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Zu Besuch beim Fischer und Dichter Hans Eichhorn

Worte im Netz

Von René Freund

Der Mann steht in seinem Boot und zieht das Netz ein. Ein Strohhut beschattet sein bärtiges Gesicht. Konzentriert, auch etwas melancholisch sieht er in das türkisfarbene Wasser und sagt: "Die Saiblingfischerei geht schlecht heute. In einem Netz gar keiner, in einem Netz vier, im anderen fünf. Normal sollten in jedem Netz mindestens zehn Saiblinge sein, damit sich die Fischerei irgendwie auszahlt. Aber wenn die Nächte kühler werden, geht der Saibling in die Tiefe. Dann wird's sicher besser." Er bindet die Netze säuberlich zusammen, verstaut sie in einem Behälter und wirft den Motor seines Holzboots an. Die Zille fliegt über den Attersee, Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee. "Mein neues Buch", erzählt er, "habe ich zum Großteil direkt in den Laptop geschrieben. Sonst habe ich immer Notizbücher gefüllt und den Text dann übertragen. Aber das Reintippen ist mühsam. Und ich tue mir so schwer mit dem Entziffern meiner Handschrift."

Hans Eichhorn ist von Beruf Fischer und Dichter, eine seltene Kombination. Man denkt an den Menschenfischer, an Petrus und die anderen Jünger, an den Mythos der Tiefe und an das Bonmot über den See, der ein Tintenfass ist. Hans Eichhorn sieht das prosaischer: "Vom Fischen kann man nicht leben. Und von der Schriftstellerei auch nicht."

Tagebuch der Tochter

Dafür, dass man im Hause Eichhorn gleich zweifach nicht leben kann, lebt es sich doppelt gut. Die vom Reporter befürchtete Ausfahrt um fünf Uhr Früh gibt es nicht, man trifft sich um acht bei der kleinen Fischerhütte am Rand des Ortes und des Gewässers Attersee. Und auch dann gibt es zuerst einmal ein Frühstück in der Gartenlaube. Frau Eichhorn bringt Kaffee, Sohn Johannes, 12, Butter und Marmelade. Der kleine Andreas macht sich über die frischen Semmeln her. Tochter Rosa, 13, ist von der Hollywoodschaukel nur schwer wegzulocken. Sie liest gerade den neuen Harry-Potter-Roman. Auf Englisch. Sie glaubt fest daran, dass das neue Buch vom Papa auch ein Bestseller wird. Nicht zuletzt deshalb, weil das Tagebuch, das sie als Kind geführt hat, in Zitaten darin auftaucht.

"Hallo Tagebuch! Heute ist Donnerstag, es Regnet ich kam in die Schule da waren die Tische und Sessel noch ferstellt."

So lautet der erste, in volksschulhafter Orthografie gehaltene Satz von Eichhorns neuem Buch "Circus Wols", erschienen im renommierten Salzburger Residenz Verlag. "Wols, eigtl. Alfred Otto Wolfgang Schulze, geb. in Berlin 1913, gest. in Paris 1951, wichtiger Wegbereiter des Tachismus", vermerkt das "Lexikon der Malerei". "Ging 1932 nach Paris. Hier betätigte er sich als Fotograf und kam unter den Einfluss des Surrealismus." 1939 wurde Wols - als fotografierender Deutscher in Paris! - der Spionage verdächtigt und in Südfrankreich interniert. "Damals entstanden", so das Lexikon, "kleinformatige Aquarelle und winzige Zeichnungen auf Papierfetzen." Es gelingt ihm, aus dem Lager bei Aix-en-Provence zu entkommen. "Unter Drogen- und Alkoholeinfluss schuf er abstrakte Gebilde aus feinem Strichwerk und evokativen Farbmodulationen, aus irritierenden Farbflecken, voller Traumvisionen und erotischer Symbole." Über den kleinen Fischerort Cassis und Dieulefit im Drôme-Tal gelangt er nach Kriegsende wieder nach Paris. Er beginnt mit der Ölmalerei. 1951 stirbt er an einer Fleischvergiftung.

