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Yasmina Reza über Kunst, Erfolg und das Lachen ihrer Kinder

Reza, Yasmine: "Schreiben heißt asozial sein"

Von Marie-Françoise Leclère

Ihren ersten großen Erfolg als Schauspielerin hatte Yasmina Reza 1985 bei der Pariser Aufführung von Guitrys "Le veilleur de nuit" ("Der Nachtwächter"). Der nächste, diesmal als Theaterautorin, stellte sich 1987 mit "Conversations après un enterrement" ("Gespräche nach einer Beerdigung") ein. Weitere Stücke folgten: 1989 "La traversée de l´hiver" ("Reise in den Winter") und 1994 "Art" ("Kunst"). Von New York bis St. Petersburg, von Berlin über Tokio nach Johannesburg, überall feierte sie Triumphe. Ihr letztes Stück "Trois versions de la vie" ("Drei Mal Leben") wurde im vergangenen Herbst am Akademietheater in Wien in der Inszenierung von Luc Bondy uraufgeführt. (Aktuelle Aufführungen: Am 1., 2. und am 22. September 2001.) In Paris spielte Yasmina Reza selbst die Rolle der Inès. Reza ist auch Autorin einer Sammlung von wunderbaren Kurzgeschichten ("Hammerklavier") sowie eines Drehbuchs ("Le pique-nique de Lulu Kreutz"), das ihr Lebensgefährte Didier Martiny verfilmt hat. Auf Deutsch erschien zuletzt im Hanser Verlag ihr Roman "Eine Verzweiflung" und erntete durchwegs gute Kritiken.

Dieses - leicht gekürzte - Interview geben wir mit freundlicher Genehmigung der französischen Wochenzeitung "Le Point" wieder.

Wiener Zeitung: Ihre Stücke werden weltweit aufgeführt, Sie selbst spielen in Paris, bald wird man Sie auch auf der Leinwand in "Terminus des anges" von André Téchiné sehen . . . Wie fühlen Sie sich in einem so stürmischen Leben?

Reza: Ich fühle mich sehr ruhig. Es wäre furchtbar undankbar zu sagen, dass ich dieses Leben nicht schätze, aber ich bin nicht aufgeregt. Vielleicht ist das schade.

W. Z.: Sind Sie übersättigt?

Reza: Oh nein, ich bin zufrieden, ich bin noch fähig, zufrieden zu sein. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen, ich hatte doch ziemliche Angst vor der Aufführung von "Drei Mal Leben", die Luc Bondy in Wien inszenierte. Einige seiner Arbeiten habe ich gut gefunden, manche weniger, und diesmal konnte ich nur bei der ersten Leseprobe dabei sein. Wir tauschten uns zwar häufig telefonisch über den Fortgang seiner Arbeit aus, trotzdem war ich wegen seines sehr radikalen, neurotischen und hoffnungslosen Zugangs zum Stoff beunruhigt. Als ich dann die fertige Inszenierung sah, war alles wie aus einem Guss. Das machte mich sehr glücklich. Meine Vision wurde, wenn Sie so wollen, bestätigt, meine Arbeit gerechtfertigt. Das unglaubliche Aufsehen, das anschließend in Österreich und Deutschland darüber entstand, ging mir weniger nahe als diese Gewissheit. Das Stück hielt stand, es strahlte eine bestimmte Kraft aus. Ein Theaterstück ist etwas, was man erleben muss. Solange er es nicht mit Schauspielern gesehen hat, bleibt der Autor in völliger Ungewissheit.

W. Z.: Man spricht ja oft von einem Mangel an Theaterautoren in Frankreich oder auch von der Unmöglichkeit, französische Produktionen im Ausland zu spielen. Sehen Sie sich da als Ausnahme?

Reza: Nein, alleine in den letzten 15 bis 20 Jahren habe ich einige sehr bedeutende Werke aus französischer Hand gesehen. Es ist nur einfach so, dass manche dieser Stücke nicht zum Ursprung eines vielgestaltigen Werkes wurden. Vor allem, und das kann ich mir nicht wirklich erklären, wünschen sich viele französische Autoren gar nicht, exportiert zu werden. Man muss es nämlich wirklich wollen, es ist ja nicht so einfach. Ich hatte jedenfalls immer diesen Ehrgeiz.

W. Z.: Woher kommt dieser Ehrgeiz?

Reza: Dafür muss es wohl viele Erklärungen geben. Ohne Zweifel spielen meine multikulturellen Wurzeln eine Rolle. Ich wurde in einer Immigrantenfamilie zu einer leidenschaftlichen Französin erzogen. Mein Vater, ein persisch-stämmiger Geschäftsmann, geboren in Moskau, lebte auch lange Zeit in Deutschland. Meine Mutter ist eine Violinistin aus Ungarn. Nehmen Sie noch die jüdische Kultur dazu, die Sehnsucht nach einer zentraleuropäischen Kultur, die Vorstellung vom Primat der Kunst und der Musik. Kurz, wenn ich jemals an eine literarische Berufung dachte, dann sollte diese möglichst breit gefasst sein, über dieses winzige Paris hinaus, in dem man schnell an Grenzen stößt. Ich lebe immer noch in dieser Lust nach anderswo, in dieser Neugier nach Zufälligkeiten, nach Begegnungen, nach Abenteuern, die sicher bescheiden sind und kurz, dafür aber wirklich.

