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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Die algerische Schriftstellerin Assia Djebar

Djebar, Assia: Existenz zwischen den Sprachen

Von Stefan Weidner

Die neurotische Angst vor der Mehrsprachigkeit, die seit der Antike in unserer Kultur angelegt ist (in der Volkskultur wie in der der Gelehrten) - Angst also vor der unendlichen Vielfalt der Formen -, hat in meinem Land zu einer Kulturdiktatur geführt, zum Joch einer Einsprachigkeit der Pseudoindentiät: eine einzige Sprache als Rüstung, Schild und Mauer! Dann natürlich erhebt sich das Morden, das Blut spritzt.

So Assia Djebar 1998 in Wien anlässlich der Eröffnung einer Tagung über Islam, Literatur und Migration. Ihr Vortrag galt dem "Raum zwischen zwei Sprachen". Dieser Raum, sagte Djebar, sei "ein ungewisser, sumpfiger Boden, unstete und doch fruchtbare Erde". Es ist der Raum, in den sich Schriftsteller begeben, die nicht in ihrer Muttersprache, sondern derjenigen ehemaliger Kolonialmächte schreiben. Assia Djebar ist, als Algerierin, die auf französisch schreibt, eine von ihnen. In Algerien fließt immer noch und immer wieder Blut, trotz der Versöhnungspolitik des neuen Präsidenten Bouteflika. Vordergründig mögen es religiöse und machtpolitische Konflikte sein, die zum Morden führen, doch sie wurzeln in der gleichen Angst vor kultureller Vielfalt wie die Unterdrückung der Berbersprache und des Französischen im derzeitigen Algerien, wie die Unterdrückung des Arabischen in Algerien unter französischer Kolonialherrschaft.

Suche nach Identität

Die Wiederaneignung von Sprache, der Mut, die Stimme zu erheben, ist das eine große Anliegen von Assia Djebar. Eng damit verknüpft ist die Suche nach weiblicher Identität zwischen islamischer und europäischer Kultur, die Rückeroberung des weiblichen Körpers über den Umweg des Schreibens und Sprechens. Und stets setzt sie sich mit der Geschichte auseinander, besonders mit der algerischen Geschichte, in der diese Probleme so überdeutlich zu Tage treten.

Es gibt keinen besseren Einstieg in den literarischen Kosmos Assia Djebars als das 1985 erschienene "L'amour, la fantasia" (dt. "Fantasia", Zürich 1993). Alle Themen ihres Werks werden darin angeschlagen, und selten ist eine lehrreiche Lektüre auch eine so faszinierende, nicht zuletzt weil es unmöglich ist, das Werk einer bestimmten Gattung zuzuordnen. Es ist die Erzählung der französischen Eroberung Algeriens von 1830 und des algerischen Befreiungskrieges von 1954 bis1962 in ausgewählten Einzelszenen; die Schilderung der ersten 20 Lebensjahre der Autorin, eine Geschichte über die erste große Liebe dazu; und schließlich ist es, ausgehend von diesen erzählerischen Elementen, ein frei assoziierender Essay. Ihre spezifische Sicht auf die Sprache wird darin sogar deutlicher als in ihrem eingangs zitierten Aufsatz.

Djebar erzählt vom Picknick der Frauen in den antiken Ruinenfeldern der algerischen Hafenstadt Cherchell, ihrem Geburtsort. Da die Frauen unter sich sind, haben sie den Schleier abgelegt. Rundherum sind jedoch die Kinder damit beauftragt, Alarm zu schlagen, wenn sich ein Mann nähert. Als einer auftaucht, ziehen sie rasch den Schleier über. Es stellt sich jedoch heraus, dass es ein Franzose ist, und somit war die Aufregung umsonst: Da ein Christ als Verführer nicht in Frage kommt, können auch seine Blicke nicht schaden, sie sind gleichsam stumpf. Der Umgang mit dem Fremden, eben weil er so fremd ist, ist seltsamerweise freier als mit Nahestehenden.

