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Erika Molnys Roman "Bruchstücke" kommt auf die Bühne

Ein Frauenleben

Von René Freund

Anlässlich des zehnten Todestags von Erika Molny wird im dietheater Konzerthaus eine Dramatisierung ihres Romans "Bruchstücke" uraufgeführt. Ich kann nicht umhin, diesen Roman mit persönlichen Erinnerungen zu verbinden: Meine ersten beiden Literaturkritiken habe ich zu Molnys Büchern "Bruchstücke" (1984) und "Man müsste mit jemandem reden können" (1985) geschrieben. (Veröffentlicht bzw. eben nicht veröffentlicht wurden diese Kritiken in der Nullnummer der nie erschienenen Kulturzeitschrift "Pantheon". Unser Chefredakteur war übrigens der heutige ZiB-Anchorman Martin Traxl, und das Redaktionsbüro befand sich im Hinterzimmer des Café Windhaag in der Wollzeile.)

In den Katakomben meines Schreibtischs fand ich wieder, was ich damals als 17-Jähriger unter dem Titel "Sehnsucht nach Ruhe, Anstiftung zur Unruhe" über Erika Molny geschrieben hatte: ",Die Zeiten des Gelächters sind vorbei, die Zeit des Lächelns ist noch nicht gekommen. Wir sollten in der Zeit zwischen den Zeiten das Mitleid nicht verlieren.'

Diese Sätze Erika Molnys könnten als Motto über ihren Werken stehen. Es sind gewagte Sätze in einer Zeit, in der den Geschäftemachern Mitleid zum Fremdwort geworden ist und in der selbst die als idealistisch geltenden Intellektuellen Barmherzigkeit für etwas Entwertendes halten. Doch Erika Molnys Mitleid ist kein vertikales, kein herablassendes. Es ist die Sym-Pathie eines Menschen, der bei aller Intellektualität das Fühlen nicht verlernt hat. Und diese Sympathie gehört den Kindern, den Alten, den Frauen, dem ,kleinen Mann von der Straße', letztendlich: dem Leben. Zweierlei wird einem bei der Lektüre von Molnys Werken klar: Dass Mitleidlosigkeit die Krankheit einer Zeit ist, die Liebesunfähigkeit zur Ideologie erhoben hat. Und dass dabei vielleicht viele reicher, aber wenige glücklicher geworden sind. Die Gnadenlosen sind es wirklich."

Näherte sich bereits Mitte der 80er Jahre das gesellschaftliche Klima durch den beginnenden Yuppie-Kult langsam dem Gefrierpunkt, so gilt jede Art der Emotion heute überhaupt als völlig uncool. Umso bemerkenswerter, dass sich die junge Regisseurin und Frank-Castorf-Schülerin Angelika Messner an Molny erinnerte und fand, dass deren Roman "Bruchstücke" sich wunderbar für eine Dramatisierung eigne (siehe beistehendes Interview).

"Bruchstücke" ist Erika Molnys bekanntester Roman. Er präsentiert die Lebensgeschichte einer alten Frau, Maria Angermeyer. Ihre Einsamkeit und die beginnende Verwirrung führen dazu, dass Gegenwärtiges und Vergangenes, Erlebtes und Gelesenes sich in ihren Reflexionen immer mehr verwischen.

Erika Molny zeichnet ein Frauenleben nach, und sie führt nicht nur ein Einzelschicksal vor, sondern darüber hinaus, unter bewundernswerter Vermeidung von Kitsch und Klischees, auch die soziale Kälte einer Gesellschaft, die für die Alten und das Sterben schlicht keine Zeit hat.

"Bruchstücke" ist außerdem ein sprachliches Meisterwerk. Jedes Wort sitzt, jedes. Peter Michael Lingens verglich Molny in seiner damaligen Buchbesprechung im "profil" mit Gernot Wolfgruber und dem jungen Handke. Günther Nenning urteilte: "Frau Molny schreibt so unaufdringlichen Journalismus, dass man glaubt, es ist schon Literatur, und so unaufdringliche Literatur, dass man glaubt, es ist nur Journalismus."

Doch wie bringt man das Leben einer Frau auf die Bühne, die eine halbe Stunde braucht, um vom Bett zur Wohnungstüre zu gelangen? Regisseurin Angelika Messner griff in ihrer Dramatisierung zu einem Trick: Ein Staubsaugervertreter taucht bei der alten Frau auf. Er könnte, dem Alter nach, ihr Sohn sein. In dem Gespräch der beiden entstehen bald komische und skurrile Situationen. Nach und nach mutiert der Staubsaugervertreter zum unfreiwilligen Mitspieler, wird Pflegevater, Ehemann, Soldat oder Abtreibungsarzt.

Maria Angermeyer nützt ihre Chance, für kurze Zeit der Einsamkeit zu entkommen, und nimmt ihr Leben noch einmal in die Hand.

Erika Molny, 1932 in Kärnten geboren, gehörte zu den engagiertesten und vielseitigsten österreichischen Autorinnen. Sie schrieb jahrelang Kolumnen für die "AZ" und für das "profil", verfasste Hörspiele und Drehbücher für das Fernsehen (u. a. eine viel gelobte Adaptation der "Strudlhofstiege"). Die größte Bekanntheit erreichte sie wahrscheinlich als Kabarettautorin, und als solche hat sie die Anfänge der österreichischen Kleinkunstszene entscheidend mitgeprägt.

Sie schrieb u. a. die Revuen "Mir san net aso" und "Was soll schon sein", arbeitete regelmäßig für die legendäre Münchner "Lach- und Schießgesellschaft", später für die "Schmetterlinge", die "Mimosen", die "Emmis" und die "Menubeln". Sie schrieb viele Texte für Erwin Steinhauer, und auch an der jahrelang ausverkauften Revue "Alles Walzer" (Wiener Kammerspiele, mit Otto Schenk) hat sie als Autorin mitgearbeitet.

Ich kann mich noch genau an mein letztes Zusammentreffen mit Erika Molny erinnern: Mit Freunden statteten wir ihr nach einem Ausflug einen Überraschungsbesuch in dem Waldviertler Bauernhof ab, den sie mit ihrem Schriftsteller-Ehemann, dem langjährigen EXTRA-Chef Thomas Pluch, wochenends bewohnte. Sie saß im Innenhof des Vierkanters unter dem Kastanienbaum und tippte auf ihrer uralten Schreibmaschine. "Kinder, ich hab' überhaupt keine Zeit", sagte sie, "ich muss bis morgen meinen ,profil'-Artikel fertigschreiben!" Woraufhin sie umgehend Speckbrote richtete und Most aus dem Keller holte.

Erika Molny starb 1990 in Wien.

Freitag, 02. Februar 2001

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