W. Z.: Und die meisten Franzosen verspüren diese Lust nicht?

Reza: Nach vielen Diskussionen bin ich überzeugt: nein. Sie haben oft das Gefühl, woanders bekannt zu sein bedeutet, hier vergessen zu werden. Künstler sind in Wahrheit Kleinbürger, Schauspieler und Schriftsteller inbegriffen. Sie wollen dazugehören. Kaum haben sie ein kleines Stück, ein kleines Buch geschrieben, bewerben sie sich schon um eine Mitgliedschaft im "Verein sowieso", bei der "Kommission wichtig", wollen in ein Netz von Beziehungen und Kontakten eingebunden werden, was in meinen Augen Torheit ist, das genaue Gegenteil von Freiheit. Schreiben heißt asozial sein!

W. Z.: Ist es nicht ein bisschen einfach, rebellisch zu sein, wenn man ganz oben ist?

Reza: Niemand könnte behaupten, ich sei jemals anders gewesen. Auch als ich nichts hatte, weil ich nicht von der Unterstützung meiner Eltern abhängig sein wollte. Schreiben ist und muss eine zutiefst individuelle Sache bleiben, zutiefst einsam, zutiefst ungezähmt. Das Leben verwöhnt mich, ich werde belohnt, aber das alles scheint mir absurd. Wenn Künstler zu sein bedeutet, einzigartig zu sein, wie kann man unvergleichbare Menschen miteinander vergleichen? Noch etwas finde ich schrecklich: Die Freude, die viele unter uns scheinbar dabei empfinden, sich in alle Richtungen auszubreiten, eine kleine Novelle hier, perfekt! Eine kleine Glosse da, warum nicht? Ein kleiner Fernsehauftritt, eine kleine Podiumsdiskussion zum Drüberstreuen, und hopp, schon ist man mitten im Tagesgeschäft. Das kleine Podium ist gefährlich.

W. Z.: Haben Sie Vorbilder?

Reza: Das kann viel heißen. Wenn ein Vorbild jemand ist, zu dem man aufblickt, dann habe ich viele, auch solche, die weit über mir stehen. Aber die andere Art Vorbilder, deren Wege man mehr oder weniger zu imitieren trachtet, habe ich nicht.

W. Z.: Gibt es Texte oder Noten, vor denen Sie wie Enesco über Bach sagen würden: Sie sind die Seele meiner Seele?

Reza: "Der Tod und das Mädchen" von Schubert, seine ganze Kammermusik, Bach natürlich . . . Mozart und Beethoven. Gedichte, drei Zeilen von Apollinaire . . . Der Nicht-Effekt berührt mich. Das ist es, was ich suche, richtig schreiben, sehr einfach, direkt an den Bruchlinien. An den stillen Momenten arbeiten, sie unendlich ausweiten . . .

W. Z.: Man hat Sie oft mit Schnitzler verglichen.

Reza: Wegen der bitteren Note, vielleicht. Aber ich finde den Vergleich nicht zutreffend, auch wenn er mich ehrt. Das ist das Wien der Jahrhundertwende, eine Welt der Kreativität, gefangen in dem, was Stefan Zweig die "fürchterliche Niederlage der Vernunft" genannt hat. Das ist die Lebensgeschichte meiner Mutter . . .

W. Z.: Ihr Studium?

Reza: Mit 16 habe ich maturiert und dann, mehr zufällig, Geschichte inskribiert, was ich aber sehr bald wieder aufgegeben habe, weil ich eine Niete in Geografie bin, und das eine geht nicht ohne das andere. Ich fand mich dann an der Soziologie-Fakultät in Nanterre wieder. Alles war heruntergekommen dort, die Gebäude wie die Professoren, das passte mir sehr gut, ich hatte einen Studentenstatus, und das Filminstitut gefiel mir. Von da weg strebte ich einen Abschluss in Theaterwissenschaft an. Das war der Anfang von allem.

W. Z.: Dann haben Sie als Schauspielerin gearbeitet?

Reza: Lange Zeit habe ich nur Zeitgenossen gespielt. Obwohl ich sicher auch Molière, Tschechow oder die Bérénice von Racine mit Leichtigkeit geschafft hätte. Das hätte mir gefallen.

W. Z.: Andere hätten diesen Weg sicher weiterverfolgt.

Reza: Ich war 20, ich fühlte mich alt, ich habe einen Strich darunter gezogen. Nicht ohne Schmerz, allerdings. Aber dann kamen viele Glückserlebnisse als Schriftstellerin, und so schnell, dass ich in weiterer Folge ohne zu zögern all die Rollen ablehnte, die meine beginnende Bekanntheit mir einbrachte. Der Zufall wollte es, dass mich Téchiné letztes Jahr in seinen Film hineinnahm. Und eines Morgens, drei Wochen vor der Generalprobe von "Drei Mal Leben", bot mir Patrice Kerbrat an, die Rolle der Inès zu spielen. Noch am selben Nachmittag war ich bei den Proben. Meine Freunde waren beunruhigt, warum lässt sie sich darauf ein, ein Dummchen zu spielen, unter lauter virtuosen Schauspielern?

