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Dr. Seuss, der berühmteste Bilderbuchautor des 20. Jahrhunderts

Seuss: Medizin für Kinderseelen

Von Tom Appleton

Theodor Geisel - der unter dem Pseudonym "Dr. Seuss" schrieb - galt als der bedeutendste amerikanische Kinderbuchautor des Jahrhunderts. Seine Bücher wurden mit den höchsten Preisen ausgezeichnet, und er selbst erhielt, neben sieben Ehrendoktorwürden, für sein Lebenswerk einen speziellen Pulitzerpreis, ähnlich den Super-Oscars, die Hollywood an Filmgrößen vergibt. Das war 1984. "Dr. Seuss" zeichnete und textete 48 Bücher, deren Auflage weltweit auf mehr als 250 Millionen Exemplare geschätzt wird. Übersetzungen erschienen in rund 20 Sprachen, darunter Japanisch, Israelisch, Norwegisch, Schwedisch, Dänisch, Italienisch, Brasilianisch und Maori. Einige seiner Bilderbücher gibt es sogar in Blindenschrift (mit weichen, ertastbaren Stoffbildern). Seine oft bizarren Titel ("There's A Wocket in My Pocket") klingen selbst auf Holländisch noch munter: "Ik heb een Gak in Myn Zak".

Nur auf Deutsch waren seine Bücher in über 50 Jahren nicht ein einziges Mal im Druck erschienen! (Erst jetzt beginnt beim Verlag Zweitausendeins eine allmähliche Werk-Edition. Insbesondere der "Grinch", auf den Spuren des gleichnamigen Blödelfilms mit Jim Carey, liegt jetzt als Weihnachtsbuch vor.)

War die nachhaltige Nichtbeachtung an sich kurios, so schien sie erst recht unverständlich, wenn man bedenkt, dass Geisel einer deutschen Auswandererfamilie entstammte, und dass er buchstäblich mit "Max und Moritz" aufgewachsen war und später sogar selbst zu einer Art Wilhelm Busch Amerikas wurde. Seine stets gereimten Texte verlangten förmlich danach, vorgelesen zu werden. Ihre Ähnlichkeit mit den galoppierenden Rhythmen deutscher Balladendichter kam nicht von ungefähr: Geisel konnte selbst im hohen Alter noch den "Erlkönig" auswendig hersagen. Auch darin war er vielleicht der letzte Vertreter einer einst blühenden, klassisch-orientierten, deutschen Kultur in Amerika.

Der Großvater, ein ehemaliger deutscher Kavallerieoffizier, hatte gegen Ende des letzten Jahrhunderts eine Brauerei in Springfield, Massachusetts, gegründet. Als dessen Sohn (der Vater unseres Autors) die Leitung der Brauerei übernehmen wollte, wurde noch am gleichen Tag die Prohibition ausgerufen. Vater Geisel verdingte sich daraufhin als Zoodirektor, was für den zukünftigen Kinderbuchautor nicht ohne Folgen bleiben sollte. "Man sperrte mich gelegentlich mit den kleinen Löwen und Tigern in einen Käfig, und die haben immer wieder mal ganz schön an mir herumgeknabbert", erinnerte sich Geisel später, mit dem für ihn typischen launigen Humor.

Auf das Kinderbuch stieß Geisel erst lange nachdem er in Oxford studiert hatte und zu einem der erfolgreichsten kommerziellen Zeichnern des Landes geworden war. Im Herbst 1936, auf einer verregneten Atlantiküberquerung an Bord des Dampfers "Kungsholm", versuchte er sich etwas Abwechslung zu schaffen, indem er Verse im Takt der rhythmisch stampfenden Schiffsmotoren schrieb: "Da, da, da. Da di dam. Dam, di da. Di di da." (Was übrigens das gleiche Metrum wie das des "Erlkönigs" war!) Das Kinderbuch, das daraus hervorging, mit dem Titel "And To Think That I Saw It On Mulberry Street", wurde zunächst von 27 Verlagen abgelehnt. Zufällig traf Geisel dann einen Freund, der gerade beim Vanguard Verlag in New York angefangen hatte. Dort akzeptierte man das Buch als verlegerisches Experiment - und hatte unversehens einen Bestseller an der Hand. Auch die Kritik sparte nicht mit Lob. Beatrix Potter, die englische Kinderbuchklassikerin, hielt diesen ersten "Dr. Seuss"-Band für "das cleverste Buch, das mir seit Jahren untergekommen ist."

