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Eine Erinnerung an den Wiener Romancier Otto Soyka

Expressionist und "Psychosoph"

Von Werner Garstenauer

Wer ist Otto Soyka eigentlich, wenn er sich 1948 als nunmehr in Paris lebender Kinoenthusiast und Bestseller-Autor in seinem ersten Nachkriegsartikel für die "Presse" vortrefflich über Verhaltensregeln in billigen Kinosälen zu ergehen weiß, und dabei den Leser auffordert, in die Rolle des Billig-Touristen zu schlüpfen, um mehr zu sehen, um im Fremden heimisch zu werden? Heimisch im Ex-Gestapoquartier, dem Gefängnis Maison de la Santé, wie Soyka schreibt? Er ist ein jüdischer Refugiè, der im Juli 1939 über Italien nach Marseille flüchten kann; ein über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus bekannter Schriftsteller, von dessen Ansehen, wie Hans Flesch-Brunningen schreibt, man sich heute kaum eine Vorstellung machen kann und der 1940 seine Bücher an Wehrmachtssoldaten verkaufen muss; ein Vater, für den die in den USA lebende Tochter die Bürgschaft nicht übernehmen will und die so die Bemühungen Albert Ehrensteins um ein Affidavit scheitern lässt. Und ein nach Wien zurückgekehrter Autor, wie es auch Leo Perutz, Soykas Intimfeind, ist. Allerdings mit dem Unterschied, dass er im Gegensatz zu diesem keine soliden Einkünfte sein eigen nennen kann und bald ob der ihm widerfahrenen Missachtung verbittert wird.

Aber nie überlässt er sich vollends der Resignation, wie er seinem Freund, dem PEN-Club-Präsidenten Franz Theodor Csokor, mitteilt: "Einige Sorgen habe ich auch, das ist ja wunderschön so lange man Sorgen haben und bearbeiten kann. Da dürfte sich das Ministerium meiner Existenz entsinnen." Von chronischem Hunger und der ihm seit den Exiljahren quälenden Herzkrankheit geplagt, stirbt er am 2. Dezember 1955 nach einer Herzattacke in der Straßenbahn. In der Grabrede betont Oskar Maurus Fontana, die Welt von Soyka, "die in ihm einen Balzac ihrer Zeit sah", sei mit der k. u. k. Zeit versunken.

"Stiefvetter" A. Ehrensteins

Am 9. Mai 1881 kommt der Autor als einziges Kind von Heinrich und Maria Soyka zur Welt. Nach dem Tod des Vaters heiratet die Mutter 1895 erneut - den Arzt Jakob Ehrenstein, sodass Soyka zum "Stiefvetter" Albert Ehrensteins wird. Im selben Jahr erscheint im "Ischler Wochenblatt" seine erste Publikation: ein Feuilleton, das von einem Freund des Stiefbruders Siegbert mit Interesse aufgenommen wird. Dieser Freund ist niemand Geringerer als Karl Kraus. 1903, Soyka ist nun Maschinenbau-Student, kommt es zum ersten dokumentierten Briefwechsel mit Kraus - und ein Jahr darauf ersucht dieser ihn um einen Beitrag. Ein Artikel über Oscar Wilde leitet die bis 1909 andauernde Serie von Veröffentlichungen in der "Fackel" ein. Kraus vermittelt Soyka auch den Platz eines "Simplicissimus"-Schreibers.

Als sich Kraus verstärkt Fragen der Sittlichkeit und Kriminalität widmet, passt Soyka mit seinen sozialkritischen und sexualtheoretischen Anliegen perfekt ins Konzept. Im Sinne der Aufklärungsarbeit entwickelt er in seinem Traktat "Sexuelle Ethik" etwa das Modell eines "elektrischen Gewissens". Das darin greifbar werdende Faible für den Graubereich zwischen Psyche und Maschine und das Gespür für die Problematik neuer Technologien wird sich als paradigmatisch für viele seiner späteren Werke heraus stellen. In der Folge kommt Soyka mit Freud'schen Schriften in Kontakt. In seinem Buch-Debüt, dem 1906 erschienen Essay-Bändchen "Jenseits der Sittlichkeitsgrenze", arbeitet er eine für den Zeitgeist und für Kraus' Linie sprechende Mischung aus Freud'schen und Weininger'schen Gedanken heraus: Als Schlüssel zu einer utopisch anmutenden natürlichen Sittlichkeit erweist sich ihm - unter Exklusion des Weiblichen - das Ausleben der Perversionen.

Lange Zeit gelingt es Soyka, sich im berühmt-berüchtigten Arkadenhof des Café Central zwischen den verfeindeten Fraktionen der Jung-Wiener, Kraus-Jünger und Expressionisten zu halten. Er fungiert als Vermittlungsagentur für die im Maturaalter stehenden Nachwuchskräfte des Literaturbetriebs. Ludwig Ullmann rät er zum Journalistenberuf und vermittelt ihm Publikationsmöglichkeiten in der von seinem Freund Otto Koenig redigierten Theaterzeitschrift "Der Merker". Mit der Hilfe von Ernst Angel protegiert er auch Hans Flesch-Brunningens literarischen Start.

