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Gottsched, ein Vorläufer der feministischen Sprachkritik

Gottsched: Bekanntinnen und Verwandtinnen

Von Thierry Elsen

Die Diskussion um die feministische Sprachkritik scheint sich in den letzten Jahren nur mehr um die Groß-I-Schreibung zu drehen. Dem ist natürlich nicht so. Auch wenn in akademischen Kreisen die Groß-I-Schreibung weitgehend toleriert/akzeptiert, erscheint die feministische Sprachkritik immer noch wichtig. Es gibt nach wie vor Argumente wie: "Es gibt viele Frauen, die das gar nicht wollen." respektive "das ist kein korrektes Deutsch". Basis solcher Aussagen ist eine konservative Sprachbetrachtung. Das was mensch in der Schule gelernt hat, muss für ein ganzes Leben lang Gültigkeit haben. Umstellungen werden als unnötig erachtet.

Die feministische Sprachkritik ist keine Erfindung des modernen Feminismus. Nein, diese Art der Sprachbetrachtung ist schon ein alter thematischer Hut. Und wie sich zeigt kein Ladenhüter.

Die "Moralischen Wochenblätter", die oft von einer einzelnen Person herausgebracht wurden, sind ein spezifischer Zeitschriftentypus des 18. Jahrhunderts. Das Konzept dieser Blätter besteht darin, sowohl Männer als auch Frauen der Bourgeoisie zur Tugend zu erziehen.

Dabei ist neu, dass sich diese Zeitschriften auch an Leserinnen wenden. Um Frauen leichter zu erreichen, zeichnen Verfasserinnen für die Beiträge verantwortlich (es dürfte sich aber meistens um fiktive Autorinnen gehandelt haben). Als wohl berühmtestes Beispiel werden Gottscheds "Vernünftige Tadlerinnen" immer wieder zitiert. Gottsched, hat die gesamte weibliche Redaktion erdichtet.

Dieser an und für sich recht amüsant anmutende Sachverhalt bezeugt, dass die Kategorie "Geschlecht" eine wichtige Komponente im Dialog zwischen Redaktion - in diesem Fall Gottsched - und einer potenziellen LeserInnenschaft darstellt. Über die Kategorie Geschlecht also Identität zwischen den "Journalistinnen" (in Form von drei weiblichen Pseudonymen) und den LeserInnen hergestellt werden.

Das eigentlich Interessante in diesem gottschedschen Periodikum ist, dass die gezeichnete Frauenrolle eine äußerst vielschichtige ist. Zwar spielen Häuslichkeit, Ehe, Gattin usw. eine wichtige Rolle, aber Gottsched ist den Prinzipien der Frühaufklärung zu verhaftet, um einzig und allein das "Heimchen am Herd" zu zeichnen. Dies sieht Helga Brandes, Herausgeberin des Reprints der "Tadlerinnen" so: "Die ,Tadlerinnen' zeichnen sich durch einen frauenfreundlichen Ton aus, der neu ist und auch von späteren Blättern kaum erreicht wird. Für die Bildungsunterschiede zwischen den Geschlechtern werden ausschließlich gesellschaftliche Faktoren verantwortlich gemacht."

Tatsächlich wird das positive Bild einer gelehrten Gattin und Mutter gezeichnet. Helga Brandes weiter: "Die intellektuelle Ebenbürtigkeit zwischen den Geschlechtern steht außer Zweifel, das aufgeklärte, lebenskluge Frauenzimmer, mit Geistes- und Herzensbildung, gilt als erstrebenswertes Ideal."

Ganz allgemein gesprochen, hat Gottsched eine sehr moderne Auffassung von Sprache. Er ist der Meinung, dass Sprache die Vernunft bedingt und ohne gesellschaftlichen Kontext nicht funktioniert.

(. . .) Die Gesellschaft ist das sichtbarste Stücke, dadurch wir uns von unvernünftigen Thieren unterscheiden. Wo sieht man die Affen, die doch die grösseste Ähnlichkeit mit uns haben, Dörfer, Flecken und Städte unter sich ausmachen?

