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Eine Annäherung an die Kärntner Lyrikerin Cvetka Lipus

Lipus, Cvetka: Unterm Schutzdach der Liebe

Von Andreas P. Pittler

Cvetka Lipus ist im literarischen Leben Österreichs immer noch eine unbekannte Größe. Und doch ist es schon 15 Jahre her, dass ihre Werke erstmals für Aufsehen sorgten. Damals hatte die 1966 in Zelesna Kapla/Eisenkappel geborene Dichterin gemeinsam mit Fabjan Hafner den Band "V lunini senci" (Im Schatten des Mondes) vorgelegt. Zu dieser Zeit lebte sie in Wien und studierte Slawistik und Sinologie. Doch nur wenig später kehrte sie nach Klagenfurt zurück, um dort das Studium der vergleichenden Literaturwissenschaften zu beginnen, welches sie schließlich mit ihrem ersten Magistertitel (ein zweiter kam in den Vereinigten Staaten hinzu, wo sie ab 1995 Bibliothekswissenschaften an der Universität Pittsburgh studiert hatte) abschloss.

Lipus erste Gedichte sind noch von einer Offenheit, die man in ihrem späteren Werk nur noch selten finden wird. Poeme wie "jaz" (Ich) oder "zaljubjeno telo" (Verliebter Leib) sprechen von Liebe ebenso wie von Leidenschaft, von Angst wie von Sehnsucht. Schon damals zeigte sich der Bilderreichtum von Lipus' Sprache, der für ihre späteren Werke so charakteristisch sein wird. Passagen wie "Berauscht vom Wein und vom Regen deiner Worte" oder "Die berauschende Wärme der Umarmung freit, umwirbt meinen Leib" zeugen von einer impulsiven Direktheit, zu der Lipus erst in ihren bislang jüngsten Gedichten teilweise zurückkehren sollte.

1986 erschienen einige ihrer Gedichte in der Anthologie "Das slowenische Wort in Kärnten/Slovenska beseda na Koroskem", wodurch auch die deutschsprachige Leserschaft auf die 19-jährige Autorin aufmerksam wurde. Lipus veröffentlichte damals auch in der "Wiener Zeitung" einige Gedichte (in der Beilage "Lesezirkel") und publizierte regelmäßig in der slowenischsprachigen Zeitschrift "Mladje", die 1960 u. a. von ihrem Vater Florjan begründet und deren Redaktion in den 90ern sie selbst angehören sollte.

Auch wenn die Slowenischkenntnisse nicht ausreichen, ihre Gedichte zu verstehen, so genügt allein das laute Lesen der Wortkombinationen, um die sprachliche Poesie, die Melodik, die sorgfältige Komposition dieser Texte zu erkennen. 1986 war Lipus ohne Frage eine Autorin, von der man noch viel erwarten durfte.

Doch vorerst schlug nur Stille an der Leserschaft Ohr. Volle vier Jahre vergingen, ehe 1989 Lipus erster eigener Gedichtband "Pragovi dneva" (Die Schwellen des Tages) erschien. Dieser stieß zwar auf großes Interesse unter den Slowenen - Lipus erhielt ihre ersten großen Preise -, doch in Österreich blieb das Echo gering. Dies wohl auch deshalb, weil der Band lediglich in Slowenisch erschienen war, in jener Sprache also, in der Lipus von Anbeginn an ihre Werke verfasst. Nicht anders erging es ihr 1993, als ihr zweiter Band "Doba temnjenja" (Die Epoche des Nachdunkelns) ebenfalls auf Slowenisch erschien. Doch der Verlag brachte schließlich 1995 "Abgedunkelte Zeit" heraus, wo die Poeme dieser beiden Bände in einer deutschen Übersetzung nachzulesen sind.

