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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Gina Kaus · Romanautorin, Emigrantin, Drehbuchschreiberin

Die Kunst, brauchbar zu schreiben

Von Andrea Capovilla

„E s ist noch nicht so lange her, da galt eine schreibende Frau für ein komisches Monstrum, ein Zwittergeschöpf, sie war eine stehende Lustspielfigur,
charakterisiert durch Tintenfinger, Brille und erotische Unzulänglichkeit." So beginnt im März 1929 ein Essay, den Gina Kaus zum Thema „Die Frau in der Literatur" verfasst hat. Kaus wünscht
sich von ihrem Geschlecht mehr Mut zum literarischen Risiko und verspricht sich Aufregendes in näherer Zukunft. Abschließend resümiert sie: „Es ist erst kurze Zeit her, dass die Frauen zu den
Problemen der Realität zugelassen sind. Bis dahin waren sie einerseits selbst Teil der Realität, andererseits Fiktion des Mannes. Wie Kinder, die gar zu viel auf einmal nachzulernen haben, wagen sie
sich nicht ans Spiel. In 20 Jahren mag das alles anders sein." Die von Willy Haas herausgegebene Zeitschrift „Die literarische Welt", in der dieser Aufsatz von Kaus erschien, prägte die
kulturelle Landschaft der Weimarer Republik wesentlich. Kaus teilt sich die hier zitierte Titelseite mit einem Beitrag ihrer Freundin und Kollegin Alice Rühle-Gerstel über „Die neue Frauenfrage",
der ebenfalls fulminant einsetzt: „Ein Bekenntnis vorweg: ich glaube nicht an die Existenz des ,Typisch-Weiblichen`. Ich glaube nicht, dass der Körperbau zu einem bestimmten
Geschlechtscharakter verpflichtet." Rühle-Gerstels 1932 erschienenes Hauptwerk „Das Frauenproblem der Gegenwart" ist eine auf den Theorien Freuds und Adlers basierende marxistisch-
feministische Gesellschaftsanalyse. 1949 setzt Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht" in vielen Punkten dort an, wo Rühle-Gerstel aufhören musste. In der Zwischenzeit herrschte in
Deutschland für feministische Theoretikerinnen bekanntlich Funkstille. Alle drei Namen auf der eingangs zitierten Titelseite der „Literarischen Welt" verschwanden bald auf Jahrzehnte aus
Druckerzeugnissen des „Deutschen Reiches"', es sei denn, es waren schwarze Listen.

Willy Haas und Alice Rühle-Gerstel waren Pragerdeutsche Juden. Ersteren trieb es ins indische Exil, Rühle-Gerstel emigrierte über Prag nach Mexiko, wo sie sich 1946 durch einen Sprung aus dem Fenster
das Leben nahm. Gina Kaus, eine Wiener Jüdin, musste 1938 fliehen. In Hollywood gab sie die literarische Karriere für ihre Arbeit beim Film auf. Über 20 Filme, an deren Drehbüchern sie mitarbeitete,
wurden realisiert, und ihre fünf Romane wurden alle verfilmt. „Die Schwestern Kleh" wurden sogar dreimal verfilmt, in einer französischen Produktion als „Conflit", dann in Hollywood als
„Her Sister's Secret" und zuletzt 1993 als ORF-ZDF-Koproduktion als „Die skandalösen Frauen" mit Julia Stemberger unter der Regie von Xaver Schwarzenberger.

Gina Kaus wurde 1893 als Regina Wiener in Wien geboren, ihr Vater war ein aus Preßburg stammender erfolgloser Geschäftsmann. 1913 heiratete sie den Musiker Josef Zirner, der zwei Jahre darauf im
ersten Weltkrieg fiel. 1916 begann die ,skandalöse` Periode ihres Lebens: Sie wurde die (inoffizielle) Geliebte des reichen jüdischen Bankiers Josef Kranz, der sie adoptierte. Ihre ersten
literarischen Arbeiten veröffentlichte sie Kranz zuliebe unter dem Pseudonym Andreas Eckbrecht. Gina Kaus benützte das Kapital von Josef Kranz, so weit ihr das möglich war, um literarische Projekte
ihrer Freunde zu finanzieren. Ihre Beziehung zu dem Kommunisten und Adlerianer Otto Kaus führte zu einer politischen Radikalisierung. Franz Werfel porträtiert Kaus in der Figur der Hedda Aschermann
in seinem Roman „Barbara oder die Frömmigkeit". Dort schilderte er ein Diner, das Hedda für ihre Freunde in der Abwesenheit des Adoptivvaters veranstaltet, und die Reaktion des unvermutet
auftauchenden Hausherrn. Auch für Robert Musils Posse „Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer" dient Kaus gemeinsam mit Ea von Allesch als Phänotyp.

