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Zum 95. Geburtstag der Dichterin Erika Mitterer

Mitterer, Erika: Lohnt sich die Mühe?

Von Martin G. Petrowsky

Erika Mitterer hat selbst einmal gemeint, von ihrem Leben gäbe es nicht viel zu erzählen. Geboren am 30. März 1906 in einem, wie es damals hieß, "gutbürgerlichen" Elternhaus im Wiener Vorort Hietzing, begann Erika bereits im Alter von zehn Jahren, ihre inneren Spannungen durch das Schreiben von Gedichten abzubauen.

Nach Absolvierung des "Lyzeums", in dem das Interesse des Mädchens für die Dichtkunst maßgeblich gefördert worden war, entschied sich Mitterer unter dem Eindruck der Romane von Tolstoi und Dostojewski für eine Ausbildung zur Fürsorgerin. Die praktische Sozialarbeit bedeutete eine wesentliche Erweiterung des Horizonts und brachte viele Anregungenn für spätere Werke.

Die Liebe zu Goethe geht ebenso wie die Begeisterung für Rainer Maria Rilke schon auf die Mädchenjahre zurück. Unter dem Eindruck der "Sonette an Orpheus" schreibt die achtzehnjährige Erika dem angehimmelten Rilke zwei aus ihrem tiefsten Inneren kommende Briefgedichte - natürlich eine Reaktion des berühmten Dichters nicht erwartend, aber insgeheim erhoffend. Als Rilke sich zehn Tage später tatsächlich mit einer Antwort, noch dazu ebenfalls in Gedichtsform, einfindet, ist das Glücksgefühl unübertreffbar. Und durch zwei Jahre hindurch entwickelt sich nun ein Briefwechsel in Gedichten, der das begabte, schwärmerische Mädchen wohl auf das Nachhaltigste beeinflusst. Zur Veröffentlichung kommt diese Korrespondenz übrigens erst lange nach Rilkes Tod, denn Mitterer wollte diese höchste Bestätigung, die ihre Verse durch Rilke erfahren hatten, nicht als Vehikel für ihre schriftstellerische Karriere verwenden.

Nach dem Tod ihrer geliebten Mutter 1930 führte Erika Mitterer ihrem Vater den Haushalt und widmete sich ganz dem Schreiben. Stefan Zweig, der sie bereits in diesen Jahren Felix Braun gegenüber als "große Dichterin" bezeichnete, förderte nicht nur die Publikation des ersten Gedichtbandes, sondern auch Kontakte mit anderen bedeutenden Schriftstellern.

Die Lyrikerin

Schon die ersten, in der "Anthologie jüngster Lyrik" veröffentlichten Verse wurden 1927 von Edwin Rollett in der "Wiener Zeitung" so kommentiert: ". . . hier ist eigene Musik, ein selten starkes Gefühl für den Klang und Zusammenklang der Laute, ein ehrliches, starkes Sehnen . . ." Über den ersten Gedichtband "Dank des Lebens" schrieb Stefan Zweig: "Kein Gedicht steht in diesem schmalen Band, das sich nicht wenigstens teilweise als besonders dichterisch erwiese." Auch dem zweiten Gedichtband "Gesang der Wandernden" (1935) wurde viel Lob entgegengebracht.

Ab 1933 beobachtete Erika Mitterer die Entwicklung in Deutschland mit großer Sorge - nicht nur wegen ihrer dort lebenden Verwandten (ihre Mutter war aus Westfalen stammende "Halbjüdin" gewesen). Gedichte wie "Klage der deutschen Frauen" aus dem Jahr 1934 zeigen, wo Erika Mitterer damals stand:

"Selig, die heut keinen Sohn gebären! / Sie können warten, bis das Volk sich besinnt. / Wir wollen aushalten im Schweren, / aber wir wollen kein Kind." (Aus "Klage der deutschen Frauen")

Dieses Gedicht wurde nach dem Anschluss von der Gestapo im Schreibtisch von Ernst Molden, dem Herausgeber der "Presse", gefunden. Mitterer ist einer Verhaftung nur durch den Weitblick von Molden entgangen, der den Namen der Schriftstellerin weggeschnitten hatte und nun behauptete, das Gedicht anonym zugesandt erhalten zu haben . . .

