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Die oberösterreichische Autorin Marlen Haushofer

Haushofer, Marlen: Idylle und Dämonie

Von Elisabeth Vera Rathenböck

Auch wenn Du mit einer Seele behaftet wärest, sie wünscht sich nichts als tiefen, traumlosen Schlaf. Der ungeliebte Körper wird nicht mehr schmerzen, Blut, Fleisch, Knochen und Haut, alles wird ein Häufchen Asche sein und auch das Gehirn wird endlich aufhören zu denken. Dafür sei Gott bedankt, den es nicht gibt. Mach Dir keine Sorgen - alles wird vergebens gewesen sein - wie bei allen Menschen vor Dir. Eine völlig normale Geschichte."

Das schrieb die Schriftstellerin Marlen Haushofer in ihr Tagebuch, einen Monat vor ihrem Tod am 21. März 1970. Was hier am Ende einer schweren Krankheit notiert wurde, kommt dem konsequenten Durchdenken der Sinnhaftigkeit eines Lebens gleich, für das ein aufklärerischer gesellschaftlicher Auftrag vorgesehen gewesen wäre. Allerdings zeugt der von Nihilismus geprägte Gedankengang von Resignation und Enttäuschung.

"Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben; es hat sich eben so für mich ergeben, daß ich schreiben muß, wenn ich nicht den Verstand verlieren will. Es ist ja keiner da, der für mich denken und sorgen könnte. Ich bin ganz allein, und ich muß versuchen, die langen dunklen Wintermonate zu überstehen. Ich rechne nicht damit, daß diese Aufzeichnungen jemals gefunden werden. Im Augenblick weiß ich nicht einmal, ob ich es wünsche", dieser Schreibentschluss der weiblichen Ich-Erzählerin steht am Beginn des heute wohl bekanntesten Romans von Marlen Haushofer, "Die Wand", als Motiv kehrt er in ihrer Prosa immer wieder.

"Mit diesem Bekenntnis ist zugleich die existentielle Ausgangslage des Schriftstellers beschrieben, der nicht aus freien Stücken und schon gar nicht für eine mögliche Leserschaft schreibt, sondern um dem Wahnsinn zu entkommen. Marlen Haushofers persönliche Handschrift läßt sich hier genauso erkennen wie in dem existentialistischen Credo, das Die Wand im ganzen und im Detail verkündet", resümiert die Wiener Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl in ihrer jüngst erschienenen Haushofer-Biografie und zieht Vergleiche zum 1948 erschienenen Roman "Die Pest" von Albert Camus: "Da wie dort bricht ein unbegreifliches Unglück über die satte, im Fortschrittsglauben befangene Menschheit herein, führt zur Isolation und wirft den einzelnen auf sich selbst zurück. Bei Marlen Haushofer gibt es Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit aber nur noch in Gedanken, nicht mehr als gelebte Praxis. So gesehen, hat sie die radikalere Parabel absurder Existenz geschrieben. Das Leben hinter - oder vor - der Wand ist ganz klar für einen einzigen Menschen reserviert." Das Hinter-der-Wand-Schreiben entlarvt die Existenz als einen im materiell-vergänglichen und gesellschaftspolitischen Kontext desillusionierenden Vorgang. Es geht nicht um bestimmte Bedingungen für Existenz, sondern um die Existenz an sich, die ertragen, also gelebt werden muss.

"Haushofer hat eine listige, wenn nicht hinterlistige Literatur geschrieben. Ihre Literatur gibt vor, Hausfrauenliteratur zu sein, sie ist aber ein scharfsinniger Realismus mit doppeltem Boden. Sie selbst führte ein Doppelleben zwischen der Kleinstadt Steyr und Wien. In der Provinz lebte sie als Hausfrau und in der Metropole genoss sie das Leben der Bohéme. Aus den Widersprüchen ihrer Existenz wie ihres Charakters ergab sich das Spannungsfeld, dem sich ihr Werk verdankt", sagt Daniela Strigl im Gespräch über das Leben und Schreiben der Marlen Haushofer zwischen Idylle und Dämonie. Wie ihre Zeitgenossin Ingeborg Bachmann war auch Haushofer für die enge Verbindung von familiär-gesellschaftlichen und politischen Prozessen sensibilisiert. Von den einschlägigen Schulbüchern, Literaturnachschlagewerken, Dichterlexika und in der Literatur des deutschsprachigen Raums entweder negiert oder zumindest marginalisiert, muss man sich heute verspätet fragen: Wer hat hier Angst vor Marlen Haushofer?

