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Behbahani, Simin / Baradaran, Monireh: Das Schweigen vernichten

Zwei iranische Autorinnen berichten über ihre Heimat
Von Rebecca Hillauer

Ihr erstes Buch erschien 1951. Damals, vor einem knappen halben Jahrhundert, als Simin Behbahani noch verheiratet war mit einem ungeliebten Mann, schrieb sie vor allem Gedichte über die Liebe. Sie stellte das Thema, das zu behandeln in der klassischen persischen Literatur den Männern vorbehalten war, aus der Sicht der Frau dar - mit unverhüllter Sinnlichkeit anstelle mystischer Verklärung. Dafür wurde sie berühmt. Und weil sie das "Ghazal", ein traditionelles Versmaß vergleichbar dem Sonnett, weiterentwickelt hat.

Seit der Machtübernahme der Mullahs erzählt Simin Behbahani Alltagsgeschichten: zum Beispiel von dem einbeinigen Soldaten, der kein Mitleid akzeptiert; von der Mutter, die ihre aus dem Gefängnis entlassene Tochter in den Armen wiegt; von dem Mädchen, das weint, weil der Vater kein Geld hat, um ihm einen Lutscher zu kaufen. Indem sie scheinbar banale Begebenheiten akribisch beschreibt, stößt Simin Behbahani vor zur tiefer liegenden gesellschaftlichen Realität und deckt die traumatischen Erfahrungen der jüngsten iranischen Geschichte auf: Revolution und Krieg.

"Um zu überleben muss man das Schweigen vernichten", schreibt sie in einem Gedicht. Ein paradox anmutender Satz - überleben, zumal in repressiven Regimen, doch meist diejenigen, die ihre wahre Meinung verbergen. Sie aber will sagen: moralisch vor sich selbst besteht nur, wer die Wahrheit enthüllt. Simin Behbahani lebt im Iran: "Ich kann meine Gedichte nur dort schreiben, wo ich die Landschaft, die Menschen und die Armut mit meinen eigenen Augen sehe." Die studierte Juristin und pensionierte Oberschullehrerin für Literatur, die auch Erzählungen, Kurzgeschichten und eine Autobiografie geschrieben hat, ist heute die bekannteste Lyrikerin im Iran. Dies obwohl viele ihrer Werke nur im Ausland erscheinen durften.

Ihre Landsmännin Monireh Baradaran war bei der Revolution noch eine ganz junge Frau. Sie hat die Albdrücke dieser Zeit am eigenen Leib erfahren. Neun Jahre lang war sie in Haft. Danach floh sie nach Deutschland ins Exil. Jedes Jahr am 6. Dezember, dem Todestag ihres Bruders, geht sie auf den Friedhof. Seitdem sie in Deutschland lebt, ist es nicht wichtig auf welchen - das Grab ihres Bruders liegt nirgendwo in diesem Land. Er wurde vor 18 Jahren im Evin-Gefängnis in Teheran erschossen. Schon unter dem Schah, als sie noch Studenten waren, saßen die Geschwister im Gefängnis. 1981 wurden sie erneut verhaftet, wegen ihrer Mitgliedschaft in einer marxistischen Organisation. Über ihre Erlebnisse in der Haft berichtet Monireh Baradaran in einem Buch, das im Zürcher Unionsverlag erschienen ist.

Auch während der Haft hat sie nicht geschwiegen. So bewahrte Monireh Baradaran ihre Würde - das half ihr, die langen Jahre der Haft, Folter, Demütigungen und Hunger zu ertragen, ohne daran zu zerbrechen. Beide Autorinnen, die Vollblut-Dichterin in der Heimat und die politische Schriftstellerin im Exil, wurden im vergangenen Jahr in Berlin geehrt: Gemeinsam erhielten sie die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte - "für die Zivilcourage, mit der sie sich für Menschenrechte, Freiheit sowie die Gleichberechtigung der Frau einsetzen".

Simin Behbahani, die im Iran lebt, war nie inhaftiert. Sie entging aber nur knapp einem Mordanschlag. Regimetreue Zeitungen haben ihre Werke beschimpft und sie selbst als Person verleumdet. Seit dem Amtsantritt Chatamis habe sich einiges verändert: "Die Zensur ist nicht mehr so streng." Über Themen wie Glücksspiel und Prostitution dürfe zwar wieder geschrieben werden, die drei "R" - Religion, Revolution, Regierung - seien jedoch nach wie vor Tabu. Das ist Simin Behabahani aber nicht genug: "Wir wollen eine Regierung, die die uneingeschränkte Rede-, Schreib- und Meinungsfreiheit gewährt." Die gibt es noch nicht. Zwischen-den-Zeilen-Schreiben ist nach wie vor eine Kunst, die gepflegt wird, wo der offene Widerstand einem Menschen das Leben kosten kann.

Gemeinsam mit anderen Schriftstellern hat Simin Behbahani in offenen Briefen die Freilassung von Oppositionellen und die Aufklärung der sogenannten "Kettenmorde" an Schriftstellern im Herbst und Winter 1998 gefordert. Sie sagt: "Das Regime schlug zu aus Angst davor, nach der Wahl Chatamis könnten die herrschenden Dogmen sich verändern." Nach der Revolution 1979 habe es ähnliche Auseinandersetzungen gegeben: "Auf der Straße wurden Bücher und Zeitungen verbrannt und das Büro

des Schriftstellerverbandes besetzt." Jetzt, zehn Jahre nach dem Ende des Golfkrieges verlangten die Menschen nach Freiheit, statt nur nach sozialen und wirtschaftlichen Verbesserungen. "Entweder wird es eine völlige Öffnung hin zur Demokratie geben oder das Klima der Erstickung verfestigt sich."

Monireh Baradaran im deutschen Exil nennt die achtziger Jahre die "schwärzeste Periode in der jüngeren Geschichte des Iran". Seither habe sich wenig verändert, sagt sie. Für eine Verhaftung spielte die Schuldfrage keine Rolle. Politische Häftlinge gab es offiziell nicht, nur "Heiden und Heuchler". Die sollten umerzogen werden. Das Regime verlegte sich dabei allmählich darauf, sie nicht nur körperlich zu "züchtigen", sondern psychisch zu brechen. Sie wurden zu ideologischen Schaudebatten gezwungen, bei denen sie ihre "Verbrechen" bekennen mussten. Diese Interviews wurden per Videokamera im iranischen Fernsehen und in Gefängnissen ausgestrahlt. Aussagen von Flüchtlingen und Zeitungsberichte belegen, dass all das nicht Vergangenheit ist.

Nach den Studentenunruhen im Juli 1999 zeigte das staatliche Fernsehen verhaftete Studenten, darunter eine Frau, die sich selbst denunzieren mussten. Das "Geständnis" der Frau wurde von einem Fernsehsprecher vorgelesen, während sie schweigend dabei saß.

Die Exil-Zeitung "Kar" berichtete, wie in Tabriz, einer Stadt im Nordwesten des Iran, Hizbollah-Milizen 180 Studenten -- meist Frauen - in ihre Gewalt gebracht hätten: "Nackt wurden sie mit Wasserschläuchen geschlagen. Man hat sie mit Bussen in die Stadt gefahren. Dann hat man sie nackt auf der Straße freigelassen. Sie wurden beschimpft, vor allem die Frauen." Zwar sind die Todesstrafen gegen drei Aktivisten der Studentenbewegung in Haftstrafen umgewandelt worden, doch noch immer sind viele Studenten inhaftiert. Besonders politische Häftlinge werden in sogenannten "Chanahaje Amn" ("sicheren Häusern") eingesperrt, wo sie verhört, gefoltert, zum Tode verurteilt und eliminiert werden, ohne dass die Außenwelt davon erfährt. Diese Häuser wurden eingerichtet, vermutet Monireh Baradaran, "weil sie in den Gefängnissen nicht mehr alles machen konnten, was sie wollten". Monireh Baradaran: "Wir haben Berichte darüber, dass Familienangehörige sich versammeln und die Regierung auffordern, den Verbleib ihrer Kinder und Verwandten bekannt zu geben. Die Regierung denkt jedoch nicht daran."

