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Autor, Übersetzer, Vortragskünstler

Rowohlt, Harry: Berühmt für schöne Manuskripte

Von Karl Weidinger

„Wiener Zeitung": Interessieren Sie die österreichischen Zeitungen?

Harry Rowohlt: Ja, als Phänomen, weil es nirgends sonst so viele Zeitungen gibt. Das liegt natürlich unter anderem daran, dass die Österreicher nicht arbeiten. Deshalb haben sie genug Zeit, so
viele verschiedene Zeitungen zu lesen, weshalb sie auch so fremdenfeindlich sind, denn das würde bedeuten, dass Ausländer, die arbeitswillig sind, das Land verderben. Und weil Österreich im Verein
mit Deutschland seine kreative Elite teils umgebracht und teils vertrieben hat, gibt es in Österreich immer noch so viele Zeitungen wie zu Zeiten, als es noch Österreicher gab, die schreiben konnten.
Jetzt gibt es mehr österreichische Zeitungen als Menschen, die schreiben können. Die wenigen Österreicher · die Gojim · die schreiben können, die gehen ja so schnell wie möglich nach Deutschland und
werden dann da auch sehr gut behandelt.

„W. Z.": Die da wären?

Rowohlt: Ich habe im deutschen Fernsehen Joachim Riedl, den Chefredakteur von „Format", gesehen. Der hat nur einen Tag nach der Wahl die offizielle Haider'sche Sprachregelung übernommen und
„ausländische Gäste" gesagt. Nicht Mitbürger, nicht mal Ausländer oder Gastarbeiter, sondern gleich Gäste. Und da hab ich mir gedacht, warum haben wir den Riedl damals so gut behandelt?

„W. Z.": In manchen Redaktionen kursiert das Gerücht, dass, wer's hier nicht schafft, nach Deutschland geht.

Rowohlt: Nachdem jetzt Sigrid Löffler und der Chefredakteur vom „Stern" gefeuert wurden, hatte der dazugehörige Artikel in der „taz" die schöne Überschrift: „Dämmerung für
Schluchtenscheißer". Ich hatte schon vor Jahren den Plan, in Hamburg im Pressehaus nach Greenpeace-Vorbild ein riesiges Laken vom Dach runterzulassen mit der Aufschrift: „Schluss mit dem
unmenschlichen Österreicher-Bonus!"

„W. Z.": Kurt Palm hat nach zehn Jahren den „Sparverein Die Unzertrennlichen" aufgelöst. Haben Sie auch ordentlich was rausgekriegt und wie zufrieden sind Sie mit der Verzinsung?

Rowohlt: Dadurch, dass es den „Sparverein" gab, hatte ich die Gelegenheit, 1991 drei Monate lang in Wien zu wohnen. Und das war ein Hochgenuss, den ich nicht missen möchte. Dass wir ausserdem noch
ein Laienspiel („In Schwimmen · zwei Vögel") einstudiert haben, das hätte man eigentlich auch lassen können.

„W. Z.": Sie waren einmal auf einer Anti-Nazi-Demo mit dem Transparent: „Die braune Liese ist's, ich kenn' sie am Geläute!" Friedrich Schiller „Wilhelm Tell" 1. Akt, 1. Szene. · Hören Sie wieder
was läuten?

Rowohlt: DDr. Günter-Günter Nenning sagte mal, auch nach irgend 'ner Wahl, dass nicht jeder Österreicher ein Nazi ist, sondern nur jeder zweite. Und das ist in Deutschland nicht anders und
wahrscheinlich auch in anderen Ländern nicht. Mein geliebtes Irland, z. B., das mit Recht stolz darauf ist, dass es dort a) keine Schlangen gibt und b) nie Judenprogrome gegeben hat. Da hab' ich mal
eine irische Tresen-Bekanntschaft gelobt wegen dieser beiden Umstände. Und der sagt, das mit den Schlangen ist in der Tat sehr angenehm, aber Judenprogrome könnten wir uns gar nicht leisten, weil wir
diese Schweinehunde gar nicht erst ins Land gelassen haben.

