Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Einige Bemerkungen zu Johann Nestroys Sprache

Nestroy: So lange ich rede, bin ich

Von Wendelin Schmidt-Dengler

Gott, was sind das für Zeiten! Die Welt ist voller Unruhe, alles drunter und drüber, und noch weiß man nichts Gewisses! Man müsste ein Nestroy sein, um all das definieren zu können, was einem undefiniert im Wege steht! Das schrieb einer, der genau hundert Jahre und zwei Tage nach Johann Nestroy geboren wurde: Ödön von Horváth. Er schrieb dies seinem Freund Franz Theodor Csokor am 23. März 1938, also zehn Tage nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich. Horváth befand sich damals in Budapest; von dort reiste er auf Umwegen nach Paris, wo er unter tragischen Umständen im Juni desselben Jahres ums Leben kam. Es ist geziemend, sich dieser beiden zusammen zu erinnern, denn beiden verdankt das Theater sehr viel, und mit diesen Worten, die wie ein Vermächtnis klingen, hat Ödön von Horváth seinem Vorgänger eine schöne und prägnante Reverenz erwiesen. Bezeichnend, dass er sich nicht auf andere Nothelfer berief, etwa auf Goethe oder Hölderlin, auf Grillparzer oder Stifter, oder auf Karl Kraus, dessen Fähigkeit zur Definition des schwer Definierbaren ja außer Streit stünde.

Horváth rekurriert hier nicht auf den Gesellschaftskritiker Nestroy, der nach einem Wort Ernst Fischers in das Dunkel des "gesellschaftlichen Schweinestalls" seiner Zeit hinein- und den Schurken heimgeleuchtet habe, sondern visiert die Sprachkompetenz und die damit eng verbundene analytische Fähigkeit des Schauspielers und Stückeschreibers an. "Wage es, dich deiner Sprache und der Vernunft zu bedienen!" - diese Aufforderung könnte man, folgt man der von Horváth gelegten Spur, dem Werk Nestroys ablesen. Hier redet einer, hier lässt einer reden, ja es scheint fast, als würde einer um sein Leben reden, einer, der die Rede gegen das große Pathos des bedeutungsvollen Schweigens hält, einer, der, wie wir aus der Biographie wissen, oft von panischer Todesfurcht geplagt wurde, für den die Intensität und Kraft der Rede auch die beste Vergewisserung dafür war, dass wir noch am Leben sind: So lange ich rede, bin ich. Eine Annahme, die auch für Thomas Bernhard gelten könnte, und für viele andere, die das Gold des Schweigens verschmähen, um aus dem Silber der Rede kurrente Münzen in konvertibler Währung zu prägen, wohl wissend, dass wir der Sprache bedürfen, wenn wir miteinander verkehren wollen. Den Kommunikationstheoretikern sei daher dringend die Lektüre Nestroys empfohlen, der Dialoge und Monologe, der Couplets, Quodlibets und Aphorismen; sie könnten daraus die schmerzliche, aber auch für sie notwendige Einsicht gewinnen, dass Kommunikation sich vorzüglich über den Witz herstellen lässt und vieles, was sich als tiefe Einsicht im Jargon der Wissenschaft geriert, unterhaltend und verständlich sein könnte. Denn diese Rede, in der sich Nestroys Helden üben, ist das Gegenteil von Geschwätz, so redselig sie sich auch entfalten mögen: Selten ist Umständlichkeit so funktional wie in Nestroys Satzkaskaden.

Der Scharfsinn, mit dem Nestroys Figuren argumentieren, kann es sich leisten, sich selbst zu desavouieren: "Der Mensch hat einen unausstehlichen Scharfsinn - das sollte streng verbothen seyn, es ist ein Eingriff in das geistige Eigenthum, wenn einem Jemand so durchschaut." Wie viel an Psychologie und an praktischer Rhetorik steckt hinter einem solchen Spruch, wer fühlt sich da nicht durchschaut, durchleuchtet in seiner Kleinlichkeit und in seiner Sorge um die Majestät seines Ichs! Fast jeder Aphorismus Nestroys ermöglicht einen Aufschwung in die Philosophie, so behende, dass es die Redenden selbst gar nicht merken: "Wircklichkeit ist immer das schönste Zeugniß für die Möglichkeit" heißt es im "Talisman", eine banale Einsicht, die es aber erkenntnistheoretisch faustdick hinter den Ohren hat. Nestroys Figuren erlauben sich im Aside die größten Banalitäten, die zugleich stupende Einsichten sind: "Die ganze Welt ist ein Fußboden."