Über das Werk zum Leben

Die Biografin Strigl wählte für die erste umfassende Biografie über Marlen Haushofer den Weg, über das Werk an das Leben der Autorin heranzuführen: Am 11. April 1920 in Frauenstein als Marie Helene Frauendorfer geboren, als Tochter von Maria und Heinrich Frauendorfer, die sich gerade im Forsthaus im Effertsbachtal am Fuße des Sensengebirges eingerichtet hatten, verlebte sie eine Kindheit, die man allgemein als schön und intensiv bezeichnen kann. Den Erlebnissen als "Waldmädchen" hat sie in ihren bekanntesten Kinderbüchern "Brav sein ist schwer" und "Schlimm sein ist auch kein Vergnügen" ein Denkmal gesetzt, auch in ihren Romanen und Erzählungen tauchen die Heldinnen immer wieder zurück in die Paradiese der Kindheit, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

Die Idylle fand mit dem Besuch des Linzer Mädchenrealgymnasiums und des Internats, das vom Orden der Ursulinen streng geführt worden war, ein jähes Ende. In ihrem Kindheitsroman "Himmel der nirgendwo endet" zeichnete die Autorin später die "Verbannung in eine unbegreifliche Welt" nach. Erst die Studienzeit in Wien schuf wieder Freiraum, den die wissbegierige Marlen Haushofer allerdings zunächst mehr mit Literatur als mit jungen Männern verbrachte. Und doch wurde sie ungewollt schwanger, im Jahr 1941 kam ihr erster Sohn Christian auf die Welt. Im selben Jahr heiratete sie Manfred Haushofer, der sich nach dem Ende seines Studiums in Steyr als Zahnarzt niederließ. 1943 erblickte ihr zweiter Sohn Manfred das Licht der Welt. Marlen Haushofer entschied sich einerseits für ein Leben als Hausfrau und Mutter, andererseits für die Literatur. Schon 1946 entstanden erste Kurzgeschichten, ab 1952 dann Novellen, Erzählungen, Romane, Kinderbücher sowie Hörspiele für deutsche und österreichische Sender.

Sie wurde von den beiden "Literaturpäpsten" des wiederaufgebauten Österreich, Hermann Hakel (1911 bis 1987) und Hans Weigel (1908 bis 1991) entdeckt und gefördert. Wie für andere Autorinnen und Autoren der Nachkriegszeit, vor allem für jene aus der Provinz, waren Hakels Aktionen "oft die erste Gelegenheit, ihre Isolation zu durchbrechen und mit Gleichgesinnten zu sprechen." Auf Weigels Aufforderung hin übersandte sie ihm mit dem Hinweis "Gedichte schreibe ich nicht" ein erstes Manuskript. Der Kontakt zum bedeutenden Entdecker und Förderer der jungen Generation nach dem Krieg verhieß Haushofer die Eintrittskarte in den österreichischen Literaturbetrieb. Sie gewann damit auch einen Lektor, Hans Weigel vermerkte Absätze und setzte auch Interpunktionen, was Haushofer selbst immer nur sehr nachlässig behandelte.

Ihr Thema hatte sie schon bald entdeckt: In der Welt ihrer Heldinnen reiben sich Passivität und Anpassung an Ausbruchsfantasien bzw. Unabhängigkeitserklärungen. Die Reaktionen der unmittelbaren Umwelt darauf wirken einerseits als Motor und erzeugen andererseits Leidensdruck und Todessehnsucht. Für das Scheitern der Flucht sind eine verinnerlichte Pflichterfüllung verantwortlich. Gleichsam wie einem Schicksal ergeben sich die Heldinnen dem konservativen, bieder-bürgerlichen Milieu. Haushofer entwarf eine weibliche Subjektivität, die im Spannungsverhältnis von Opfer und (Mit)Täterin zur Entfaltung kommt.