Soweit die Eckdaten. Das Leben des Malers Wols würde sich zweifellos dazu eignen, in einer konventionellen Biografie nachgezeichnet zu werden. Hans Eichhorn hat es anders gemacht: "Ich hätte es nicht gekonnt. Ich hätte es auch nicht gewollt. Mein Buch ist eine Annäherung. Eine vorsichtige Annäherung. Wie kann ich sagen, was mich an Wols berührt? Wie kann ich meine eigene Person einbringen? Wie kann ich mich einem gelebten Leben annähern, ohne der Person zu nahe zu treten?"

Beginnt man "Circus Wols" zu lesen, ist einem nicht sofort klar, ob dieser Wols überhaupt existiert hat. Eichhorn bleibt in der Schwebe, montiert biografische Daten der Vergangenheit mit Einblicken in die Gegenwart. Der Autor tritt sozusagen in Wols' Leben, entschuldigt sich aber für diese Indiskretion - und lädt die Leser dazu ein, auch an seinem Leben teilzunehmen (daher der Untertitel des Buchs: "Aufnahme und Projektion").

Das klingt, zugegeben, eigenartig. Ist es auch. Eichhorns Text gibt seine Geheimnisse nicht leicht Preis - eine Parallele zu der oftmals sperrigen Malerei von Wols. Eichhorns Prosa entwickelt aber, wenn man sich auf sie einlässt, einen unheimlichen Sog, und das bei völligem Fehlen jeder äußerlichen Dramatik. Hans Eichhorn schreibt so, wie er ist: bedächtig, abwägend, leise, dabei humorvoll. Da tritt keiner auf und erklärt einem die Welt und die Menschen, da stellt einer ununterbrochen Fragen, selbst in Affirmativsätzen. Eichhorn ist kein abgebrühter Profi, der weiß, wie es geht. Weder das Leben, noch das Schreiben. Nicht einmal das Fischen. Er wirft sein Netz aus und freut sich beim Einholen, wenn Worte silbrig darin schimmern.

Als wir nach der (spät)morgendlichen Ausfahrt zur Fischerhütte zurückkommen, wartet bereits Kundschaft, ein Mann mit braungebranntem Gesicht und lachenden Augen: "Hans, hast a poar Saibling? Meine Leut' warten ja scho aufs Mittagessen!"

Hans bittet um ein paar Minuten Aufschub. "Wir sind sehr im Verzug", erklärt er mir. "Es ist ein Frevel und ein Luxus, so spät auf den See zu fahren. Um acht sollte schon alles erledigt sein, und nicht erst um zwölf!" Aber sehr aufgeregt klingt er nicht. Jetzt heißt es schnell die Fische ausnehmen. Sohn Johannes hilft mit flinker Klinge und geübten Fingern. Ob er auch einmal Fischer werden will? "Vielleicht", meint Johannes. Sehr überzeugt scheint er nicht.

"Das war witzig", erzählt sein Vater, "früher hat er gesagt, wenn ihn wer gefragt hat, was er werden will: Schriftsteller und Fischer. Letztes Jahr hat er vom Lions Club einen Preis für Kurzgeschichten bekommen. Einen Jungliteratenpreis. 1.500 Schilling. Da sind wir zur Preisverleihung gegangen, ganz toll, alle Honoratioren sind dort gesessen, sogar ein Landesrat. Der Johannes hat seine Geschichte vorgelesen, und nach der Preisverleihung haben wir so geredet, auch darüber, was er einmal werden will, und da hat er gesagt: Lehrer. Die Schriftstellerei, hat er gemeint, ist so eine unsichere Sache, einmal verdient man was und dann wieder nicht. Und bei der Fischerei ist es dasselbe, einmal fangt man was, dann wieder nicht."