Schon 1906 verfasst Soyka seinen ersten Roman, den SF-Detektivroman "Die Söhne der Macht", der allerdings erst 1911 im Münchner Hyperion-Verlag erscheint. Die "Fackel"-Periode geht zu Ende. 1910 vermittelt ihm Kraus noch die Stelle des für Österreich-Ungarn zuständigen Schriftleiters des Expressionisten-Leitorgans "Der Sturm", in dem Artikel und Kurzgeschichten Soykas eine Unterkunft finden, u. a. eine Untersuchung zu Karl Mays Heldenfiguren.

In den 1910 erscheinenden Büchern "Herr im Spiel" und "Der Fremdling" experimentiert Soyka unter jeweils unterschiedlichen Gattungsvoraussetzungen mit der Psyche des von seinen Zeitgenossen sehnlichst und mit Schaudern erwarteten "Neuen Menschen". Einst romantisch ausgeformte Charaktere werden nun psychologisch durchleuchtet und zu technoiden Ungeheuern des 20. Jahrhunderts. Diese unkonventionellen Übermenschen Soyka'scher Prägung, die nach dem damals trendigen Suggestions- und Magnetismusmodell konzipiert sind und in unterschiedlichste Gattungsmodelle eingebunden werden, reißen seine Kollegen zu Begeisterungsstürmen hin: Albert Ehrenstein kreiert für Soyka z. B. den Titel "Psychosoph"; Robert Müller liest die Romane als "Versinnlichung der Seelenforschung". Eine Zeit lang gilt der Newcomer mit seinem vitalistischen Impetus als einer der jungen Expressionisten.

Rasch probiert er alle ihm zur Verfügung stehenden Wege aus, um seine Position auszubauen: Kaum floppen seine beiden einzigen Komödien, schreibt Soyka 1913 für die Münchner Illustrierte "Zeit im Bild" den mit einem Preisrätsel verknüpften Detektivroman "Das Glück der Edith Hilge". Kraus bricht mit seinem ehemaligen Mitarbeiter: Der ausgesetzte "Soyka-Preis" von 100.000 Mark übersteige fatalerweise das Ausmaß des "Schiller-Preises" bei weitem. Aufsehenerregendes bleibt weiterhin ein Markenzeichen Otto Soykas. 1914 leistet er sich die Privatverfilmung von "Die Söhne der Macht". Drehort ist das Café Central. Dora Angel, seine spätere Frau, mimt die weibliche Hauptrolle, Flesch-Brunningen den mit Psychopharmaka ermittelnden Detektiv. Zwischen 1915 und 1918 wird das Buch mit hochkarätiger Besetzung verfilmt - der Film blieb allerdings bis heute verschollen.

1921 erscheint sein erfolgreichster Roman im aufstrebenden Rikola-Buchkonzern: "Die Traumpeitsche", ein Abenteuerroman mit SF- und fantastischen Elementen, erfährt in nur einem Jahr 11 Auflagen. Zwei gleichstarke Helden unterliegen einer neuen Technologie, die wunschgemäß Träume hervorrufen kann. Diesmal schreibt Soyka Literaturgeschichte: Er ist der Erste in der SF-Literatur, der sich mit synthetischen Massenbeeinflussungsmitteln beschäftigt. Ab diesem Zeitpunkt mehren sich die Vorabdrucke seiner Romane in der "Neuen Freien Presse" oder dem "Neuen Wiener Abendblatt". Soyka wird zum Chefrezensenten für Abenteuer- und Kriminalromane. Unzählige Kurzgeschichten erscheinen in der "AZ". Soykas Bekanntheitsgrad hat Anteil daran, dass die Bedeutung von Populärliteratur steigt, die es versteht, zeitgenössische Schlüsseldiskurse in gängige Genremuster zu verpacken. Zur Konzeption seiner Literatur äußert er sich folgendermaßen:

"Mir geht es meistens um Gedanken und - eigene - Anschauungen. Die ich verkappe, die ich in handwerklich gute Erzählung kleide - es ist das Publikum wohl zufrieden. Es nimmt an, dieser geschickte Erzähler verbreitet die Ideen eines, oder einiger Geistesmenschen, deren Namen man zufällig nicht gegenwärtig hat. Never mind! Die Emballage gibt die gewünschte Befriedigung."

Perversionen in ihrer sexuellen wie moralischen Ausformung sind ein Grundthema von Soykas Schriften und die Hauptursache seines Rufes als Sadist und Homosexueller. Misanthropie und Arroganz kommen hinzu. Perutz bezieht 1925 Ohrfeigen für Verhöhnungen; 1926 verbünden sich Dolbin und Polgar gegen Soyka. Nach einem Scheidungskrieg Ende der 20er-Jahre durchleidet Soyka bis 1933 eine prekäre finanzielle Situation. Und nach den persönlichen kulminieren die politischen Unannehmlichkeiten: In Deutschland werden seine Bücher verboten.

