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Der Schriftsteller Dezsö Monoszlóy -ein Porträt

Ein Leidtragender des Jahrhunderts

Von Norbert Leser

Es gibt zwei Arten, einen noch lebenden Autor kennen zu lernen: Die eine besteht darin, sich der Lektüre seiner Werke hinzugeben, die andere, von ihm persönlich etwas über ihn zu erfahren. Besonders im Falle Dezsö Monoszlóy ist es reizvoll, ihn selbst zu befragen und zu Worte kommen zu lassen. Der im 78. Lebensjahr stehende Schriftsteller lebt zum Glück noch unter uns und es ist ein Erlebnis, bei ihm eingeladen zu sein und seinem feurigen Redefluss zu folgen. In seiner Wohnung am Wiener Fleischmarkt sind er und seine treu für ihn sorgende Frau Kati des öfteren Gastgeber von ungarischer Großzügigkeit und Vitalität.

Die Rede des Autors schlägt eine Brücke zu seinem Werk, das ob seiner Vielseitigkeit und Buntheit überrascht. Monoszlóy ist Lyriker und Prosaist, Hörspielautor und Übersetzer, der sich in seinem abenteuerlichen Leben durch viele Berufe und Beschäftigungen geschlagen hat und sich doch in allen diesen Verwandlungen treu geblieben ist, seine spezifische Identität gewonnen hat. Er verdingte sich als Verlagsdirektor und Rundfunkredakteur, als Rechts- und Kulturreferent, als Mathematiklehrer und Profischachspieler. Doch im Grunde war ihm immer nur eines wichtig und richtungsweisend: den in ihm schlummernden Fähigkeiten durch das Wort Ausdruck zu verleihen und sich mit Hilfe des Wortes über die Herausforderungen und Leidensstationen seiner Existenz hindurch zu retten. Denn wer Monoszlóy erlebt, kann einen Eindruck, wenn auch nur einen ahnungsvollen, von seiner Existenz gewinnen, die reich an Prüfungen war, die er aber bestanden und sich seine Freude an den Genüssen des Lebens, wie Trinken und Rauchen, bewahrt hat.

Ortswechsel

Sein Leben ist, auch wenn man nur oberflächlich auf dessen Ablauf blickt, durch zwei Elemente charakterisiert, die einander entgegengesetzt scheinen, aber doch nur zwei Seiten einer Medaille sind. Das erste ist der oftmalige Ortswechsel, der durch die Lebensumstände des vergangenen Jahrhunderts und die Bereitschaft, immer aufs neue einen Ort der Wirksamkeit aufzusuchen, erklärlich ist, das andere ist die Erfahrung des Häftlings, die der Autor unter dem Stalinismus in Bratislava drei Jahre lang machte. Denn der Mensch ist einerseits immer unterwegs und eilt von Punkt zu Punkt, bleibt aber doch Gefangener seiner einmaligen Persönlichkeit, deren Fesseln der Gefangene deutlicher spürt als der wenigstens äußerlich ständig in Freiheit Lebende. Nach Pressburg, Budapest und Novisad lebt der Autor seit über 30 Jahren in Wien, mit ständigen Ausflügen und Rückkehrphasen in seine Bezugsländer und an seine Ausgangspunkte.

In Österreich hat der so enorm Produktive mit der Schwierigkeit eines Autors zu kämpfen, dessen Werke erst nach langen Verzögerungen in deutscher Sprache vorliegen. Seine Rezeptionsgeschichte ist gerade durch die ihr eigene Vielsprachigkeit und geographische Zerissenheit keine einheitliche und ungebrochene, sondern eine, die sich ihren Weg erst über Hindernisse sprachlicher und regionaler Natur zu bahnen hatte und hat.

Dies gilt vor allem für jenen Roman, den man wohl als das Hauptwerk Monoszlóys bezeichnen kann: den Roman "Die Flucht aus Sodom", der, schon in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden, erst seit 1999 in deutscher Sprache vorliegt. Dieser große Roman besteht aus drei Teilen und kann daher auch als Trilogie klassifiziert werden. Im ersten Teil "Die Flucht aus Sodom" wird das Schicksal des Menschen an der Gestalt des biblischen Lot exemplifiziert, der zum Sinnbild des ruhelosen Flüchtlings wird und wohl auch stark autobiographische Züge trägt.