Ebenso ergehe es ihr, erklärt Djebar, mit der Sprache. Nur auf Französisch fühle sie sich frei genug zu sprechen, zumal über intime Dinge, eben weil ihr die Worte dort viel weniger bedeuten. Aber selbst wenn sie auf Französisch über alles Erdenkliche spreche, bleibe ihre Intimsphäre verschleiert. Der Prozess der Emanzipation besteht daher nach Djebar nicht aus Äußerlichkeiten (denn rein äußerlich verhält sie sich wie eine Europäerin), sondern darin, den innerlichen Zwiespalt ihrer Existenz zwischen den Sprachen und Kulturen bewusst zu machen und sich offensiv dazu zu bekennen.

Die wechselseitige Spiegelung und Erhellung der einen Textebene durch die andere hat Djebar dabei zur Meisterschaft entwickelt. Die Eroberung Algeriens durch die Franzosen hallt wider in Szenen aus der ersten Zeit ihrer Ehe. Obwohl es eine Liebesheirat ist, scheint die Entjungferung nicht minder brutal als das Eindringen der Franzosen in das fremde Land. Und wenn sich später die Algerier von den Franzosen befreien, löst sich die Erzählerin durch die (nicht ausgelebte) Liebe zu einem jüngeren Mann berberischer Herkunft aus ihrer Ehe - eine Geschichte, die im Roman "Weit ist mein Gefängnis" fortgesetzt wird.

Erneut findet das Private seine Entsprechung in einer historischen Begebenheit, der archäologischen Entdeckung einer Stele, deren für unentzifferbar gehaltene Schriftzeichen sich am Ende als identisch mit dem Alphabet der Berbersprache der algerischen Tuareg entpuppen. Diese Wendung des Romans von einer Liebesgeschichte zu einem in weiten Teilen historischen Bericht lässt sich als der Versuch interpretieren, zwischen den sich feindlich gegenüberstehenden Alternativkulturen und -sprachen Französisch und Arabisch einen Mittelweg zu finden, der auf das ursprüngliche Berbertum aller Algerier rekurriert - wie ja auch der jüngere Geliebte ein Berber war.

Geboren wurde Assia Djebar - ihr richtiger Name lautet Fatima-Zohra Imayalène - 1936. Ihr Vater, ein Grundschullehrer, der sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet hatte, schickte sie als eine der wenigen Algerierinnen auf ein französischsprachiges Internat. Wie sich Djebar in "Fantasia" erinnert, setzte er für die Bildung seiner Tochter den Ruf der Familie aufs Spiel: "Vom ersten Tag an, an dem ein kleines Mächen ,hinausgeht´, um das Alphabet zu lernen, nehmen die Nachbarn einen vielsagenden Blick an und bemitleiden 10 oder 15 Jahre im Voraus den verwegenen Vater, den nachsichtigen Bruder."

Suche nach Pseudonym

Als 1954 der algerische Unabhängigkeitskrieg ausbrach, wurde sie zum Studium nach Paris geschickt. Als erste Algerierin war sie in Frankreichs Elitehochschulen zugelassen. Bereits 1957 veröffentlichte sie ihren ersten Roman. Auf dem Weg zum Verlag, wo der Buchvertrag besiegelt werden sollte, bat sie ihren Freund, die verschiedenen Namen Allahs aufzuzählen; um eine Auseinandersetzung mit ihren Eltern zu vermeiden, benötigte sie ein Pseudonym. Ihre Wahl fiel auf "Djebar", den "Allgewaltigen". Es nützte nicht viel: Ihre Mutter erkannte ihr Foto beim Durchblättern einer Frauenzeitschrift.