Giebt es unter ihnen Herren und Knechte, Obrigkeiten und Unterthanen? Ist wohl einer dem andern behülflich in Erlangung desjenigen, war er zu seiner Erhaltung nöthig hat? So würden nur Menschen es auch machen, wenn wir nicht reden könten.

(. . .) Die Vernunft selbst, das alleredelste, so wir besitzen, würde gleichsam begraben liegen, und gleichsam verwildern. (GOTTSCHED/BRANDES, 1. Jahrgang, 18. Stück)

Sprache und Geschlecht

Gottsched betont neben dem gesellschaftlichen und rationalen den kommunikativen Aspekt von Sprache. Insbesondere wehrt er sich gegen etwas, das mensch als "verbale Diarrhöe" oder, einfacher ausgedrückt, Tratschsucht bezeichnen könnte. Er betrachtet diesen inflationären Gebrauch von Sprache als typisch weibliche Eigenschaft. Doch seine aufklärerische Haltung gebietet es dem Autor respektive der Autorin - er tritt ja hier als "Iris" auf - die Gründe für diese "Gassenfama" zu erklären.

"Das weibliche Geschlecht ist freylich mit diesem Fehler (gemeint ist die Tratschsucht: Anm. d. Verf.) mehr als die Mannspersonen behaftet. Woher kommt das? Wir haben mehr müßige Stunden als die Männer. Ja, wenn wir gleich womit beschäfftigt sind: so erfordert doch unsre Arbeit so viel Nachsinnens nicht, daß wir nicht zu gleicher Zeit schwatzen können. Das Gemüthe will allezeit womit beschäfftigt seyn. Wenn es derowegen durch deine Geschäffte nicht genugsam eingenommen ist: so suchet es entweder in ausschweiffenden Gedanken, oder in Gesprächen einen Zeitvertreib."

Dieser Ansatz ist durchaus emanzipatorisch. Doch Gottsched geht noch weiter: "So aufrichtig ich aber den Fehler meines Geschlechtes gestehe: so wenig dörfen die Männer sich ganz davon ausnehmen. Meinen sie denn, daß es unter ihnen keine solchen Zeitungsträger und Wächter gibt." (Gottsched vergleicht das Tratschen auf der Gasse mit Zeitungsaustragen respektive der Zeitungsproduktion ganz allgemein. Anm. d. Verf.)

Brandes resümiert die Artikel mit Überschriften. Diese spiegeln die thematisch-weibliche Ausrichtung Gottscheds wieder.

  • "Plädoyer für ein Frauenstudium" (2. Jahrgang, 37. Stück)
  • "Lob der weiblichen Gelehrsamkeit" (2. Jahrgang, 49. Stück)
  • "Über das Modell eines ,Weiber-Parlaments'; die Tadlerinnen als ,Triumfeminat'." (1. Jahrgang, 20. Stück)

Gottsched weicht jedoch vor dem letzten Schritt zurück. Er fordert keine "Ämter und Pulte" für die Frauen. Wenn er dies tut, dann nur in einer zweiten Realität. Im 7. Stück des ersten Jahrgangs skizziert Gottsched eine derartige weibliche Textwelt: "Ich habe ohngefehr etwas von den alten Amazonen gelesen (. . .) Der Rath wurde nicht mehr aus denen ansehnlichen Bürgern, sondern aus vernünfftigen Bürgerinnen erwehlet." (GOTTSCHED/BRANDES, 1993; Seite 32*)

Kommen wir nun jedoch zu unserer eigentlichen Fragestellung. Welche Ansätze der modernen feministischen Sprachkritik, lassen sich bereits in den "Vernünftigen - vielleicht doch - TadlerInnen" auffinden?