Der biblische Lot gibt den Hintergrund für die mitreißende Erzählung ab. Nach der Vertreibung aus dem von Gott gestraften Sodom erblickt Lot seine Aufgabe darin, mit Hilfe seiner Vergangenheit und des Auftrages, den er in sich verspürt, den Tempel seiner Heimatstadt in der Fremde wiederaufzubauen.

Die Frau Lots aber erstarrt ungleich der biblischen Vorlage nicht schon auf der Flucht durch ihr Zurückblicken zur Salzsäule. Die Lea Monoszlóys erleidet dieses Schicksal erst durch die Hand ihres Mannes, der sie aus Eifersucht und durch Übertragung seiner Aggression auf ein nahes Subjekt bzw. Objekt tötet. In dieser Erzählung, in der sich biblische und moderne Elemente vermischen und zu einer Symphonie des Ewig-Menschlichen verdichten, werden also die großen und sich in allen Formen und Verkleidungen gleich bleibenden Themen der menschlichen Existenz angeschlagen: Liebe und Hass, Selbstzerfleischung und Tötung des Liebsten, was man hat.

Man fühlt sich bei der Lektüre Monoszlóys an einen Vers aus der erschütternden "Ballad of Reading jail" von Oscar Wilde erinnert, wo es heißt: "for each man kills the thing he loves". (Denn jeder Mann tötet die Sache, die er liebt.) In der Gestalt Lot wird die Flucht des Menschen vor sich selbst und vor den Gefahren und Verfolgungen, die ihm von seiten seiner Mitmenschen drohen, symbolisiert.

Der zweite Teil dieses monumentalen Werkes, "Die Jakobsleiter", hat nicht mehr das Schicksal Lots zum Hauptgegenstand, sondern das dreier junger Männer, die an die biblischen Jünglinge im Feuerofen gemahnen und sich aus ihrer Obdachlosigkeit in eine bergende Sicherheit retten wollen. Sie finden auch vorübergehend Zuflucht bei einer Frau Wolf, deren Zugehörigkeit zur Sekte der Zeugen Jehovas, der "Heiligen der letzten Tage", wieder an biblische Urbilder von Untergangsszenarien anknüpft.

Auch ihr Schicksal erfüllt sich wie das Leas in einem gewaltsamen Tod, der ihr von einem der drei Jünglinge an der Leitersprosse der Gegenwart zugefügt wird. Die Tatsache, dass jeder der drei die anderen des Mordes verdächtigt, besagt wohl, dass im Grund jeder schuldig werden kann, dass jedem Menschen eine oder die andere Form der Grausamkeit gegenüber seinen Mitmenschen zuzutrauen ist. Der Polizeipräsident Amrafel, der die Spuren des Mordes verfolgt, die aber im Sande verlaufen, verkörpert jene zahllosen Handlanger der Macht, die im 20. Jahrhundert als Schergen und Henker, als Quäler und Folterer ihrer Mitmenschen in Erscheinung getreten sind.

Unbarmherzige Maschinerie

Die Situationen der Menschen, die in totalitären Systemen mit der Polizei Bekanntschaft gemacht haben, ist schon vor den Ereignissen von Franz Kafka im "Prozess" vorempfunden worden, der einen Unschuldigen in die Maschinerie einer unbarmherzigen Justiz geraten und in ihr umkommen lässt. Monoszlóy als Zeuge und Leidtragender des Jahrhunderts der Schrecken ist durch die eigene Erfahrung und die vieler seiner Freunde in die Lage versetzt worden, das, was bei Kafka noch als Ausgeburt einer krankhaften Phantasie gelten konnte, rückblickend als Massenschicksal zu bestätigen und an Beispielen zu erläutern.

Im dritten Teil seines Romans, in der "Arche Noah", tauchen die in den beiden vorangegangenen Teilen vorkommenden handelnden und erleidenden Personen, die drei jungen Männer in Lots Begleitung, wieder auf. Sie versuchen, der drohenden Sintflut, die durch Lautsprecher angekündigt wird, zu entgehen und Rettung auf der Arche Noah, dem biblischen Ort der Geretteten, zu finden.

