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Ein Gespräch mit dem Grazer Verleger Maximilian Droschl

"Autoren sind unser Kapital"

Von Jürgen Koppensteiner

Österreich gehört bekanntlich nicht zu den Ländern mit einer hohen (Buch)-Lesefrequenz. Die bissige (sicherlich überspitzte) Bemerkung Alois Brandstetters aus dem Jahre 1981, Schriftsteller in Österreich, das sei geradeso wie Strohhuterzeuger in Lappland, hat auch heute noch ihre Berechtigung. Und dennoch gibt es in Graz seit über zwanzig Jahren einen Verlag, der mit Beharrlichkeit und steigender internationaler Anerkennung Bücher macht, die so gar nicht "kulinarisch" sind und in Österreich wohl nur eine kleine, ausgewählte Schar von Lesern begeistern. Droschl-Bücher sind, im Gegenteil, sperrig, nie einfach, sie verfolgen keine klare Linie.

Aber Max Droschl ist heute eine anerkannte Größe im österreichischen Literaturbetrieb, und sein Verlag ist ein Fixpunkt des Grazer Kulturlebens. Jahre hindurch war seine kleine, mittlerweile geschlossene Buchhandlung im Zentrum der Altstadt Treffpunkt für Literaten und Literaturinteressierte.

Wiener Zeitung: Herr Droschl, Ihren Verlag gibt es seit 1978. Sie sind von Beruf Maschinenbau- und Wirtschaftsingenieur. Wie kommt man als solcher auf die Idee, Verleger zu werden, noch dazu von widerborstiger, nonkonformistischer Literatur?

Maximilian Droschl: Zu meiner hauptberuflichen Tätigkeit wollte ich noch etwas für meinen Kopf machen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen hatte ich, und Graz bildete einen sehr interessanten Rahmen. Der Verlag entstand aus einer Galerie und Buchhandlung. Kunst und Literatur standen am Anfang im Zentrum. So gab es im ersten Produktionsjahr zwei Kunst- und drei Literaturtitel im Programm, darunter einen Band mit Arbeiten von Arnulf Rainer und zwei frühe Stücke von Wolfgang Bauer.

W. Z.: In einer Verlagsaussendung lese ich, dass Sie die "Tradition der Aufsässigen", der "formalen Erneuerer", der "Traditionsbrecher" und der "Schwierigen" pflegen. Wie sind Sie dazu gekommen?

Droschl: Durch das Forum Stadtpark. Durch verschiedene Literatursymposien und durch die manuskripte mit Alfred Kolleritsch bekam ich, nicht überraschend, ein Bild der Literatur, das mich interessierte. Und mich interessierte von Anfang an die Gegenwartsliteratur und ihre Entwicklung. So lag es mir sehr am Herzen, die Erstausgaben von Autoren zu veröffentlichen.

W. Z.: Was bedeutet es für Sie, Verleger zu sein?

Droschl: Mich interessiert immer das Neue, und das auch in einem Verlag bzw. in der Literatur, die dafür stehen sollte. Und jetzt reizt es mich genauso, an vorderster Front der deutschsprachigen Literatur nach neuen Entwicklungen zu suchen.

W. Z.: Ihre ersten Bücher (Reinhold Aumaier, Antonio Fian, Peter Waterhouse u. a.) waren keine Verkaufserfolge, brachten aber Anerkennung und Preise für die Autoren. Wie verhält es sich heute? Ist Ihr Verlagsprofil gleich wie vor zwanzig Jahren? Oder hat es sich geändert?

Droschl: Mit "Menz" von Peter Waterhouse hatten wir ein stark beachtetes Werk verlegt, das, wie sich dann bald zeigte, einen wichtigen neuen Autor vorstellte. Bis jetzt haben wir 25 "Bucherstlinge" von Autorinnen und Autoren aus Österreich und der Schweiz herausgebracht. Und wir haben dieses sicher risikofreudige Publizieren von Erstveröffentlichungen fortgesetzt. So sind Debütbände von Helga Glantschnig, Lydia Mischkulnig, Rosa Pock und Sissi Tax bei uns erschienen. Der Siegeszug von Werner Schwab begann mit den Stücken in seinem Erstlingsband "Fäkaliendramen". Neben den jüngeren Autoren stehen in unserem Programm aber auch einige bereits anerkannte ältere wie Wilhelm Muster oder Wolfgang Bauer. Zur Gruppe der jungen deutschsprachigen Autoren kamen ab 1985 auch Übersetzungen von sehr bedeutenden Autoren wie Henri Michaux, Julien Gracq, Michel Leiris, Michel Butor aus Frankreich oder Paul Bowles mit einigen marokkanischen Autoren, Robert Creeley und Tobias Wolff aus den USA. Erwähnen möchte ich auch die jungen Autoren aus Slowenien, Kroatien, Jugoslawien und Ungarn. Dann brachten wir - meist in Zusammenarbeit mit der Grazer Germanistik - auch theoretische Werke heraus. 1992 kam noch die edition neue texte zu uns.