Erneut Helga Brandes: "Bei allen Einschränkungen bleibt jedoch festzuhalten, dass erstmalig die ,weibliche Perspektive' ein Journal prägt, mit allen Konsequenzen, auch in sprachlicher Hinsicht. So ist beispielsweise von ,Verwandtinnen' (1. Jahrgang, 30. Stück) und ,Bekanntinnen' (1. Jahrgang, 20. Stück) die Rede. Innovativ und unkonventionell mutet - sogar noch aus heutiger Sicht - Gottscheds Sprachgebrauch an als Ausdruck und Instrument seines erklärten gesellschaftlichen Veränderungswillens."

Wortschöpfungen

Hier nun einige sehr interessante Wortschöpfungen:

"Bekanntinnen"

"Verwandtinnen"

"weibliche Mannschaft"

"Triumfeminat"

"der weibliche Schöppenstuhl"

"die Mitschwester"

Drei Anmerkungen dazu: (1) Die bei (Radikal)feministInnen besonders beliebte Anrede "Schwester" wird hier noch durch das Präfix "mit" verstärkt. So entsteht ein fast schon übertriebener Begriff zur Kennzeichnung von weiblicher Solidarität. (2) Das charakterisierende Beiwort "weiblich" scheint dann nötig, wenn das zu charakterisierende Wort eine rein männlich gedachte Institution bezeichnet.

(3) Heute würde "weibliche Mannschaft" - an und für sich ein sprachliches Paradox - durch "Frauschaft" oder das geschlechtsabstrahierende Lehnwort Team ersetzt.

Die Sprachkritikerin Luise Pusch wehrt sich überhaupt gegen "weiblich plus Maskulinum", da es sich bei diesen Bezeichnungen um Fremdbezeichnungen handle, während movierte, respektive feministische abgewandelte Formen als Selbstbezeichnungen dienten. Anders ausgedrückt. "Die movierten Personenbezeichnungen setzen eine weibliche Tradition voraus", während die "weiblich plus Maskulinum" auf eine diesbezügliche Leerstelle verwiesen. Insofern wären die gottschedschen Bezeichnungen sinnvoll.

Gottsched kritisiert implizit das generische Maskulinum, wenn auch nicht immer konsequent. Die bereits zitierte Luise Pusch weist darauf hin, dass natürliches und grammatisches Geschlecht nicht immer (fast nie) identisch sind, besonders dann, wenn es um weibliche Personenbezeichnungen geht.

So kennen wir das "geschlechtsneutrale" Kind. Aber sobald es um ein standardsprachliches Mädchen geht oder um ein dialektales Madl, hört es sich schon auf mit der sprachlichen Analogie. Ein dialektaler "Bua" oder ein standardsprachlicher "Junge" ist und bleibt männlich - grammatisch wie biologisch.

Mit gemeint

Ein Hauptbetätigungsfeld der feministischen Sprachkritik ist, wie bereits angedeutet, die Personenbezeichnungen, besonders im Plural. Die Anrede "Meine sehr verehrten Damen und Herren" ist Usus und wird nicht hinterfragt. Dieser Typus von Anrede zeigt, dass die/der jeweilige SprecherIn weiß, dass sein/ihr Publikum aus ZuhörerInnen beiderlei Geschlechts besteht. Dies ist jedoch nicht immer der Fall.

Die "Einordnung in die richtige oder falsche ,Geschlechtsschublade' mit der Hilfe des richtigen oder falschen Genus nennt Sabatini die ,Metapher des Genus'. Männer werden immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger. Futsch sind die 99 Frauen, nicht mehr auffindbar, verschwunden in der Männerschublade." (Pusch)

Nun zurück zu Gottsched. Er kennt weder Groß-I-Schreibung noch Splitting. Dennoch lässt sich auch bei ihm eine gewisse Sensibilität erkennen. Wenn er von "Bekanntinnen" spricht, will er ja nur zum Ausdruck bringen, dass es sich bei den an und für sich geschlechtslosen Bekannten um weibliche Bekannte handelt. Dieses Beispiel allein zeigt, wie sensibel Gottsched hinsichtlich Geschlecht, Genus und Sprache war. Ein anderes Beispiel:

