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Horváths beruflich und privat bewegte Wiener Jahre

Horvath: Geschichten aus der Wienerstadt

Von Christiane M. Pabst

Ödön von Horváth wechselte unzählige Male die Schulen und viermal die Unterrichtssprache. Die 12. Schulstufe absolvierte er in Wien in der Habsburgerstraße 5, einem von Salesianern geführten Privatgymnasium, und maturierte dort. Damals hält sich Ödön das erste Mal in Wien auf, und zwar zwischen März und September 1919. Der 18-Jährige wohnte bei dem Bruder seiner Mutter, Josef Prehnal, im 8. Bezirk. Man kann dieses erste Wiener "Intermezzo" zwar noch nicht als eine Wiener "Periode" bezeichnen, doch scheint den blutjungen Horváth der Eindruck wesentlich mehr beeinflusst zu haben, als man auf den ersten Blick annehmen dürfte. In drei (Jahre später) verfassten Werken nimmt er mehr oder weniger Bezug auf diese Zeit im 8. Wiener Gemeindebezirk. So beginnt die Kurzgeschichte "Die gerettete Familie" mit dem Satz "Am 7. August 1922 war ich sehr verliebt und zwar in eine gewisse Frau Elisabeth Tomaschek aus dem 8. Bezirk". Sein Onkel, in dessen Wohnung Horváth oft ausgelassene Feste erlebte, ist in der Kurzprosa "Mein Onkel Pepi" verewigt. Horváth schreibt darin über einen "feschen, altösterreichischen Leutnant um die Jahrhundertwende, wohnhaft im

8. Bezirk, Piaristengasse, mezzanin", der "ein echter Altösterreicher (ist) und mit wehmütiger Ironie (konstatiert), dass er in der feschen Uniform eines verfaulten Reiches steckt."

Eine Parallelgasse zur Piaristengasse ist eine "stille Straße im 8. Bezirk", die Lange Gasse. In dieser befindet sich im Haus Nr. 49 die Pension Zipser (am selben Ort existiert sie heute noch unter dem Namen "3-Stern-Hotel-Pension Zipser Goldener Bär"), wo Horváth Jahre nach seinem Aufenthalt beim "Onkel Pepi" immer wieder längere Zeit logierte. Einige Meter neben der Pension, in der Lange Gasse Nr. 29, befand sich eine Fleischhauerei, daneben eine Puppenklinik mit der Aufschrift "Zum Zauberkönig" unter einem Balkon mit Blumen und anschließend - an der Ecke zur Josefsgasse - eine Tabak-Trafik. Wer das Œuvre Ödön von Horváths kennt, weiß sofort, welchem seiner Theaterstücke diese Straße als Kulisse diente - seinem wohl berühmtesten, den "Geschichten aus dem Wiener Wald".

Adresse: Zentralfriedhof

Ganz und gar nicht mehr so unbeschwert wie die "Wiener Zeit" in seiner Jugend sind die viele Jahre später stattfindenden beiden langen Aufenthalte, als Wien sein Lebensmittelpunkt wird.

Man kann Horváths erste bedeutende "Wiener Periode" mit dem Jahr 1933 ansetzen. Am 5. März dieses Jahres erhält die Regierung Hitler in Deutschland eine Mehrheit, die Länderregierung wird beseitigt, die Diktatur etabliert. Noch bevor am 13. März Goebbels zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt wird, verlässt Ödön Deutschland, fährt erst nach Salzburg und schließlich nach Wien. Er quartiert sich vom 18. April bis 2. Juni im Hotel Bristol am Kärntner Ring ein.

Danach hält er sich in diversen österreichischen Städten auf, fährt schließlich wegen eines Magenleidens auf Kur nach Schärding und findet im Juni - nach Wien zurückgekehrt - in Franz Theodor Csokors kleiner Wohnung eine Bleibe. Es handelt sich dabei um eine ganz und gar nicht gemütliche Bleibe: Csokors Wohnung liegt nahe dem Zentralfriedhof; der Kalk schält sich von der Mauer; die Wasserleitung ist am Gang . . .

Ödön hat zwei enge Freunde in Wien: Csokor und die Schauspielerin Hertha Pauli, die ihm bis zu seinem Tod verbunden bleibt. Viel später wird Horváth erfahren, dass Hertha Pauli nach seiner Abreise im Jänner 1934 einen Selbstmordversuch unternahm, weil er ihre Erwartungen, dass sich die platonische Liebe in eine intime verwandeln würde, nie erfüllte. Hertha Pauli überliefert in ihren Erinnerungen aus dem Jahr 1956 folgendes Gespräch, das sie mit Ödön zu Beginn seines letzten längeren Wien-Aufenthaltes 1935 geführt hat: ",Also du hast dich meinetwegen umbringen wollen', sagte er unvermittelt. 'Man macht manchmal Dummheiten', gab ich zurück. 'Liebst du mich noch?' wollte er wissen, und als ich antwortete, 'Besser nicht,' meinte er, dass ich ihn also nie geliebt hätte. 'Und Liebe ist überhaupt nur eine fixe Idee', schloss er."

