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Drei neue Bücher von und über Ernst Jandl

Jandl, Ernst: "lebt wohl ihr weiterlebenden"

Von Birgit Schwaner

Am Anfang war die Stimme. Der erste Schrei eines Babys: vielleicht eine erste Manifestation existentieller Ohnmacht. Später die ersten Versuche im Sprechen. Das Kleinkind plappert Worte nach, versucht sich an unbekannten Zusammensetzungen schon vertrauter Laute und Silben - lernt neue dazu, lernt durch Wiederholung und Variation. Die Freude, die Erwachsene an Sprachspielen haben, entsprießt dieser kindlichen Lust: der anarchischen Lust am Verschieben der Laute, am eigenwilligen Formen, Verändern und Deformieren der Wörter. Der Wörter, die später per Lexikon und Grammatik festgelegt, also gesetzt scheinen im Regelwerk, nach dem der Mensch sich richtet, will er verstanden sein. Das heißt, sich wenigstens dem Anschein nach verstanden fühlen. Auch wenn die Stimme dagegenspricht, die die Wörter subjektiv moduliert . . .

"was ich vor allem misse, astronom du, sternenarchitekt der silben, ist der klang deiner stimme." Einige Monate, bevor er selbst in der Krampusnacht starb, rief H. C. Artmann diese Worte Ernst Jandl nach, der am 9. Juni 2000 im Alter von 75 Jahren verstorben war.

Jandl ging dichtend so sehr vom Sprechen aus, dass er das Sprachkonventionen und Floskeln sprengende Potential der menschlichen Stimme zum bestimmenden Moment seiner Lyrik machte: Einer vor ihm nicht dagewesenen Form von Lyrik, als deren kongenialer Interpret er selbst auftrat. Wer ihn einmal gehört hat, braucht nur eines seiner Gedichte zu lesen, um sich zu erinnern.

Vielleicht genügt es auch, ein Foto von einer Lesung betrachten, auf dem die Mimik des Dichters in höchster Konzentration sein ganzes Gesicht auf ein Detail ausrichtet (fast zuspitzt): den geöffneten Mund. Die Konzentration gilt einzelnen Lauten, auch Sprechgeräuschen, der Blick nach innen, horchend, selbstvergessen.

Fotos, wie sie in Klaus Siblewskis Buch "a komma punkt ernst jandl" zu sehen sind. Klaus Siblewski ist u. a. Herausgeber der Werke Jandls und präsentiert in diesem gelungenen Band "ein Leben in Texten und Bildern", so der Untertitel. Genauer besehen handelt es sich um wesentliche Aspekte dieses Lebens. Zwar ist die Darstellung ab und an etwas redundant, was aber daran liegen mag, dass man von Verlagsseite auf die verschiedenen Lesegewohnheiten des Publikums Bezug nehmen wollte und dem Fließtext kästchenweise Zusammenfassungen zur Seite stellte.

In sieben thematischen Kapiteln - zu Familie, Krieg, Friederike Mayröcker, experimenteller Literatur, Jandls Lesungen, seinem Verhältnis zu sich selbst, der Musik (Jazz) - und einem angehängten "Gespräch übers Altern" beschreibt Siblewski zugleich in loser chronologischer Folge das Leben des Dichters. Jandl-Leser, die bislang wenig über die Biografie des am 1. August 1925 geborenen Wieners wussten, werden hier immer wieder auf Informationen stoßen, die die ein- oder andere Gedichtstelle zusätzlich erhellen.

So wird vor dem Hintergrund des strengen Katholizismus der Mutter etwa ein Gedicht wie das noch in den 60er Jahren als blasphemisch angesehene "fortschreitende räude" um eine biografische Lesart bereichert. Die zunehmende Verhunzung des Bibelsatzes "Am Anfang war das Wort" beginnt Ernst Jandl mit kleinen Veränderungen: "him hanfang war das wort hund das wort war . . .", um sechzehn Zeilen später mit einem "flottsch" zu enden. Nach der Lektüre des Familien-Kapitels wird man u. a. versucht sein, diesen Laut als eine kurzfristig erschriebene Befreiung von entsprechenden Kindheitserinnerungen zu deuten. Sie mögen dazu geführt haben, dass der Dichter nicht zu denen seines Berufsstands gehörte, die beim Wort "Mund" an "Mond" dachten; sondern an "Hund". (Etwa im Sinn von Gottfried Benns "ich armer Hirnhund, schwer mit Gott behangen", aber nicht larmoyant). Doch dies nur am Rande.

Klaus Siblewski geht in seinem Buch vor allem der Frage nach, wie Ernst Jandl zu seiner radikalen Schreibhaltung fand, wie er schreibend und als Schriftsteller lebte.