Klar und logisch

Kinderbücher zu schreiben, war, wie Dr. Seuss nie müde wurde zu betonen, schwere Arbeit - weit schwerer als die meisten Leute es sich bewusst machten, einschließlich der meisten Kinderbuchautoren: "Und es wird niemals irgendwie leichter. Um ein Buch von 60 Seiten zu bekommen, schreibe ich leicht 1.000 Seiten hin, bis ich ein befriedigendes Ergebnis erreiche. Die Geschichte muss sich klar und logisch entwickeln, mit einem glaubwürdigen Problem und einer schlüssigen Lösung."

Vor allem musste der Effekt seine jungen Leser zufrieden stellen: "Kinder sind unerbittliche Kritiker. Man kann sie nicht für dumm verkaufen. Sie haben einen scharfen Sinn für Logik. Wenn du beispielsweise eine Gestalt geschaffen hast, die, sagen wir mal, geizig sein soll, und du lässt sie plötzlich etwas tun, was eine andere vorherrschende Charakteristik anzeigt - Eifersucht, etwa, oder ein jähzorniges Temperament -, merken es Kinder sofort, dass du hier das Gesetz der Einfachheit und Stimmigkeit durchbrochen hast."

Geisels erfolgreichstes Buch, "The Cat in the Hat" (1957), entstand gleichwohl als pure Auftragsarbeit. Sein Verlag trat an ihn heran mit der Bitte, aus einer Wortliste von wenigen elementaren Wörtern, die ein Schulanfänger auf Anhieb erkennt, eine Geschichte anzufertigen. "Wie ich das Problem gelöst habe, ist kein Geschäftsgeheimnis", erzählte Dr. Seuss später. "Die Methode, die ich benutzte, ist die gleiche, die man anwendet, wenn man sich hinsetzt, um einen Apfelstrudel ohne Strudel anzufertigen."

Dr. Seuss hatte sicher auch seinen Dr. Freud gelesen und verinnerlicht; er wusste, dass Kinder das "perverse" Bedürfnis haben, sich schmutzig zu machen, Unordnung zu schaffen, der elterlichen Autorität zuwider zu handeln. Er war anti-autoritär, ehe es den Begriff gab. Übrigens hat auch die "Sesamstraße" viel von Dr. Seuss gelernt, war aber eher bestrebt, eine normale Sozialisation zu fördern; da blieb kaum Platz für die Befriedigung oder zumindest scheinbare Befriedigung der unterbewussten, "perversen" Kinderfantasien.

Das zweites Buch des Autors aus dem Jahr 1957, "How the Grinch Stole Christmas!", ist mittlerweile zu einem amerikanischen Klassiker geworden - die Verfilmung hinkt hier der Zeit beträchtlich hinterher. Der Grinch, wie "Scrooge" bei Charles Dickens, ein Weihnachts-Hasser, dessen "Herz zwei Nummern zu klein" ist, verkleidet sich zunächst als Weihnachtsmann und stiehlt den kleinen "Whos" alle Geschenke, sämtliche Weihnachtsbäume und sogar den Braten aus dem Backrohr. Erst als er merkt, dass sie sich dadurch die gute Laune nicht verderben lassen und trotzdem das Weihnachtsfest feiern, geht ihm selbst das Herz auf und er bringt, als veritabler "Santa Claus", die Geschenke zurück und feiert selber mit.