"Es ist ein besonderer Kunst-Griff der Romanschreiber, wenn sie gewisse Schrifften ersinnen, die ihre Helden und Heldinnen mit einem Demantringe in die Fenster geschnitten haben sollen. Sie bedienen sich desselben, wenn ihre Liebhaber und Liebhaberinnen auf keine andre Weise ein geheimes Verständnis untereinander haben können. Ja sie richten vermittelt solcher Innschrifften zuweilen ganz neue und sonderbare Verwirrungen in ihren Erzählungen an, dadurch sie ihre Leser vergnügen und sie begierig machen, den ganzen Verlauf und Ausgang der Begebenheiten zu wissen."

Dieser Ausschnitt illustriert in exemplarischer Art und Weise, dass Gottsched sich der Notwendigkeit des Splittings bewusst ist. Die Durchführung ist bestenfalls inkonsequent, schlechtestenfalls schlampig. Dass er von den Romanschreibern und nicht von den Romanschreiberinnen spricht, lässt sich dadurch erklären, dass die Anzahl der eigenständigen Autorinnen zu seiner Zeit doch eher als gering einzustufen ist. Dass es welche gab, davon zeugt nicht nur die Biografie Gottscheds, sondern auch die gelehrten Frauen gewidmeten Portaits in den Tadlerinnen. Die beiden nächsten Personenbezeichnungen sind feministisch korrekt gesplittet. Bei den Lesern tut er sich erneut schwer. Romane werden doch nicht nur für Männer geschrieben.

Um das Splitting zu umgehen, kann mensch in einigen Fällen ein geschlechtsabstrahierendes Partipi einsetzen. Auch Gottsched benutzt diese Form. Im 6. Stück des 2. Jahrgangs heißt es:

"Unsre Gehülfin Phyllis wird uns noch den ganzen Handel verderben. Sie hat sichs recht ernstlich vorgenommen, den Namen einer Gelehrten davonzutragen; und von diesem Vorhaben ist sie nicht abzubringen. Darum hat sie in dem letzten Stücke alle ihre Kräfte angewandt, ihre Einsicht in die Redekunst zu zeigen. So nützlich vielleicht ihre Betrachtungen jungen Studirenden mögen gewesen seyn: so wenig wird sie den Beyfall des Frauenzimmers erhalten haben."

Johann Christoph Gottsched, vielen bekannt durch seinen Streit mit den Schweizern und/oder seinen poetologischen Bemühungen, lässt also in seinen "Vernünftigen Tadlerinnen" bereits erste emanzipatorische Gedanken erkennen, die sich auch sprachlich niederschlagen. Ideen, die heute selbstverständlich erscheinen, waren in jenen Zeiten revolutionär.

Luise Pusch meint: "Wir Frauen sind es gewohnt, der ,Gegenpartei' zugezählt und somit ausgelöscht zu werden (. . .). So jedenfalls sah es bis vor kurzem aus. Inzwischen aber, seit Beginn der Neuen Frauenbewegung, wehren sich immer mehr Frauen gegen die männliche Vorherrschaft in der Sprache."

Dieser Satz ist in Anbetracht dessen, dass es sich bei Gottsched um KEINE Frau handelt, natürlich korrekt. Die Neue Frauenbewegung hat die feministische Sprachkritik systematisiert und institutionalisiert. Ansätze gab es schon vorher, auch wenn sie von Männern stammen.

Literatur

Gottsched, Johann Christoph: Die Vernünftigen Tadlerinnen (1725-1726). Im Anhang einige Stücke aus der 2. und 3. Auflage 1738 und 1748. Neu herausgegeben und mit einem Nachwort, einer Themenübersicht und einem Inhaltsverzeichnis versehen von Helga Brandes. Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York, 1993.

Pusch, Luise: Alle Menschen werden Schwestern. edition suhrkamp, Frankfurt am Main, 1990.

Samel, Ingrid: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. Erich Schmidt Verlag, 1995.

Freitag, 23. März 2001

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