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Literarisches Multitalent: Die Erzählerin, Dramatikerin, Essayistin und Lyrikerin Bettina Balàka

Balàka, Bettina: Reim und Metrik in der Volksschule

Von Helmut Kretzl

Die 34-jährige Bettina Balàka gilt als eine der interessantesten jüngeren Autorinnen Österreichs. Nach diversen Auslandsaufenthalten und einem Dolmetschstudium lebt die gebürtige Salzburgerin heute mit ihrer kleinen Tochter Pia als freie Schriftstellerin in Wien. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, darunter der Ö1-Essay-Preis 1999, der Meta-Merz-Preis 1999, der Förderungspreis der Stadt Wien 1997, der Alfred Gesswein-Literaturpreis für Lyrik 1991 und der Rauriser Förderungspreis 1992.

Die Wohnung der Schriftstellerin Bettina Balàka im 8. Wiener Bezirk ist freundlich eingerichtet. Reisemitbringsel verströmen Fernweh. Bücher stehen brav in den Regalen, dazwischen fein säuberlich geordnete Behälter mit Papieren und Texten. Durchorganisierte Systematik statt kreativ-chaotisches Durcheinander. Überall Babyutensilien für ihr Neugeborenes: Fläschchen, Spielzeug, frische Windeln auf Haufen gestapelt. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes steht das Zentrum ihres Universums, der Computer.

Während Kinder ihrer Altersgruppe noch Berufswünschen wie Polizist, Astronaut oder Krankenschwester anhingen, war zumindest diese Frage für die kleine Bettina Balàka kein Thema: Schon im zarten Volksschulalter entschloss sie sich, Schriftstellerin zu werden. Erstmals aufgefallen ist ihr literarisches Talent, als die Lehrerin den Tafelklasslern das Schreiben eines Gedichts zur Hausübung aufgab. "Super, das kann ich schon, habe ich gedacht. Daheim hatte ich schon etliche Gedichte in der Schublade, ich habe die besten heraus gesucht, noch einige dazu geschrieben und die dann vorgetragen. Die Lehrerin war total entgeistert und bestellte sofort die Eltern in die Schule. Rückblickend wundere ich mich, dass meiner Mutter gar nicht aufgefallen ist, dass ihre kleine Tochter da Gedichte schreibt. Das hat sie mir beigebracht, dann hat sie mich immer korrigiert - es war eine richtig harte Schule: Da passt der Reim nicht, dort ist die Metrik nicht in Ordnung. Erst meine Volksschullehrerin hat erkannt, wie ungewöhnlich es ist, wenn so ein kleines Kind solche Gedichte schreibt mit Reim und Metrik und allem."

An dem Tag, als die Eltern hochoffiziell über ihre Begabung informiert wurden, "ging ich wie immer entlang einer Thujenhecke nach Hause, riss ein paar Zweiglein ab, zerkrümelte sie, roch daran, und fasste in diesem schönen Geruch den Entschluss, ‚Schriftstellerin zu werden'", schreibt sie über sich selbst.

In der Mittelschule setzten sich die Erfolgserlebnisse fort: Einmal die Woche durfte Bettina in der Deutschstunde ihre Texte vorlesen. Für diesen Anlass schrieb sie einen Fortsetzungsroman über ein Mädchen, das durch eine Höhle im Wald in die Zeit der Dinosaurier gelangt und dort Abenteuer erlebt. "Einmal war ich krank im Spital und die Deutschlehrerin hat mir die Briefe von den Mädchen aus der Klasse ans Krankenbett gebracht. In jedem Brief stand: Bettina, du fehlst uns so, weil wir die Fortsetzung der Geschichte nicht wissen, kannst du sie nicht vielleicht auf Tonband sprechen und uns schicken (lacht). Ich war irgendwie enttäuscht, dass ich nicht persönlich vermisst wurde, sondern nur meine Geschichte, andererseits war ich natürlich auch geschmeichelt, dass man von mir sogar am Krankenlager die nächste Fortsetzung erwartete."