Erfolgte die erste Anregung zum Dichten durch die Mutter, die seit Beginn einer schweren Krankheit bis zu ihrem frühen Tod im April 1940 selbst geschrieben hatte, so führte die Erfahrung der Nazizeit und des Zweiten Weltkriegs wie bei vielen jungen Künstlern auch bei Jandl zum Wunsch nach einer neuen Schreibweise; verbunden u. a. mit der Lektüre von August Stramm, Gertrude Stein, der Dadaisten . . . - kein hehres Pathos mehr. "'Der Krieg singt nicht', lautet einer von Jandls wichtigsten Grundsätzen beim Schreiben, und dieser Satz gilt für alle seine Gedichte und nicht nur für jene Verse, die sich mit dem Thema Krieg befassen."

Die Schreibexplosion

Es ließ sich lange Zeit nicht gut leben mit diesem Grundsatz, auch nicht für einen, der ohnehin auf einem zusätzlichen Brotberuf für Schriftsteller bestand. Damit sie unabhängiger seien beim Schreiben. Und der sich, wie so viele andere, damit quälte, Lehrer- und Schriftstellerdasein zu vereinbaren. Nach einer ersten Veröffentlichung, dem Gedichtband "Andere Augen" (1956), den die Freunde H. C. Artmann und Gerhard Rühm als zu konservativ ablehnten, gelangen Ernst Jandl 1957, so Siblewski, in einer "Schreibexplosion" erstmals Gedichte, die "seinem radikalen Anspruch an Poesie endlich gewachsen sind". Darunter 21 "sprechgedichte". Eines von ihnen erschien noch im Mai desselben Jahres in der Zeitschrift "Neue Wege" und ist auch als Foto abgebildet - eine der vielen Abbildungen auch von Manuskripten und Typoskripten, die das Buch reizvoll machen: Der Text "bohren sie mir die pupille aus mit ihrem bohrer herr zahnarzt" wird aufgelöst in Silben und mehrfach wiederholte Laute, mit wienerischem Anklang. Außerdem steht er, in traditioneller Orthographie in einer Klammer unterhalb des Gedichts. Dem wiederum geht eine kurze Erklärung Jandls voraus: "das sprechgedicht wird erst durch lautes lesen wirksam. länge und intensität sind durch die schreibung fixiert . . .".

Die Rezipienten des Neuen sollten Hilfestellung erhalten, was dem Autor zunächst nicht half: "Ein Entrüstungssturm bricht los, wie ihn keiner der anderen Autoren in Jandls Alter auch nur in Ansätzen ausgelöst hat und über sich ergehen lassen muss. Viele hätten ihn am liebsten außer Landes gewünscht.

Dass er sich der üblichen Syntax und dem konventionalisierten Wortgebrauch verweigert, wird als kulturelle Provokation sondergleichen angesehen, und dass sich diese Entgleisung zudem noch ein Lehrer im Fach Deutsch erlaubt, bringt die Gegner seiner Gedichte vollends gegen ihn auf", schreibt Siblewski. Fazit: der Dichter, der zwanzig Jahre später (und bis zu seinem Tod immer wieder) die höchstdotierten Preise und staatlichen Anerkennungen erhält, gilt in Österreich zunächst als "Verderber der Jugend" und "Unperson". Kein Verlag, keine Zeitung, die ihn druckt, keine Rundfunksendung, die Texte von ihm verwendet.

Lichter wird es erst 1963, mit einer Veröffentlichung im deutschen Limes-Verlag. 1966 erscheint als zweites Buch der heutige Jandl-Klassiker "Laut und Luise", reduziert um das oben erwähnte "fortschreitende räude" im Walter-Verlag. Der dem Buch folgende Protest veranlasst dessen Herausgeber Otto F. Walter, den Verlag zu verlassen und zu Luchterhand zu wechseln. Mehrere hochkarätige Autoren folgten . . . und Ernst Jandls Texte hatte eine einschneidende Veränderung der deutschen Verlagslandschaft bewirkt. Ebenfalls Mitte der 60er Jahre erschien seine erste Schallplattenaufnahme (bei Wagenbach) und wurde sofort ein Bestseller. Die Gedichte von "Laut und Luise" waren, wie sich herausstellte, zunächst bei Kindern sehr beliebt.

Die eben beschriebenen Jahre im Leben Ernst Jandls werden im Kulturland Österreich nicht gerne erwähnt. Umso wichtiger, manchmal daran erinnert zu werden - und einige Seiten und zweieinhalb Jahrzehnte weiter den Abdruck des ersten Blattes der Berliner "tageszeitung" vom 1. August 1990 zu finden: hier hat man zu Ehren von Jandls 65. Geburtstag, "lechts und rinks", kurz, in jeder Meldung der Seite "r" und "l" verwechselt. Das "Parlament" wird zum "Palrament", und die "Bonnel Koarition einigt sich auf eine 5-Plozent-Hülde mit Ristenvelbindung" . . . der Jandl-Virus treibt sein Spiel, und lässt uns über politische Meldungen lachen. Viel Sprengstoff noch, im einzelnen Buchstaben.

