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Am 30. 11., dem Saint Andrews Day 1900, starb Oscar Wilde

Wildes wildes Leben

Von Andreas P. Pittler

Der Ire Oscar Fingal O'Flahertie Wills Wilde war schon eine Cause Celebré, als er noch keine einzige nennenswerte Zeile publiziert hatte. Am Beginn seines Ruhms stand nicht das Werk, sondern das Selbst. Wie er später - eigentlich nur in dem kurzen Zeitraum von 1891 bis 1895 - seine Texte künstlerisch erschaffen sollte, so schuf er zunächst einmal sich. Seine unorthodoxe Reformation der Kleidung, die er, der Meister des Apercu, für wesentlich wichtiger hielt als die seinerzeitige Reformation der Religion, machte ihn im viktorianischen London a priori zum Blickfang, sicherte ihm jene Aufmerksamkeit, die er brauchte, um mit seinen geschliffenen Bonmots zum Householdname aufsteigen zu können. Viele jener wundersamen Anekdoten aus seinen frühen Jahren konnten niemals definitiv verifiziert werden, aber darauf kam es auch gar nicht an. Wichtig war, dass man solche Begebenheiten dem Oscar Wilde jederzeit zutraute. Und damit dies auch so blieb, arbeitete Wilde fleißig an seiner Stilisierung.

Geburt

Was von den Jugendjahren des 1854 in Dublin geborenen Sohn eines Ophtalmologen historisch gesichert ist, kann beim besten Willen nicht als außergewöhnlich bezeichnet werden. Wilde wuchs in einem guten Mittelstandshaushalt in der besseren Wohngegend der irischen Hauptstadt auf. Zu seiner Familie zählten Advokaten und hohe Beamte, aber auch Dichter wie Charles Maturin, dessen Hauptwerk "Melmoth the Wanderer" Wilde später zu seinem Pseudonym im Exil anregte. Auch Wildes Vater griff gerne zur Feder und schrieb so manchen Irland-Reiseführer, der zu seiner Zeit gerne gelesen und benutzt wurde. Wildes Mutter schließlich, die unter dem Namen "Lady Speranza" bekannt wurde, schuf als begeisterte irische Nationalistin ein umfangreiches OEuvre, und sie war es wohl auch, die Oscar die Liebe zur Literatur vererbte.

Wiewohl Wilde senior ein anerkannter Arzt war, verdankte Oscar seine Ausbildung diversen Stipendien, vor allem, seit ein fragwürdiger Vergewaltigungsprozess 1864 das Image, vor allem aber den Wohlstand der Familie nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen hatte. Dank öffentlicher Zuwendungen konnte Wilde zunächst am Trinity College in Dublin, später am Magdalen College in Oxford studieren. Auf diese Tage beziehen sich die ersten Legenden über den späteren Genius. Als er im Fach Altgriechisch einen bekannten Bibeltext übersetzen musste, hörte er auch nicht auf, als der Lehrer meinte, es sei nun des Tuns genug. Dabei soll Wilde erklärt haben, der Text sei so spannend gewesen, dass er unbedingt wissen wollte, wie die Geschichte endet. Derlei grenzte selbst dann noch an Blasphemie, als Wilde, zu Ruhm und Ansehen gekommen, solche Schnurren relativ gefahrlos zum Besten geben konnte. Als namenloser Student freilich wäre er spornstreichs relegiert worden, zumindest aber hätte man ihm das Stipendium entzogen. Wilde aber erwarb 1878 seinen Universitätsabschluss als Bachelor of Arts. Im gleichen Jahr übrigens heiratete seine Jugendliebe Florence Balcombe einen anderen: Bram Stoker, der fast zeitgleich mit Wilde durch seinen Roman "Dracula" berühmt werden sollte.

Wilde ging nach London, wo er aber primär durch seine affektierten Verhaltensweisen und seine ungewöhnliche Art, sich zu kleiden, Aufmerksamkeit erregte, sodass er in einigen zeitgenössischen Stücken sogar karikiert wurde, was Wilde zu der Bemerkung veranlasste, in der Karikatur erweise die Mittelmäßigkeit dem Genie ihre Reverenz. Wildes erstes Stück, "Vera oder die Nihilisten" (das erst kürzlich in Wien von einer Independent-Bühne gegeben wurde) freilich fand den Weg auf eine Bühne nicht.

Aufstieg . . .

Dafür fand Wilde Anschluss an die Londoner Künstlerkolonie, wohnte er doch praktisch Tür an Tür mit James McNeill Whistler, von dessen Berühmtheit auch der junge Ire zehren konnte. Doch leben konnte man davon nicht, und so schlug sich Wilde als Rezensent und Kolumnist - letzteres für eine Frauengazette - durch. Seinen ersten Gedichtband veröffentlichte er 1881 in einer Auflage von 250 Stück, wobei es ihm allerdings gelang, fast simultan auch eine Publikation in den Vereinigten Staaten zu erwirken, was ihm eine Einladung zu einer Vortragsreise in die USA verschaffte. Am 2. Jänner 1882 traf Wilde in New York ein, wo er bei der Einreise angab, er habe nichts zu verzollen als sein Genie.