W. Z.: Wer sind Ihre Leser und Leserinnen? Kann ein Verlag von "raren Liebhabern" und "Kennern" leben?

Droschl: Unser Publikum sind ganz einfach Leser, Menschen, die sich für neue Entwicklungen interessieren. Wir wollen den neugierigen Leser ansprechen, den "Wortfixierten", dessen große Liebe der Sprache, den Sprachen gehört. Unser Programm ist von Qualität geprägt. Diese ist zeitlos, aber auch grenzenlos, wie ich heute nicht ohne Stolz sagen kann. Im Speziellen sind die meisten Leser unserer Bücher in Norddeutschland und Berlin zu finden, aber auch in vielen Germanistikinstituten über die ganze Welt verstreut. Für uns ist auch das Internet sehr wichtig. Seit fünf Jahren haben wir eine Homepage, nun auch mit einem kleinen englischen Abriss http://www.droschl.com.

W. Z.: Sie gelten als risikofreudig, als mutige und dynamische Ausnahme in der Verlagslandschaft. Wie sieht die gegenwärtige österreichische Verlagsszene aus Ihrer Perspektive aus?

Droschl: Wie ich schon erwähnt habe, interessiert mich praktisch nur das Neue. Das scheint der Schlüssel für den Mut und die Dynamik zu sein. Bei anderen österreichischen Verlagen vermisse ich dies. Residenz war in den siebziger Jahren völlig anders gelegen und für mich noch ein Vorbild, aber dann . . . Bei den anderen Verlagen fehlt mir die große Linie. Sie sind meist zu stark provinziell beeinflusst.

W. Z.: Es wurde behauptet, Ihr Verlag unterstreiche die Rolle von Graz als der zweiten Literaturhauptstadt in Österreich. Wie steht es um die Literatur in Graz heute?

Droschl: Graz bekam in den siebziger Jahren das Etikett der "heimlichen Hauptstadt der Literatur". Das hat damals vielleicht gestimmt. Heute ist es in Graz viel ruhiger, und wir haben das Kulturangebot einer Stadt mit 250 000 Einwohnern. Wir haben die manuskripte, und unserem Verlag geht es viel besser, da wir nicht ausschließlich auf Graz angewiesen sind.

Das Telefon, das Internet, die Post, sie alle helfen uns dabei zu sehr günstigen Konditionen. Abgesehen vom steirischen herbst hatten die anderen Kunstsparten in Graz immer nur eine marginale Bedeutung.

W. Z.: Gibt es eine Kooperation mit dem Forum Stadtpark, den manuskripten und mit Alfred Kolleritsch?

Droschl: Sowohl mit dem Forum Stadtpark als auch mit den manuskripten gab es sehr intensive Kontakte, die sich seit vier Jahren aber nur mehr auf Alfred Kolleritsch und seine Zeitschrift beschränken. Im Forum Stadtpark gab es eine totale Umstrukturierung, neue junge Leute sind am Werk. Vielleicht gibt es wieder eine Zusammenarbeit, von mir aus sehr gerne.

W. Z.: Wie funktioniert aus Ihrer Sicht die Verlagsförderung in Österreich? Hat die "Wende" diesbezüglich Änderungen gebracht?

Droschl: Die Verlagsförderung wurde mit der Bewerbung Österreichs zur EU installiert. Dabei geht es um die Erhaltung unserer Identität. Und die Schrift bzw. das Buch gehören ja zum Wichtigsten für ein solches Anliegen. Die "politische Wende" brachte hier keine Änderung. Es wird versucht, sich stärker direkt für die Künstler einzusetzen. Zum Beispiel wurde die Stipendienzahl stark erhöht. Schwierigkeiten bekommen allerdings die Vermittler bzw. Organisationen wie IG Autoren. Auch in den Bundesländern schaut es anders aus, z. B. in Kärnten und in der Stadt Salzburg. Hier wird es immer finsterer bzw. ist es bereits stockdunkel.

W. Z.: Wie sehen Sie das Interesse für Literatur in Österreich?

Droschl: Österreich ist ein Musikland, hier spielt der Wasserkopf Wien auch eine Rolle - die Wiener Philharmoniker, der Musikverein, die Staatsoper . . . Was will man da dagegen halten? Generell ist das Interesse für Literatur in ganz Österreich sehr regional gelegen. Internationale Literatur hat es hier sehr schwer. Ich kenne allerdings auch Zahlen von Schweizer Verlagen, die in die selbe Richtung zeigen. Von unserem Leiris-Tagebuch haben wir in den ersten drei Monaten in Österreich sechs Stück verkauft, in Deutschland 500. Von unserem einzigen "regionalen" Autor Reinhard P. Gruber verkauften wir von 1990 bis 95 ungefähr 150.000 Exemplare, bei fünf Titeln. Die meisten anderen Autoren bewegen sich zwischen 150 und 2.000 Exemplaren, allerdings bei einem Titel.

W. Z.: Wie funktioniert der Vertrieb? Sind sie und andere Kleinverlage "Einzelkämpfer"? Gibt es Zusammenarbeit unter den Verlagen?