Schnell wurde sie mit Françoise Sagan verglichen, was Djebar bis heute missfällt. Doch so unpassend ist der Vergleich nicht und auch keineswegs ehrenrührig. Sagans "Bonjour Tristesse" steht Assia Djebars ersten Romanen gewiss nicht nach. Djebar wusste dies selbst, da sie ihr Manuskript sonst kaum dem Verleger Françoise Sagans angeboten - und dieser es genommen hätte. Schon in die "La soif" (dt. "Die Zweifelnden"), wie dieser erste Roman heißt, geht es um den Selbstfindungsprozess zweier junger Frauen aus der wohlhabenden, französisch erzogenen Jugend Algeriens. Vom algerischen Bürgerkrieg ist dort noch ebenso wenig die Rede wie von tieferen Konflikten mit der Tradition, geschweige denn der Sprache. Dafür wird viel mit schnellen Autos durch die Gegend gefahren, an schönen Stränden gelegen, werden Eitelkeiten und Eifersüchte gepflegt. Erst Djebars dritter Roman, 1962 erschienen, thematisiert den Bürgerkrieg und spitzt die feministische Thematik allmählich zu. Ihren spezifischen Ton findet sie jedoch erst nach einer längeren Schaffenskrise in den 70er-Jahren mit der Publikation des Erzählbandes "Die Frauen von Algier" 1980.

Rückblickend sagt Djebar über ihre ersten Romane, sie habe zunächst mit allen Mitteln versucht, nicht autobiographisch zu schreiben. Die Wende kam mit der Einsicht, dass jedes Schreiben autobiographische Elemente habe und sich nur ohne Tabus genügend entfalten könne. Der Kampf um Literatur, um Sprache und Ausdrucksmöglichkeiten war für Djebar jedoch nie ein rein privater oder künstlerischer. Kaum dass sie nach der Unabhängigkeit 1962 in ihre Heimat zurückkehrte, drohten sie die Arabisierungskampagnen der algerischen Regierung ein weiteres Mal ihrer Sprache - diesmal des Französischen - zu berauben. Von der historischen Fakultät, wo es notwendig war, Arabisch zu lehren, musste sie zu den Literaturwissenschaftlern wechseln, die weiterhin auf Französisch lehren durften.

Sie hat mit einem intensiven Studium klassischen Arabischs reagiert, nicht nur für ihre historischen Studien, sondern vielleicht auch in der Hoffnung, eines Tages in dieser Sprache schreiben zu können. Dies gelang indes nicht. Im Kontrast zum Arabischen bezeichnet sie seither das Französische gerne als Sprache der Freiheit. Doch spiegelt dieses Urteil, das ihr immer wieder harsche Kritik von arabischer Seite einträgt, vielleicht mehr ihre eigenen Erfahrungen als die Realität: Bereits in den frühen sechziger Jahren fanden der Sudanese Tajjib Salih ("Zeit der Nordwanderung"), die Libanesin Laila Baalabakki ("Ich lebe") und andere zu einem arabischen Stil, der im Hinblick auf den offenen Umgang mit Sexualität und weiblicher Selbstfindung den späteren Errungenschaften Djebars ebenbürtig ist.

Was ihr im Bezug auf das klassische Arabisch nicht gelang, die Wiederaneignung einer eigenen, intimen Sprache, geschah über ein Medium, das zweifellos geeigneter dafür war als die Literatur: der Film. Ihre Versuche, sich vom "Fluch" des Französischen, wie sie es einmal nannte, zu befreien, mündeten Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in zwei äußerst erfolgreichen Filmen (Preis der Internationalen Kritik in Venedig 1979; Sonderpreis für den besten historischen Film, Berlinale 1982), in denen sie sich der Umgangssprache der Frauen in traditionellen Milieus annäherte. Seither, sagt sie, könne sie wieder ohne Komplexe französisch schreiben.