Nunmehr setzte auch im deutschsprachigen Raum eine entsprechende Rezeption ein. Die "Neue Zürcher Zeitung" etwa meinte damals: "Ihre Gedichte sind filigrane, lakonische Wortgebilde, rhythmisch austariert und von leiser Tonart. Sie kreisen unermüdlich um Zeit und Raum, Licht und Dunkelheit, Meer und Stein, Nähe und Ferne, ausgehend von einem Ich, das seine Wahrnehmung und Gefühle in Metaphern hüllt."

Hermetische Sprache

In der Tat, Lipus' Gedichte waren unzugänglicher geworden. Die Autorin bediente sich, wie es Ales Debeljak nannte, einer "hermetischen Sprache". Vieles, was zu Zeiten von "V lunini senci" noch unumwunden an- und ausgesprochen worden war, konnte nunmehr nur noch erahnt, vermutet werden. Lipus' Vorliebe für wortmalerischem Bilderreichtum war geblieben, doch dieser ließ eine Vielzahl von Lesarten zu, die alle zutreffend, aber auch genauso gut falsch sein konnten, und es galt, wie bei einem Palimpsest, die eigentliche Bedeutung zu deuten. Bei manchen Bildern fühlt man sich an Bob Dylan erinnert, aber auch Eluard oder Appolinaire, ja selbst Zwetajewa und Mandelstam schimmern ab und an zwischen den Worten hervor. Doch Lipus ist weit davon entfernt, Epigonin zu sein, vielmehr gleichen ihre Verse einer mittelalterlichen Kathedrale, in die nach Maßgabe von Möglich- und Notwendigkeit auch der eine oder andere Stein aus der Antike eingemauert wurde.

Obwohl in den beiden Bänden auch noch viel von Ein- und Zweisamkeit, von "Gefühl und Verstand" die Rede ist, so rücken erstmals geografische Komponenten, das Meer, aber auch bevorzugte Orte wie Lipus' Lieblingsstadt Piran oder Leningrad in den Vordergrund. Die Erschließung von Räumen ist letztlich auch der Gegenstand des nun vorliegenden dritten Bandes "Geografija blizine" (Geografie der Nähe), der zeitgleich im slowenischen Original wie in deutscher Übersetzung erschien. Er wählt nicht zufällig bereits im Titel die Metapher des Raumes. Der Raum hat mannigfache Bedeutung in den sprachlichen Bildern der Cvetka Lipus. Der Bogen spannt sich von "verstummter Landschaft" bis zu einem "Schutzdach der Liebe". Besonders eindringlich wird der "Beziehungsraum" durchleuchtet. Es sind die Möglichkeiten des Zusammenlebens, die den Menschen vor ein Dilemma stellen, um das die gesamte menschliche Existenz beständig kreist. Lipus' Deskriptionen sind dabei eine Art lyrische Paraphrase auf "Verstand und Gefühl". So muss also gleichsam die Beschaffenheit des Gefühlsraumes, die Geografie eben, vermessen werden, um festzustellen, wie viel Nähe zulässig, wie viel Nähe wünschenswert ist. Oder, wie Ales Debeljak schreibt: "Durch ein aufmerksames und sehr oft einmaliges Beschreiben existenzieller Situationen auf der Suche nach dem richtigen Maß der Nähe, bietet uns Cvetka Lipus einen Entwurf für eine Architektur des Zusammenlebens, in dem der Einzelne seinen persönlichen Raum nicht unbedingt auf dem Altar der Gemeinschaft opfern muss."

Vermessung der Nähe

Der emotionelle "Raum der Liebe" kann eben ohne verstandesmäßige geografische Vermessung der Nähe nicht existieren. Und so, um bei diesem Bild zu bleiben, setzt Lipus auch auf ihrem schriftstellerischen Weg einen neuen Meilenstein, der uns Orientierung sein wird für ihr weiteres Werk.

Für den herkömmlichen Leser mag es genügen, mit dem Resultat eines Schaffensprozesses konfrontiert zu sein, welches er dann goutiert oder aber verwerfen kann. Und doch scheint es nicht uninteressant, auch eine Geografie der Genese von Lipus' Gedichten vorzunehmen. Wie also schreibt Lipus?