Droschl: Ich sehe mich als Verlag und nicht als Kleinverlag. So suche ich in jedem Gebiet den für uns günstigsten Vertrieb. Das Marketing ist für mich nach den Programmen und den Autoren das wichtigste Element. Zur Zeit haben wir in Österreich einen Auslieferer mit angestellten Verkäufern. In Deutschland und in der Schweiz arbeiten wir mit Barsortimentern bzw. mit direct mailing mit den Buchhändlern. Wir nehmen sowohl an der Frankfurter als auch an der Leipziger Buchmesse teil. Durch das Internet wird das Verkaufsverhalten der Leser torpediert, allerdings zum Vorteil der "Kleinen", also auch zu unserem. Unsere "Zusammenarbeit" ist das Internet. Diese Plattform bietet allen Platz, man muss nur wollen und sie auch nützen.

W. Z.: Welche Werke in Ihrem Verlagsprogramm ragen heraus, verdienen besondere Aufmerksamkeit?

Droschl: Für mich ist jedes einzelne Buch wichtig. Ich möchte keines herausstellen. Für mich ist Moriz Deutschösterreicher genauso wichtig wie Werner Schwab mit seinen "Fäkaliendramen". Bis jetzt hatten wir auch Glück und mussten kein einziges Buch verramschen.

W. Z.: Sie sind laufend auf Talentsuche. Aber wie "findet" ein Verleger überhaupt einen Autor bzw. eine Autorin?

Droschl: Es wird immer schwieriger. Nahezu zu allen Wettbewerben kommen die Autoren mit Verlagsverträgen. Aber es gibt schon Möglichkeiten. Darüber möchte ich aber hier nicht sprechen, da das Finden von jungen Autoren ja unser Kapital schlechthin ist.

W. Z.: Als eine der interessantesten Reihen, die Sie herausbringen, sehe ich die "Dossier-Reihe". Können Sie darüber etwas berichten? Welches Publikum wollen Sie damit erreichen? Für welche Autoren besteht größtes Interesse?

Droschl: Durch Zufall ergab sich eine Zusammenarbeit mit dem Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung. Die vier Herausgeber sind am Institut für Germanistik tätig. In der "Dossier-Reihe" geht es ausschließlich um österreichische Autoren und Autorinnen, u. a. gibt es Bände über Alfred Kolleritsch, Elfriede Jelinek, Barbara Frischmuth, Gerhard Roth und Werner Schwab.

Ein Gespräch mit dem Autor und andere Texte, die für das Verstehen des Werkes wichtig sind, genaue Biographien und Bibliographien, eine Auswahl von Kritiken zu meist allen Publikationen machen diese Bände für viele Germanisten, aber auch für Lehrer und andere an Literatur Interessierte zu wichtigen Nachschlagewerken. Die österreichische Literatur nimmt ja einen hohen Stellenwert im Rahmen der deutschsprachigen Literatur ein, und hier finden sich langsam die wichtigsten Autoren und Autorinnen. Die Auswahl obliegt den Herausgebern, wir können natürlich Vorschläge einbringen. Es werden meistens nur zwei Bände pro Jahr veröffentlicht, und so gibt es bei der Auswahl noch keine Schwierigkeiten. Ich hoffe aber auf eine stärkere Zusammenarbeit mit Germanisten von anderen Universitäten.

W. Z.: Sie haben 1992 die edition neue texte übernommen. Wie passt diese in Ihr Programm?

Droschl: Heimrad Bäcker wollte 1992 die edition neue texte schließen, um sich mit 67 Jahren noch stärker auf das Schreiben zu konzentrieren. Ich erfuhr davon, machte ihm ein Angebot und übernahm die Reihe, da einige Autoren von uns wie Anselm Glück oder Bodo Hell in diesem Verlag veröffentlicht hatten. Zusätzlich schätze ich das Werk von Reinhard Priessnitz sehr, und hier konnte ich die fast komplette Gesamtausgabe übernehmen.

W. Z.: Welche Pläne haben Sie für die nächsten Jahre? Und wo sehen Sie den Verlag Droschl in zehn Jahren?

Droschl: Ich habe das Glück, eine Tochter zu haben, die Germanistik und Kunstgeschichte studiert hat und Interesse für den Verlag zeigt. Sie war schon dreieinhalb Jahre am Hamburger Literaturhaus. Sie wird in den nächsten Jahren den Verlag allmählich übernehmen und weiterführen. Ihr Interesse gilt auch der neuen, jungen Literatur, sie möchte sich aber gebietsmäßig auf dem gesamten deutschsprachigen Raum bewegen.

W. Z.: Wenn Sie für Ihren Verlag einen Wunsch gehabt hätten, der nicht in Erfüllung gegangen ist, was wäre das gewesen?

Droschl: Ich wäre gern der erste Verleger von Peter Handke geworden. Insgesamt aber denke ich, dass uns die Aufgabe, einen Verlag für die verrufene, "anspruchsvolle" Literatur zu machen und vor allem diesem Programm auch kontinuierlich treu zu bleiben, in den letzten zwanzig Jahren wohl recht zufriedenstellend geglückt ist.

Freitag, 23. März 2001

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