Die Kunst der dummen Frage

Wer so das Kosmische in das Komische zu bannen versteht, kann auch über das Schicksal und Glück durch das sorgsame Abtasten einzelner Wortfelder spekulieren; der unterdrückte Schicksalsmonolog des Wendelin in "Höllenangst" ist nicht nur in Nestroys Werk, sondern in der Literatur überhaupt eines der hervorragendsten Beispiele dafür, wie in der Komödie ein so schwerer und unlösbarer Fragenkomplex leicht werden kann, ohne sein philosophisches Gewicht zu verlieren. So hat auch ein Wittgenstein Nestroy gelesen und von ihm die Kunst der dummen Frage gelernt, die in ihrer Unschuld oft viel gescheiter ist als die gescheite Frage, nur wir trauen uns nicht, sie zu stellen, weil wir schon viel weiter zu sein meinen.

Doch sollte Nestroy nicht mit dem Gewicht einer Welt belastet werden, das nicht das Gewicht der Komödie ist, man sollte ihn nicht nur zu dem Weltweisen stilisieren, der er zweifelsohne ist, dessen Habitus er aber an sich selbst parodieren würde, sondern erkennen, wie Weisheit und Witz auf der Bühne ins Bild gesetzt werden. Die Wirkung jedes Aperçus wird auf der Bühne verdoppelt und verdreifacht: Das Wortspiel verkümmert nicht im Leerlauf der Abstraktion, sondern erhält sein sinnliches Korrelat. Es gibt nur wenige Dramatiker in der Weltliteratur, die Sprache so zu inszenieren verstanden, und dies zu einer Zeit, da großen Dichtern allenthalben zu Bewusstsein kam, wie verbraucht die poetischen Bilder waren. Das Verstummen des gequälten Menschen in Büchners "Woyzeck" und Heinrich Heines ironisch-schmerzlicher Ausruf: "Ein Bild! ein Bild! mein Pferd, mein Pferd für'n gutes Bild!" sind Zeugnis dieser prekären Situation der Poesie.

Aber im Gegensatz zu diesen hat Nestroy seine Figuren reichlich mit Sprache ausgestattet und so die Sprache der Literatur gerettet; er hat ihren Ornatus, wenn zwar verwandelt, aber doch bewahrt. Er hat am "Fey'rtagsgwandl" der Dichtersprache herumgebessert, er hat ihm dort Flecken aufgesetzt, wo es ihm zu schön schien, er hat es genäht, wo es Risse bekommen hatte, er hat es ausgebeutelt, wenn es staubig geworden war, und er hat es imprägniert und so einen Stoff erzeugt, der auch wetterfest bleiben konnte und nicht fadenscheinig wurde. Er schuf damit eine Sprache, die - ähnlich wie die Heines oder Büchners - nicht vom Gebrauch verschlissen ist. Nestroy führt den Zuschauern und mehr noch den Lesern seiner Stücke eine Sprache vor, die sie tauglich machen könnte, mit komplexen Situationen besser zurande zu kommen. Seine Figuren sind nicht selten glücklose Glückssucher, aber sie sind - zumindest auf der Bühne - situationsmächtig, weil sie sprachmächtig sind. Eine solche Figur ist Nebel in "Liebesgeschichten und Heurathssachen", ein Strizzi, der sich durch eine reiche Heirat

sanieren möchte. Er fordert Schicksal und Fortuna vollmundig heraus:

"Wenn der Mensch dasteht, mit 17 Schulen in Leib, unzählige Wissenschaften in klein Finger, fünf lebendige Sprachen in Mund, und ein todschlachtigen Soliditätsgeist in Kopf, da kann er mit einiger Zuversicht erwarten, daß ihm das Schicksal ein sauberes Stückl Existenz auf'n Teller entgegentragt, das is keine Kunst - wenn man aber nix glernt, und nirgends gut gethan hat, wenn man dabei eine spezielle Abneigung gegen die Arbeit, und einen Universal-Hang zur Gaudée in sich tragt, und dennoch die Idee nicht aufgiebt ein vermöglicher Kerl zu wer'n, darin liegt was Grandioses. Der Fortuna als Mittelding zwischen Bettler und Guerilla entgegentreten, das Maximum von ihr begehren, wenn man auch gar keine Ansprüche darauf hat, das ist die wahre Anspruchslosigkeit, das zeigt von edler Souffisance, von fabelhaftem Selbstgefühl, mit Einem Wort, es ist ein schönes Streben."

