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Broch, Hermann: Der Dichter des Zerfalls

In Marbach erinnert eine Ausstellung an Hermann Broch
Von Oliver Bentz

Aus jeder literarischen Epoche schaffen es nur wenige Werke, in die Literaturgeschichte einzugehen und über Generationen hinweg zum Kanon der gelesenen und in der literarischen Diskussion immer wieder genannten Bücher zu zählen.

Hermann Brochs Romane "Die Schlafwandler" und "Der Tod des Vergil" gehören dazu. So meint es zumindest der Biograph und Herausgeber der Werke Brochs, Paul Michael Lützeler, der aus Anlass des 50. Todestages des Autors im nach ausgiebiger Renovierung wiedereröffneten Marbacher Schiller-Nationalmuseum eine Ausstellung über Hermann Broch eingerichtet hat.

Der am 1. November 1886 in Wien in eine jüdische Textilindustriellenfamilie hineingeborene Hermann Broch gehörte zu jener "expressionistischen Generation" hochbegabter Autoren, die in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts geboren wurden.

Der Zeitgenosse Ernst Blochs, Alfred Döblins und Paul Kornfelds beugte sich jedoch dem Willen des Vaters und absolvierte - anstatt seinen musischen Neigungen und wissenschaftlichen Interessen nachzugehen - an der Textilfachschule im elsässischen Mühlhausen eine technische Ausbildung zum Textilingenieur, die er 1906 abschloss. Nach zweijährigem Militärdienst trat er in die Direktion der Textilfabriken seines Vaters ein.

Erst spät erkannte Broch, dass seine eigentliche Begabung auf dem Gebiet der Dichtung lag. 1927 verkaufte er die väterlichen Fabriken und beschloss, als "geistiger Mensch" zu leben. Auf Studien der Mathematik, Philosophie und Psychologie (1928 bis 1931) folgte das Leben als freischaffender Schriftsteller, abwechselnd in Wien und der Abgeschiedenheit in Alt-Aussee oder in Mösern bei Seefeld.

Brochs erste sporadische schriftstellerische Arbeiten und wissenschaftliche Aufsätze waren seit 1908 erschienen und brachten ihn bald in Kontakt mit den führenden Repräsentanten des literarischen Lebens in Wien. Der Bibliophile und Schriftsteller Franz Blei war es, der Broch die Bekanntschaft mit Literaten wie Alfred Polgar, Robert Musil, Franz Werfel oder Albert Paris Gütersloh vermittelte. Wie viele junge SchriftsteIler seiner Zeit, bewunderte auch Broch den "Fackel"-Herausgeber Karl Kraus.

Brochs erstes Hauptwerk, "Die Schlafwandler" begründete Anfang der dreißiger Jahre seinen internationalen Ruhm als Schriftsteller. Die Trilogie ist bis heute das meistverkaufte und meistübersetzte seiner Bücher. In den drei Romanteilen der "Schlafwandler" beschreibt Broch höchst konkret den Ichzerfall einzelner Menschen und damit einhergehend den Zerfall der bürgerlichen Scheinwelt während der Wilhelminischen Zeit.

Zusammen mit Döblins "Berlin Alexanderplatz", Musils "Mann ohne Eigenschaften" und Heimito von Doderers "Die Dämonen" sind "Die Schlafwandler", so Hermann Villiger, "eines der vier großen Beispiele eines komplexen Romans, das den Folgen dieses Zerfalls, der äußeren Vielschichtigkeit der modernen Lebensverhältnisse und der inneren Vielschichtigkeit des modernen Menschen und unseres Wissens von ihm, gerecht zu werden versucht."

Während die beiden ersten Romane der Trilogie "Pasenow oder Die Romantik" und "Esch oder Die Anarchie" traditionell erzählt sind, finden sich im letzten Teil "Huguenau oder Die Sachlichkeit" lyrische und aphoristische Passagen sowie ein längerer Essay über den "Zerfall der Werte". Dieses Abrücken von der geschlossenen Romanform - eine Folge der Auseinandersetzung mit James Joyce's "Ulysses" - entwickelte Broch auch theoretisch in seiner "Poetik des "polyhistorischen Romans".

Durch den literarischen Erfolg seines Romans angespornt, wurde die erste Hälfte der dreißiger Jahre zu Brochs produktivster Zeit als Lyriker, Dramatiker und Essayist. Nach dieser erfolgreichen Periode geriet er jedoch in eine Schaffenskrise.

Die ausbleibende Resonanz auf seine literarischen Arbeiten veranlasste Broch, sich mit politischen Aufsätzen und Aufrufen Gehör zu verschaffen. In diese Zeit fiel auch seine Arbeit an der Urfassung seines zweiten Hauptwerkes "Der Tod des Vergil", die Erzählung "Die Heimkehr des Vergil" (1937).

Während im März 1938 deutsche Truppen Österreich besetzten, wurde Broch aus politischen Gründen festgenommen und im Gefangenhaus von Alt-Aussee inhaftiert. Ein Postbeamter hatte ihn wegen des Bezugs einer linken Zeitschrift als angeblichen Kommunisten denunziert. Mit der Weisung, sich nach Wien zu begeben, entließ man ihn am 31. März. Verzweifelt versuchte Broch, Visen zur Ausreise nach Frankreich, in die Schweiz, nach England und in die USA zu bekommen. Ein englisches Visum ermöglichte ihm im Juli die Flucht nach England, von wo aus er im Oktober in die Vereinigten Staaten emigrierte.

Broch selbst hielt den "Tod des Vergil", der 1945 in seiner Endfassung gleichzeitig in deutscher und englischer Sprache erschien, für sein wichtigstes Werk. Der unter den Bedingungen des Exils entstandene Roman - Broch hatte große Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden, und nur ein Guggenheim-Stipendium ermöglichte dem unter seiner finanziellen Not leidenden Autor die Arbeit an diesem Werk - beschreibt in der Form eines langen, in lyrischer Diktion abgefassten inneren Monologes die Fragwürdigkeit der Kunst.

In seinen letzten 18 Stunden reflektiert der todkranke Dichter Vergil, der sein Lebenswerk, die "Äneis", vernichten will, über die Vergeblichkeit und Wirkungslosigkeit der Kunst, der er bloße Scheinhaftigkeit attestiert. Im Roman, der kunstvoll komponiert Realität, Erinnerung und Zukunftsvision verbindet, zeigt sich die schöpferisch überquellende Sprachkraft des Autors auf ihrem Höhepunkt.

Ausführlich geht die Ausstellung auf die Entstehung dieser beiden Hauptwerke Brochs ein und veranschaulicht zudem, wie weit verzweigt die Beziehungen des Autors zu anderen Künstlern und Schriftstellern seiner Zeit waren.

Aus Briefen an Alban Berg, Elias Canetti oder Robert Neumann geht hervor, welch großes Genie der Freundschaft Broch gewesen ist. Freunde waren Broch in vielen Dingen, besonders auch beim Gang ins Exil behilflich und seine Hilfsbereitschaft war legendär.

In der amerikanischen Emigration, wo Broch einen Lehrauftrag an der Yale University, jedoch kein gesichertes Einkommen hatte, war der mittellose Autor besonders auf Unterstützung angewiesen. Am 30. Mai 1951 - vor 50 Jahren - starb Hermann Broch in New Haven.

Hermann Broch. Eine Ausstellung des Schiller-Nationalmuseums Marbach am Neckar. Bis 9. Juli 2001. Katalog erhältlich.

Freitag, 08. Juni 2001

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