Ein unsicheres Geschäft war die Fischerei auch früher. Hans Eichhorn, Jahrgang 1956, erzählt, während er Reinanken schuppt und Saiblinge putzt, von seiner Kindheit: "Ich bin am See aufgewachsen. Der Großvater und der Vater haben auch schon die Fischerei betrieben. Ich habe bald meine Mutter als Hilfskraft ersetzt und bin mit rausgefahren. Die Laubenfischerei, Anfang des Sommers, war das Spannendste. Heute wird das ja nicht mehr gemacht. Das ist eine Art Treibjagd. Laubenstanzen hat man das genannt - mit einem speziellen Netz, einer Laubenfirn, hat man gefischt, man hat sehr schnell und geschickt sein müssen. Und dann sind die Lauben gekocht worden, in Salzwasser, mit den Eingeweiden und allem. Sie sind ungefähr so groß wie Sardinen. Das war eine beliebte Speise bei den Bauern, ein gutes und ein billiges Essen. Da hat es Leute gegeben, die haben ein Kilo Lauben auf einmal gegessen. Davon kriegt man einen Durst. Dann trinkt man ein Bier . . . und dann kriegt man wieder einen Gusto auf einen Fisch . . . und so geht's dahin."

Der Kunde von vorhin ist wieder da und holt sich sechs Saiblinge für den Mittagstisch. "Ich leg' sie oben auf die Waage", sagt er. "Jaja", meint der Fischer. Bezahlt wird irgendwann. Gut 100 Schilling bekommt man für einen Kilo Edelfisch. Bei der heutigen, schwachen Ausbeute bringt der Tag 500, vielleicht 600 Schilling ein. Tag bedeutet: Ausfahren, die Netze einholen, die Fische putzen, die Netze neu zusammenlegen und reparieren, wieder ausfahren, die Netze auslegen. So etwas wie einen Stundenlohn rechnet man sich da lieber gar nicht aus.

"Die Fischerei war immer ein gewisses Refugium. Und auch eine gewisse Ausrede, dass ich mich über Wasser halten kann. Mit dem Studium bin ich ja gescheitert." Er lacht, fast peinlich berührt, auf die Frage nach dem Gegenstand des Studiums. "Religionspädagogik. Mit Philosophie und Psychologie."

Das Studium hat Hans Eichhorn recht bald aufgegeben. "Ich habe damals mit dem Schreiben begonnen. Ich wollte meine eigene Sprache finden und bin nicht damit zurechtgekommen, mich nur mit anderen Stoffen zu beschäftigen."

In letzter Zeit hat Eichhorn mit dem Schreiben, wie er das nennt, "Glück gehabt". Die ausgelegten literarischen Netze haben etwas eingebracht: zum Beispiel den "manuskripte"-Literaturpreis; oder ein Projektstipendium des Bundes für "Circus Wols".

In den Wiener Kulturgewässern zu fischen kann sich Eichhorn nicht vorstellen. "Ich glaube nicht, dass Wien für mein Schreiben förderlich wäre. Und mir eine Lobby aufzubauen, so etwas liegt mir nicht." Gegen Großstädte hat er dabei nichts. In Rom ist während eines längeren Aufenthalts ein großes, "sehr barockes" Gedicht entstanden. Auch in Amsterdam hat Eichhorn, gefördert durch ein Literatur-stipendium, einen Monat lang gelebt und am Goethe-Institut eine Lesung gehabt.

