaffens" ist dem Andenken seines Dichterfreundes Louis MacNeice gewidmet und beschriebt das Arbeitszimmer:

"more private than a bedroom even, for neither lovers nor

maids are welcome, but without a

bedroom's secrets"

("intimer als ein Schlafzimmer, denn Liebhaber oder Dienstmädchen / sind hier nicht erwünscht, doch / ohne Alkovengeheimnisse"). Hier wirkt nur der kreative Prozess des Schaffens:

"Here silence

is turned into objects"

("Hier wird die Stille zu Dingen.")

Prägnanter geht es kaum.

Besucht man heute das nur teilweise öffentlich zugängliche Auden-Haus in Kirchstetten, wird man von Frau Vizebürgermeisterin Rollenitz von der Marktgemeinde über eine schmale hölzerne Außentreppe in die Dichterhöhle geführt. Man betritt einen niedrigen, düsteren Raum, zwei Giebelfenster in der Dachschräge geben Licht, auf einem Podest rechts der Schreibtisch: "from the Olivetti portable,

the dictionaries (the very

best money can buy), the heaps of paper, it is evident

what must go on."

("Aus der Olivetti portable, / den Wörterbüchern (den besten, / die es zu kaufen gibt), den Papierstößen, geht klar hervor, / was zu geschehen hat.") Die Papierstapel fehlen heute, sie wurden wohl in Archive gebracht, aber die Schreibmaschine, die Bücherregale (auch mit Wörterbüchern) warten noch so, wie von Auden beschrieben.

Das wichtigste private Gedicht dieses Zyklus ist das zwölfte und letzte, seinem Lebensgefährten Chester Kallman zugeeignete "The Common Life/Lebensgemeinschaft". Bezeichnenderweise beschreibt es nicht das Schlafzimmer. Die ersten Jahre in Kirchstetten waren für Chester und Wystan sehr produktiv. 1961 wurde "Elegie für junge Liebende" uraufgeführt, fünf Jahre später folgten "Die Bassariden" - zwei Opern von Hans Werner Henze, für die Kallman und Auden die Libretti schrieben.

Liebevolle Routine

Privat hatte sich einerseits eine liebevolle Routine eingestellt, Chester kümmerte sich um den Haushalt und kochte; andererseits entfremdeten sich die beiden nach mehr als zwanzig gemeinsamen Jahren zusehends. Es war für beide schon seit Jahren selbstverständlich, dass sie ihre eigenen Liebschaften pflegten, wobei Auden immer zurückhaltender als Kallman war. Wie Thekla Clark in ihren Erinnerungen an das Paar aber feststellte, wäre es für beide nie in Frage gekommen, sich in Kirchstetten ein Verhältnis zu suchen. Von den Kirchstettnern wurde nach Auskunft von Frau Rollenitz die Homosexualität des berühmten Paares nicht weiter beachtet, geschweige denn diskutiert. Hier in der niederösterreichischen Provinz galten Mitte der 60er Jahre noch die Gesetze Oscar Wildes: "The love that did not dare to

speak it's name." (Die Liebe, die ihren Namen nicht auszusprechen wagte.)

Es gehörte zu einem fixen Ritual, dass im Wohnzimmer - Chesters Raum - vor dem Essen um halb sieben die Martinis genommen wurden. Im "Living Room" wurden die Gäste, die Kirchstetten gerne und oft besuchten, mit Chesters Küchenkreationen bewirtet, hier wurde getrunken, diskutiert, Musik gehört (Oper gehörte zum gemeinsamen Leben wie die täglichen Martinis). Dieser Raum war das Zentrum ihres gemeinsamen Lebens und ihrer Liebe. Auden fragt in seinem Liebesgedicht für Chester:

"What draws singular lives together in the first place, loneliness, lust, ambition, or mere convenience, is obvious, why they drop or murder one another clear enough: how they create, though, a common world between them (. . .) no one has yet explained."