In ihrer Autobiographie glaubt Gina Kaus sich zu erinnern, dass ihre erste Schwangerschaft eine von ihr und Otto Kaus geplante Veranstaltung war, um den toleranten Kranz endlich in Rage zu bringen.
Der inszenierte Vatermord funktionierte. Kranz schmiss sie aus dem Palais und enterbte sie. Sie ging eine kurzlebige Ehe mit Otto Kaus ein, und lebte nach dieser Verstoßung aus finanziell günstigen
Umständen von den Einkünften ihrer journalistischen und literarischen Arbeit.

Von Wien nach Berlin

Gina Kaus setzte sich mit Alfred Adlers individualpsychologischem Konzept auseinander und arbeitete in von ihm geleiteten Beratungsstellen für Frauen. Sie gab im Alleingang die Zeitschrift „Die
Mutter" heraus, ein damals innovatives Magazin, das sich mit Säuglingspflege und sexuellen Fragen beschäftigte. Kaus veröffentlichte Anfang der zwanziger Jahre sonst hauptsächlich in der
„Arbeiterzeitung". Mitte der zwanziger Jahre lebte sie in Berlin und schrieb regelmäßig in der „Literarischen Welt" und in der „Vossischen Zeitung".

Ihre Landsmännin Vicki Baum war es, die Kaus' ersten Roman publizierte, sie war vom Manuskript der „Verliebten" begeistert. Baum war seit 1926 Redakteurin bei dem damals europaweit größten
Medienkonzern Ullstein und bereits ein Star der kulturellen Szene. Kaus hoffte, ihr Roman würde in Ullsteins ,gehobener` Verlagsschiene Propyläen erscheinen, und nicht, wie es dann der Fall war, bei
den Ullsteinbüchern. Diese Vermarktung war tatsächlich ein Problem, da die Ullsteinbücher im allgemeinen moderne Themen, progressive Inhalte und urbane Schauplätze mit rasanten Handlungen
kombinierten, die auch ein detektivisches oder melodramatisches Lesebedürfnis befriedigen. In den „Verliebten" passiert jedoch äußerlich nichts Nennenswertes, und das wenige an Ereignis wird
ganz nebenbei erzählt. Der literarische Einfall des Romans sind die in wechselnder Perspektive erzählten Liebesgeschichten zweier Paare, wobei die Männer von den miteinander befreundeten Frauen
,getauscht` werden. Dieselbe Begegnung wird nacheinander jeweils als Monolog der beteiligten Partner erzählt, und damit entstehen zwei (beziehungsweise vier) völlig verschiedene Geschichten. Dieses
Konzept geht im Großen und Ganzen glanzvoll auf!

Lediglich die letzten 15 Seiten schmälern die Faszination des Textes, denn hier liefert Kaus recht unnötigerweise die theoretische Erklärung nach, nämlich dass libidinöses Begehren nicht auf das
Liebesobjekt, sondern dessen Begehren abzielt. Diese mitgelieferte Deutung der Erzählung verringert eine andere Lust, die Leselust, denn wie Walter Benjamin in seinem Essay „Der Erzähler"
feststellt, ist es „schon die halbe Kunst des Erzählens, eine Geschichte, indem man sie wiedergibt, von Erklärungen freizuhalten". Dies hat sich vielleicht Vicki Baum zu Herzen genommen, als
sie einige Jahre später Gina Kaus' Einfall der „Verliebten" für ihren Roman „Das große Einmaleins" wieder verwertete: im rasanten Wechsel zwischen ,Er` und ,Sie` gibt es keine Erklärung,
aber einiges an spannungsgeladenem Unterfutter. Ein besserer Roman ist es deswegen nicht, lesenswert sind sie beide.