Die Veröffentlichung war somit erst 1946 in dem schmalen Bändchen "Zwölf Gedichte 1933-1945" möglich, das Exilautoren sehr positiv aufgenommen haben. So rezensierte Ernst Waldinger in der "Austro American Tribune": "Erika Mitterers Sympathie mit den Vertriebenen begann . . . mit dem Augenblick, da die Vertreibung anfing, und ist nicht eine Konjunkturangelegenheit, wie sie uns heute gleich widerlich und empörend entgegentritt." Die Aufnahme im Lande war aber zum Teil weniger freundlich. So bezeichnete z. B. der "Strom" das Gedicht "An Österreich", das vor blinder Rache warnte, als "geschmacklos."

1956 kamen "Gesammelte Gedichte" heraus und auch die letzten Jahrzehnte widmete sich Erika Mitterer wieder hauptsächlich der Lyrik. Die Gedichtbücher "Klopfsignale" (1971), "Entsühnung des Kain" (1974) und "Das verhüllte Kreuz" (1985) wurden aber nur von wenigen Blättern beachtet - Bekenntnisse, noch dazu katholische, schienen in den Medien nicht mehr gefragt. Die wenigen Kritiken waren jedoch beinahe überschwänglich: die "Wiener Zeitung" zählte die Autorin "zu den großen Dichterinnen des Katholizismus" und Jeannie Ebner formulierte im ORF ihre "große Überraschung wegen der inhaltlichen Kühnheit, formalen Modernität und lyrischen Qualität."

Die Erzählerin

In den schweren Jahren der Bedrohung durch das "Tausendjährige Reich" schrieb Erika Mitterer Texte, die später zu Recht der Literatur der "inneren Emigration" zugerechnet wurden. "Der Fürst der Welt", ein Roman, der zur Zeit der Inquisition handelt und der beispielhaft zeigen soll, wie in einer scheinbar intakten Gesellschaft die "Machtergreifung des Bösen" stattfindet, durfte 1940 sogar erscheinen, weil ihn die Nazis als willkommenen Angriff auf die Katholische Kirche interpretierten. Die aufmerksamen Leser verstanden aber sehr wohl die Parabel und Viktor Matejka schrieb nach dem Krieg: "Den nächsten intensiven Kontakt mit Ihrer Literatur hatte ich im KZ Dachau. Ihr "Fürst der Welt" war für mich und meine Freunde eine Art gezielter Widerstand."

Erst als die Rezensenten der norwegischen Ausgabe zwei Jahre später das Buch als "eigentlich eine Schilderung der Zustände im Hitlerreich" bezeichneten, wurde die Zensur hellhörig und unterband sofort jede Papierzuteilung. Erika Mitterer "passierte" aber glücklicherweise nichts und sie schaffte mit diesem "Feuerbrand von einem Roman" ("Frankfurter Zeitung") den großen Durchbruch als Romanautorin.

Noch während des Kriegs konnten auch die Liebesgeschichte "Begegnung in Süden" und die Kassandra-Novelle "Die Seherin" erscheinen, "ein Buch, das von einem Menschen geschrieben wurde, der in einer von Halbheiten durchsetzten Zeit aus eigener Kraft versucht, das wahr Erschaute auch absolut zu gestalten." So R. Litschel in den "Oberösterreichischen Nachrichten".

Von ebendieser Zeitung musste die Autorin 1945 allerdings den schlimmsten Verriss ihres Lebens hinnehmen: "Wir sind allein", die Geschichte von zwei Waisenkindern in der trostlosen Zwischenkriegszeit, war der eigentlich erste große Roman der Autorin.