In Versuchen, Erinnerungen an diese Zeit wach zu halten, steigt ein Verfemter wie Soyka übel aus - erstaunlicherweise auch in den letzten Jahren. Bartel Sinhuber schafft es 1993 kommentarlos davon zu sprechen, der Autor sei derart unwichtig gewesen, dass er nach 1938 unbehelligt im Café Central verkehren hätte dürfen. Von Soykas Exil in Frankreich weiß man lediglich, dass er sich u. a. in Nizza und Paris aufhielt und sich Mitte 1940 nach Marseille durchschlagen konnte, wo er nach eigenen, jedoch unbelegten Angaben auf Ludwig Ullmann trifft. Von dort aus versucht er erfolglos in die USA zu gelangen. Sein Schachspiel rettet ihn. Ein schachspielender französischer Milizkommandant lässt ihn von der Auslieferungsliste an die Nazis streichen.

Jeglicher Grundlage entbehrt das im Jahr 2000 durch neu aufgelegte Nachschlagewerke perpetuierte Vorurteil der Exilforschung, Soyka habe im Exil nichts geschrieben. Schon 1945 wendet er sich an einen Schweizer Vertrieb, um die Niederschrift seiner Flucht-Erlebnisse zu verkaufen. Leider ist der Großteil des Manuskripts mit dem Titel "Einer floh vor Hitler" bis heute verschollen. Unermüdlich kümmert sich der Autor darum, auch nach dem Krieg das Interesse der Öffentlichkeit zu erlangen und zurückzukehren. Er kann Fortsetzungsromane in der "New-Yorker Staats-Zeitung" und in den "Salzburger Nachrichten" unterbringen. 1946 korrespondiert er mit Viktor Matejka, doch hat dies bis 1947 keine ersichtlichen Auswirkungen.

Er wendet sich an den österreichischen PEN-Club. Fürs erste wird Soyka enttäuscht: Die Überweisung des Honorars für seine Romanabdrucke kommt wegen Devisenmangels nicht zustande und trotz Interventionen des PEN-Clubs findet sich kein Verleger für den von Soyka angebotenen historischen Elisabeth-Roman "Die Kaiserin und ihr Diener". Sacher-Masoch sowie Csokor weisen ihn in unzähligen Briefen stets auf die Unannehmlichkeiten hin, die eine Rückkehr nach Österreich mit sich brächte. Schließlich wird eine für den 12. 11. 1948 angesetzte Dichterstunde bei der RAVAG wegen der Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag der 1. Republik kurzerhand abgesetzt.

Rückkehr nach Wien

Den Ärger über die misslichen Umstände vermag Soyka noch einmal für einige Zeit mit verstärktem Arbeitswillen kompensiert haben. Anfang Februar 1949 kehrt er nach Wien zurück. In jedem Brief manifestiert sich das Drängen auf eine Chance, endlich dem Publikum gegenübertreten zu dürfen. Der Erfolg erscheint garantiert - wie früher. Auf dem Magistrat erkundigt sich Soyka nach Kulturmediatoren.

Er wendet sich an Fontana, um eine Neuveröffentlichung des überarbeiteten Romans "Der Geldfeind" (1923) durchzusetzen. Dieser spricht auch die einleitenden Worte für Soykas einzige Nachkriegs-Dichterlesung im "Haus der Begegnung" in Margareten. Zwei Jahre lang ist er im "Abend" ein regelmäßiger Schreiber. Als er 1953 eine Buchausgabe von Prozessberichten erreichen möchte, sieht er sich gezwungen, diese gegen das Schmutz-und-Schund-Vorurteil und die Angst vor antipädagogischen Übermenschfiguren zu verteidigen. Die in seinen Augen "sachliche und exakte Darstellung psychologischer und juridischer Vorgänge" wird nicht goutiert.

1950 spitzt sich die Lage Soykas zu: Miete und Sekretärin werden unbezahlbar. Der PEN-Club organisiert eine Hilfsaktion, um das Ärgste zu verhindern. Man erreicht eine Ehrenpension der Stadt Wien und begleicht vom Erlös der Spendenaktion sämtliche offene Rechnungen.

Nach 1951 verschlechtern sich die Publikationsaussichten für seine Texte weiter und um Soyka wird es ruhiger. Noch zwei Monate vor seinem Tod bietet er der RAVAG seine umstrittenen Prozessberichte an. Schon 1952, bevor die portugiesische Übersetzung von "Bob Kreith sieht alles voraus" (1931) erschien, hatte er ungewollt sein Resümee gezogen:

"Wien war immer ein schwerer Boden für mich und ist es geblieben. Aber die Situation scheint in the long run eher günstig, da das viel ist, was ich besser kann als irgendein anderer. Jetzt aber lebe ich - einigermaßen schwer - von dem Umstand, dass man im Westen der Wiener Kultur, etwa in Lissabon, fern von allen Beziehungen, lesenswerte Bücher brauchen kann - Wien scheint besondere Maßstäbe zu haben."

Als einziger Roman Otto Soykas nach 1945 wurde "Die Traumpeitsche" 1995 bei Suhrkamp neu aufgelegt.

Werner Garstenauer lebt als Germanist in Wien.

Freitag, 23. Februar 2001

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