Mit den „Verliebten" war Kaus bei den Ullsteinbüchern wohl tatsächlich im falschen Verkaufsregal, mit dem ihr eigenen Sinn für Humor machte sie sich dann aber daran, den ,richtigen` Roman für
das schon erworbene Image zu produzieren: „Die Überfahrt", später als „Luxusdampfer" wieder aufgelegt und unter dem Titel „Luxury Liner" verfilmt. Hier bietet Kaus mit dem
Ozeandampfer einen mythisch-mondänen Schauplatz und ein großes Personal verschiedenster Typen auf: zynische Geschäftsmänner, fatale Frauen, sensible Künstler, ehrbare Huren. Der Roman ist trotz oder
wegen dieser Fülle ihr unoriginellster.

Der „männliche Protest"

Für ihre erste literarische Veröffentlichung, die Novelle „Der Aufstieg", erhielt Kaus 1920 den Fontane-Preis. Der erzählerische Motor dieser Novelle, wie auch 25 Jahre später ihres letzten
Romans „Der Teufel nebenan", ist Adlers Theorie des ,männlichen Protests`. Ein zentraler Terminus Adlers ist der ,Minderwertigkeitskomplex`, den er auf eine organische Insuffizienz oder eine
traumatische seelische Kränkung zurückführt. Weiters in Adlers Begrifflichkeit kurzgefasst: Das Kind schafft sich ein Leitbild, das gegenüber der erlebten Minderwertigkeit die Fiktion einer
zukünftigen Überlegenheit garantiert. In einer maskulin orientierten Welt ist das Dilemma dieses ,männlichen Protests` vorhersehbar. Ein Hauptzug des ,nervösen Charakters` ist nach Adler ein
Verbleiben in der juvenilen Phase, in der die Umwelt als überlegen und feindlich erscheint. Die Neurose wird zum Lebensplan.

Der ,männliche Protest` wird nach Adler besonders oft von Mädchen erhoben. Dies macht natürlich Sinn, wenn auch die Begrifflichkeit einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Kaus fasst die weibliche
Lebensposition in einem Feuilleton für die „Vossische Zeitung" prägnant zusammen: „Die Minderwertung des weiblichen Geschlechts stellt für dieses eine Entwicklungshemmung von solcher
Tragweite dar, dass wir sagen könnten: sie hat zur Folge, was sie aussagt, sie erzeugt, was sie behauptet." Melanie und Albert, die Protagonisten des Romans „Der Teufel nebenan" sind · frei
nach Kaus und Adler · Neurotiker mit inkompatiblen Lebensplänen und Kompensationsstrategien, die den fatalen Fehler begehen, einander zu heiraten. Mehr sei hier nicht verraten.

„Der Teufel nebenan" war Kaus' letzter Roman, er erschien 1940 im holländischen Exilverlag Allert de Lange. Alice Rühle-Gerstel schickte Kaus 1938 aus dem mexikanischen Exil ihren Roman „Der
Umbruch oder Hanna und die Freiheit", mit der Bitte um Hilfe bei der Veröffentlichung. Sie fragte, wie die intellektuell anspruchsvolle Kaus zu ihrer erfolgreichen Vermarktung als
Unterhaltungsautorin steht. Kaus antwortete in einem Brief vom 5. Jänner 1938: „Ich glaube nicht, dass es mir in irgendeinem Augenblick wirklich gleichgültig war, ob ich ein gutes oder ein
schlechtes Buch schreibe, aber ich weiß, dass es mir erst möglich wurde, überhaupt brauchbar zu schreiben, als es Dinge für mich gab, die mir wichtiger waren, als literarischer Ehrgeiz: nämlich die
Erhaltung meiner Familie . . . Heute, wo ich längst keine Wahl mehr, sondern eine Marke habe, kann ich mich gefahrlos fragen, ob ich recht daran getan habe, oder ob ich nicht vielleicht die
Bedürfnisse meiner Kinder vorgeschoben habe, um eine Ausrede dafür zu haben, mit meinen Ansprüchen an meine Leistung herunter zu gehen." Wenig später musste Kaus emigrieren und konnte ihrer
Freundin nicht mehr helfen, einen Verleger zu finden. Rühle-Gerstel erlebte die Publikation ihres Romans nicht, er erschien erst 1984 im Fischer Verlag in der Reihe „Verboten und verbrannt".

