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Über den Russland-Forscher, Lyriker und Essayisten Felix Philipp Ingold

In der Freundschaft des Schweigens

Von Markus Bundi

Als Gymnasiast besuchte er Lesungen von Ingeborg Bachmann, zeigte sich beeindruckt sowohl vom Expressionismus wie auch von der damaligen Gegenwartsliteratur. Wenige Jahre später ein Auslandsemester in Paris. Die Gastgeberin, eine Russin, ließ tagein, tagaus einen Topf mit "Borschtsch" auf dem Herd köcheln - und Felix Philipp Ingold landete in einem Russisch-Intensivkurs. Statt sich weiter mit Kunstgeschichte zu beschäftigen, wandte er sich der Slawistik zu, verließ erst Paris, dann die Schweiz, um zwei Jahre in Russland zu verbringen. Heute ist der 1942 in Basel Geborene Professor für Kultur- und Sozialgeschichte Russlands an der Universität St. Gallen.

So sieht Ingold sein neues Buch "Der große Bruch. Russland im Epochenjahr 1913" (siehe Besprechung nebenan) auch als einen Teil seiner intellektuellen und literarischen Autobiografie: Pasternak, Mandelstam oder Majakowski sind Namen, die fallen. Zur Sprache kommt aber auch der Sprachgebrauch, insbesondere in der russischen Lyrik, der bis heute noch der Reim als wesentliches Element inhärent ist. Ingold: "Der Reim im Russischen hat eine eigene Poetik"; doch ist es gerade nicht der reine Reim, sondern es sind die feinen Abweichungen, die ein russisches Gedicht ausmachen. Das "Unsaubere", das "Knirschende" zeichnet die Zeilen aus - und eröffnet darüber hinaus eine Reihe weiterer poetischer Horizonte.

In den frühen 80er-Jahren versuchte Ingold, den Reim in die deutsche Sprache zurückzuführen, bis hin - oder eben zurück - zum Sonett. Diese "russischen Spuren" lassen sich auch in jüngeren Werken des Autors entdecken, etwa im Lyrikband "Nach der Stimme" (1998).

Es ist dem 58-jährigen Schriftsteller ein Anliegen, möglichst viele "Register", die die Sprache bietet, zu ziehen. Zugleich spielt und arbeitet er mit selbst auferlegten Beschränkungen wie bei seinem kürzlich erschienenen Gedichtband "Auf den Tag genaue Gedichte". Hierin finden sich ausschließlich Dreizeiler. Ein Beispiel vom 3. Oktober - "Maulschelle": "Auch ungeschlagen ist / der Mund die wunde Stelle. / Stille."

Ingolds Gedichte zeichnen sich - unter anderem - durch eine ganz spezifische Körperlichkeit aus. So drehen sich viele der neuen - aber auch der älteren - Gedichte um das Auge, den Mund oder die Hand. "Freie Hand" lautet der Titel eines schwer einzuordnenden Buches. Darin finden sich Notate neben kurzen Essays, Aphorismen und Reflexionen rund ums Schreiben. Zum anderen aber auch die Körperlichkeit der Sprache, des Wortes als visuelles Bild, mit dem sich spielen lässt, sowohl auf der formalen wie auf der semantischen Ebene - ". . . Oder soll ich / lauter fragen. Lauter Fragen."

Als "zentrale Denkfigur" nennt Ingold das Paradoxon. Einem Entweder-oder stellt er ein Und-aber entgegen. Vieles im Leben, gerade auch in der Liebe oder im Sexuellen, zeige sich eher in einem Sowohl-als-auch. Ingolds Hang zur Lakonie und damit zur Reduktion kommt in einer unlängst erschienenen Anthologie in besonderer Verdichtung zur Geltung. In "Geballtes Schweigen", einer Sammlung von zeitgenössischen russischen Einzeilern, verweist der Autor - hier als Übersetzer und Herausgeber - seiner zweiten Heimat ein weiteres Mal die Reverenz. In dem schmalen Bändchen finden sich Einzeiler, die aus einem einzigen Wort bestehen: "Ausweglos" (Genadij Ajgi) oder der Einzeiler von Aleksandr Genis: "Tauchgerät - Apparat für künstliches Schweigen". Hin zur Stille bzw. vom Schweigen schreiben viele Lyriker, und es mag Ingolds Leitbild vom Paradoxon entsprechen: "Schreiben in der Freundschaft des Schweigens; und in das Schweigen der Freundschaft das Geschriebene entlassen. Lesen wird es jener Unbekannte . . . er oder du . . . der, dem das Geschriebene zukommt, ohne dass es ihm . . . oder dir . . . zugeschrieben wäre".

Ob als Autor eines so umfassenden wissenschaftlichen Sachbuches wie des eben erschienenen RusslandBuchs zum Epochenjahr 1913 oder als Übersetzer, Feuilletonist, Essayist oder eben Lyriker: "Meine Spezialisierung ist das Generalistentum" - ein weiteres Paradoxon, das Felix Philipp Ingold zu Recht für sich in Anspruch nimmt. Dass dieses Generalistentum keineswegs zu oberflächlichen Betrachtungen und Texten führt, beweist Ingold mit jedem Buch von neuem.

Felix Philipp Ingold: Freie Hand. Ein Vademecum durch kritische, poetische und private Wälder. Carl Hanser Verlag, München 1996.

Gedichtbände: Auf den Tag genaue Gedichte. Droschl Verlag, Graz 2000. - Nach der Stimme. Verlag Jutta Legueil, Stuttgart 1998 (CD 2000). - Zeichensatz. Verlag Kleinheinrich, Münster 1997.

Als Herausgeber und Übersetzer: Geballtes Schweigen. Zeitgenössische russische Einzeiler. Anthologie. Erker Verlag, St. Gallen 1999.

Freitag, 09. Februar 2001

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