Es verwundert nicht zu lesen, Ernst Jandl habe sich lange nicht vorstellen können, wie viel Einsatz und Energie allein dafür nötig würde, seine Lyrik durchzusetzen. In den Jahren nach der Publikation von "Laut und Luise" (in deren Nachwort noch Helmut Heißenbüttel den Beweis führte, dass es sich um ernstzunehmende, richtige Lyrik handele) werden Jandls Gedichte stetig bekannter, ja populär. Ein Grund dafür ist sicher, dass der Dichter darauf achtete, möglichst leicht erschwingliche Bücher zu veröffentlichen: vor Jahren wie heute gibt es unter seinen Lesern übermäßig viele junge Menschen.

Ein anderer Grund sind seine Lesungen, seine Auftritte mit Musikern . . . vor allem Jazz: "Das Leben als ein schönes langes Saxophonsolo, das wäre nicht schlecht", überlegt er einen Augenblick im Interview am Ende des Buches, das in Bilder und Text soviel noch erwähnt, was hier ausgespart werden muss: auch die schwierigen Themen seiner erschütterndsten Gedichte wie Depression, Resignation, Einsamkeit, Krankheit. Und die schönen: seine aufrechte politische Haltung, sein Einsatz für junge Autoren, seine lange Verbindung, Freundschaft, Liebe zu Friederike Mayröcker.

Das Requiem

Die Dichterin, der heuer (17 Jahre nach Ernst Jandl) der Büchner-Preis verliehen wird, hat versucht, ihren Schmerz über den Tod des Freundes schreibend zu bewältigen. Unlängst erschien ihr "Requiem für Ernst Jandl", ein 44 Seiten umfassendes Bändchen, das zwei Besprechungen zu Gedichten von Jandl, die Paraphrase auf ein Jandl-Gedicht, sowie zwei Gedichte und zwei längere Prosatexte enthält. Das "Requiem", nach dem das Bändchen benannt ist, kann wohl einer der traurigsten, berührendsten Texte der österreichischen Gegenwartsliteratur genannt werden. Ein Fluss stiller Verzweiflung, durchsetzt immer wieder von Erinnerungen an den Lebenden, den Toten, die ratenden Stimmen von Freunden aufnehmend und ins Leere laufen lassend, aus dem sich eine fast barocke Klage erheben kann, um ebenfalls zu vergehen: "jammervoll ist der Tod, erbärmlich ist der Tod, viele Schmählichkeiten sind der Tod, 1 Zerbrecher und Verstörer ist der Tod".

Und der, den's traf? Klaus Siblewski hat einen Band "Letzte Gedichte" herausgebracht, wie in frühen Tagen als Taschenbuch der Reihe "Sammlung Luchterhand", die heuer unter anderem mit Jandls Gedichten wieder ins Leben gerufen wurde. Eigentlich hätte das noch mit Jandl geplante Buch ein Band zu Leibzeiten sein sollen . . . nun ja.

"und was wirst du dann sagen?

lebt wohl ihr weiterlebenden . . .

das heißt, wenn jemand bei mir ist

werde ich das vielleicht sagen".

Sagt Ernst Jandl in seinem letzten Gedichtband im Gedicht "letzte worte". Und sagt es nicht mehr. Und sagt noch mehr, immer weiter. Zum Glück haben wir seine Bücher, seine Tonaufnahmen. Dass er sich selbst weiterhin treu blieb, zeigt dieses Buch. In vielen der Texte bricht der Hinweis auf den profanen, hilflosen, erbärmlichen Körper das ästhetisch-poetische Bild, so wie die Verzweiflung, Bitterkeit, Ehrlichkeit der Stimme den Text verhunzen konnte, bis er dem Leben glich. "ejakuliertes werk" gegen "metaphernspucke", und Sappho, nun, sie heißt gejandelt "saffo oder sapfo, zapfo", auf dass sich das Gedicht mit Leben erfüllt; das heißt mit Stimme. Und die, führt Jandl vor, kann nicht edel sein. Aber wahr.

"o schmeiß mich nicht

auf grünen vogelwind

der harte rattert"

Falamaleikum.-

Klaus Siblewski: a komma punkt ernst jandl. Ein Leben in Texten und Bildern. Luchterhand Verlag, München 2000, 215 Seiten.

Friederike Mayröcker: Requiem für Ernst Jandl. Suhrkamp Verlag Frankfurt, 2001, 48 Seiten.

Ernst Jandl: Letzte Gedichte. Sammlung Luchterhand 2001, 123 Seiten.

Freitag, 01. Juni 2001

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