Diese Tour legte den Grundstein zu Wildes späterem Erfolg. Zurück in London, war er derjenige, der "drüben" für Furore gesorgt hatte, dem es gelungen war, Minister wie Miners zu beeindrucken, dessen scharfer Wortwitz von den amerikanischen Zeitungen dankbar aufgegriffen worden war. Anekdoten wie jene, dass er gewarnt worden sei, im - damals noch Wilden - Westen werde man entweder ihn oder aber seinen Manager über den Haufen schießen, worauf er gemeint habe, ihn könne nichts, was man seinem Manager antue, einschüchtern, garantierten ihm auch im Herzen des Empire die Sympathie des Publikums. Dass er auf seinen Reisen - 1883 folgte ein ausgedehnter Aufenthalt in Paris - zahlreichen literarischen Größen wie Walt Whitman, William W. Longfellow, Victor Hugo oder Emile Zola vorgestellt wurde, adelte Wilde sozusagen auch in der Welt der Kritiker. Tatsächlich wurde "Vera" Ende 1883 in der amerikanischen Provinz auf die Bühne gebracht, nachdem das Stück kurz zuvor am Broadway durchgefallen war.

Und doch bleibt der eigentliche Erfolg aus. Zwar kann Wilde immer wieder Short Stories in diversen Magazinen unterbringen - darunter auch das später so berühmte und oftmals verfilmte "Gespenst von Canterville" (1887) -, aber abgesehen von einem Märchenband - "The Happy Prince" (1888) - reicht es für Wilde zu keinem eigenen Buch. Auch seine dramatischen Werke verstauben in der Schublade.

Erst mit den Essaybänden "Pen, Pencil and Poison" sowie "The Decay of Lying" (beide 1889) gelingt ihm ein erster kleiner Durchbruch, den er, getreu seiner eigenen Maxime "There's only one thing worse than being talked about, and that's not being talked about" durch sein Auftreten geschickt zu vermehren versteht. Als 1891 "The Picture of Dorian Gray", das ultimative Porträt des Dandytums, erscheint, hat Wilde endlich erreicht, wonach er so lange strebte: nun wird auch seine Kunst des geschriebenen Wortes gewürdigt.

Nun scheint sein Erfolgslauf nicht mehr zu bremsen. In kurzer Abfolge werden seine Theaterstücke an den bedeutendsten Bühnen Englands gegeben: "Lady Windermere's Fan" (1892), "A Woman of no Importance" (1893), "An Ideal Husband" und "Bunbury or the

Importance of Being Ernest" (beide 1895) machen ihn zum vielumjubelten Liebling der Londoner Gesellschaft, und Wilde ist heißbegehrter Ehrengast auf unzähligen Empfängen. Selbst seine Gedichte werden nun wieder aufgelegt und finden zahlreiche Leser. Wilde ist gerade 40 und auf der Höhe seines Ruhms.

. . . und Fall

Doch just zu diesem Zeitpunkt wendet sich das Schicksal des Dichters. Galt er bis 1895 als treusorgender Familienvater - er hatte 1884 Constance Lloyd geheiratet und mit ihr zwei Söhne, Cyril und Vyvyan -, so sorgte ein von Wilde selbst angestrengter Ehrenbeleidigungsprozess für seinen raschen Fall.

Kurz vor Neujahr 1887 hatte Wilde Robert Ross, seinen späteren Nachlassverwalter, kennen gelernt, der Wilde bald mehr war als bloß ein guter Freund. Durch Ross machte Wilde 1891 auch die Bekanntschaft von Lord Alfred Douglas, mit dem er alsbald eine homoerotische Liebesbeziehung einging, die sie schließlich immer offener zur Schau trugen. Douglas' Vater reagierte daraufhin mit einer öffentlichen Beschimpfung Wildes als "Sodomiten" (womit in jenen Tagen noch Homosexuelle bezeichnet wurden), worauf Wilde wegen Ehrenbeleidigung klagte. Es gelang dem Verteidiger des Beleidigers, Lord Edward Carson - der Führer der nordirischen Protestanten und nach der Unabhängigkeit Irlands erster Premier der bei Britannien verbliebenen Nordprovinz -, zahlreiche Zeugen für Wildes Tun zu benennen, sodass Alfreds Vater freigesprochen wurde, was nun wiederum für Wilde eine Anklage wegen Sodomie bedingte. Jene, die ihm eben noch so stürmisch zugejubelt hatten, verdammten ihn nun öffentlich, und Alfred Douglas, der ohnehin nur darauf ausgewesen war, Wilde nach Strich und Faden auszunutzen, ließ diesen sträflich im Stich. Das Urteil war vernichtend: zwei Jahre Arbeitslager.

