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Anna Maria Sigmund hat "die Frauen der Nazis" porträtiert

Die weibliche Seite des Terrors

Von Silvia Matras

Die Glocke ertönt melodisch und sehr diskret. Das weißgestrichene Gartentor öffnet sich leise knirschend und mit respekteinflößender Langsamkeit. Ein kleiner Vorgarten, dann einige Stufen, die zum Eingangstor der Villa führen. Dahinter noch eine Tür. Im so genannten Windfang steht mit einem Lächeln, das gesellschaftlich und kritisch prüfend zugleich ist, eine Dame. Ja, andere Bezeichnungen passen nicht. Eine Dame: dezent gekleidet, die Augen leicht geschminkt, um den Hals ein wenig Schmuck. Ihr glattes, halblanges Haar hat die Farbe so zwischen hellbraun, blond und rosenholz.

Sie führt mich in einen typischen Wiener Salon, Teppiche dämpfen den Schritt. Bücher überall, raumbeherrschend. Stilvolle Lampen verbreiten an dem trüben Wintervormittag Freundlichkeit. Ein Dienstmädchen - ist der Ausdruck heute noch zeitgemäß? Hier passt er! - serviert auf einem Silbertablett Kaffee und hauchdünn geschnittenes Früchtebrot und verschwindet dann lautlos.

Warum ich das alles schreibe? Ist das nicht purer Voyeurismus, der doch eher in der Boulevardpresse goutiert wird? Genau diesen Vorwurf musste sich Anna Maria Sigmund auch schon gefallen lassen.

Sie schaue hinter die Vorhänge in die privaten Räume Hitlers und seiner Anhängerinnen. Sie profitiere von der bisher in der Literatur ungenügend gestillten Neugier nach der Privatsphäre dieser Menschen. "Ja, ich profitiere davon", gibt sie gelassen zu. "Ohne Aufdeckung privater Details gäbe es überhaupt keine Biografien! Was macht denn eine gute Biografie aus: eine profunde, in meinem Fall streng wissenschaftliche Recherche und leichte Lesbarkeit. Letztere ist die Frucht härtester Arbeit. Ich schreibe eine Seite bis zu 100-mal um, bevor ich zufrieden bin. Dieser flüssige Stil ist das Geheimnis meines Erfolges, bringt mir aber auch den Vorwurf des Voyeurismus und der Sensationsschreiberei ein. Mit dem kann ich leben."

Deshalb wird sie, die Biografin, so denke ich, meine voyeuristische Neugier entschuldigen, vielleicht sogar gutheißen oder genießen. Der Rummel, der nach Erscheinen des ersten Bandes vor allem in Deutschland ausbrach, ist ihr nicht unangenehm.

"Das gehört dazu. Es ist auch spannend für mich. Wie reagieren Journalisten, Lehrer, Schüler, Zeitzeugen oder noch lebende Verwandte oder Kinder dieser Nazifrauen auf mein Buch? Und welche neue Informationen werden mir zugespielt?"

Das Jagdfieber hat sie gepackt. Ein Fieber, das ihr bisheriges in ruhigen Bahnen verlaufendes Leben schwer durcheinander bringt. "Als junges Mädchen wollte ich Volksschullehrerin werden, habe auch die Ausbildung gemacht, daneben Kunstgeschichte und Geschichte studiert und 1983 promoviert. In meiner Dissertation behandelte ich irgendein Ministerialengeschlecht aus dem Mittelalter. Heute interessiert sich dafür kein Mensch. Mir war das damals egal. Ich war vom Mittelalter fasziniert und nur darüber wollte ich schreiben."

Nach Beendigung ihres Studiums absolvierte Anna Sigmund den dreijährigen Lehrgang für Archivare am Institut für österreichische Geschichtsforschung. "Eine unheimlich schwere Ausbildung. Damals sagte man zu recht: Jeder, der diesen Kurs übersteht, wird was. Mir hat diese Ausbildung beruflich Tür und Tor geöffnet. Egal ob ich vom Bayrischen Staatsarchiv in München oder vom Archiv der NSDAP in Koblenz Dokumente brauche, mit dem Hinweis auf dieses Institut bekomme ich alles."

Zunächst arbeitet Anna Maria Sigmund weiter über das Mittelalter, organisiert und dokumentiert Einzelausstellungen und arbeitet als freie Journalistin.

Dann tastet sie sich mehr und mehr in die Gegenwart hinauf. Ihre Bücher "Das Haus Habsburg - Habsburgs Häuser", eine Geschichte meist unbekannter Palais und Schlösser und deren Bewohner, und "In Wien war alles schön", Aussagen über Wien von bekannten Reisenden wie Aeneas Silvio Piccolomini oder Casanova, waren ein Minderheitenprogramm für Liebhaber. Bücher, die nicht verwirren oder Unruhe stiften. Bücher, einem beschaulichen Lebensrhythmus entsprungen, in ihrem Inhalt unumstritten und unumstreitbar.

Plötzlich war alles anders. Nicht mehr das sichere Terrain des Mittelalters, sondern die jüngste Vergangenheit, nur teilbewältigt, oftmals falsch oder nur unzulänglich dokumentiert, rückte in den Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses. Auf meine neugierige Frage, wie es zu diesem Themen- und Zeitenwechsel gekommen ist, gesteht Anna Sigmund mit leisem Lächeln: "Es war mein Schwiegervater, der beim Mittagessen so ganz nebenher meinte:

'Von den Frauen der Bonzen weiß man bis heute nichts!' Der Gedanke hat mich fasziniert und nicht mehr losgelassen." Ihr Lächeln will sagen: So banal sind die Anlässe, aus denen Großes entsteht.