Welche Bücher haben Balàka geprägt? "Ein ganz wichtiges Buch ist "Wuthering Heights" von Emily Brontë, über das ich auch meine Diplomarbeit geschrieben habe. Das ist ein Roman, der bis ins kleinste Detail so sorgfältig ausgearbeitet ist wie ein Gedicht - ein hoher Anspruch, aber für mich war es das Vorbild: die große erzählerische Struktur zu kombinieren mit der Mikrostruktur, wo alles bis in die kleinste lexikalische Einheit durchkomponiert ist. Ich versuche auch, weibliche Vorbilder zu finden in der Literaturgeschichte, Vorläuferinnen, Pionierinnen. Interessanterweise gibt's da gerade in Österreich mit Marlen Haushofer oder Ingeborg Bachmann durchaus Frauen, die schon vor Elfriede Jelinek erste Schritte aus dem androzentrischen Weltbild hinaus gewagt haben."

Weiblicher Blick

Stark beeindruckt haben sie auch die englischsprachigen Autorinnen Sylvia Plath und Anne Sexton, "weil diese Autorinnen es geschafft haben, in einer Zeit, wo es noch kaum üblich war, einen spezifisch weiblichen Blick in die Literatur hinein zu bringen. Es gab in der Vergangenheit ja viele Autorinnen, die versucht haben zu verheimlichen, dass sie Frauen sind, das haben sie teilweise auch tun müssen und unter männlichen Pseudonymen geschrieben. Die Liebesgedichte der Anne Sexton etwa sind ganz klar aus einer Frauenperspektive geschrieben, in ihrer Körperwahrnehmung und der sinnlichen Wahrnehmung.

Als Leserin, die immer nur viele Bücher von Männern liest, wird man irgendwann einmal schizophren, denn der Held oder das lyrische Ich ist immer männlich. Unwillkürlich will man sich ja identifizieren mit dem Protagonisten und tut es auch.

Da muss man aber dauernd die Kluft überspringen zum anderen Geschlecht und wird so geistig sozusagen zum Zwitter. Das fängt schon bei der Jugendliteratur an. Die jungen Genies, die alle Kriminalfälle lösen, sind meist männlich."

Bettina Balàka ist eine engagierte Kämpferin für die Rechte der Frauen. An deutschen Unis werden bereits erste Arbeiten über sie verfasst, als Beispiel für zeitgenössisches feministisches Schreiben. Wie denkt sie über sogenannte Frauenliteratur? Besteht da nicht auch die Gefahr der Eigenausgrenzung? "Es stimmt, diese Ghettoliteratur will heute eigentlich niemand mehr, weder produzieren noch lesen. Man geht jetzt generell davon ab, sich auf das festzulegen, sogar der Wiener Frauenverlag hat seinen Namen geändert auf Milena-Verlag. Es geht um gesellschaftliche Strukturen, die alle betreffen und alle Geschlechter, inklusive der Transsexuellen. Bei den Lesungen und Veranstaltungen sitzen immer sehr viele Männer im Publikum, die mitdiskutieren und die Bücher kaufen. Sie behaupten oft, sie kaufen das Buch für ihre Tochter oder für ihre Freundin, sind aber doch selbst zur Lesung erschienen (lacht), also ich glaub schon, dass es sie selbst auch interessiert."