Damit war nicht nur Wilde, sondern auch seine Familie ruiniert. Constance musste mit den Söhnen in die Schweiz und weiter nach Italien emigrieren, wo sie auf Druck ihrer Verwandten gar einen falschen Namen annahm. Wilde selbst litt unter den unerträglichen Zuständen in den britischen Gefängnissen, aber auch unter seiner vollkommenen Vereinsamung. Nur wenige standen in diesen Tagen zu ihm, neben Ross der französische Maler Toulouse-Lautrec und der liberale Parlamentsabgeordnete Lord Haldane, der sich allgemein für eine Humanisierung der Haftbedingungen einsetzte. Wilde freilich musste seine Strafe bis zum letzten Tage absitzen, was seine Gesundheit vollkommen zerrüttete. Überdies war ein Konkursverfahren abgewickelt worden, Wilde also bankrott und völlig mittellos, als er sich im Sommer 1897, kaum aus dem Kerker entronnen, sofort nach Frankreich einschiffte, wo er als "Sebastian Melmoth" bei Ross in Dieppe Quartier nahm.

In seinen letzten Lebensjahren, die überschattet waren von weiteren Schicksalsschlägen - 1898 starb seine Frau Constance, 1899 sein Bruder William, schon während Wildes Haft war auch seine Mutter gestorben -, veröffentlichte Wilde unter dem Pseudonym "C 3.3" (seine Häftlingsnummer) nur noch ein Werk, "The Ballad of Reading Goal", eine Abrechnung mit Lord Douglas. Und dennoch kam er von jenem Menschen, der ihn in den Abgrund geführt hatte, zeitlebens nicht mehr los. Immer wieder suchte Wilde die Nähe Alfreds, der sich allerdings erst nach dem Tod Wildes am 30. November 1900 zum ersten Mal selbst großzügig erwies: er übernahm die Bestattungskosten. Dass sich noch zu seinen Lebzeiten eine erste Wende zu seinen Gunsten vollzog, durfte Wilde ebenso wenig mitbekommen haben, wie Douglas' Geldspende.

Wiederauferstehung

Immerhin gelang es bereits 1899 wieder, Werke von Wilde in Britannien zu verlegen, seine Stücke fanden sich wieder auf den Spielplänen, 1905 schließlich schuf Richard Strauss auf der Grundlage eines Wilde-Spiels seine Oper "Salome", und 1908 publizierte Methuen in London Wildes "Gesammelte Werke in 14 Bänden". Ein Jahr später wurde Wildes Sarg in ein Ehrengrab auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise überführt. Sein Bann hatte kaum länger gedauert als sein Triumph.

Im Frühjahr 1995 schließlich wurde aus Anlass des 100. Jahrestags von Wildes Fall in der Westminster Abbey eine Inschrift für Wilde enthüllt, wobei der irische Nobelpreisträger Seamus Heaney die Laudatio hielt und Wildes hochbetagte Schwiegertochter Arm in Arm mit der Nachfahrin des Lord Douglas die Einweihung vornahmen.

Heutzutage ist Oscar Wildes Werk aus dem Literaturleben nicht mehr wegzudenken. Nicht nur, dass seine Stücke auf keiner Bühne der Welt fehlen dürfen - man spielt ihn selbst in China und Japan -, sein Werk liegt in einer derartigen Vielheit an Ausgaben vor, dass der Leser mitunter Mühe hat, den Überblick zu bewahren. Daher sei an dieser Stelle nur an zwei Neuausgaben aus Anlass des Zentenariums hingewiesen: der Insel-Verlag legte die Gesamtausgabe aus 1982 wieder auf, und Haffmans publizierte im Vorjahr eine fünfbändige Edition "Gesammelte Werke".

Auch Wildes Leben wurde mannigfach beschrieben. Die beiden Klassiker auf diesem Gebiet sind immer noch Richard Ellmann und Montgomery Hyde (erstere bei Piper, letztere bei Heyne in München auf Deutsch erschienen). Daneben gibt es aber auch in den rororo-monographien und bei dtv-portrait kurzgefasste Darstellungen für den eiligen Leser, die gleichwohl dennoch höchsten Ansprüchen genügen.

Dankbar hat sich auch das Kino immer wieder dem Werk Wildes angenommen: Bereits 1910 wurde erstmals "Das Bildnis des Dorian Gray" verfilmt, und große Meister wie Ernst Lubitsch, Otto Preminger oder Ken Russell setzten Wilde in Bilder um. 1959 bot Robert Morley (bekannt aus zahlreichen britischen Komödien) erstmals ein Biopic des irischen Dandys, ein Jahr später versuchte sich Landsmann Peter Finch als begnadeter Poseur. Im bislang jüngsten Epos gab schließlich 1997 Stephen Fry den Mann aus Dublin, wobei dieser Streifen das Leben Wildes auf den Punkt brachte, dabei ein Zitat Wildes zum Motto machend: "In meine Werke habe ich nur mein Talent gesteckt, in mein Leben hingegen mein ganzes Genie."

Da Wildes Leben in seiner Tragik wohl jeden Roman übertrifft, endet der Film mit einem anderen Satz des Dichters: "In dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien. Die eine ist, nicht zu bekommen, wonach man begehrt, die andere ist, es zu bekommen."

Und da im multimedialen Zeitalter auch Oscar Wilde mit der Zeit gehen muss, gibt es ihn unter "http://www.oscarwilde.com" auch im Web.

Freitag, 01. Dezember 2000

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