Noch befinden wir uns aber im Jahre 1933, kurz bevor Engelbert Dollfuß das Parlament außer Kraft setzt und per Reichskulturkammergesetz bestimmt, alle Kunst- und Kulturschaffenden zu überwachen.

Gleich nach der Fertigstellung des Stückes "Hin und Her", für das er mit dem Georg Marton Verlag in Wien einen Vertrag schließt,

beginnt er mit einem neuen

Drama.

Hertha Pauli und Ödön von Horváth wollten es ursprünglich gemeinsam schreiben, anknüpfend an eine am 4. November 1931 im "Berliner Tageblatt" unter dem Titel "L´inconnue de la Seine" von der Schauspielerin publizierte Erzählung. Diese handelte von der Totenmaske eines anonymen, in der Seine ertrunkenen Mädchens. Die tatsächlich existierende Totenmaske "mit einem verblüffend mysteriösen Lächeln" (wie es in Horváths Stück heißt) regte die Kreativität vieler Schriftsteller an: darunter Rainer Maria Rilke und Egon Friedell. Hertha Pauli sieht bald, dass die Figuren in Horváths Stück ein Eigenleben bekommen, und zieht sich aus dem Schreibprozess zurück.

Während Horváth an dem Stück arbeitet, bietet er "Hin und Her" zur Uraufführung dem Wiener Deutschen Volkstheater an. Man einigt sich bald, Karlheinz Martins wird als Regisseur ausgewählt, und man vereinbart auch gleich, dass es wahrscheinlich zur Weihnachtszeit erstaufgeführt werden soll. Schon am darauffolgenden Tag erscheint im antisemitischen, deutschnationalen "12 Uhr-Blatt" unter dem Titel "Ein berüchtigter Autor im Deutschen Volkstheater" ein mit "Tarzan" gezeichneter Artikel, der auf übelste Weise über Horváth und sein Werk herfällt.

Inzwischen bekommt Horváth vom Marton Verlag einen Vorschuss in der Höhe von 2.500 Schilling für sein noch in Arbeit befindliches Stück. Nun zieht er in die Pension Opernring, wo er die nächsten Monate bleiben wird. Nach einem Abstecher nach Henndorf kehrt er wieder nach Wien zurück, wo er sich nun "ständig aufzuhalten gedenkt", wie er in einem Interview mit der "Wiener Allgemeinen Zeitung" bekannt gibt, und zieht ins Hotel Bristol.

Zwei Monate Ehe

Privat durchlebt der als überzeugter Junggeselle bekannte Schriftsteller gegen Ende dieser "ersten Wiener Periode" eine außergewöhnliche Zeit. Maria Elsner, eine Opernsängerin, die (vermutlich wegen

ihrer jüdischen Abstammung) am Berliner "Großen Schauspielhaus" gekündigt worden und nach

Wien geflohen war, sucht Horváth auf, den sie bereits aus früheren Jahren kennt. Er heiratet die 27-Jährige am 27. Dezember.

Trauzeugen sind Karl Tschuppik und Alexander Lernet-Holenia. Elsner bekommt Engagements in Wien. In der Neujahrsnacht zum Jahre 1934 werden Freunde Zeugen einer heftigen Auseinandersetzung. Am 21. Februar bringt die Sängerin die Scheidung ein, Horváth stimmt zu. Der offizielle Grund ist die "beiderseitige unüberwindliche Abneigung". Es gibt zwei Erklärungen für die Scheidung des kurz vermählten Paares. Die eine besagt, Horváth hätte Maria Elsner geliebt, die Ehe wäre aber aufgrund seiner Brutalität gescheitert. Die andere Erklärung ist: "Ödön hatte brieflich in die Heirat mit der schönen jungen Sängerin gewilligt. Nach Erwerbung seiner ungarischen Staatsbürgerschaft, meinte er, würde sie auch wieder auftreten dürfen." Das sagte Hertha Pauli 1956, und sie gilt als gute, ehrliche Quelle.

Ödön von Horváth reist im Februar des Jahres 1934 ab, und zwar in die Höhle des Löwen - nach Berlin, um dort Material für ein Werk über den Nationalsozialismus zu sammeln.

Erst im Herbst 1935 kehrt er nach Österreich zurück, wo er, abgesehen von ein paar Kurzreisen ins Ausland, nun wechselweise in Henndorf bei Salzburg und in Wien wohnt: die zweite "Wiener Periode" beginnt. Im Wien der Jahre 1935 bis 1938 erlebt er die wohl schlimmste Zeit seines Lebens.

Er wird ständig seine Wohn-

sitze wechseln: Dominikanerbastei Nr. 6/4/11, das Hotel Regina nahe der Votivkirche, Bastiengasse 56 im 18. Bezirk . . .

Horváth bringt Wera Liessem von Berlin nach Wien mit, eine

Schauspielerin, die schon in der Schweiz gearbeitet hat und später wieder dorthin ziehen wird. In Wien spielt sie in Horváths "Mit dem Kopf durch die Wand" die weibliche Hauptrolle. Wera Liessem berichtet in den 50er-Jahren dem Horváth-Biographen Krischke, es sei für Ödön höchste Zeit gewesen, Deutschland zu verlassen - "früher oder später wäre es schiefgegangen" - und über die Zeit in Wien: "Das Geld war knapp. Wir versetzten zeitweise alles, was wir hatten."