Die Launen des Glücks

So sehen die Nestroy'schen Glücksritter aus; sie wappnen sich mit Phrasen und Programmen, sie sind sich ihres Unwerts bewusst und vertrauen darauf, dass sie mit der Rede den Schein herstellen können, der ihnen zum Erfolg verhilft. Solche Prozesse macht Nestroy durchschaubar, und zugleich liefert er auch das Sprachmaterial, um den Launen des Glückes begegnen zu können, auch wenn man sie nicht verstehen kann. Die hochtrabenden Pläne der Nestroy'schen Helden werden meist zuschanden, es bleibt aber ihre Sprache, in der sie die Verlaufskurven ihres Glückes oder Unglücks verfolgen können. Die Kunst der Sprachbilder Nestroys beschränkt sich nicht auf den Witz, dessen analytische Kraft Zusammenhänge zwar schlaglichtartig erhellt, sondern geht in der Deutung der Rätsel, mit denen uns Natur und vor allem Menschen versorgen, so weit, so weit die Sprache gehen kann.

Nestroys sprachliche Vorgaben sind keine anbiedernden Lebenslehren; sie liefern Muster, mit denen wir zumindest Gleichnisse für das Unerklärliche des Schicksals und des Glückes versuchen können. Das Übel wird nicht gesundgebetet, sondern schonungslos der Sprache und damit auch der Wahrheit ausgeliefert.

Es war ein langer Weg, der zur Anerkennung Nestroys bei jenen Instanzen führte, die sich für die Bewertung von Literatur zuständig fühlen. So ganz verschwunden sind die Widerstände noch nicht: Das Possenhafte verdecke die Substanz, der Klamauk dominiere, politisch sei er - man denke an 1848 und die Folgen - doch auch unverlässlich, und - der wohl platteste Einwand -: So ganz in Ordnung war der Mensch Nestroy auch nicht. Erfreulich ist, dass diese "moralischen Brüllaffen" (Nietzsche) immer kleinlauter werden, dass die Vitalität der Nestroy'schen Komödie auch oder gerade dort sichtbar wird, wo durch Unsinn der falsche Sinn entlarvt wird, und es angebracht scheint, seiner Sprachkunst und der jeweiligen historischen Situation genau nachzuspüren, um das, was darin an politischer Brisanz enthalten ist, auch heute zu verstehen.

"Nestroy und die Nachwelt"

Karl Kraus hat vor fast 90 Jahren mit diesem Essay eine Nestroy-Renaissance eingeleitet. Wir sind immer noch Nachwelt und sollten wissen, was wir Karl Kraus und Nestroy schuldig sind, und das heißt vor allem: sich der Vielfalt und Vielgestalt dieses Werkes zu versichern, ihn nicht nur über den doch recht zahnlosen Kamm des Populären zu scheren, ihn aber auch nicht ideengeschichtlich zu mumifizieren. Es geht darum, den frühen Nestroy wiederzuentdecken, viele oft vergessene und von den Zeitgenossen kaum beachtete Stücke einer neuen Bühnenwirksamkeit zuzuführen, die bekannten Stücke der vierziger Jahre wie den "Talisman" und den "Zerrissenen" als prätentionslose Vorgriffe auf eine Moderne zu erkennen, die politischen Komödien als Zeugnisse eines Autors zu verstehen, der nach allen Seiten austeilte und sich nicht einvernehmen ließ. Es geht darum, die späten Stücke der fünfziger Jahre in ihrer weisen Skepsis und ihrem dezenten philanthropischen Anflug zu würdigen und zu sehen, wie die späten Possen einem Sinn entspringen, der - um Karl Kraus' Prägung zu verwenden - dem "Freudengenius" eines Offenbach sich öffnen konnte.

Um dies möglich zu machen, ist die jüngste Nachwelt einer Verpflichtung nachgekommen: Zum 200. Geburtstag liegt das Gesamtwerk Nestroys in einer neuen Ausgabe fast zur Gänze vor; diese bereichert unser Wissen und damit auch unsere Zugänge zu jedem einzelnen Stück, sie bringt die Texte in der ursprünglichen Orthographie und die Vorlagen, sie kommentiert knapp und sachkundig und zeichnet die Wirkungsgeschichte nach. Damit ist Nestroy das schönste Geburtsgeschenk gemacht worden, das der Förderungspraxis der Stadt, in der

Nestroy geboren wurde, auch ein vortreffliches Zeugnis ausstellt. In dieser Ausgabe wird Nestroy im Kontext lesbar, hier können wir uns im Definieren schulen. Wir brauchen Nestroys Sprache immer noch, um das definieren zu können, was uns undefiniert im Wege herumsteht, gerade jetzt, gerade in Österreich.

Freitag, 07. Dezember 2001

Aktuell

Schiffe, Kräne und Natur
Der Rotterdamer Hafen ist ein Seegüterumschlagplatz der Superlative
Unser Bruder Schimpanse
Neue Untersuchungen zeigen, dass wir mit den Affen viel, aber nicht alles gemein haben
Franzobel: "Weltmaschine aus Worten"
Der Dichter über seine Schreibmanie, seinen Namen – und über Fußball

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum