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Doris Mayer und Bernhard Schärfl -Szenen einer Autorenehe

Mayer, Doris: Disketten in der Mülltonne

Von René Freund

Wiener Zeitung: Frau Mayer, Sie kommen vom Theater - warum haben Sie nicht ein Theaterstück geschrieben?

Doris Mayer: Mhm. Am Theater war ich immer Ausführende, ich hatte einen Rahmen, sei es einen Text, sei es die Ansicht eines Regisseurs. Das Schöne am Schreiben ist, dass ich die Figuren jetzt wirklich erfinden und gestalten kann. Vor einem Theaterstück hätte ich zuviel Spundus gehabt. Ich habe vor Leuten, die Theaterstücke schreiben, sehr viel Achtung.

"W. Z.": Viele Theaterautoren trauen sich nicht zu, längere Prosatexte zu schreiben.

Mayer: Es ist schwer zu erklären. Ich habe den Eindruck, Prosa liegt mir. Bei Theaterstücken würde ich mich abquälen. Noch mehr abquälen.

"W. Z.": Herr Schärfl, Sie haben Theaterstücke geschrieben und sind auch beim Film der Dialogform verpflichtet. Haben Sie es auch mit Prosa probiert?

Bernhard Schärfl: Ja, und ich bin fürchterlich gescheitert. Ich habe vor etwa fünf Jahren einen Roman geschrieben. Ich glaube, dass der Grundgedanke gut war, aber ich bin an der Form gescheitert. Ich wollte Oberflächlichkeit beschreiben, und es ist mir passiert, dass der ganze Roman oberflächlich geworden ist. Ich habe mir ein ganzes Jahr Zeit genommen, und mit dem Ergebnis war ich nicht zufrieden.

Beruflich keine Probleme

"W. Z.": Hat es weh getan, zu scheitern?

Schärfl: Ja.

"W. Z.": Und wie kommen Sie damit zurecht, dass Ihre Frau nicht gescheitert ist?

Schärfl: Das finde ich großartig. Wir haben beruflich diesbezüglich keine Probleme. Neid gibt es zwischen uns Gott sei Dank nicht.

"W. Z.": Beraten Sie sich gegenseitig beim Schreiben?

Mayer: Mir ist es sehr wichtig, die Meinung vom Bernhard zu hören, und auch, mir Tipps zu holen, z.B. vom Dramaturgischen her. Zu erfahren, wo die Geschichte durchhängt oder wo ich sie kürzen sollte. Er ist mein schärfster Kritiker. Ich lege sehr viel Wert auf seine Meinung, und wenn er einmal sagt, es ist okay, dann ist das für mich ein ganz großes Lob.

"W. Z.": Und wenn nicht? Sind Sie da nicht beleidigt?

Mayer: Und wie. Das kann ganz arg werden. Mein Roman hat zwei Teile. Der Beginn des zweiten Teils spielt in Wien, am 15. März 1938. Viktoria fällt hin, es hilft ihr jemand auf, und sie schaut in blaue Augen - was an dieser Stelle sehr wichtig ist, weil Farben eine große Rolle in der Geschichte spielen. Gut. Der Bernhard hat gesagt, dass das doch niemanden interessiert, welche Augenfarbe dieser Mensch hat, und wir haben uns in die Diskussion immer weiter hinein gesteigert, bis ich den ganzen Roman im Computer gelöscht habe und mitten in der Nacht losgegangen bin und die Sicherheitsdisketten im ersten Bezirk - gegenüber vom ÖGB übrigens - in eine Mülltonne geschmissen habe.

"W. Z.": Um Gottes Willen. Und dann?

Mayer: Am nächsten Tag bin ich wieder hin. Der Container war schon ziemlich voll. Aber ich habe die Disketten zum Glück wiedergefunden. Und die blauen Augen sind auch jetzt noch im Roman.

Schärfl: Es ging damals für mich um das Problem von Fiktion und Wirklichkeit. Ich hatte einfach Schwierigkeiten damit, dass Viktoria plötzlich am 15. März 1938 am Heldenplatz ist. Diese Schwierigkeiten habe ich jetzt nicht mehr.

"W. Z.": Ich frage provokant: 1938, wen interessiert diese Zeit noch? Warum haben Sie ihren Roman nicht in den fünfziger Jahren angesiedelt?

Mayer: In den fünfziger Jahren spielt der nächste Roman, den ich gerade schreibe. Und "Machalan" kann nur in den dreißiger und vierziger Jahren spielen, und nur im Burgenland.

Bezug zum Burgenland

"W. Z.": Haben Sie eine besondere Beziehung zum Burgenland?

Mayer: Meine Familie stammt von dort, und eine meiner besten Quellen waren die Geschichten meiner Großmutter. Ich habe viel im Burgenland recherchiert. Aber beim Schreiben bin ich von den Figuren ausgegangen. Irgendeinmal war meine Hauptfigur, die Viktoria, da. Und dann kamen die anderen dazu, haben sich verselbständigt, haben eigentlich diese Geschichte erfunden. Die Figuren haben mich bis in meine Träume verfolgt, da gab es richtige Kämpfe zwischen ihnen und mir. Gehorcht mir diese Figur noch oder ist sie jetzt eigenständig?

"W. Z.": Liegt nicht viel von Ihnen selbst in dieser sehr kämpferischen und gleichzeitig sehr weiblichen Figur der Viktoria?