„W. Z.": Ihr Kollege aus dem „Sparverein", Hermes Phettberg, meinte einst, er stelle sich Gott wie Harry Rowohlt vor. Ehrt Sie dieser Vergleich?

Rowohlt: Ja, er ehrt mich immer wieder aufs Neue.

„W. Z.": Der von ihnen erstmals richtig übersetzte Flann O'Brien hat gesagt, warum er Gotteslästerer meidet.

Rowohlt: Wenn es Gott nicht gibt, wozu Ihn lästern? Und wenn es Ihn gibt ·: Wer garantiert mir, daß Er zielen kann?

„W. Z.": Wie viele Übersetzungen haben Sie bisher getätigt?

Rowohlt: 101 Bücher, drei Theaterstücke und einen Film.

„W. Z.": Sie sagten, „nur leider wird mein Englisch immer lausiger. Ich glaube, mit jedem übersetzten Buch wird mein Englisch acht Punkte lausiger. Das kommt vom Nachschlagen." Ist es nur noch
eine Frage der Zeit, bis Sie aufhören, weil Ihr Englisch zu rudimentär wird?

Rowohlt: Übersetzen, schriftlich, kann ich ja dann immer noch. Nur schlage ich nicht mehr jedes dritte Wort nach, sondern jedes. Ich hab' neulich erst wieder festgestellt, dass ich das Wort für
Zander vergessen habe. Unverzeihlich!

„W. Z.": Bei uns heißt der Fogosch.

Rowohlt: Na und?

„W. Z.": Ich weiß auch nicht, vielleicht ist das ein Hinweis.

Rowohlt: Nee, pike-perch, Hechtbarsch! Und das habe ich ausgerechnet auf einer Speisekarte im österreichischen Speisewagen entdeckt.

Im Speisewagen

„W. Z.": Haben Sie Angst vorm Fliegen, weil Sie so gerne über Ihre Erlebnisse im Speisewagen berichten?

Rowohlt: Ich habe keine Angst vorm Fliegen, nur kann man da so viel falsch machen. Im Speisewagen ist es immer interessant. Das letzte Mal, das war von Regensburg nach Düsseldorf: Ich war ein
bisschen angegriffen und hatte einen leichten Kater. Die Kellnerin hatte so changierende blautürkise Fingernägel, und mir wurde ganz leicht übel dabei. Aber ich war mit David Sedaris zusammen auf
Lesereise, und der hat sie sofort wegen ihrer grässlichen Fingernägel gelobt, und dann ging sie in die Küche, ließ kaltes Wasser drüber laufen und dann wurden die ganz blau, und dann hat sie uns
gezeigt, wie sie langsam wieder türkis und dann grün wurden, und ich hätte mich fast . . .

„W. Z.": Interessant. Sie schreiben immer noch auf Maschine?

Rowohlt: Ja, Computer kommt mir nicht ins Haus. Ich hab' nichts gegen Computer. Ich bin nur leider zu blöd dafür!

„W. Z.": Und Ihre Manuskripte sind in einem nachvollziehbaren Zustand?

Rowohlt: Bei mir fließt natürlich das Tipp-Ex-Flüssig in Strömen. Ich liefere ausgesprochen pastose Manuskripte ab. Das Original behalte ich, die Xerokopien schicke ich weg und die sehen immer
makellos aus. Ich bin berühmt für schöne Manuskripte.

„W. Z.": Gibt es Unterschiede im Übersetzen und muss man den Autor zu diesem Behufe persönlich kennen lernen? Ich spiele auf Frank McCourt an, dem Sie ein Fax geschrieben haben, er möge doch die
Hauptperson in „Die Asche meiner Mutter" sterben lassen. Worauf der gemeint hat, geht nicht, weil autobiographisch . . .

