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Krimi-Autor Wolf Haas mag keine Kriminalromane

Haas: Der Wolf im Haaspelz

Von René Freund

Wiener Zeitung: Heute startet in den Kinos die Verfilmung Ihres Bestseller-Krimis "Komm süßer Tod". Mit Ihren Romanen "Ausgebremst", "Silentium!" und "Der Knochenmann" gehören Sie zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Krimi-Autoren. Mir persönlich sind ja Kriminalromane meistens langweilig.

Wolf Haas: Mir auch! Ich habe auch fast keine Krimis gelesen. Ich werde manchmal nach Vorbildern gefragt oder ob ich dieses Buch kenne oder jenes - und ich kenne überhaupt nichts! In letzter Zeit lese ich manchmal einen Krimi, aus Strebsamkeit eigentlich. Um das Genre besser kennen zu lernen. Es interessiert mich zwar nicht, aber je spießiger ich bei meinen eigenen Büchern die Form einhalte, desto mehr Platz habe ich, mich sprachlich zu bewegen. Ich liebe es, mich an einer Form zu reiben. Oft entsteht aus dem Zwang heraus etwas viel Besseres.

W. Z.: Die Krimi-Handlung interessiert Sie also nicht?

Haas: Mich interessiert nicht nur die Krimi-Handlung nicht, mich interessiert überhaupt keine Handlung. Ich bin sprachfixiert. Mich interessiert bei einem Buch, wie es mir entgegentritt, welche Welt sich über die Sprache eröffnet und nicht, ob einer dann stirbt oder reich wird oder heiratet. Manchmal beneide ich die anderen Menschen darum, wie sie in eine Handlung hineinkippen können. Diese Naivität fehlt mir. Wenn ich einen Romananfang lese, habe ich verschiedene Möglichkeiten, wie er ausgehen kann, sowieso intuitiv im Kopf. Welche davon dann angeklickt wird, das ist mir völlig wurscht. Was mich an der Krimi-Handlung interessiert, ist ein technischer Aspekt: Wie wird sie fortgesponnen? Wie komme ich von einem Kapitel zum nächsten? Wie halte ich die Spannung?

W. Z.: Machen Sie sich beim Schreiben einen genauen Plan des Handlungsablaufs?

Haas: Ich mache mir immer einen Plan, den ich dann nie einhalte. Es passiert mir auch, dass mir zum Beispiel auf Seite 150 ein witziger Dialogsatz einfällt, aber wenn ich den stehen lasse, dann ist mein ganzes Konzept hinfällig. Ich will, dass der Mann das sagt. Aber er kann es nur sagen, wenn die Person, die ich auf Seite 10 sterben lasse, noch lebt. Und dann muss ich den ganzen Roman umbauen.

W. Z.: Und das machen Sie? Für einen Satz?

Haas: Ja. Aus so etwas entstehen oft die besten Sachen. Am Anfang bin ich immer schrecklich kopflastig. Ich schreibe ein Buch, das irgendwie passt, aber es ist alles noch sehr rational kontrolliert. Und erst, wenn man seine Bremsen löst, wenn sozusagen mir selbst die Geschichte erzählt wird, beginnt das eigentlich Interessante. Darum nehme ich mir sehr viel Zeit. Wenn ich fertig bin mit einem Buch, möchte ich es noch ein halbes Jahr bei mir liegen haben, und dann leiste ich mir den Luxus der Zerstörung der eigenen Geschichte. Und dabei entsteht eigentlich das Buch.

W. Z.: Also das Buch war fertig, und Sie haben es dann neu geschrieben?

Haas: Ja, das sind die beglückendsten Phasen beim Schreiben. Wenn man alles unter Kontrolle hat, ist das langweilig. Da spult man sein Programm ab. Aber wenn ich zum Beispiel zwei Kapitel habe, die mir gut gefallen, die aber nicht zusammenpassen, und ich müsste mich entscheiden, das eine oder das andere wegzuschmeißen: dann bastle ich eine Brücke, damit die beiden Kapitel zusammenpassen. Und diese Brücke hat dann 80 Seiten und ist besser als der Roman, der vorher da war. Und manchmal kann ich dann die beiden Kapitel, für die ich die Behelfsbrücke gebaut habe, auch wieder wegwerfen. Es ist eine sehr umständliche Arbeitsmethode. Eine ständige Mischung aus Verzweiflung und Euphorie.