Die Nachbarin kommt vorbei. Ob ihr der Hans das Heu auf den Boden tragen kann. Natürlich, gleich, wenn die Fische versorgt sind. "Um fünf nach halb eins gibt's Essen", ruft Elisabeth Eichhorn. Schnell die Fische in den Kühlschrank und das Heu versorgen. Erdäpfelgulasch steht auf dem mittäglichen Speiseplan. Fisch gibt es im Hause Eichhorn ungefähr zweimal in der Woche, und allen schmeckt er, Gott sei Dank. "Saibling gebraten ist sicher das Feinste", meint Hans Eichhorn. "Die Saiblinge des Attersees sind kleinwüchsig und haben ein sehr zartes Fleisch." Karpfen und Schleien schmecken als Fischgulasch ganz hervorragend. Und dann gibt es noch alle Arten von Räucherfisch, natürlich hausgemacht: Reinanke, Saibling, Forelle, Aal. Zum Räuchern verwendet Eichhorn ausschließlich vermodertes Buchenholz. "Das hat einen besonderen Geruch. Es ist ein Holz, das keine zu große Hitze entwickelt, aber doch genug, damit der Fisch gegart wird. Die Rauchstoffe geben eine ganz spezielle Würze. Die Fische liegen über Nacht in einer Art Salzsur. Dann hängen sie zweieinhalb bis drei Stunden im Ofen, je nach Beschaffenheit des Holzes."

Elisabeth Eichhorn stellt den duftenden und dampfenden Eintopf auf den Tisch. Sie ist Deutschlehrerin in Kirchdorf, weshalb die Familie in der Schulsaison in der oberösterreichischen Kremstal-Gemeinde wohnt. Und außerdem ist sie die erste und strengste Lektorin der Werke ihres Mannes. "Meistens hat sie mit ihren Einwänden Recht", sagt er und nimmt einen herzhaften Schluck Bier.

Text und Fisch für den Verlag

"Circus Wols" wurde von vielen Menschen lektoriert, unter anderem von einer Kunsthistorikerin. Eichhorn hat den Text oft bearbeitet. Mitten in der Produktion des Buches wurde der Residenz-Verlagsleiter Jung gekündigt. Wie es jetzt weitergeht? "Abwarten." Zum Residenz-Team hat Eichhorn ein gutes Verhältnis - er liefert nicht nur Manuskripte ("Circus Wols" ist, die Bildbände mitgerechnet, sein zehntes Buch), sondern auch regelmäßig Fisch für diverse Anlässe.

"Wenn, wie im 'Circus Wols´, durch das viele Überarbeiten das Eichhorn'sche vielleicht nicht ganz so dominant ist, wird der Text präziser", merkt Frau Eichhorn vorsichtig an. Schriftsteller haben empfindliche Seelen. "Wenn das Manierierte ein bisschen eingebremst wird, ist das nicht so schlecht", fügt der Dichter selbst weit weniger vorsichtig hinzu. Hat Hans Eichhorn also eine manieristische Ader? "Naja, ich würde sagen, ich habe eine Tendenz zum Barocken."

Wenn Eichhorn erzählt, dann immer auch über das Erzählen. "Es sträubt sich alles wider die dramatische Vernunft", heißt es einmal in "Circus Wols". Warum dieses Misstrauen gegen die technischen Tricks der Literatur?

"Ich wollte nicht, dass die Technik, wie man eine dramatische Situation aufbaut, im Vordergrund steht und alles verdrängt, was sonst noch rundherum da ist. Alle Nebenschauplätze sollten in dem Buch mitwirken, es mitgestalten." Deshalb auch die Verwendung des Tagebuchs der Tochter, deshalb die Reflexion des eigenen Alltags. Die Bündelung vieler verschiedener Elemente macht für Eichhorn auch die Faszination des Künstlers Wols aus. "Ich bin schon vor 20 Jahren auf ihn gestoßen. Er hat mich gleich beschäftigt. Dieses Reduzierte. Dass einer jahrelang nur kleine Blätter und feinnervige Striche macht. Von vorne und immer wieder von ganz vorne anfängt. Das ist auch mein literarischer Zugang. Es ist ein langsames Zusammenbuchstabieren."

Das Mittagessen ist beendet. Noch ein Kaffee. Dann muss Hans Eichhorn wieder an die Arbeit. Die Netze warten.

Hans Eichhorn: Circus Wols. Aufnahme und Projektion. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2000, 272 Seiten.

Weiters im Residenz Verlag erschienen:

"Der Ruf. Die Reise. Das Wasser", 1995,

"Petruskomplex", 1998

Freitag, 06. Oktober 2000

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