Rowohlt: Man braucht den Autor natürlich nicht persönlich kennen zu lernen. Das wäre ein bisschen ausufernd, besonders bei Erfolgs-Schriftstellern wie Douglas Adams. Der z. B. hilft seinen
Übersetzern überhaupt nicht! Der wird praktisch in alle Sprachen übersetzt und hat natürlich keine Lust mehr. Wenn der Autor noch lebt, kann man ihn ja wirklich zu fragen versuchen. Und ich hatte bei
Frank McCourt das große Glück, dass ich der erste Übersetzer war, der überhaupt an ihn herangetreten ist. Die deutsche Ausgabe ist ja auch zweieinhalb Monate früher erschienen als das amerikanische
Original.

„W. Z.": Ist das nicht bedenklich?

Rowohlt: Was soll denn daran bedenklich sein, wenn die Amis so langsam sind? Es hat ja niemand die daran gehindert, schneller erscheinen zu können.

„W. Z.": Naja, der Beginn wurde noch umgeschrieben. Den zweiten Teil haben Sie auch übersetzt?

Rowohlt: Nein, ich hab' mich leider mit dem Luchterhand-Verlag verzankt, und jetzt haben wir uns zwar wieder vertragen und ausgesöhnt, tränenreich. Aber das war dann für die Fortsetzung zu spät.
Was einerseits schade ist, aber andererseits weiß man nicht, wozu's gut ist. Denn, im ersten Band liegt der Reiz für den Übersetzer hauptsächlich darin, dass der Icherzähler als Kleinkind anfängt und
am Ende des Buches etwa 16 Jahre alt ist, deshalb sein Wortschatz immer reicher wird. Und beim zweiten Band dürfte sich in dem Bereich nicht mehr viel tun. Ich weiß noch nicht, ob ich da die
Übersetzung lesen werde! Wenn sie schlecht ist, wäre das schade. Und wenn sie gut ist, wäre das eine Katastrophe! (lacht)

600 Personen trotz Kälte

„W. Z.": Ich habe Sie während der Leipziger Buchmesse lesen gehört und gesehen. Das war im März in einem Innenhof im Freien, wo zirka 600 Personen trotz Kälte bis um halb zwei Uhr früh
ausgeharrt haben und diesen Marathon auch noch genossen haben. Provokant formuliert: Spannen Sie die Leute gerne auf die Folter?

Rowohlt: Ich foltere die Leute nicht, die durften ja weggehen. Ich schimpf' ihnen zwar hinterher, aber ich nehme ihnen das nicht übel. Nein, dass ich so lange lese, liegt daran, dass ich vor etwa
zwölf Jahren meine erste Lesung hatte. Das war in Aachen. Da war ich so bestürzt und gerührt, dass da überhaupt Leute hingekommen waren und Geld dafür bezahlt hatten, dass ich dachte, dann sollen die
auch Vollbedienung kriegen. Und am nächsten Tag war ich dann in Köln und da dachte ich, warum soll ich Aachen besser behandeln als Köln. Und irgendwann hatte ich dann den Ruf, dass ich endlos lang
lese.

„W. Z.": Sie haben sich das erst vor zwölf Jahren angeeignet?

Rowohlt: Talent, wahrscheinlich! Nein, ich versuche, das zu vermeiden, was ich bis dahin an Dichterlesungen selbst erlebt hatte. Irgendeine Doppelnamen-Tussi liest 40 Minuten lang Gedichte vor,
die sich nicht reimen und trinkt dazu Mineralwasser und danach ist Diskussion. All das versuche ich zu vermeiden!

„W. Z.": Gab es schon Angebote für Sie auf den immer wilder wuchernden Markt der Talkshows.

Rowohlt: Als Gastgeber? Nein, das gab es seltsamerweise noch nicht! Aber als Gast habe ich alles, was Rang und Namen hat, schon mindestens zweimal abgelehnt. Im Fernsehen sollte man nur als echter
Macher was tun, nicht als Schwenk-Futter. Da kriegt man auch nur symbolische Gagen. Die Leute, die in Talkshows gehen, machen das, um sich selbst zu pushen, um ein neues Buch zu befördern. Oder weil
sie tatsächlich schwer krank sind.