("Was Menschen wirklich zusammenhält, ist bekannt: / Einsamkeit, Ehrgeiz, Geilheit, / pure Bequemlichkeit. Klar ist, warum sie / einander stürzen oder / ermorden: doch wie sie miteinander auskommen (. . .) das Modell hat keiner parat.")

Viele Freunde Audens verstanden nicht, was diesen bei Kallman hielt. Oft wurde Chester als rüpelhaft, vulgär und laut beschrieben. Aber Wystan hielt zu ihm. Er echauffierte sich maßlos, als Chester von "Harpers" als "buffoon" (Hanswurst) abgekanzelt wurde. Darauf Bezug nehmend setzt Auden mit einer ultimativen Liebeserklärung fort. Über die Liebenden heißt es :

"Still, they do manage to forgive impossible behavior, to endure by some miracle conversational tics and larval habits without wincing (were you to die, I should miss yours)."

("Sie bringen es / immerhin fertig, Unarten zu verzeihen, / ertragen wie durch ein Wunder / verkrampfte Gespräche und Maskeraden, / ohne mit der Wimper zu zucken. / (Solltest du sterben, so würden mir deine fehlen.)")

W. H. Auden nimmt noch in einer Reihe von Gedichten auf seine Lebensumstände in Österreich Bezug: "Pfingstsonntag in Kirchstetten"; das Gedicht über Josef Weinheber, der als zweiter berühmter Kirchstettner Geschichte schrieb; oder das Gedicht, in dem er das Andenken an die verstorbene Haushälterin Frau Eiermann ehrte. Auf seine Homosexualität oder das Zusammenleben mit Chester ging er in den zu Lebzeiten veröffentlichten Werken nie mehr so direkt ein, obwohl er 1964, als er seinen Essay über die Sonette Shakespeares schrieb, nicht ahnen konnte, dass "The Times" noch 1981 die Besprechung der Auden-Biografie von Humphrey Carpenter mit der Schlagzeile "Butterflies from the Dungheap" überschreiben würde. Mit dem Misthaufen waren Auden und seine Lebensweise gemeint, als Schmetterlinge bezeichnete die "Times" Audens Gedichte, die für sie erstaunlicherweise aus diesem Dreck entstanden waren.

Am 28. September 1973 verschloss Auden sein Haus in Kirchstetten, um den Winter in Oxford zu verbringen. Nach einer Lesung in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur im Palais Palffy ging er früh ins Hotel Altenburgerhof in der Walfischgasse, wo ihn am nächsten Morgen Chester Kallman tot im Bett fand. Am 4. Oktober wurde er in Kirchstetten zu Grabe getragen. Am 16. Jänner des folgenden Jahres starb Chester Kallman in Athen.

P.S.: "Hinterholz 6" ist die Adresse des Auden-Hauses in der Audenstraße in Kirchstetten. Und Roland Düringer hat den Namen für sein Kabarett und den Erfolgsfilm nicht erfunden. Er hatte in dem kleinen Weiler an der Westautobahn jahrelang ein Wochenenddomizil.

Verwendete Literatur: W. H. Auden: Aus Shakespeares Welt. Pendo Verlag Zürich 2001; Anhalten alle Uhren. Pendo 2002; Kirchstettner Gedichte 1958-1973. St. Pölten: Niederösterreichisches Pressehaus 1983 (vergriffen).

Thekla Clark: Wystan and Chester.: Columbia University Press, New York 1995.

Edward Mendelson: Later Auden. New York: Farrar, Straus & Giroux 1999.

Stephen Spender (Ed.): W. H. Auden. A Tribute. London 1975 (vergriffen).

Die Auden-Gedenkstätte in Hinterholz 6 ist gegen Voranmeldung zu besuchen. Tel. 0 27 43/82 06. Siehe auch http:http://www.kirchstetten.at

Freitag, 15. November 2002

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