Gina Kaus' brieflich formulierte Einsicht in die literarischen Marktverhältnisse zeigen die Fragilität und Kontingenz literarischen Erfolges. Kaus wusste weiterhin, wie man brauchbar schreibt,
aber die deutsche Sprache als Medium kam ihr abhanden. Sie gelangte mit einigen Schwierigkeiten über Paris nach Hollywood, wo sie sich mit ihrem dritten Ehemann, dem ebenfalls aus Wien stammenden
Rechtsanwalt Eduard Frischauer, ihren beiden Söhnen aus der Ehe mit Otto Kaus, und ihrer Mutter niederließ. Sie übersetzte zunächst eine Reihe von amerikanischen Theaterstücken ins Deutsche, verlor
aber die Lust daran. Die Arbeit beim Film dagegen gefiel ihr. Kaus hatte bald einen guten Vertrag mit MGM, und konnte ihre fünfköpfige Familie ernähren. Ihr Mann schaffte den Länderwechsel beruflich
nicht, er versuchte zunächst ein amerikanisches Juradiplom zu absolvieren, scheiterte aber an der Sprachbarriere, und schlug sich schließlich mit Gelegenheitsarbeiten und Glücksspiel durch. Elisabeth
Freundlich setzte ihm mit einem Nachruf in der „New York Times" unter dem Titel „Bridge Master and Ex-Lawyer" ein kleines literarisches Denkmal. Auch ein Emigrantenschicksal.

Zu Unrecht vergessen

Gina Kaus kehrte mit ihrer sehr lesenswerten Autobiographie, zuletzt bei Suhrkamp 1990 unter dem Titel „Von Wien nach Hollywood" aufgelegt, noch einmal zu ihrer Muttersprache zurück. Sie
starb 1985, im hohen Alter von 92 Jahren, in einem Pflegeheim in Santa Monica. Ihr literarisches Werk wird allgemein hoch eingeschätzt, Literaturgeschichten einigen sich auf Floskeln wie „eine
wichtige Autorin der Zwischenkriegszeit und des Exils, die zu Unrecht fast völlig vergessen wurde".

Solche Urteile werden bislang von Werkanalysen nicht gestört, weder im positiven noch im negativen Sinn. Doch dies ist vielleicht im Begriff sich zu ändern. Der Igel Verlag hat soeben eine schöne
Neuausgabe der „Verliebten" mit einem instruktiven Nachwort von Hartmut Vollmer herausgebracht, die wiederum Anlass zu Porträts wie diesem gibt. Möge diese Neuausgabe eine Auseinandersetzung
mit dem Werk der Kaus anregen.

Die Welle der Entdeckungen von Autoren der Zwischenkriegszeit und des Exils wird nicht so bald abebben. Zum einen ist ein faszinierender Korpus kultureller Produktion verschüttet worden, zum anderen
bleibt die Anamnese des kollektiven Traumas des Nationalsozialismus eine psychische Notwendigkeit. Jüdische Autorinnen und Autoren erhalten in unserer heutigen Lektüre leicht den Nimbus des
Freudschen Totems. Die Zeugnisse der tatsächlich oder symbolisch Ermordeten werden mit einem Kultwert ausgestattet. Diese Faszination fließt notwendigerweise in die Rezeption der Werke ein. Dies
trifft auch auf die Romane der Gina Kaus zu. Lesenswert sind sie auf jeden Fall!

Literaturhinweis: Gina Kaus, Die Verliebten. Roman. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Hartmut Vollmer. Oldenburg: Igel Verlag 1999.

Freitag, 24. März 2000

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