Beide Bände durchzieht eine gemeinsame Erkenntnis: Wie grausam, machtgierig und zerstörerisch das Regime und seine führenden Köpfe auch waren, die Frauen dieser Männer sahen in Hitler und ihren Ehemännern nur die kultivierten, fürsorglichen Partner, denen sie uneingeschränkte Bewunderung zollten. Mit welch hündischer Ergebenheit sie alle Hitler und seine Politik und damit die Handlungen ihrer Ehemänner entweder glorifiziert, akzeptiert oder im besten Fall nicht wahrgenommen haben, das verblüfft.

Anna Sigmund beschreibt das Leben von 14 Frauen. Carin und Emmy Göring, Magda Goebbels, Leni Riefenstahl, Eva Braun, Geli Raubal, Henriette von Schirach, Winifried Wagner, Hanna Reitsch . . . - bekannte und weniger bekannte Namen, von denen man im Grunde nie viel wusste.

Sie alle verbindet ein durchgängiges Verhaltensmuster: Aus gutbürgerlichem Elternhaus stammend, kommen sie sehr früh mit nationalsozialistischem Gedankengut in Berührung, lernen Hitler entweder persönlich kennen oder suchen nach seinen öffentlichen Auftritten Kontakt zu ihm. Alle berichten, wie sehr sein Charme, seine leutselige Art, sein väterliches Wesen sie begeistert hätten. Sie alle werden zu Propagandistinnen Hitlers, allerdings hinter der politischen, öffentlichen Bühne. Gerade dort, wo er sie braucht: in der Gesellschaft, in den Salons, in der Küche.

Sie halten an ihrer Gläubigkeit fest, auch noch als alles zusammenbricht. Eine so kluge Frau wie die Fliegerin Hanna Reitsch flog freiwillig im April 1945, zu einem Zeitpunkt, wo selbst den glühendsten Anhängern des Regimes das Ende klar war, nach Berlin in den Hitlerbunker. Die legendäre Fliegerin band kein militärischer Eid. Aus "selbstverständlicher Kameradschaft und Pflichtgefühl"" stellte sie sich jedoch sofort zur Verfügung. Sie fragte nicht nach Sinn und Zweck der lebensgefährlichen Mission."

Oder Lina Heydrich, die Frau des am meisten gefürchteten Mannes im Dritten Reich. Als Chef des Geheimdienstes verfolgte er vermeintliche und wirkliche Regimegegner. Sigmund schreibt über ihn: "Er ging dabei mit luziferischer Kälte ans Werk, denn seine Gefühle reservierte er für die Musik. Abends war derselbe Mensch, der tagsüber mit seiner Unterschrift Tausende in die Konzentrationslager brachte, dann liebevoller Ehemann, besorgter Familienvater und passionierter Musikliebhaber." Und seine Frau? "Lina Heydrich störte das Metier ihres Mannes in keiner Weise und sie lebte mit ihm - solange er sie von seiner Tätigkeit nicht ausschloss - in harmonischer Gemeinschaft. Sie fürchtete ihn nicht und der Schrecken, den er allgemein verbreitete, ließ sie kalt. Sie war nur enttäuscht, dass der in seinem Amt, wie sie es formulierte, 'zielstrebige und zähe' Ehemann kläglich versagte, sobald es sich um die Familie und die Wahrung persönlicher Vorteile handelte."

Fasziniert von der unglaublichen Loyalität und Naivität dieser Frauen, liest man diese Biografien, immer mit der Frage im Hinterkopf: Gab es keine einzige Frau, die Zweifel hegte, Kritik übte? Vielleicht liegt es an der Art, wie Anna Sigmund die Biografien aufbereitet, dass diese Frage gar nicht vorkommen darf? Die Autorin stützt sich verständlicherweise nur auf Dokumente und Berichte von Augenzeugen und lässt sich, wie es sich für eine ordentliche Wissenschafterin gehört, nie auf Spekulationen oder Vermutungen ein. Nun wird keiner dieser Frauen es gewagt haben, ihre Probleme und Zweifel in Briefen oder Tagebüchern festzuhalten. Das wäre viel zu gefährlich gewesen. Aber spätestens nach dem Zusammenbruch war sicherlich einigen von ihnen die Wahrheit aufgegangen. Da wünscht sich der Leser eine genauere Analyse, die sich nicht nur auf die jeweiligen Akte der Entnazifizierungsverfahren stützt. "Ich bin keine Psychologin, ich bin Historikerin", wehrt Anna Sigmund ab.

Den Leser interessiert auch, was mit den Kindern dieser Frauen passiert ist, wie sie das Schicksal, Kinder dieser Eltern zu sein, gemeistert oder nicht gemeistert haben. Dafür war kein Platz. 14 Frauenleben in zwei Bänden unterzubringen, verlangt rigorose Beschränkung. Die geht manchmal auf Kosten der Ausführlichkeit.

Wird es "Frauen der Nazis III" geben? "Ja, ich habe schon sehr viel interessantes neues Material!"

Sigmund, Anna Maria: Die Frauen der Nazis. Überreuter Verlag, Wien 1998, 240 Seiten.

Die Frauen der Nazis II. Überreuter Verlag, Wien 2000, 224 Seiten.

Freitag, 23. Februar 2001

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