Aber die Arche ist nirgends zu finden und taucht erst in einer Raum-Zeit-Ebene, dem Zeichen einer anderen und besseren Welt, am Horizont auf. Auf Erden lässt sich das Ende der Heimatlosigkeit des Menschen, der nur ein Geist hienieden ist, eben nicht verwirklichen.

Monoszlóy versteht es in diesem Werke wie in seinem gesamten Schaffen, scheinbar heterogene Elemente miteinander zu verbinden: einerseits das des realistischen Erzählers, andererseits aber auch das des Symbolisten, für den die Welt nur ein Gleichnis ist, und nicht zuletzt das des mit freien Assoziationen arbeitenden Beobachters und Betroffenen. So wie in der Freudschen Assoziationspsychologie, bei der alle scheinbaren Nebengedanken in die Hauptsache und den Hauptstrom der Entwicklung münden, führen auch bei Monoszlóy alle scheinbar ins Ungefähre verlaufenden Fäden zum Hauptstrang und zurück. Alle Episoden werden durch die Macht des Schicksals und die Geschicklichkeit des Erzählers in eine große Einheit zusammengeführt und ergeben durch ihre summierte Bruchstückhaftigkeit so etwas wie ein freilich nie fertiges und abgerundetes Ganzes.

Sehnsucht nach dem Schatz

Monoszlóys zweiter großer Roman "Der Tod des Millionärs" behandelt ebenfalls ein allgemein menschliches Schicksal, denn ob wir nun reiche Menschen oder Bettler sind, wir alle tragen die Sehnsucht nach einem Schatz, der für uns irgendwo aufbewahrt liegt, im Herzen und trachten danach, ihn zu finden. Tatsächlich aber verliert der Mensch im Laufe dieses Suchens mehr, als er gewinnt, nur der Fleiß des Suchens selbst bleibt wertvoll.

In diesem Zusammenhang kommt einem Goethes Gedicht "Der Schatzgräber" in den Sinn, wo der Schatzgräber nicht an der erwarteten Stelle fündig wurde, aber die Belehrung erhält, die für den trotz aller Kümmernisse lebensfrohen Monoszlóy maßgeschneidert erscheint: "Grabe hier nicht mehr vergebens: Tages Arbeit! Abends Gäste! Saure Wochen! Frohe Feste! sei dein künftig Zauberwort."

Der Autor führt seinen Helden, der mehr Opfer als Täter ist, durch die Höhen und Tiefen des "Jahrhunderts der Gegensätze", als das der britische Historiker Eric Hobsbawn das 20. bezeichnet hat. Das letzte Kapitel "Das Bergwerk", das von der kommunistischen Zensur gestrichen wurde und in dem der Held nach vielen Zwischenstufen der Erniedrigung schließlich landet, beschließt die Odyssee der Hauptfigur des Romans, der wie Lot in "Die Flucht aus Sodom" allgemein menschliche und höchstpersönliche Züge des Autors trägt.

Wer das aus fünf Erzählungen bestehende Meisterwerk des Autors "Fünf Jahreszeiten der Liebe" liest und auf sich wirken lässt, gelangt zur Einsicht, dass die große Kraftquelle Dezsös das Erlebnis der Liebe, der menschlichen Leidenschaft, die alles besiegt und überwindet, ist. Die Schauplätze der liebevollen Begegnungen wechseln und reichen von heimatlichen Gefilden bis nach Japan. Doch der Wechsel im Raum und Zeit hat einen bleibenden Kern, ein Kontinuum, das den Menschen bei allen Enttäuschungen aufrecht hält und tröstet.

All die bisherigen Ausführungen können nur Andeutungen und Spurenelemente sein. Sie ersetzen die Lektüre des großen, aber verstreuten Lebenswerkes Monoszlóys nicht, sie sollen die Lust erwecken, sich zu den Büchern aufzumachen und sich von ihrer sprachlichen Schönheit und Reife entführen und verwandeln zu lassen. Auf dass ein Verkannter und Unterbelichteter zu einem Erkannten und einer Lichtquelle werde!

Dezsö Monoszlóy. Flucht aus Sodom. Roman. Edition Atelier, Wien 1999.

Dezsö Monoszlóy. Der Tod des Millionärs. Roman. Edition S, Wien 1994.

Freitag, 20. Juli 2001

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