Als Horváth Wera Liessem, die von Csokor den Spitznamen "die Katze" bekam, mit der von ihm so geschätzten Hertha Pauli bekannt machen möchte, nach einem Vortrag Csokors in der Urania, kommt es zu einem Eklat. Wera ruft coram publico Ödön zu: "Und wegen so einer Ziege machst du so ein Theater?" Wera verbietet Ödön, Hertha wiederzusehen, woraufhin Ödön ihr die Entscheidung lässt, dass er entweder beide wiedersieht oder beide nicht wiedersieht. Csokor vermittelt, sodass schließlich die beiden Damen Frieden schließen.

Nun überlegen Ödön von Horváth und sein Bruder Lajos, gemeinsam einen bebilderten Briefroman zu schreiben. Das Projekt verläuft im Sand. Es entstehen aber die auf frühen Entwürfen basierenden Werke "Figaro lässt sich scheiden" und "Don Juan kommt aus dem Krieg".

Als er im Herbst des Jahres 1936 nach Possenhofen zu seinen Eltern reist, bekommt er die Mitteilung, dass er innerhalb von 24 Stunden Deutschland verlassen muss; er sei hier unerwünscht. Horváth kehrt nach Wien zurück. Noch werden in Österreich einige seiner Stücke aufgeführt. In einem ungeheuren Schaffensdrang schreibt er im Jahre 1937, während sich schon politisch abzeichnet, wie Österreichs nähere Zukunft aussehen wird, "Der jüngste Tag", "Pompeji", die Romane "Jugend ohne Gott" und "Ein Kind unserer Zeit" sowie viele Entwürfe. Obwohl es scheint, als wäre Ödön nun am Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens, leidet er an Depressionen, hat finanzielle Sorgen, gibt sich dem Alkohol hin, wirkt geschwächt und verwirft schließlich sein gesamtes Werk mit Ausnahme der "Geschichten aus dem Wiener Wald".

Seinen Freunden gegenüber erwähnt er einmal: "Ich muss jetzt schnell den nächsten Roman fertig schreiben. Es eilt sehr! Ich hab' keine Zeit, dicke Bücher zu lesen. Ich bin arm, ich muss arbeiten, ich muss Geld verdienen, um essen

zu können, um schlafen zu können."

Das Jahr 1938 beginnt damit, dass Horváths "Jugend ohne Gott" auf die "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums" gesetzt wird. Im Februar werden die Nationalsozialisten in die österreichische Regierung aufgenommen. Etwa einen Monat später setzt Hitler Österreich ein Ultimatum - und dann geht es Schlag auf Schlag. Es ist der 11. März 1938, Nachmittag. Leute demonstrieren auf Wiens Straßen und skandieren "Rot weiß Rot bis in den Tod!" Ein Föhnsturm fegt Flugblätter durch die Luft. Man hört "Hoch Schuschnigg! Hoch Österreich!" Horváth erlebt es hautnah mit. Er ist auf dem Weg zu Berta Zuckerkandls Salon, wo ihn Csokor, Friedell, Lernet-Holenia, sein Bruder und andere Künstler erwarten.

Trennung für immer

Statt einer Begrüßung betritt er den Raum mit den Worten "Kein Hitler-Gruß wagt sich mehr hervor! Wir Österreicher haben uns wieder gefunden!" Der Salon Zuckerkandl hört Radio. Um Schlag 19.50 Uhr kehrt sich die Stimmung aller ins Gegenteil; in dieser Minute wird ein Alptraum wahr: Schuschnigg gibt seinen Rücktritt bekannt, der Armee wird der Auftrag gegeben, sich im Falle eines Einmarsches zurückzuziehen. Schuschniggs Abschiedsworte sind: "Gott schütze Österreich!"

Im Salon macht sich Entsetzen breit. In diesen Minuten beginnt Ödön von Horváths Ende, ab jetzt wird er bis zum Tode keine Ruhe mehr finden und von einem Exil ins nächste flüchten. Zuckmayer erinnert sich Jahre später: "Als wir uns trennten, hatten wir alle das Gefühl: für immer."

Am 16. März sieht Horváth Wien zum letzten Mal. Er verabschiedet sich von seinem engsten Freund Csokor. Als Csokor weint, sagt Horváth: "Wir sehen uns doch nicht erst in der Ewigkeit?" Es war das letzte Mal, dass Csokor die Stimme seines Freundes gehört hat.

(Die Bilder auf dieser Seite stammen aus dem reich illustrierten Band von Heinz Lunzer, Victoria Lunzer-Talos und Elisabeth Tworek: "Horváth. Einem Schriftsteller auf der Spur", Residenz Verlag, Salzburg/Wien/Frankfurt am Main 2001, 160 Seiten. Siehe bitte auch die folgende Doppelseite.)

Freitag, 07. Dezember 2001

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