"Ich mache mir zwar immer wieder Notizen, aber wenn ich einmal eine ungefähre Vorstellung von einem Textprojekt habe, setze ich mich jeden Tag zum Schreibtisch, ob mich nun die Muse küsst oder nicht." Wie formulierte das jemand so treffend: Schreiben ist 99 Prozent Transpiration und 1 Prozent Intuition. Bei Lipus aber ergibt sich ein zusätzlicher Aspekt. Ihre Gedichte stehen zumeist in einem inneren Zusammenhang: "Da meine Texte fast alle aus längeren Gedichtzyklen bestehen, ist es für mich auch notwendig, eine gewisse Zeitperiode ohne Unterbrechungen an einem Zyklus zu arbeiten, um eine Idee und einen gewissen Tonfall zu entwickeln und auch einzuhalten." Dabei bemüht sie sich um einen Einklang mit ihrem eigenen inneren Tempo. Die Originaltexte gleichen somit einem Fluss, der "genau meinem eigenen Windungen, Tiefen und Untiefen folgt".

Die meisten Texte durchlaufen dabei einige Entwicklungsstufen: "In den wenigsten Fällen", so Lipus, "ist der erste Entwurf bereits die Letztfassung. Im Laufe eines intensiven Arbeitsprozesses arbeite ich jeden Tag an den Texten, wobei ich jeden Arbeitstag mit der Endfassung des Vortags beginne, da mir der zeitliche Abstand über etwaige Unklarheiten oder auch festgefahrene Situationen hilft. Meistens beende ich die Arbeit an einem Gedicht nicht, bevor ich es in gewissen Zeitabständen immer wieder gelesen habe, ohne weitere Änderungen vorzunehmen." Lipus führt überdies seit Jahren ein eigenes Journal, in dem sie bei Bedarf neue Ideen notiert. Selten jedoch greift sie wirklich auf diese Notizen zurück. Ihr Journal hat mehr psychohygienischen Charakter: "Auf diese Weise habe ich wohl die Illusion, es gibt ein Reservoir an Textentwürfen, auf das ich zurückgreifen kann - sozusagen ein kleiner Zufluchtsort."

Lipus ist jetzt 33 Jahre alt - wenn man nicht gerade Rimbaud heißt, kein Alter für eine Lyrikerin. In einem Gespräch mit ihrem Übersetzer Klaus Detlef Olof bemerkte Lipus einmal, dass ihre bisherigen drei Lyrikbände jeweils mit der intensiven Beschäftigung einer bestimmten Herkunft von literarischen Vorbildern zusammenfielen. Während des Entstehens von "Pragovi dneva" befasste sie sich intensiv mit französischer Lyrik, zum Zeitpunkt der Genese von "Doba temnjenja" waren es die Russen wie Puschkin, Pasternak, Achmatowa, Zwetajewa oder Mandelstam, mit denen sie sich auseinander setzte.

Nun, in Pittsburgh (wo sie mit Ihrem Mann, dem auch öfter im "EXTRA" veröffentlichenden Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch, lebt), füllte sie ihre "großen Leselücken in der amerikanischen Lyrik" auf, während sie an "Geografija blizine" schrieb. Es ist also nicht nur spannend, welche Richtung Lipus' weiteres Werk einschlagen wird, es wäre auch für vergleichende Literaturwissenschaftler eine reizvolle Aufgabe, den Konnex zwischen Lipus' Lektüre und Lipus´ Lyrik herzustellen. Und Auguren mögen sich darüber Gedanken machen, welche Bücher demnächst bei Cvetka Lipus' auf dem Nachtkästchen liegen werden. Wäre Lipus auf einem Weg "back to the roots", wenn man dort Lu Xun, Bei Dao oder Zhang Jie liegen sähe? Lipus' Werk war schon bislang schillernd und voller Überraschungen.

Die Gedichtbände von Cveta Lipus erscheinen auf Deutsch im Wieser-Verlag.

Freitag, 21. April 2000

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