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Obertöne, Untertöne, Zwischentöne

Faschinger, Lilian: Wiedergewinnung der Stimme

Von Andrea Traxler

Nicht aufhören zu reden. Die Artikulationsorgane - Stimmbänder, Zunge, Lippen - in Bewegung halten, Laute bilden. Es geht um Kopf und Kragen, mit Hilfe des harten Gaumens Laute bilden, mit Hilfe des Kehlkopfs Laute bilden, mit Hilfe der Schneidezähne Laute bilden. Schweigen ist nicht Gold, Schweigen ist der Tod.

So der Beginn von Lilian Faschingers erstem Roman "Die neue Scheherazade", 1983. Mit dem Scheherazade-Mythos ist der Rahmen für die sich in der Folge eröffnende Bilderwelt vorgegeben, die in ihrer Gegenwart und ihren fantastischen Tendenzen fasziniert und verwirrt zugleich. "Ich rede/schreibe um mein Leben, an das er mir will, Schahriar, der König", formuliert die Erzählerin Scheherazade Hedwig Moser und redet/schreibt sich aus der Lebensbedrohung heraus.

Geschützt, aber auch isoliert sitzt sie in ihrem efeuumwuchernden Zimmer auf ihrem Sofa, über dessen Standplatz die Wünschelrute eines Rutengängers heftig auszuschlagen begann, und sie "freut der Gedanke sehr, mitten in einer unsichtbaren Kräfteballung zu sitzen".

Der Text ist signifikant für Lilian Faschingers Anspruch im Umgang mit dem Sich-mitteilen-können-Müssen und ein interessanter Ausgangspunkt, um sich der Funktion, der Bedeutung des Schreibens zu nähern, den Schreibmotiven nachzuspüren.

Es geht um die Wiedergewinnung der Stimme, sagt die Autorin, hat sie doch schon früh erfahren müssen, dass die Stimme sich allzu oft nicht ausdrücken darf, dass der Mensch allzu oft Situationen ausgesetzt ist, die den Redefluss ver- und behindern, in denen die wohl natürlichste Regung einfriert.

Enge des Ortes

Entsprechend "atemlähmend" wird die ländliche Enge des Ortes Tschöran in Kärnten empfunden, der jetzt Bodensdorf heißt, wo Lilian Faschinger am 29. April 1950 hineingeboren wurde, und "Menschen, die sich auf die Sabotage gleichmäßig dahinfließender Gedanken spezialisiert haben, Ablenker, Unterbrecher, Dazwischenfunker, Verunsicherer, Besserwisser, Intervenierer, Zwischenrufer, Einflüsterer und dergleichen zwielichtige Gestalten mehr, zu denen natürlich zunächst die Eltern und übrigen Blutsverwandten zählen und in der Folge ganze Berufszweige", wie die Protagonistin in Faschingers drittem Roman reflektiert. "Magdalena Sünderin" (1997).

Verbote durch Autoritätspersonen behindern das "Atemholen. Atemschöpfen". Redeverbote, Ausdrucksverbote, Glücksverbote letztlich sind es, die peinigen, was zunächst in "monomanischem Reden" seinen Ausdruck findet, wenn der Staudamm endlich durchbrochen ist. Vornehmlich die ersten beiden Romane vermitteln den Eindruck, als hätte man ein übervolles Fass vor sich, das überzulaufen begonnen hat.

"Ich schreibe aus einem Widerstand heraus", sagt Lilian Faschinger, "aus einem Widerstand gegen das Schweigen, gegen die katholische Verlogenheit, die Diktatur des Still-sein-Sollens". "Flott fließt sie (die Schrift) mir oft aus der Hand, aber in erster Linie schreibe ich wahrscheinlich aus Wut darüber, dass sie sagten, frag nicht so blöd, red, wenn du gefragt bist, halt den Mund!", wird in "Lustspiel" formuliert.

Eine Einschränkung solcherart kann einen stillen Rückzug auslösen, durchaus aber auch ein heftiges, geradezu nötigendes Drängen evozieren, wie in "Magdalena Sünderin" demonstriert wird.