W. Z.: Und wie kommen Sie in das Stadium der Euphorie?

Haas: Voraussetzung ist, dass ich locker werde. Dass ich mir nix scheiß', wie man so sagt. Und dafür ist es wichtig, dass ich eine Rohversion von einem Buch habe. Das beruhigt mich so. Weil ich mir dann denke: Irgendwas hab ich schon. Das dann wegzuwerfen, hat natürlich auch etwas Destruktives. Ich liebe es, auf etwas zu verzichten. Ein Kapitel auf einen Satz zu reduzieren. Zu wissen, ich habe an diesem Kapitel drei Wochen lang gearbeitet, und es ist auch gar nicht schlecht, und jetzt habe ich es auf einen Satz reduziert und werfe es weg.

W. Z.: Das tut Ihnen dann nicht weh?

Haas: Doch. Aber dieses Wehtun, das hat was (lacht). Es soll auch der Autor leiden, und nicht nur die Figuren.

W. Z.: Ich habe den Eindruck, dass Sie die Handlung gegen Ende Ihrer Romane recht gleichgültig abhandeln.

Haas: Ja, Geschichten abstechen, das mache ich gern. Ich habe Probleme mit gediegenen Geschichten. Mit 700-Seiten-Romanen mit einem ganzen Familienpanorama. Ich beneide Leute, die so etwas lesen können. Wenn ich meiner Freundin zuschaue, wie sie in Jane-Austen-Romanen versinkt, denk ich mir: Puh, das ist schön. Ich glaube, ich bleibe immer draußen aus den Geschichten.

W. Z.: Kann man das auf Ihr Leben auch übertragen?

Haas: Das wäre mir jetzt zu pathetisch, das zu sagen . . . Ich misstraue den Geschichten . . . vielleicht ist das doch so ein Fall für den Psychotherapeuten. Ich glaube, da ist einfach eine sehr große Angst vor Kitsch. Hochgestochen gesagt ist das ja das Thema meiner Bücher: Das Erzählen an sich. Weil der Erzähler meiner Bücher, der weiß ja alles. Der glaubt so ans Erzählen. Mit dieser Naivität des Erzählers, der glaubt, so war es wirklich, setze ich mich auseinander.

W. Z.: Und wer ist dieser Erzähler? Wen stellen Sie sich vor?

Haas: Da habe ich eine ganz kindliche Haltung. Wenn man so wie ich am Land aufgewachsen ist, in meinem Fall in Maria Alm im Salzburgischen, und als Kind dabei- sitzt am Wirtshaustisch, erzählen dir die Erwachsenen, wie es wirklich war. Und einer weiß es besser als der andere. Und in Wirklichkeit ist einer blöder als der andere.

W. Z.: Deshalb duzt der Erzähler auch den kindlichen Leser?

Haas: Dieses Du ist mir sehr wichtig. Es bedeutet für mich: Das Buch duzt den Leser. Ich habe fast so ein Bild, dass das Buch in der Mitte aufgeht, und dort greift eine Hand heraus und sagt zum Leser: Pass auf, was ich dir sage.

W. Z.: Der Erzähler ist einerseits Philosoph. Er sagt angesichts eines verfallenden Hauses Dinge wie: "Zuerst ist der Mensch erbarmungslos, baut alles in die Natur hinein, was ihm einfällt, aber die Natur auch nicht vornehm, wenn der Mensch kurz nicht hinschaut, ist schon wieder alles zugewachsen. Da sind wirklich einmal zwei Brutale zusammengekommen, und tut mir keiner leid." Dann ist der Erzähler wieder schrecklich banal und dumm . . .

Haas: Er ist keiner, mit dem man sich identifizieren kann, weil er oft auch einen Blödsinn redet. Aber er ist auch keine Figur, die vorgeführt wird als reaktionäres Schwein, wie der Herr Karl. Manchmal ist man für ihn und manchmal gegen ihn.