Auf Recherche legt Bettina Balàka größten Wert. Jedem Thema nähert sie sich gründlich: liest, forscht, legt Ordner an. Im Text müssen diese gesammelten Fakten dann gar nicht konkret vorkommen, sondern dienen nur als geistige Basis oder Hintergrund. In zahllosen Notizbüchern sammelt sie Ideen, die jederzeit kommen können. Sie gehört nicht zu jenen "zwanghaften" Autoren, die regelmäßig zu bestimmten Zeiten arbeiten, mit einem kleinen Kind geht das noch weniger. Aus Zeitgründen schreibt sie alles in den Computer, auch Gedichte. Zu vorgegebenen Abgabeterminen für Auftragsarbeiten oder Wettbewerbe kommt der eigene Ehrgeiz, denn sie will mindestens jedes zweite Jahr ein Buch herausbringen. Derzeit gibt es sogar einen Stau: nach dem soeben erschienen ersten Roman (siehe Besprechung unten) kommt im Herbst ihr Essay "Messer" auf den Markt (der als Preisträgertext des Ö1-Essay-Wettbewerbs letztes Jahr auch im "EXTRA" abgedruckt war). Bereits fertig ist der Gedichtband "Im Packeis", der nächstes Frühjahr veröffentlicht wird. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Theaterstück zum Thema Bulimie und am nächsten Roman, der die glorifizierten Themen Schwangerschaft und Mutterschaft "entzaubern" will.

Die Vielschreiberin ist ein literarisches Multitalent: Lyrik, Erzählung, Roman, Theaterstück, Essay - kaum eine literarische Gattung, in der sie sich nicht erfolgreich betätigt hätte. Vorlieben für eine bestimmte Gattung hat sie nicht, "alles ist für mich gleich interessant, jedes hat seinen eigenen Reiz. Also in der Produktion habe ich fast immer schon alles gemacht, ich habe auch schon in der Kindheit versucht, Theaterstücke zu schreiben, genauso wie Gedichte und Erzählungen, aber in der Publikation habe ich erst mit Lyrik begonnen, dann kamen kürzere Prosatexte, jetzt der erste Roman. Ich betrachte mich als Textproduzentin, um das einmal schlicht auszudrücken. Das ist ja das Spannende, wenn man sich mit verschiedenen Formen befassen kann."

Oberhoheit über Sprache

Ein unverkennbares Markenzeichen von Bettina Balàkas Stil ist ihre dichte Sprache, ein fein gesponnenes Textgewebe. Bis dahin hat sie aber einen weiten Weg zurückgelegt: "Für mein eigenes Schreiben war es unumgänglich, in aller Respektlosigkeit die internalisierten Deutschlehrerinnen mit ihrem erhobenen Zeigefinger meines Gehirns zu verweisen", erinnert sie sich.

Das war der Beginn eines "zähen Kampfes: Ich musste erst etliche Bücher experimentell schreibender KollegInnen lesen, um wirklich glauben zu können, dass kein Blitz aus dem Olymp fährt, wenn man das vorgegebene Regelwerk durchbricht." Heute beansprucht sie "die absolute Oberhoheit über meine Sprache: Syntax, Grammatik, Orthographie, Interpunktion sind meine Materialien, die ich je nach Intention des Textes bearbeite". Das bedeutet "lustvolle Regelbrüche ebenso wie ein scheinbares Einschmiegen in die ‚Normalität´, um auf einer tieferen Ebene zu wirken."

Was hält sie von der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur? "Das Schöne an der deutschsprachigen Literatur ist, dass es keine Dogmen mehr gibt, sondern jeder macht das, was er kann und was ihm liegt. Es gibt von einer Christine Huber, die extrem experimentell ist, bis zu einem Robert Schneider, um ein Beispiel des völlig banalen Erzählens zu nennen, so ziemlich alles am Markt, und der Leser kann sich selber aussuchen, was ihm zusagt. Allerdings hat sich die Werbung sehr stark an den Techniken und Erkenntnisse der experimentellen Literatur bedient, möglicherweise, weil sich viele Literaten als Werbetexter betätigt haben. Wenn Literatur klingt wie eine Humanic-Werbung, ist es tragisch."

Bücher:

  • Der langangehaltene Atem. Droschl, Graz 2000
  • road movies. 9 versuche aufzubrechen. Droschl, Graz 1998
  • Krankengeschichten. Droschl, Graz 1996
  • Die dunkelste Frucht. Gedichte. Verlag G. Grasl, Baden/Wien 1994

Freitag, 21. April 2000

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