Monireh Baradaran ist überzeugt, dass die wenigen Veränderungen seit Chatamis Amtsantritt "auf den Druck der Straße" - die anwachsenden Proteste der Bevölkerung - zurückzuführen sind. Doch noch immer würden Schriftsteller und Journalisten verhaftet, "Ehebrecherinnen" gesteinigt und Menschen nicht nur wegen ihrer politischen Überzeugungen und Aktivitäten, sondern auch wegen ihrer Religion verfolgt und hingerichtet. Die Anhänger der Baha'i-Religion zum Beispiel, der größten nicht-islamischen Religionsgemeinschaft des Landes, die von den Behörden als kriminelle Sekte gebrandmarkt wird. Sie dürfen weder an höheren Schulen und Universitäten lernen und lehren noch im öffentlichen Dienst arbeiten. 1998 musste auch ihre Fernuniversität schließen, die im Geheimen arbeitete. In mehreren Städten wurden hunderte von Häusern geplündert, Bücher beschlagnahmt und 38 Baha'i-Lehrer inhaftiert.

Nach Angaben von Amnesty International sind seit Anfang der neunziger Jahre zwischen 80 und 110 Personen aus den Reihen der Intellektuellen und Oppositionellen im Iran und Ausland ermordet worden. Ein Teil dieser "extralegalen Hinrichtungen", von denen einige nach wie vor nicht aufgeklärt sind, wurden von Mitarbeitern des Informationsministeriums (Geheimdienst) vollzogen. Dem UN-Menschenrechtsbeauftragten wird seit einigen Jahren die Einreise in das Land verweigert. Die Teilnehmer einer Iran-Konferenz in Berlin wurden im April bei ihrer Rückkehr in Teheran mit Polizeiverhören und Haftbefehlen empfangen. 20 reformorientierte Zeitungen sind im Iran zur Zeit verboten.

Die fortlaufenden Menschenrechtsverletzungen halten deutsche Ausländerbehörden nicht davon ab, Asylbewerber wieder in den Iran abzuschieben. Dafür soll laut Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof auch eine Zwangsverschleierung von Frauen erlaubt sein. Die erhalten den für eine Abschiebung nötigen iranischen Pass nur, wenn sie auf dem Passfoto - gemäß iranischer Bekleidungsvorschriften - ein Kopftuch tragen. Dagegen hatten zwei iranische Asylbewerberinnen in Nürnberg geklagt, doch das Gericht lehnte ihre Beschwerden ab.

Wie könnten die beiden mit der Ossietzky-Medaille geehrten Frauen schweigen? Sie sprechen statt dessen mit Taten ebenso wie mit Worten. Monireh Baradaran, die im Jänner ihr Soziologiestudium abschloss, arbeitet ehrenamtlich mit Flüchtlingen. Sie ist Mitglied des iranischen Schriftstellerverbandes im Exil und schreibt Artikel für Exilzeitungen, zum Beispiel über die psychischen Folgen von Folter.

Simin Behbahani kehrt immer wieder zurück in den Iran. Sie ist in den Vorstand des Schriftstellerverbandes gewählt worden, den sie 1998 mitbegründete. Noch ist der Verband provisorisch. "Wir werden geduldet. Das Ministerium für Kultur und Religiöse Führung muss erst noch die offizielle Zulassung erteilen." Wenn dies geschieht, gäbe es endlich - 31 Jahren nachdem, noch unter dem Schah, die Idee geboren wurde - einen legalen "unabhängigen" Schriftstellerverband im Iran.

Freitag, 18. August 2000

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