W. Z.: Sie auch?

Haas: Ja. Das ist für mich sogar das Schwierigste, das beim Schreiben für mich auszutarieren: Wie gerne mag ich den Erzähler? Irgendwie ist er für mich auch die Wiederkehr des Verdrängten. Ich bin ein Kind des Landproletariats, meine Eltern haben als Kellner gearbeitet, und ich habe dann brav Sprachwissenschaft studiert und einen ganz anderen Weg genommen. Aber meine Sozialisation habe ich von damals. Ich schwindle mich da vielleicht zurück in so eine Art von Nestwärme, die man verliert, wenn man sich so weit fortbewegt.

W. Z.: Aber diese Nestwärme mögen Sie ja gar nicht.

Haas: Das ist wie mit Verwandten. Irgendwie mag man sie, obwohl man sie nicht aushält.

W. Z.: Der wiederkehrende Held Ihrer Bücher, der Brenner, ist auch so ein Fall. Er ist gar kein echter Held, nicht groß, nicht schön, nicht stark, nicht sehr gescheit und eher dumpf, wie es einmal heißt: "Weil Denken ist gar nicht immer so seine Stärke gewesen. Aber Brüten, Weltniveau!"

Haas: Er ist so ein Mann, wie es ihn heute eigentlich nicht mehr gibt. Ein "richtiger Mann". Stur, ein bisschen gefühlsarm, durch nichts umzuwerfen. So ein Mann, mit dem ich in der Realität eigentlich nichts zu tun haben möchte. Mich hat es interessiert, so einen Mann zu beschreiben, ohne dass er unsympathisch ist.

W. Z.: Ich mag den Brenner . . .

Haas: Ja, ich mag ihn auch total gern.

W. Z.: Kennen Sie einen, der wie der Brenner ist?

Haas: Die Figur ist eigentlich sehr retortenhaft entstanden, als komplementäre Figur zum Erzähler. Der Erzähler ist der hysterische Schnatterer. Der Brenner ist ein bisschen der Sprachlose, Dunkle.

W. Z.: Als Autor sind Sie mit Ihrer hoch artifiziellen Umgangssprache ein Subversiver im konservativen Krimi-Genre. Sozusagen der Wolf im Haaspelz. Hat es bei Rowohlt keine Bestrebungen gegeben, Ihre Sprachverliebtheit ein bisschen auszumerzen und mehr in Richtung Kommerz zu gehen?

Haas: Überhaupt nicht. Das war eine sehr positive Erfahrung für mich, wie der Verlag mit mir umgegangen ist. Mein Lektor, Wolfram Hämmerling, hat mich eigentlich entdeckt. Er war der Mensch, der das "unverlangt eingesandte Manuskript" aus dem Stapel gezogen hat, den Krimi "Auferstehung der Toten". Da gab es früher die rororo-Thriller-Reihe, und die haben sich einfach von Zeit zu Zeit den Luxus gegönnt, ein Buch zu publizieren, mit dem sie keine Marktinteressen hatten. Dass dann ausgerechnet dieses gewagte Buch auch Erfolg bringt, war schön. Gerade im ersten Buch ist es mir besonders vehement um die Sprache gegangen. Später habe ich das dann etwas zurückgenommen. Weil wenn es sozusagen keinen Neuigkeitswert mehr hat, kann es penetrant werden, wenn man noch mehr draufdrückt auf den Schmäh. Das erste Buch ist das experimentellste, da ist der Krimi wirklich nur ein Vorwand. Bei den anderen ist es so, dass auch der konventionelle Krimi-Leser seinen Spaß an der Handlung haben kann. Aber meine Leser sind eher welche, die sonst keine Krimis lesen. Die richtigen Krimi-Leser stört manchmal das Holprige. Die wollen sozusagen nicht gestört werden.

W. Z.: Was haben Sie früher in der Werbung gemacht?

Haas: Ich war Texter bei Demner & Merlicek.