Trotzdem ist das Buch nicht gerade typisch für Dr. Seuss. "Kinderliteratur, wie ich sie sehe und schreibe", erläuterte Geisel, "ist zum großen Teil Satire. Zum Beispiel die Geschichte von "Yertle the Turtle", dem Diktator der Schildkröten, der auf dem Rücken von unzähligen anderen Schildkröten nach oben kriecht um einen besseren Ausblick zu haben - und der dann durch das bloße Rülpsen der alleruntersten und niedrigsten Schildkröte, gewissermaßen durch die Stimme des Volkes, zu Fall gebracht wird. Das war offensichtlich etwas naiv, aber deutlich gegen Hitler gemünzt. Ebenso die Geschichte von den "Sneetches", die in zwei Gruppen zerfallen, die einen ohne und die anderen mit einem Stern auf dem Bauch. Das entstand aus meiner Opposition zum Antisemitismus."

Gerade diese "politischen" Geschichten sind es, die nicht nur zu den besten Büchern des Dr. Seuss gehören, sondern auch etwas von der Kraft und Einfachheit der klassischen Tierfabeln eines Äsop oder La Fontaine besitzen.

In der McCarthy-Ära geriet Geisel deswegen ins Kreuzfeuer der Kritik. So mit "Horton Hears A Who", einem Kinderbuch, das für Toleranz gegenüber Minderheiten plädierte - eine Botschaft, die damals kein offenes Gehör fand und ihm den Vorwurf eintrug, ein "Moralprediger" zu sein.

Erst 1972 konnte sich Geisel mit "Marvin K. Mooney, Will You Please Go Now?" an einem seiner früheren Widersacher revanchieren. In der Geschichte wurde jeder nur denkbare Versuch unternommen, dem glücklosen Marvin K. Mooney begreiflich zu machen, dass er nicht mehr willkommen sei: "Reit doch hinten auf dem Löwen mit, wenn du meinst, das geht / oder stempel dich ganz einfach selbst zum Postpaket. / Marvin! Hey, Mooney! Auch wenn du's nicht verstehst, / die Zeit ist wirklich reif, dass du jetzt gehst! Gehst! Gehst!" (Die Übersetzung ist von mir, T. A.)

Mooney und Nixon

Nachdem das Buch erschienen war, traf Geisel auf einer Party mit dem Satiriker Art Buchwald zusammen. "Buchwald hielt mir vor, dass ich nie ein wirklich politisches Buch geschrieben hätte", erzählte Geisel. "Ich ging nach Hause und machte für ihn eine besondere Ausgabe von "Marvin K. Mooney" zurecht, in der ich überall Mooney's Namen ausstrich und dafür "Richard M. Nixon" einsetzte. Buchwald veröffentlichte diesen veränderten Text in seiner syndikatierten Kolumne, und einen Tag später gab Nixon seinen Rücktritt bekannt. Kurz darauf reiste ich nach Australien, und man empfing mich in Sydney mit großem Hallo als den Mann, der Richard Nixon aus dem Amt gejagt hätte."

Dr. Seuss' letztes Werk, "Oh, the Places You'll Go!", (1990), blieb 79 Wochen lang auf der Bestsellerliste der "New York Times". Das "Wall Street Journal" empfahl dieses Kinderbuch eigens als Graduierungsgeschenk für junge Akademiker: "Es ist inspirierend und macht den Leuten Mut, sich selbst einen hohen Standard zu setzen und sich nicht durch Rückschläge entmutigen zu lassen."

Tatsächlich gibt es heute in vielen amerikanischen Kinderbuchläden Abteilungen wie "Märchen", "Bilderbücher" und dann eben auch eine Kategorie "Dr. Seuss". Er ist zu einem eignen Genre geworden, einer amerikanischen Institution. Und während in den meisten Kinderbüchern die Bedürfnisse der Kinder hingelenkt werden auf Konformität mit den Normen der Erwachsenen, macht Dr. Seuss den Kindern Mut, zu glauben, dass sie selbst die Kontrolle über ihr Leben besitzen, dass sie sich selbst und ihre Umgebung zum Guten verändern können.

Ob das nicht auch für Kinder deutscher Sprache eine lohnende Message wäre? Denn das wusste schon der "Lorax" in Dr. Seuss' gleichnamiger ökologischer Fabel aus dem Jahr 1971: "Unless someone like you / cares a whole awful lot, / nothing is going to get better. / It's not." Und das heißt bekanntlich zu Deutsch: "Es gibt nichts Gutes / außer man tut es."

Freitag, 22. Dezember 2000

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