Im Jahr 1951 wurde erstmals ein parabelhafter und eindeutig politischer Text von Marlen Haushofer in der Zeitschrift "Neue Wege" veröffentlicht: In "Die Geschichte vom Menschenmann" - männliches Expansions- und Vernichtungsstreben gegen weibliche Reproduktions- und Friedensbedürfnisse - stellte sich Haushofer als Anhängerin von Simone de Beauvoirs Theorien vor, deren Flaggbuch für die feministische Bewegung, "Das andere Geschlecht", gerade erschienen war. Haushofer war auch schon eine Anhängerin der Essays und programmatischen Schriften von Rosa Mayreder, der Wiener Theoretikerin der Frauenbewegung.

Unter diesen Eindrücken und Bestätigungen ihrer frauenpolitischen Ansichten schrieb sie innerhalb eines Jahres einen Roman, die Geschichte zweier Frauen, die einen Mann geschickt ermorden, ohne dass sie als Täterinnen belastet werden können. Weigel las das Manuskript und riet Haushofer von einer Veröffentlichung ab. Später allerdings trauerte Weigel dem Roman nach, wie Strigl belegt: "Er war großartig geschrieben, er war lebendig, plastisch, er hatte alles, was ein Roman haben soll."

Haushofer und Bachmann

Das ist nicht die einzige Parallele, die in den Rezeptionsgeschichten Bachmanns und Haushofers zu ziehen ist: "Beide Autorinnen stammen aus der Provinz, beide besuchten ein Gymnasium der Ursulinen, beide studierten Philosophie, beide machten auf Männer den Eindruck besonderer Schutzbedürftigkeit. Ihre Lebenskreise berührten einander immer wieder: 1946 hielten sie sich in Graz auf, später hatten sie in Wien dieselben literarischen Schutzherrn respektive Liebhaber." Den Grund, warum Haushofer bestenfalls als "kleine Schwester" der Bachmann wahrgenommen wird, sieht Strigl darin, dass beide Autorinnen völlig anders lebten und unterschiedliche Möglichkeiten zur Ausübung und Auffassung von Kunst hatten. Haushofer, die auch in Wien immer einen streng oberösterreichischen Dialekt gesprochen hatte, hielt am Klischee des Mädchens vom Lande und ihrer Mutterrolle fest, sie verwehrte sich der Selbstinszenierung als Künstlerin: "Ich habe eingesehen, daß niemand zwei Herrn dienen kann u. daß (für mich) immer der lebende Mensch den Vorrang hat", schrieb sie in einem Brief an Jeannie Ebner. Bachmann dagegen entfaltete sich zur Weltbürgerin, die bald ihre Mentoren abschüttelte, indem sie wie Ilse Aichinger ins Ausland ging.

Nachdem Hans Weigel insgesamt zwei Romanmanuskripten eine Publikationswürde abgesprochen hatte, verschickte Haushofer 1954 den dritten Roman, der später unter dem Titel "Eine Handvoll Leben" erscheinen sollte, selbst an mehrere Verlage. Im Wiener Paul-Zsolnay-Verlag erschien dann das vielseits geachtete Romandebüt. Haushofer hatte aus dem Roman schon im Rahmen der "Wochen österreichischer Dichtung" auf der Feste Hohensalzburg gelesen. Jener Kritiker, der dem damals noch unbekannten Thomas Bernhard den Durchbruch konstatierte, schrieb auch über Haushofer, man könne sich gut vorstellen, dass die Oberösterreicherin, "die zum Glück nicht die Hypersensibilität, sprich: Nervosität vieler Dichterinnen ihrer Generation teilt, den langen Atem (aber nicht die Langatmigkeit) zu einem großen Romanwerk besitzt."