„W. Z.": Und wie kam es dann doch zu Ihrer Fernsehkarriere?

Rowohlt: In Deutschland werde ich, obwohl ich nicht ins Fernsehen gehe, von 7,4 Millionen Menschen auf der Straße wiedererkannt. Weil ich den Sandler in der „Lindenstraße" spiele. Aber weil die
allermeisten Menschen dumm sind, glauben sie zu 90 Prozent, ich wäre tatsächlich Sandler. Was für mich sehr angenehm ist, weil ich immer mal 2 Mark mit den Worten zugesteckt kriege, „koofen Se sich
wat Warmes!"

„W. Z.": Sie sagten, Sie wären theoretisch immer noch Filmkritiker?

Rowohlt: Zum Filmkritiker reicht es nicht mehr. Die Pressevorführungen sind morgens um elf und dann ist irgendwie der Tag weg.

„W. Z.": Und abends hat man anderes zu tun?

Rowohlt: Ich stehe eigentlich jeden Morgen so um halb sieben auf, übersetze möglichst viel weg, mindestens fünf Einheiten. So dass man den Tag noch vor sich hat. Und wenn man dann noch ins Kino
ginge, wäre Schluss damit.

„W. Z.": Ihre Kolumne ist schon länger nicht mehr erschienen. Haben Sie keine Zeit mehr für die „Zeit"?

Rowohlt: Wenn ich jetzt aufhöre zu schreiben, ist das auch nicht weiter schlimm. Ich bin kein Schriftsteller, ich hab nicht so diesen Drang.

„W. Z.": Hat nicht Torberg gesagt, dass Übersetzer die ärmsten Hunde seien?

Rowohlt: Besonders, wenn man Kishon übersetzt. Torberg hat ja wirklich einen lesenswerten Autor aus dem gemacht. Übrigens, Torberg verdanke ich die schönsten Anekdoten über Alfred Polgar, mit dem
ich tatsächlich sehr befreundet war.

„W. Z.": Und das geht sich zeitlich aus?

Rowohlt: Das geht sich aus! Ja, ich habe ihn kennengelernt, als ich sechs Jahre alt war. Dann habe ich sehr viel später die Polgar-Biographie von Weinzierl gelesen, und da stand drinnen, so
verletzend und fast mörderisch er gegenüber Männern sein konnte, so reizend war er gegenüber Frauen und Kindern. Und da wurden mehrere Frauen aufgeführt und kein Kind, und dann habe ich Weinzierl
geschrieben, „eins der Kinder, die dies belegen könnten, bin ich!" Ich war in der Nähe von Zürich in einem Kleinkinderheim ausgelagert und da habe ich Alfred Polgar kennen gelernt, der hat mir · das
klingt jetzt etwas pompös · das Leben gerettet. Ich habe auch noch einen Originalbrief von Alfred Polgar.

„W. Z.": Zum Abschluß Ihrer unvergleichlichen Lesevorträge geben Sie Alan Alexander Milne's „Pooh der Bär" und sagen dazu: „Mal schaun, wer gewinnt: das Buch oder ich?" Wenn Sie weinen hat das
Buch gewonnen! Warum ist es gerade dieses Werk, das Sie so fasziniert oder soll man dahinter eine unglückliche Kindheit vermuten?

Rowohlt: Auf jeden Fall hatte ich nicht so eine grässliche Kindheit wie Christopher Robin Milne, die Hauptperson von „Pooh der Bär". Das muss wirklich schlimm gewesen sein! Und zu allem Überfluss
ist der dann ohne jeden Grund auch noch enterbt worden und lebte unter dem Existenzminimum als Tischler und Buchhändler in der Provinz verbittert. Dabei hat er seinen berühmt gewordenen Vater mit
Geschichten versorgt. Sein Vater hat ihm gezielt neue Stofftiere gekauft, weil der Sohn sich dazu immer neue Geschichten ausgedacht hat, die der Vater dann nur hingeschrieben hat . . . Das war alles
sehr unerfreulich bei denen!

Freitag, 19. November 1999

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