"Und jetzt werden Sie mir zuhören, Hochwürden. Es wird Zeit, dass Sie auch mir Ihr Ohr leihen, Ihr auf alle Nuancen schwerer und lässlicher Sünde abgestimmtes katholisches Priesterohr, das schon so vielen ver-ständnisvoll zugeneigt worden ist. Sie werden keine Gelegenheit ha-ben, Ihre feinen Katholikenohren (. . .) zu verschließen. Es ist unmög-lich, sich mit gefesselten Händen die Ohren zuzuhalten. (. . .) Es ist unmöglich, mit einem Knebel im Mund um Hilfe zu rufen (. . .)."

Nach dieser Einleitung beichtet Magdalena dem erzwungenen Priesterohr sehr eloquent ihre bewegte Lebensgeschichte, was nicht wenig Zeit in Anspruch nimmt, handelt es sich doch um die Verständlichmachung von sieben Morden. "Es geht darum, dass Sie mir in Ruhe zuhören, dass Sie mir, der ununterbrochen ins Wort gefallen worden ist, nicht ins Wort fallen, mir, der ununterbrochen das Wort abgeschnitten worden ist, nicht das Wort abschneiden."

Und während Magdalena in die Offensive geht, aus dem Still-sein-Müssen ausbricht, den Zuhörer "mundtot" macht und sich aus der Sprechenge befreit, wird in der "Vorform" einer solchen Beichtsituation, jener im ersten Roman, zwischen Scheherazade und einem Inquisitor (der "böseren Version" eines Priesters), eine mildere Form der Auflehnung verfolgt: Scheherazade weigert sich zu bereuen. "Dass mir der Inquisitor nach dieser dritten Geschichte die Absolution verweigerte, wundert mich nicht. An der Absolution liegt mir ohnehin nichts. Ich wollte die Geschichte nur gern erzählen. Man hat ja sel-ten jemanden, der zuhört, jemanden, der die Pflicht hat zuzuhören und einen dabei nicht ständig unterbricht."

Durch das in Graz vollendete Studium der Anglistik und Geschichte mit literaturwissenschaftlichen Techniken und Literaturtheorien vertraut, sind Lilian Faschinger geeignete Ausdrucksmittel zugänglich, und sie bedient sich ihrer je nach Bedarf virtuos.

Spürsinn fürs Detail

Die Gedichte und Erzählungen bieten in ihrer formalen Begrenzung Raum, um ein Konzentrat zu präsentieren, was der Autorin auf einnehmende Weise gelingt. Die Figuren werden mit Spürsinn fürs Detail, über eine vergleichsweise klar konturierte Strichzeichnung, die das Umfeld, den Hintergrund darstellt, prägnant eingefangen. Akribisch werden deren Gedanken freigelegt und somit ihr Tun plausibel. Meist handelt es sich um Figuren, deren Agieren durch das Außen, durch Konventionen, durch Verstörungen bestimmt ist. Die Ausbrüche sind variantenreich.

Verschiedentlich verlieren sich die Figuren durch die sie umgebende Enge in eigenen, gegebenenfalls paranoiden Welten. Rückzug. "Selbstauslöser". Gedichte und Erzählungen, 1983.

Verschiedentlich zerbrechen die Figuren an den gegebenen Situationen, die sie nicht zu bewältigen in der Lage sind. Sie scheitern an der Mitteilungsunmöglichkeit, am Unverständnis, dem sie sich ausgesetzt fühlen, dem sie ausgesetzt sind. Sterben. "Sprünge". Drei Erzählungen, 1994.

Verschiedentlich lösen sich die Figuren aber aus ihren Verstrickungen heraus, auch wenn beispielsweise "nur" ein Foto, das mit einer eher belastend zu nennenden Lebenssituation verbindet, zerrissen und entsorgt wird. Streben. "Frau mit drei Flugzeugen". Zehn Erzählungen, 1997.

Das Hörspiel scheint ein treffliches Medium zu sein, gemessen an Fa-schingers Anspruch, die Stimme wiedergewinnen, der Stimme Raum geben zu wollen, wird doch das zunächst "Herausgeschriebene" auch lautlich. "Auf der Suche", 1980. "Jahrhundertfebruar". 1994. "Treue Seelen", 1998.