Schärfl: Ja! Die Doris ist immer eine Kämpferin gewesen, ihr ganzes Leben lang, und das schätze ich an ihr. Und ihre Ehrlichkeit. Sie ist keine, die sich anbiedern kann oder Klinken putzen. Wenn sie das könnte, hätte sie mit ihren Fähigkeiten am Theater eine Riesen-Karriere gemacht.

"W. Z.": Spielen Sie eigentlich noch?

Mayer: Da kann ich mich nur an James Bond halten: Sag niemals nie. Wenn ein tolles Angebot kommt . . . Aber ich muss mir nichts mehr beweisen. Ich habe mit 16 angefangen und alle Traumrollen gespielt, die ich mir vorstellen kann. Sei's die Christine in der Liebelei an der Josefstadt, Nachtasyl am Volkstheater, die Viola, den Sebastian . . . da hat der Bernhard übrigens den Orsino gespielt.

Schärfl: "Was ihr wollt". Das war im Theater der Jugend. Wir haben uns auf der Bühne kennen gelernt.

"W. Z.": Und für Sie war Theater so eine Art Jugendsünde?

Schärfl: Ob Sünde, weiß ich nicht, aber Jugend, ja.

"W. Z.": Haben Sie auch einmal Disketten weggeschmissen?

Schärfl: Nein, ein ganzes Manuskript - von besagtem Roman. Ich habe es zerrissen. Ich muss aber gestehen, dass ich eine Kopie davon hatte.

Mayer: Wobei "Showtime", so hieß die Geschichte, zwar einige Durchhänger hatte, aber eine Entwicklung vorweggenommen hat. Es geht darin kurz gesagt darum, dass die Menschen in Bunkern leben, ständig überwacht werden und es ansonsten nur noch Unterhaltung gibt. Das trifft bald die Realität.

"W. Z.": Stichwort Unterhaltung. Heute sind Sie einer der Autoren, die Kommissar Rex schreiben, Sie tragen also zur Unterhaltungsindustrie bei. Wie ist Ihnen dabei?

Schärfl: Gut. Ich mache das, was ich immer machen wollte. Ich wollte immer Krimis schreiben. Ich bin irgendwie nie dazu gekommen, und als dann das Angebot für "Kommissar Rex" kam, ging wirklich eine Art Jugendtraum in Erfüllung. Inzwischen habe ich 14 Folgen geschrieben, und es macht mir immer noch großen Spaß. Was ich außerdem schön finde: Ich schreibe etwas, und es wird unheimlich schnell umgesetzt. Und ich finde es außerordentlich spannend, mich mit Verbrechern und Verbrechen auseinander zu setzen. Ich besitze mittlerweile meterweise Fachliteratur über Serienmörder oder psychologische Studien über Amokläufer und auch einige Bücher über Waffen. Ich hasse Waffen. Aber man kann nicht schreiben: "Er zieht seinen Revolver", wenn man gar keine Ahnung hat, wie so ein Ding eigentlich funktioniert.

Machalan als TV-Zweiteiler?

"W. Z.": Könnten Sie sich vorstellen, ein Drehbuch des Machalan-Stoffs Ihrer Frau zu schreiben?

Schärfl: Ja. Aber das ist natürlich eine Kostenfrage. Ich schätze, dass man diesen Film für das Kino nicht unter 40 Millionen Schilling realisieren kann. Aber ich könnte mir die Geschichte auch sehr gut als Zweiteiler im Fernsehen vorstellen.

"W. Z.": Frau Mayer, lesen Sie die viel gepriesenen oder zumindest medial präsenten neuen deutschen Jungliteraten?

Mayer: Was mich beim Schreiben eher beeinflusst, ist die neue amerikanische Literatur: John Irving, T.C. Boyle, Paul Auster - neben solchen Leuten überhaupt zu bestehen, ist sehr schwierig. Diese Selbstverständlichkeit beim Schreiben geht mir bei den deutschen Autoren ein bisschen ab. Die Fähigkeit, eine Welt aufzubauen, zu behaupten: "Das ist so", und als Leser glaubt man es. Wenn ein deutschsprachiger Schriftsteller eine Boyle- oder eine Auster-Geschichte erzählte, würde man sie ist bei den Haaren herbeigezogen finden. Nehmen wir "Witwe für ein Jahr" - allein die Tatsache, dass die Hauptpersonen alle Autoren sind, würde man bei uns schwer akzeptieren. Beim Irving frisst man das. Das finde ich faszinierend. Und wenn das bei uns einer kann, so wie Bernhard Schlink mit "Der Vorleser", dann wird er im deutschsprachigen Raum so mittelmäßig aufgenommen. Ich war jetzt in New York - und dieses Buch, übersetzt "The Storyteller", liegt in jeder Auslage und ist seit langem das erste deutschsprachige Buch in den amerikanischen Bestseller-Listen.

"W. Z.": Woran liegt das?

Mayer: Das liegt daran, dass der Schlink eine Geschichte erzählt, die man gerne liest. Und genau das geht mir ab. Dass jemand gute Geschichten auf einem hohen sprachlichen Niveau erzählt.

"W. Z.": Muss man sich also nicht mehr schämen, wenn man eine Geschichte erzählt?

Schärfl: Ich glaube, die Zeit hat sich geändert. Und was das Feuilleton schreibt, wird sich bald überholt haben.

Mayer: Ich versuche so zu schreiben, dass ich mein Buch selbst gerne lesen würde. Ich steh's mir halt auf G'schichten.

Freitag, 21. April 2000

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