Bereits 1934 fertiggestellt und bei einem deutschen Verlag im Druck, hatte die Produktion wegen der Weigerung Mitterers, einen sympatisch gezeichneten jüdischen Arzt zu "arisieren", gestoppt werden müssen. Nun schrieben die OÖN: "Das Rezept des Unterhaltungsromans von heute: Man nehme eine rührselige Geschichte, würze sie mit ein paar historischen Begebenheiten und füge nach Geschmack einen Schuß Romantik darein. Die erotische Essenz wird den Genuß steigern. Dann backe man das Ganze im Stile Courths-Mahler. Die Sprache spielt dabei nur eine geringe Rolle, und der lesbare Unterhaltungsroman ist

fertig . . ."

Einen schönen Kontrast zum Vergleich mit Courths-Mahler bildete jedoch der Bezug, den Otto König in der "Arbeiterzeitung" herstellte: er verglich die Fähigkeit Mitterers, aus wenig spektakulärem Stoff große Prosadichtung zu schaffen mit "Goethes Genius" und mit Thomas Manns "'Zauberberg".

Gleich nach dem Krieg engagierte sich die Dichterin für die Neugründung des PEN-Clubs und des Schriftstellerverbandes. Sie legte ihr Vorstandsmandat beim PEN aber bereits 1948 aus Protest wieder zurück, weil in einer Vorstandssitzung, an der sie nicht hatte teilnehmen können, die Aufnahme eines gewissen Viktor Frankl abgelehnt worden war.

Die fünfziger Jahre werden eine sehr produktive Schaffensperiode. Erika Mitterer publiziert vorerst den Roman "Die nackte Wahrheit", ein Beziehungsdrama im Wien der Nachkriegszeit, und "Das Wasser des Lebens", eine Geschichte im Spannungsfeld zwischen vergänglicher Liebe und dem Streben nach endgültiger Beherrschung der Natur durch die wissenschaftliche Forschung. Zur "Nackten Wahrheit" schrieb Ernst Scheibelreiter, der Dichterfreund, mahnend: ". . . manchmal kommst du mir kalt vor, kälter noch als Hebbel . . . Deine Helden zeigen mir allzu oft die schreckliche Einsamkeit des modernen Menschen . . ."

Beim "Wasser des Lebens" verstanden einige Rezensenten die ungeheure Aktualität dieser wiederum im Mittelalter angesiedelten Geschichte. Die "Neue Wiener Tageszeitung" urteilte: "So ist hier ein kulturhistorischer Roman gelungen, der im Atomzeitalter und seiner Hybris wie ein Mahnmal wirkt . . ." Die "Industrie" kanzelte jedoch ab: "Wenn als letzter Sinn . . . ausgesagt werden soll, daß es eine Vermessenheit sei, der Natur in die Arme zu fallen . . ., so ist dazu keine solche Moritat nötig."

Dann folgten zwei viel beachtete Bücher für Teenager: "Kleine Damengröße" und "Tauschzentrale".

Die Dramatikerin

In dieser Periode schreibt Mitterer auch einige Dramen, von denen jedoch nur eines, die "Verdunkelung" 1958 im Theater der Courage aufgeführt wird. 1982 wundert sich die israelische Literaturwissenschaftlerin Anat Feinberg darüber, dass dieses Stück nie gedruckt worden sei, "es gibt nicht viele österreichische Schriftsteller, die es nach dem Krieg gewagt haben, sich mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung auseinanderzusetzen", stellt sie fest. Bei dieser "Verdunkelung", in der einer Familie die halbjüdische Herkunft des Vaters zum tragischen Verhängnis wird, schieden sich die Geister an der sprachlichen Gestaltung in Versen. Manfred Vogel drückte es im "Bildtelegraph" am härtesten aus: "Entweder dieser Stoff . . . - oder diese Sprache. Beides zusammen ist Selbstmord!" Erika Mitterer nahm die Kritik ernst und verfasste eine Prosa-Version; dennoch interessierte sich bisher kein weiteres Theater für dieses Stück.

1965, nach der Konfirmation ihres jüngsten Sohnes, konvertierte Erika Mitterer zum Katholizismus. Die Jahre danach waren von einer sehr starken Präsenz ihres neu gefestigten Glaubens geprägt: in ihrer Dichtung und in ihrem Handeln.