Wie ein roter Faden zieht das Thema des Sich-nicht-mitteilen-Könnens durch die Texte, da die Zuhörer entweder selbst erzählen oder sich mit dem Gegenüber nicht auseinandersetzen wollen. Innerhalb von Dialogen wird sehr authentisch das Aneinander-Vorbeireden fokussiert.

Während in den ersten zwei Romanen "Die neue Scheherazade" und "Lustspiel", die die Autorin in Österreich schrieb, der Leser mit Schwung und sprunghaft durch eine sowohl fantastische als auch realistische, jedenfalls unglaublich dichte Bilderwelt gejagt wird, eröffnet sich dem Leser in den später im Ausland entstandenen zwei Romanen "Magdalena Sünderin" und "Wiener Passion" eine im gleichen Maße dichte Bilderwelt, aber in linearer Erzählstruktur. Das Durchbrechen von Illusionen mit Bezugnahme auf Klischees, das Durchbrechen des Erzählens durch assoziatives, dem Unbewussten Zugang verschaffendes Einweben von Liedtexten, Titeln und Gedichten, um das zu Transportierende voranzu-treiben, war nicht mehr die geeignete Form. Es ist auch eine Abwen-dung von den in Österreich erlernten Literaturtheorien, von den für das Schreiben-in-Österreich relevanten Ausdrucksmitteln, sagt Lilian Faschinger. Wenn "Heimat und Herkunft als Gefährlichstes und Schlimmstes" empfunden wird, spielt gewiss eine Entfernung keine unwesentliche Rolle im Schreibprozess. Vergleicht man die in Österreich und die im Ausland entstandenen Romane, lässt sich eine Tendenz beobachten: eine gedankenordnende.

In Modifikationen sonderzahl spielen in allen Texten Macht, Ohnmacht, Konventionen, Unterdrückung, schlicht: alles der persönlichen Entfaltung Hinderliche eine essentielle Rolle. Naheliegend, dass in Lilian Faschingers Büchern vorwiegend "Frauen in Bewegung" sind.

Trotz der Ernsthaftigkeit, der Schwere und Tragik, die diesen Themen innewohnt, findet die Autorin dennoch Raum für ironische und überaus amüsante Sentenzen.

"Der Inquisitor sitzt im Beichtstuhl der Dorfkirche von Kirchdorf und fragt begehrlich: Scheherazade Hedwig Moser, ist dein Fleisch schwach? Hast du fleischlich gesündigt in Gedanken, Worten und Werken? Wie oft? Wann? Mit wem? (. . .)

Ja, ich habe gesündigt, sage ich fröhlich und freimütig, praktisch andauernd, (. . .) was sind doch Sün-den für ein Glück (. . .). Du musst Rosenkränze beten, meine Tochter, Rosenkränze und abermals Rosenkränze, sagt der Inquisitor mild und lässt sich seine Wut nicht anmerken. Zur Strafe werde ich dir deinen Rosenkranz zerreißen, und du wirst die Kügelchen auflesen, wieder und wieder, (. . .). Meinen ganzen Hostienvorrat wirst du aufessen müssen, (. . .) Und zum Dessert wirst du wohl auch noch deine Firmungskerze verspeisen müssen, (. . .) und alle Heiligenbildchen, die dir der Dechant im Lauf der Jahre als Belohnung für deine Kirchgänge geschenkt hat.

Nichts werde ich, sage ich fröhlich und freimütig, ich werde lediglich ein paar Rosenkränze beten, und zwar zum Dank für die Existenz der fleischlichen Sünde, dieses große Glück. Der Inquisitor legt seine Milde ab (. . .) und sagt zähneknirschend: Du bist also hartgesotten, meine Tochter. (. . .) In diesem Fall wird es mit dem Essen der Firmungskerze und der Heiligenbildchen nicht getan sein. Du wirst auch noch die vom Kirchendiener zur Rechten und Linken des Altars aufgestellten Chrysanthemensträuße verzehren, und wenn die Hartgesottenheit dann immer noch nicht von dir gewichen ist, isst du auch noch das violette Karfreitags-Altartuch. Und ich kann dir jetzt schon sagen, dass die golddurchwirkten Fransen nicht sehr bekömmlich sind, sagt er triumphierend."