Zwei Jahre später erschien der zweite Roman, "Die Tapetentür", der mit Beifall begrüßt, aber auch wegen Uneinheitlichkeit kritisiert wurde, wenn auch die Figurenpsychologie positiv wahrgenommen wurde. In den nächsten Jahren veröffentlichte sie Erzählungen und die Romane "Die Wand", "Himmel der nirgendwo endet", wechselte zum Mohn-Verlag und publizierte Kinderbücher, insgesamt fünf. "Kinderbücher gingen ihr leicht von der Hand und es war eine Möglichkeit für sie, Geld zu verdienen", sagt Daniela Strigl. "Ihrem Freund und Berater Hans Weigel waren Marlens ,Seitensprünge´

bis im Kinderbuchsektor ein Dorn im Auge. Er, der selbst aus seinen Molière-Übersetzungen sichere Einkünfte bezog, gönnte ,seinen´ Autoren zwar ein finanzielles Zubrot, betrachtete jedoch die kindgerechten ,Schmalspurtexte von literarisch erwachsenen Autoren´ als reine Zeitverschwendung." Insgesamt dreimal erhielt Haushofer den Kinderbuchpreis der Stadt Wien. Ihre Kinderbücher wurden und werden nur in Österreich rezipiert, "Brav sein ist schwer" genießt den Status eines Kinderbuchklassikers.

Daniela Strigl diskutiert in ihrer Biografie den letzten Roman "Die Mansarde" (1969) als literarisches Vermächtnis. "Die Mansarde ist mit unaufdringlicher Meisterschaft komponiert. Der Stil scheint völlig unangestrengt und über jeden Drang zur Selbstdarstellung erhaben. Die Sprache ist gleichsam ein Destillat des Wesentlichen. (. . .) Seit langem zum ersten Mal hat Marlen Haushofer hier auch die historische Hypothek von Krieg und Naziregime angesprochen: Ihre ganze Generation sei wohl ein wenig verrückt. ,Wahrscheinlich gibt es Ereignisse, denen keine Generation gewachsen ist.´"

Mitte der sechziger Jahre erkrankte Marlen Haushofer an Knochenkrebs. Sie starb am 21. März 1970. Begraben am Stadtfriedhof in Steyr rückt Haushofer alle zehn Jahre durch die Wiederkehr von Geburts- bzw. Todestag in den Mittelpunkt des Interesses. In Steyr hat sich im Jänner ein Marlen-Haushofer-Forum gegründet, das sich darum bemüht, die Rezeption lebendig zu halten. Die Wertschätzung soll sich nicht auf die stille Präsenz eines Marlen-Haushofer-Wegs - am Steyrer Stadtrand zwischen einer Tankstelle und einem Autohaus, "obwohl sie Autos gehasst hat" (Strigl) - beschränken. Erst seit 1982 werden Marlen Haushofers Werke kontinuierlich neu aufgelegt, bei Claassen, bei Zsolnay oder auch im Deutschen Taschenbuchverlag. Heute entdeckt man sie als Feministin, als Ikone der Frauenliteratur und der Ökologiebewegung.

Drei Jahrzehnte nach Haushofers Tod hat Daniela Strigl in ihrer Biografie das schwierige Unterfangen abgeschlossen, aus vielen Puzzleteilen das Leben der Autorin zusammenzusetzen. Eine Biografie zeichnet immer nur ein Phantombild, ein Bild also, das einem Menschen nur ähneln, nie aber dessen wirkliches Leben wiedergeben kann: "Meine erste praktische Erfahrung auf der Suche nach der Wahrheit machte ich, als ich in verschiedenen Gesprächen nach der Farbe von Marlen Haushofers Augen fragte: Auch ihr Nahestehende war sich in ihrer Antwort nicht einig - waren die Augen ,graugrün´, wie es im Reisepaß vermerkt steht, oder grüngrau ins Blaue gehend oder graublau mit Grün oder veilchenblau, oder waren sie schlicht blau oder gar braun? Wenn nicht einmal das einwandfrei festzustellen ist, so dachte ich, wie läßt sich dann überhaupt ein zuverlässiges Bild zeichnen? Heute weiß ich zumindest, daß Marlen Haushofers Augenfarbe eine Art von Blau war", schreibt Strigl in ihrem Vorwort.

Daniela Strigl: Marlen Haushofer. Die Biographie. Claassen, Verlag München. 400 Seiten.

Freitag, 21. April 2000

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