W. Z.: Haben Sie berühmte Slogans erfunden?

Haas: Das Bekannteste von mir ist der Ö1-Slogan: "Gehört gehört". Mein Liebkind war die Mazda-Werbung mit dem Dialog zwischen den beiden Männern, aus der dann die Peda & Peda-Sketches auf Ö 3 geworden sind. Man wird immer so mit den drei oder vier Highlights, die man angeblich oder auch wirklich gemacht hat, gehandelt, aber der Alltag des Texters ist ein anderer. Die Werbung, die frisst dich auf. Das kann man nicht so nebenbei ein bisschen machen. Drum mache ich es jetzt auch gar nicht mehr. Aber es war eine gute Schule für mich als Mensch.

W. Z.: Wie ist das Filmprojekt zu "Komm, süßer Tod" entstanden?

Haas: Als das Buch auf die Bestsellerlisten gerutscht ist, gab es Interesse von verschiedenen Filmfirmen. Ich kenne mich nicht gut aus beim Film. Ich habe eher einen laienhaften Zugang. Aber ich habe einen Regisseur gekannt, der mir gefallen hat. Das war der Wolfgang Murnberger. Ich hatte bei meinem Buch große Bedenken, dass nichts mehr davon übrig bleibt, wenn es auf den reinen Plot reduziert wird. Und deshalb war es mir sehr wichtig, dass ich einen Regisseur erwische, der von seiner Arbeit her für diese Brüche auch Verständnis hat. Wo ein Gefühl für diese österreichisch volkstümliche Nahaufnahme da ist, der das aber auch nicht so affirmativ durchzieht. Das ist ja nicht leicht, das kann sehr schnell in die falsche Richtung kippen. Mein Murnberger-Vorschlag wurde gleich angenommen, womit ich schon mehr bekommen habe, als man gemeinhin als Autor bekommt. Murnberger, der ja ursprünglich ein Autorenfilmer ist, hat dann gesagt, er macht den Film gerne, aber nur, wenn ich am Drehbuch mitarbeite. Und am Schluss hat sich dann der Josef Hader als Hauptdarsteller auch noch in das Drehbuch eingebracht.

W. Z.: Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Haas: Ich finde den Film sehr gut. Er ist viel besser geworden, als ich mir das vorstellen konnte. Er ist ganz anders geworden als das Buch, aber die Stimmung ist gut getroffen, und der Josef Hader als Brenner ist auch sehr passend.

W. Z.: Sie spielen ja selbst auch mit.

Haas: Ach, das wird stark übertrieben. Ich habe mich auch sehr gewehrt dagegen. Aber der Murnberger hat mich mit inhaltlichen Argumenten überzeugt, doch mitzuspielen. Ich komme als Zivildiener zwei- oder dreimal vor. Und im letzten Bild legt er die OFF-Erzählerstimme über mein Gesicht. Sozusagen: Der Zivildiener erzählt die Geschichte. Das habe ich eine schöne Idee gefunden.

W. Z.: Stört es Sie, dass "NEWS" schon vor Wochen "Komm, süßer Tod" als Kabarettfilm mit einer CD-ROM beworben hat?

Haas: Ehrlich?

W. Z.: Das wissen Sie nicht?

Haas: Nein. Mir ist das mit dem Kabarettfilm auch eher wurscht. Der Josef Hader ist etwas empfindlicher, wenn alles als Kabarettfilm denunziert wird, nur weil er mitspielt. Mich schützt ja auch die prägnante Sprache meines Romans. Ich weiß genau, mein Buch ist mein Buch. Der Film ist etwas anderes.

W. Z.: Sie haben sich dem Film-Rummel weitgehend entzogen.

Haas: Ich musste im Dezember den neuen Brenner-Roman abliefern. Ich habe Angst gehabt, dass durch den Film zu viele Termine auf mich zukommen. Und ich kann nicht schnell zwischen zwei Terminen schreiben. Ich brauche immer das Gefühl, dass ich den ganzen Tag Zeit habe. Der Inbegriff von Konzentrationshaltung ist für mich: Ich stecke das Telefon aus. Wobei, das ist eh etwas Zwiespältiges. Störungen haben ja etwas sehr Befruchtendes. Oft stört dich etwas, und das kannst du dann irrsinnig gut brauchen.

Freitag, 22. Dezember 2000

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