Noch unmittelbarer als in ihren Romanen hat es Djebar in einem historischen Werk verstanden, in die politische Wirklichkeit Algeriens einzugreifen: Als dort Mitte der achtziger Jahre ein vermeintlich islamisch inspiriertes Familiengesetz verabschiedet wurde, das die Frau nahezu für unmündig erklärte, legte Djebar ihr Buch "Fern von Medina" vor. An ausgewählten Beispielen und nach intensiven Recherchen bei den alten arabischen Historiographen arbeitet sie darin die Geschichte der Unterdrückung der Frau im Islam auf. Während der Prophet Mohammed, so fand sie heraus, den Frauen überhaupt erst bestimmte Rechte gab, wurden die Rechte der Frauen nach Mohammeds Tod von den ersten Kalifen (den "Nachfolgern" des Propheten) sukzessive wieder eingeschränkt. Nicht einmal Mohammeds Tochter erhielt das ihr nach dem Willen des Propheten zustehende Erbe. Assia Djebar kritischer Impetus richtet sich daher auch nicht so sehr gegen den Islam, wie er in seinen Texten überliefert wurde, als gegen die frauenfeindliche Auslegung der islamischen Rechtsvorschriften durch die Kleriker, durch lokale Traditionen und schließlich durch die zeitgenössische, männlich dominierte Politik.

Unumstrittene Preisträgerin

Feministisch und postkoloniale Literatur im besten, nicht dogmatischen Sinne, dies ist das Schreiben Assia Djebars. Als L'art pour l'art lässt es sich gewiss nicht verstehen, immer mischt es sich ein. Dennoch ist, was und wie sie schreibt, in erster Linie literarisch: Auch einer, dem Assia Djebars Anliegen fern stehen, dem ihre Welt fremd ist, wird viele ihrer Bücher mit ästhetischem Genuss und Gewinn lesen können. Ihre Texte sind gerade auch interessant, wenn man die Schwierigkeit spürt, denen sie abgerungen sind. Die Scham, die überwunden werden musste, um überhaupt sprechen zu können, bleibt ihnen eingeschrieben, wo sie noch allzu indirekt, in Rätseln sprechen. Ihre Romane sind immer dort gelungen, wo sie unmittelbaren Bezug auf die Realität nehmen - im autobiographischen, im historischen, im dokumentarischen Sinn. Wenn sie jedoch vorwiegend auf Fiktion setzen, wie in "Die Nächte von Straßburg", ihrem jüngsten, auf Deutsch erschienenem Werk, mag die (gut gemeinte) Aussageabsicht bisweilen zu aufgesetzt wirken.

Unumstritten ist Djebar (sie erhielt bereits 1995 die Ehrendoktorwürde der Universität Wien) gewiss nicht; doch darf ihr dies zur Ehre gereichen. Zu Recht erhält sie in diesem Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Bemerkenswert daran: dass nach der Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel (1995) und dem türkischen Romancier Yasar Kemal (1997) nun zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren ein Werk gewürdigt wird, das die islamische Welt zum Gegenstand hat - während dies zuvor überhaupt nie der Fall war. Der heftig umstrittenen Preisträgerin Annemarie Schimmel hatte man noch böswillig unterstellt, sie sei eine verkappte Muslimin. Von solcherlei Geschmacklosigkeiten dürfte Assia Djebar verschont bleiben - gerade weil sie, anders als Annemarie Schimmel, tatsächlich eine Muslimin ist, freilich eine, die sich auf Zugeständnisse in Sachen Religion kaum einlässt. Und sollte die Jury des Friedenspreises von den Querelen 1995 einen Islam-Komplex zurückbehalten haben, so wird Assia Djebar ihn heilen.

Die Bücher von Assia Djebar sind im Unionsverlag (Zürich) und im Heyne-Verlag (München) erschienen. Der eingangs zitierte Aufsatz ist abgedruckt in: "Wir und die anderen. Islam, Literatur und Migration". Hg. von W. Dostal. H. A. Niederle und K. R. Wernhart. Wien (WUV Universitätsverlag) 1999.

Freitag, 18. August 2000

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