Für Lilian Faschinger ist der Umgang mit Sprache ein Spiel, ein Spiel, über das es möglich wird, auf die Wahrheit zu kommen, beobachtete sie doch, dass das Lügen in allen Variationen - seien es Lebens-, Familien- oder Liebeslügen - das Denken, Handeln und notwendigerweise die Sprache der Menschen durchzieht.

Bezeichnenderweise hat die Autorin als Motto für ihren ersten Roman ein Zitat aus "Der ewige Spießer" von Ödön von Horvath gewählt: "Es schlug elf. ,Es ist schon zwölf´, sagte der Graf, denn er war sehr verlogen." Eine "Erweiterung" findet sich in "Wiener Passion": "Die Menschen lügen alle."

Wie auch nicht: "Was schriftlich fixiert ist, ist mit Vorsicht zu genießen, genau wie mündliche Vereinbarungen, (. . .) die Sprache ist kein verlässlicher Vertragspartner, sie ist eine Betrügerin.", formuliert die Erzählerin in "Lustspiel" - in Lust-Spiel.

Durch häufigen Perspektivenwechsel im letztgenannten Roman, scheinbar übergangslos gesetzten Sprüngen aus der Sicht der ersten in die der dritten Person, ergeben sich eigentümliche Rhythmen, wodurch zum einen die empfundenen Ambivalenzen der Erzählerin zu sich selbst veranschaulicht werden, zum anderen das Erzählte an Tempo gewinnt, was vermittels einer Überarbeitung des Textes - die Autorin hat vor Drucklegung die Interpunktion versetzt - noch verstärkt wird.

Länge der Sätze

Je länger die Sätze werden, desto größer ist die Wut, sagt Lilian Fa-schinger, und versucht die "angemessene Mitte" zu finden, denn sowohl die Länge als auch die Kürze der Sätze sind Extreme im Spannungsfeld des Redens oder Schweigens.

Die Länge der Sätze ergibt sich mitunter aus Wiederholungen, aus Aufzählungen, gleichsam Beschwörungsformeln. Es ist eine Möglichkeit, das Böse durch die Magie der Worte zu bannen, sagt die Autorin, was ja in "Die neue Scheherazade" gelingt. Aber die Beschwörungsformeln helfen nicht gegen den Tod. "Ich reihe Wörter zu Schnüren und knüpfe Netze. Vielleicht verfängt sich der Tod darin. (Doch er verfängt sich nicht darin.) Ich ziehe Kreise aus Wörtern um mich, vielleicht überschreitet der Tod sie nicht, denn er liebt die Wörter nicht, das weiß ich. (Aber er überschreitet sie.)

(. . .) Vielleicht schließen die Wörter dicht. (Doch die Wörter schließen nicht dicht.) Vielleicht ist es besser, sich anzufreunden mit dem schönen Gevatter Tod", reflektiert Scheherazade.

Im Schreibstil findet der psychische Zustand, im Satzrhythmus der körperliche seinen Ausdruck, sagt Lilian Faschinger. Vertieft man sich in ihre Texte mit dem Grad an Aufmerksamkeit, den sie sich von einem Zuhörer wünscht, einem Zuhörer, dessen eigener Erzähldrang nicht das Zuhören unmöglich macht, kann sich einem zu jedem Zeitpunkt der Lektüre der jeweilige Zustand der erzählenden Figuren eröffnen.

Wenn aber gelegentlich, wie die Erzählerin in "Lustspiel" empfindet, "dieses Herumfuhrwerken der Gefühle beim Schreiben" nicht mehr auszuhalten ist, wenn "die Literatur dem Leben vorziehen" ein "immer tiefer in den Wörterwahn" geraten bedeutet und "die Künstlichkeit der Wörter einen fertig macht", kann es vorkommen, dass profaneren Dingen der Vorzug eingeräumt wird: "Ich habe heute Spaghetti Carbonara gekocht, es ist vernünftiger als Schreiben."

Es bleibt zu hoffen, dass Lilian Faschinger "so etwas" nicht passiert.

Freitag, 21. April 2000

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