Verändernde Kunst

1971 erhält die Schriftstellerin für den Roman "Alle unsere Spiele" den Handel-Mazetti-Preis. In diesem Buch versucht Mitterer, die Zeit des Nationalsozialismus literarisch und psychologisch aufzuarbeiten. Erst 1977 entschließt sich ein kleiner Verlag zur Veröffentlichung. Die Lektoren aller namhaften Verlagshäuser hatten offenbar gemeint, von "dieser Zeit" wolle niemand etwas wissen. Die Unzahl an zustimmenden Leserbriefen, die Erika Mitterer erreicht, zeigt aber, dass diese Einschätzung falsch war.

Jedoch: "Vergangenheitsbewältigung" funktioniert nur auf Basis einer Weltanschauung, bedarf eines Werte-Koordinatensystems. Dementsprechend unterschiedlich waren die Beurteilungen: Die "Neue Zürcher Zeitung" hielt das Werk für "ein ungemein sympathisches Buch, lebendig, ehrlich und leidenschaftlich um die Wahrheitsfindung bemüht . . ." A. Focke sprach in der "Furche" von "wirklich verändernder Kunst". Elisabeth Endres, marxistisch gebildete Rezensentin der "Frankfurter Allgemeinen", sprach hingegen von einem "falschen Buch". "Ohne daß Erika Mitterer es will, werden die Zusammenhänge vernebelt. Daran ist ihre Psychologie schuld . . ."

Diese Verurteilung in der Zeitung des "Literaturpapstes" Reich-Ranicki hat den Erfolg des Buches zweifellos negativ beeinflusst; auch die überwiegend positive Kritik in Österreich konnte das nicht wirksam ausgleichen.

1987 übersiedelte Erika Mitterer mit ihrem Mann, der sie acht Jahre später nach schwerer Krankheit verließ, in ein Altersheim nach Ober-St.Veit. Sie erhielt die höchsten Auszeichnungen, die Künstler von der Republik, von der Stadt Wien und dem Land Niederösterreich erhalten können, und sie blieb doch eine einsame, kaum wahrgenommene Stimme. Um 1983 schrieb sie das Gedicht "Treue"

Als mich viele lobten, war ich innen tief erschrocken, denn ich wußte frühe,

daß sie vor der Wahrheit feig erschauern,

daß die Schönheit ihnen n i c h t gefällt.

Nun erstarre ich in düsterm Sinnen,

weil mich niemand hört: lohnt sich die Mühe?

  • Keiner wird sein Hiersein überdauern,

der sich selber nicht die Treue hält . . .

Darin liegt wohl der Schlüssel für alle Erklärungsversuche, warum Erika Mitterer der durchschlagende Erfolg beim Massenpublikum verwehrt geblieben ist: sie ist sich und ihrer Weltanschauung immer treu geblieben, sie hat aus ihrer Sicht falsche Korrekturen in ihren Manuskripten immer abgelehnt und damit wohl auch manchen Verleger vergrämt. Wenn jemand ein Buch dieser Dichterin vehement ablehnte oder auch totschwieg, scheinen dafür nicht künstlerische, sondern ideologische Gründe maßgeblich gewesen zu sein. Doch Ideologien kommen und gehen. Wendelin Schmidt-Dengler fordert daher, "das Werk Erika Mitterers, die die Zeichen der Zeit immer wieder erkannt hat, neu zu entdecken."

Bücher Erika Mitterers: Das gesamte lyrische Werk, Edition Doppelpunkt, Wien 2001. - Alle unsere Spiele, Edition Doppelpunkt, Wien, ab September 2001.- Entsühnung des Kain, Gedichte, Johannesverlag, Einsiedeln 1974. - Bibelgedichte - ein Vermächtnis, Verlag Stiglmayr, Föhrenau 1994.

Martin G. Petrowsky, der Sohn Erika Mitterers, hat zusammen mit Petra Sela das lyrische Gesamtwerk der Dichterin herausgegeben.

Freitag, 30. März 2001

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