W. Z.: Was haben Sie dabei empfunden, nach zehn Jahren Abwesenheit wieder auf der Bühne zu stehen? War das verstörend?

Reza: Nein, ich kam wieder in mein erstes Haus zurück, das Haus meiner Kindheitsträume.

W. Z.: Inès ist ein liebes Dummchen, extrem rührselig. Was haben Sie in diese Rolle eingebracht?

Reza: Eine Art Fröhlichkeit. Ich sah sie weniger präsent als mich, abgehobener, provinzieller, auf eine direktere Art rührend. Man sagte mir, ich sei bewegend, umso besser, ich fürchtete lange, es nicht genügend zu sein. Ich glaube, die Leute, die mir zündende Intelligenz zuschrieben (lacht), konnten sich einfach nicht vorstellen, wie ich so eine Gans mit Natürlichkeit spielen kann. Aber ich habe Inès in mir, ich kenne sie; ich mache mir nichts vor, ich bin auch eine Frau, die zu viel redet, wenn ihr etwas peinlich ist, die lacht, wenn sie betrunken ist.

W. Z.: "Gespräche nach einer Beerdigung", Ihr erstes Stück, wurde 1987 im Theater Paris-Villette uraufgeführt. Sie hatten es aber schon früher verfasst, 1983/84. Waren Sie gezwungen zu warten? Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich!

Reza: Das Drama der Schriftsteller ist, dass sie um jeden Preis aufgeführt werden wollen. Ganz ehrlich gesagt, ich verdinge mich 1.000-mal lieber als Putzfrau, wenn ich nur auf den richtigen Moment warten kann. Ich stellte hohe Ansprüche, was die Schauspieler betrifft. Das war natürlich Hochmut, aber an der richtigen Stelle.

W. Z.: Sind Sie selbst Ihr wichtigster Stoff?

Reza: Ja und nein. Ich habe immer über das geschrieben, was ich nicht bin. Die älteren Leute, die Männer, ihre harte Schale und was diese von ihrer inneren Zerbrechlichkeit verrät. Wenn man wirklich stark ist, braucht man kein Schutzschild (. . .) Der alternde Mensch ist viel faszinierender, sein sozialer Werdegang liegt hinter ihm, er sieht alles im Zusammenhang. Was bleibt übrig? Sterben zu lernen. Die ontologischen Fragen: Wer bin ich? Was habe ich gemacht? Die Organisation der letzten Lebensjahre, das beobachte ich und darüber schreibe ich mit Leidenschaft.

W. Z.: Sie scheinen eine schlechte Beziehung zur Zeit zu haben.

Reza: Noch viel schlechter, als Sie glauben. Warten bringt mich um. Das Warten ist eine erbärmliche Agonie . . . Und da gibt es noch dieses Gefühl der Unerbittlichkeit . . . entschuldigen Sie, wenn ich mich selbst zitiere, doch im "Hammerklavier" habe ich etwas über die Zähne meiner Tochter geschrieben, das ist vielleicht das Beste, was ich je geschrieben habe. Ich liebe diese unschuldigen Momente, wenn man lacht und lauter verschiedene Zähne zum Vorschein kommen, manche davon gerippt, dazwischen Lücken, man weiß nicht, wie hässlich man ist, lacht schallend auf und in Wirklichkeit ist man unglaublich schön. Alles was ich über die Zeit denke, liegt in diesem Mund, jenem meines Sohns im Augenblick. Ich würde gerne das Bild festhalten können, ihm zurufen: "Beweg dich nicht, lach' immer weiter so." Es ist unmöglich, und das tut weh. Die Zeit zügelt alle Leidenschaft, sagt man, und, naja, auch das macht mich traurig. Die tröstende Zeit und diejenige, die vergessen macht, das ist Gott und der Teufel. Unser Lehrmeister und unsere Hölle. Daher meine Vorliebe für Musik. Wenn ich sie höre, wenn ich mich ans Klavier setze, verlasse ich mein Ich, die Welt; die Zeit, eben.

W. Z.: Wenn ich sage "das Leben auskosten" . . .

Reza: Ich versuche es. Es braucht Intelligenz und Weisheit, einen direkten Zugang zur Welt. In "Eine Verzweiflung" mache ich mich über den Zwang des Glücklich-sein-Müssens lustig. Ich habe große Glücksmomente, aber das Glück als deklarierter, andauernder Zustand ist obszön.

W. Z.: Sind Sie mutig?

Reza: Ich hoffe es. Wenn ich auch hin und wieder plötzlich den Mut verliere: Ich bin fröhlich, ich liebe fröhliche Leute, unter der Bedingung, dass sie manchmal leiden und verzweifeln. Das entspricht meinem Weltbild: tragisch und komisch.

Übersetzung: Catherine Schwägerl

Freitag, 31. August 2001

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